Kriminelle Wege und Straßen Südosteuropas: Die Balkan-Route

Dr. Anna-Maria Getoš Kalac ist Universitätsdozentin an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Zagreb und leitet dort seit Anfang 2013 die Max-Planck-Partnergruppe für „Balkan-Kriminologie“.

Zusammenfassung

Der Beitrag befasst sich mit kriminellen Wegen und Straßen Südosteuropas und soll die wichtigsten Merkmale der so genannten Balkan-Route darstellen. Dabei ist der Schwerpunkt gezielt auf transnationale illegale Märkte wie z. B. Menschen- und Drogenhandel gesetzt. Schließlich werden aktuelle kriminalpolitische Bestrebungen in der Region kritisch hinterfragt, um zu erkunden, ob im nichtkriminellen Bereich die Grenzen ebenso porös sind, wie wenn es um die kriminellen Märkte der Balkan-Route geht.

Die verbindende und annähernde Funktion von Wegen und Straßen bekommt, wenn sie aus kriminologischer Perspektive1 betrachtet wird, eine ganz spezielle Bedeutung, besonders wenn man die Eckpunkte „Staatsgrenzen“ und „illegale Märkte“ mitbetrachtet. Das ewige Freizügigkeitsbestreben für Menschen und Güter macht vor dem kriminellen Bereich keinen Halt – im Gegenteil. Was im legalen Güter- und Menschentransport oft mit viel Papierkram, Regulierungen, Kontrollen, Versicherungen und Kosten verbunden ist, geschieht im kriminellen Transport verbotener Güter und beim Menschenhandel im Verborgenen und folgt dort ganz anderen Gepflogenheiten, jedoch ansonsten im Prinzip denselben Gesetzmäßigkeiten. Es wäre nämlich verfehlt zu meinen, hier gäbe es weder Kontrolle noch Regulierung oder Versicherung. Diese gestalten sich zwar anders, jedoch handelt es sich funktionalistisch betrachtet um dieselben Instrumente (z. B. Gewalt, Einschüchterung, Ehrenkodex, Bekanntschaft und Verwandtschaft, Markteinteilung und -kontrolle usw.).

Auch diktieren hier wie auch sonst rein ökonomische Faktoren das Geschehen – die Nachfrage bestimmt den Markt, und die kriminellen Kosten und Risiken, besonders Transportkosten und das Entdeckungs- sowie Strafverfolgungsrisiko, bestimmen den Preis. Hierbei spielt besonders Korruption in den Transitländern der Balkan-Route eine wichtige Rolle, da die Bestechungsmöglichkeiten von Grenzbeamten maßgeblich dazu beitragen, das kriminelle Risiko relativ gering zu halten. Man sieht bereits an dieser Stelle, dass es sich bei transnationalen illegalen Märkten aller Art um ein äußerst vielschichtiges und komplex gelagertes Kriminalitätsphänomen handelt, das nicht nur von den kriminellen Operateuren abhängt, sondern auch maßgeblich von den Endnutzern und Strafverfolgungsbehörden mitbestimmt wird.

Der „Balkan“-Begriff

Trotz des oft als pejorativ empfundenen Begriffs „Balkan“ soll kurz vermerkt werden, dass dieser durchaus seine wissenschaftlich belegbare Richtigkeit hat (im Unterschied zum rein politischen Terminus „West-Balkan“) und zumindest nicht mehr oder weniger irreführend ist wie der oftmals als politisch korrekter empfundene Begriff „Südosteuropa“. Im hiesigen Kontext soll der Begriff „Balkan“ terminologisch gesehen als Sammelbegriff für folgende Staaten benutzt werden: Griechenland, Albanien, Bulgarien, Rumänien, teilweise die Türkei und alle Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien – Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Serbien, Montenegro, Kosovo und Makedonien.

Die Balkan-Route

Wenn die Rede über „kriminelle Wege und Straßen Südosteuropas“ ist, dann sollte gleich vorab geklärt sein, dass es sich hierbei um keine „kriminelle Balkan-Autobahn“ handelt, die in A beginnt und dann in B endet. Vielmehr muss man sich die Balkan-Route als Oberbegriff für ein Routen-Geflecht vorstellen, dass einerseits marktspezifisch funktioniert und sich andererseits flexibel neuen Bedingungen anpasst. Jeweils abhängig vom illegalen Markt sowie dem dazugehörigen Ursprungs- und Zielland verlaufen die kriminellen Wege und Straßen über unterschiedliche Länder der Balkan-Region.

