Russland und das „große“ Europa

Dr. Timofej Bordatschew ist leitender Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Europastudien der Russischen Akademie der Wissenschaften, Moskau.

Die dramatischen Ereignisse des letzten Jahres - die Zähmung der widerspenstigen Serben auf dem Balkan und die Einladung einer ganzen Reihe neuer Länder zu Verhandlungen über einen EU-Beitritt - zeugen davon, dass der Prozess der Zusammensetzung des Mosaiks der Alten Welt zu einem bunten Glasbild bereits unumkehrbar geworden ist. In 10 oder 15 Jahren steht Russland vor einem neuen "großen Europa" vom Bug bis zum Atlantik, und damit wir uns dann nicht in der gefährlichen Lage zweier verfeindeter Welten sehen, die nur durch den dünnen Puffer der Ukraine voneinander getrennt sind, müssen wir alle darüber nachdenken, wie die Beziehungen so aufgebaut werden können, dass sie genügend Stabilität erlangen, um sich der zerstörerischen Wirkung politischer Emotionen entgegenstellen zu können.

Die Frage, ob Russland ein Teil Europas und der europäischen Zivilisation ist oder sich grundsätzlich davon unterscheidet, wird ungeachtet dessen, dass es vom formalen und institutionellen Standpunkt aus bereits eine verneinende Antwort darauf gibt1, noch für ziemlich lange Zeit auf der Tagesordnung stehen. Dieses Problem ist eines der Schlüsselprobleme der russischen politologischen Diskussion. Kaum ein anderes Thema der nationalen Außenpolitik wird als derart schmerzhaft empfunden.

Historische Voraussetzungen

Wenn man die gestellte Frage bejaht, dann muss man erklären, dass die langjährige Erfahrung von Kriegen Russlands mit europäischen Völkern, dass das 300-jährige Tataren- und Mongolenprotektorat und das kommunistische Experiment, das entscheidenden Einfluss auf die Mentalität der russischen Bewohner und auf das Machtsystem ausgeübt hat, dass also all das einfach ärgerliche Fehler gewesen sind, Abweichungen im Prozess der historischen Entwicklung eines (im Ganzen gesehen) europäischen Volkes. Wenn man die Frage aber verneint, muss man die gegenseitige Entfremdung als unausweichlich anerkennen und die Versuche von Zar Peter dem Großen, Russland nach Europa zu führen, als despotische Gewaltanwendung gegenüber beiden und schließlich die asiatische Versklavung der kommunistischen Zeit als gesetzmäßiges Schicksal eines Volkes, das nichts anderes wünscht, als seinen Hals unter den Stiefel des nächsten Despoten zu legen.

Wenn wir uns der praktischen Ebene unserer Gegenwart zuwenden, sehen wir, dass die Beziehungen Russlands zu Europa voller Widersprüche sind. Einerseits möchten die Bewohner Russlands, wenigstens seines westlichen Teils, in Europa, auf das ohnehin etwa 40 % des russischen Außenhandelsumsatzes entfällt, Geschäfte machen. Die Vertreter der Elite des russischen außenpolitischen Denkens unterstreichen regelmäßig die Notwendigkeit und die Natürlichkeit einer Vertiefung der Zusammenarbeit mit der EU und sogar in den heutigen, für gemeinsame Beziehungen äußerst ungünstigen Zeiten bauen sie gewaltige Projekte für die Zukunft. Intellektuelle in Moskau, St. Petersburg und im ganzen Land unterstreichen die Hochachtung und den Respekt gegenüber europäischen Errungenschaften, die sie ausdrücklich den amerikanischen gegenüberstellen, wobei sie Letztere für den Triumph von unnötigem Kitsch und politisch korrekten Klischees halten.

Andererseits entdecken wir ein absolutes gegenseitiges Unverständnis in den allerwichtigsten Fragen. Für das Bewusstsein des Europäers des 21. Jahrhunderts ist die Idee inakzeptabel, Hunderttausende der eigenen Bürger in feuchten Zelten zu halten, irgendwo an der Grenze zwischen Tschetschenien und Inguschetsien. Den russischen Bürgern geht es ihrerseits nicht in den Kopf, wie die Abgeordneten des Europarats gleichzeitig Haider verurteilen und die Vertreter der tschetschenischen Separatisten durch die Parlamentskorridore führen können. Und das, obgleich man dem Führer der österreichischen Xenophoben noch keinen einzigen abgeschnittenen Kopf anrechnen kann. In der Aufarbeitung dieses gegenseitigen Unverständnisses liegt offensichtlich auch der Schlüssel zur Beseitigung des beiderseitigen Unbehagens.