Der transnationale illegale Gesamtmarkt auf der Balkan-Route

Frontex2 zufolge entfällt der mit Abstand größte Anteil am transnationalen illegalen Gesamtmarkt auf der Balkan-Route auf den Schmuggel gestohlener Fahrzeuge aus Staaten der Europäischen Union (EU) in den Balkan und den Drogenhandel über die Balkan-Länder in die EU. Illegaler Waffenschmuggel wird weitaus seltener festgestellt, sollte allerdings nicht unterschätzt werden. Was den Menschenhandel betrifft, muss festgehalten werden, dass trotz großer Anstrengungen seitens der EU und aller Staaten in der Balkan-Region aussagekräftige Daten in diesem Bereich immer noch fehlen, sodass es selbst Experten schwer fällt, den Markt genau einzuschätzen und einzelne Staaten klar als Ursprungs-, Transit- und Zielland zu identifizieren.3 Insgesamt steht jedoch außer Frage, dass der Handelsstrom von Süd nach Nord und Ost nach West verläuft, ebenso wie auch die illegalen Migrationen und der Menschenschmuggel. Was die kriminellen Operateure betriff – diese sind zumindest ebenso unterschiedlich wie die kriminellen Märkte, die von ihnen betrieben werden. Von gut organisierten kriminellen Organisationen, die ihren Profit mit Hilfe ausgeklügelter Geldwäsche-Operationen verdecken, bis hin zu ad hoc Täter-Grüppchen und sporadischen Einzeltätern ist alles vertreten. Es wäre ein Trugschluss zu glauben, die Balkan-Route würde von einigen wenigen mafiaartigen kriminellen Organisationen kontrolliert. Bemerkenswert ist allerdings die reibungslose Zusammenarbeit unterschiedlicher transnationaler krimineller Organisationen und nationaler Verbrechergruppen mit diversem und oftmals eigentlich verfeindetem ethnischem, nationalem und religiösem Hintergrund. Auch in diesem Zusammenhang bestätigt sich leider die zusammen- und näherbringende Funktion von Wegen und Straßen.

Organisierter Fahrzeugdiebstahl und -schmuggel

Die meisten identifizierten Automobile, die auf ihrem Weg aus der EU in den Balkan entdeckt wurden, waren laut Frontex in Italien, Deutschland und Slowenien als gestohlen gemeldet worden. Dabei handelt es sich oftmals um „bestellten“ Fahrzeugdiebstahl – Kunden in den Balkan-Ländern bestellen eine bestimmte Fahrzeugmarke, quasi ihr Wunschauto; dieses wird in einem der EU-Länder gestohlen und über die Balkan-Route zum Kunden geschmuggelt. Dabei zeigt sich, dass die Balkan-Route nur eines von vielen kriminellen Netzen ist, die Europa mit seinen Nachbarregionen z. B. in Nordafrika und im Nahen Osten verbinden. Das Vorurteil, der Balkan wäre eine besonders kriminelle Region, lässt sich somit nicht bestätigen.

Drogenschmuggel

Die klassischen Routen für den Heroinschmuggel nach Europa haben sich zwar diversifiziert, sodass die Balkan-Route nicht länger die einzig benutzte Strecke ist. Allerdings wird auch diese weiterhin regelmäßig für den Transport nach Europa genutzt. Die Türkei spielt hierbei aufgrund ihrer zahlreichen Handels- und Straßenverbindungen nach Asien und Europa eine zentrale Rolle im Heroinschmuggel entlang der Balkan-Route. Heroin wird über die Türkei nach Bulgarien und Griechenlang geschmuggelt und dann über diverse Transitländer nach Westeuropa gebracht; davon zeugen Heroinbeschlagnahmungen auf dem Weg von Griechenland nach Albanien und danach an den Grenzen zu Montenegro und Kroatien. Die nachstehende Abbildung verdeutlicht, wie Heroin und Opium aus Pakistan, Afghanistan oder Aserbaidschan über die Balkan-Route bis nach Italien gelangen.

Drogenschmuggel auf der Balkan-Route4

Türkische kriminelle Organisationen spielen zwar eine Hauptrolle im Heroinschmuggel nach Europa, allerdings müssen sich diese auf die Unterstützung nationaler krimineller Gruppen in den jeweiligen Transitländern verlassen, um erfolgreich den Schmuggel zu betreiben. Als Beispiele nennt Frontex serbische und albanische Verbrechergruppen. Lagereinrichtungen für Heroin bestehen auch weiterhin in Albanien, Makedonien und dem Kosovo. Oftmals wird auch gemeldet, dass Migranten-Arbeiter/Gastarbeiter auf ihrer Rückkehr in die EU in Reisebussen oder ihren privaten PKWs kleinere Mengen an Heroin über die Balkan-Länder nach Westeuropa schmuggeln.

Neben der Drogenschmuggelproblematik selbst, mit der sich die EU-Zielländer fast ausschließlich befassen, stellt sich natürlich auch die Frage nach den Auswirkungen des Drogenschmuggels auf der Balkan-Route auf den Anstieg des Drogenkonsums in den Transitländern des Balkans. Hierbei handelt es sich um ein Thema, das stark vernachlässigt wird, sei es auf der wissenschaftlichen Erforschungsebene oder im Hinblick auf die kriminalpolitische Entscheidungsebene. Oft werden die Balkan-Länder als Problem-Region im Zusammenhang mit dem Drogenschmuggel nach Zentraleuropa angeprangert, aber selten diskutiert man die Mitverantwortung der Ziel- und Nachfrageländer, die ja eigentlich den Markt diktieren und das Drogenproblem in den Balkan-Ländern zumindest mitverursachen.

Illegaler Waffenhandel

Zum illegalen Waffenhandel und damit verbundenen -schmuggel gibt es kaum Daten und nur wenige erfolgreiche Verfolgungsmaßnahmen, sodass genaue Aussagen über Verbreitung, Struktur und Trends zu diesem transnationalen illegalen Markt kaum möglich sind. Allerdings wird davon ausgegangen, dass der durch den Krieg bedingte private illegale Waffenbesitz auch weiterhin ein Risiko im Bereich des illegalen Waffenhandels und -schmuggels darstellt. Entgegen dieser Einschätzung zeigen jedoch genauere Analysen der Gewaltkriminalität in den einzelnen Balkan-Ländern, dass vergleichsweise wenige dieser Taten (Mord, Raub u. ä.) mit Feuerwaffen begangen werden. Dies hat sicherlich auch damit zu tun, dass in fast allen Balkan-Ländern, die von bewaffneten Konflikten betroffen waren, Polizeiaktionen durchgeführt wurden, die es ermöglichten, Kriegswaffen, die sich in illegalem Privatbesitz befanden, entweder zu legalisieren oder einfach straffrei in einer Polizeiwache abzugeben. Daher könnten sich die Befürchtungen bezüglich des weit verbreiteten illegalen Waffenbesitzes und dessen vermuteter transnationaler Handel und Schmuggel als Fehleinschätzungen herausstellen.

Menschenhandel

Die IOM (International Organisation for Migration) berichtete 2001, dass der Balkan zu einer der Hauptregionen für den Menschenhandel von Frauen und Kindern auf den Weg nach Westeuropa geworden war. Die Einschätzungen des Ausmaßes dieses illegalen Marktes variierten damals wie auch heute sehr stark und umfassten IOM zufolge 2001 ca. 120.000 Frauen und Kinder, die jährlich über die Balkan-Route nach Westeuropa gehandelt wurden. Gemäß einer Einschätzung des Europarats fielen im Jahr 2003 dem weltweiten Sex-Menschenhandel rund 200.000 Frauen kriminellen Netzwerken auf dem Balkan zum Opfer.5

Man könnte an dieser Stelle fortfahren und viele weitere und neuere Zahlen sowie Schätzungen nennen, jedoch ist eine exakte Datenerhebung im Bereich des Menschenhandels äußerst problematisch. Lediglich einige Trends lassen sich inzwischen erkennen; dazu gehören u. a. die immer häufigere Identifizierung von Transitländern des Balkans als eigentliches Zielland und der vermehrt vorkommende innerstaatliche Menschenhandel, der sich ohne transnationale Komponente abspielt.

Strafverfolgung und kriminalpolitische Einflüsse der EU

Schließlich stellt sich nun noch die Frage, ob die Strafverfolgung in den Ländern entlang der Balkan-Route ebenso durch die kriminellen Wege und Straßen zusammengewachsen ist, wie es die kriminellen Operateure heutzutage sind. Und in der Tat muss man dies eindeutig bejahen: Was vor einigen Jahren noch als ein Ding der Unmöglichkeit erschien, stellt sich heute als Normalität ein – sowohl formell als auch informell kooperieren die Strafverfolgungsbehörden des Balkans sehr gut, wenn es darum geht, organisierte Kriminalität zu bekämpfen und transnationale illegale Märkte in Schach zu halten. Kritik ließe sich zwar durchaus äußern, jedoch sollte man hierbei die nicht solange zurückliegende Konfliktvergangenheit sowie die ethnischen und nationalen Feindseligkeiten berücksichtigen und nicht vergessen, dass es sich bei vielen der Balkanstaaten um junge Demokratien handelt, die sich teilweise immer noch mit fundamentalen Problemen wie etwa Rechtsstaatlichkeit herumschlagen.

In diesem Kontext wäre es wünschenswert, die kriminalpolitischen Einflüsse der EU würden sich nicht hauptsächlich auf EU-Probleme beschränken, die mit dem Balkan zusammenhängen, sondern ebenso energisch auch jene Fragen ansprechen, die zwar Balkan-Probleme betreffen, allerdings aus Richtung der EU kommen. Kriminalität ist leider ein normaler Bestandteil jeder Gesellschaft, und es geht letztlich auch nicht darum, diese komplett auszumerzen, sondern lediglich, sie in gesellschaftlich verkraftbaren Grenzen zu halten und ihre Folgen, so gut es geht, zu sanieren. Bezogen auf die kriminellen Wege und Straßen Südosteuropas bedeutet dies, dass diese weiterhin bestehen bleiben und die Balkan-Route erst dann verschwinden wird, wenn Nachfrage und Angebot auf dem transnationalen illegalen Markt erloschen sein werden.

Korrekt müsste man den Plural wählen: Die Balkan-Route setzt sich aus einer Reihe von Wegen zusammen, die wie ein Netz über Südosteuropa liegen und seit den politisch-gesellschaftlichen Umbrüchen in diesem Teil Europas für illegale Transporte aller Art dienen. Auto- und Waffenschmuggel, Drogenhandel und das Geschäft mit der „Ware Mensch“ bilden den Schwerpunkt des „Verkehrs“ auf dieser Route. Dank wachsender internationaler Zusammenarbeit gelingt es zwar immer häufiger, die kriminellen Machenschaften zu unterbinden, aber angesichts der internationalen Verflechtungen der Verbrecher wird es einen langen Atem brauchen, um dauerhafte Erfolge zu erzielen.


Fußnoten:


  1. Kriminologie ist die Wissenschaft vom Verbrechen, dem Verbrecher und dessen Opfer sowie vom gesellschaftlichen Kontext, in dem Kriminalität stattfindet. Kriminologie erforscht also das „Wie?“ und das „Warum?“ kriminellen Handelns. ↩︎

  2. Frontex ist die Kurzbezeichnung der „Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen der Mitgliedsstaaten der Europäischen Union“. Sie wurde 2004 errichtet und hat ihren Sitz in Warschau. Ausführliche Hinweise zu Aufgaben und Zielen finden sich unter http://frontex.europa.eu/about-frontex/mission-and-tasks. Zahlreiche Belege des vorliegenden Beitrags beziehen sich auf Analysen von Frontex, die über die Homepage unter http://frontex.europa.eu/publications/ abgerufen werden können. ↩︎

  3. Vgl. Trafstat Projekt (2014), siehe http://balkan-criminology.eu/en/projects/trafstat/ (letzter Zugriff: 06.11.2017). ↩︎

  4. Autorin/Spiegel Online, 20.01.2014. – Die Karte vermittelt zugleich einen Eindruck vom Netz der „Balkan-Routen“. ↩︎

  5. H. R. Friman, S. Reich: Human Trafficking and the Balkans. In: dies. (Hrsg.): Human Trafficking, Human Security, and the Balkans. Pittsburgh 2007, S. 1-19, bes. S. 2. ↩︎