Es drängt sich eine in jeder Hinsicht bedauerliche Erklärung auf. Wir haben zu viel gemeinsam, aber genau das macht unter den bestehenden Unterschieden die innere Auseinandersetzung oder den Gegensatz zwischen Russland und Europa noch härter. Für die russischen Bürger heißt das, sich wegen dessen erwünschter Nähe und seiner dauerhaften Feindschaft Europa gegenüber immer mit einer Hassliebe zu verhalten. Für die Europäer bedeutet das die unangenehme und kräftezehrende Perspektive, die Risiken zu berechnen, die durch eine solche Nachbarschaft entstehen, und ewig auf der Hut zu sein.

Die Erfahrungen der letzten zehn Jahre

Die komplizierte Geschichte der bewussten Beziehungen des neuen Russland und Europas beginnt in den 90er Jahren, als beide Seiten dramatische Veränderungen ihrer politischen Konfiguration durchlebten. Moskau, das mit dem kommunistischen Experiment Schluss gemacht hatte, begann sich zur Integration in die Weltwirtschaft hin zu orientieren. Bestätigung hierfür war der verzweifelte Versuch eines liberalen Rucks der Regierung Gajdar. Europa nahm Kurs auf eine entschiedene Vertiefung der Integration und auf die konsequente Erweiterung seines wichtigsten politischen Instituts, der Europäischen Union. Auf diese Art mussten beide Seiten ihre gegenseitigen Beziehungen von Null ausgehend aufbauen, da sie selbst unter dem Einfluss von inneren Transformationsprozessen standen.

In Russland wurde und wird die EU traditionell als eine Art Alternative zur NATO verstanden. Die Zahl der Euroskeptiker, die überzeugt sind, dass die politische Zusammenarbeit mit den USA für Russland viel wichtiger ist, war niemals größer. Sie haben jedoch nicht die wichtigsten Funktionen im Apparat des Außenministeriums und der Regierung eingenommen. Die völlige Gleichgültigkeit Moskaus gegenüber der Idee einer europäischen Integration begann seit 1989 dem Bemühen zu weichen, Kontakte zur europäischen Demokratie aufzubauen und gegenseitig nützliche Wirtschaftsbeziehungen auf eine dauerhafte Grundlage zu stellen.2 Die gegenseitigen Beziehungen zwischen Russland und Europa bekamen ihre grundsätzliche Form im "Partnership and Cooperation Agreement", das auf der griechischen Insel Korfu 1994 unterzeichnet wurde, aber erst im Dezember 1997 in Kraft trat.

Im Sommer des Jahres 1999 wurde auf dem EU-Gipfel eine "Gemeinsame Strategie der Europäischen Union für Russland" angenommen. Als Antwort stellte das russischen Außenministerium ein eigenes Dokument vor, das überschrieben war mit "Strategie der Entwicklung der Beziehungen der Russischen Föderation mit der Europäischen Union für eine mittelfristige Perspektive (2000-2010)". Diese beiden Dokumente drückten das Interesse der beteiligten Seiten an der Bildung von stabilen und ausgeglichenen Beziehungen aus. Die Billigung solcher solider Dokumente sollte eine zuverlässige juristische Basis für die Beziehungen, die sich mit großer Geschwindigkeit entwickeln, werden. Sowohl in Moskau als auch in den europäischen Hauptstädten wurden mehrfach Wünsche nach weiterer Entwicklung der Beziehungen geäußert, welche sich auf die solide Basis der außenwirtschaftlichen Beziehungen Russlands stützen, in denen Europa weit hinter den USA und Japan liegt.

Dessen ungeachtet traten die russisch-europäischen Beziehungen mit einer tiefen Krise in das Jahr 2000 ein. Die Größe des gegenseitigen Unverständnisses wird an den Entscheidungen des EU-Gipfels in Helsinki deutlich. Dort haben die Führer des vereinten Europas (was für viele russische Bürger ein Schock war) Russland wegen der "nichtselektiven" Gewaltanwendung in Tschetschenien verurteilt und die Türkei, deren Regierung seit Jahren die kurdische Minderheit terrorisiert, zu Verhandlungen über einen EU-Beitritt eingeladen. Auf den ersten Blick könnte man diesen Schritt zusammen mit den vorhergegangenen scharfen Äußerungen an die Adresse Moskaus als Antwort auf das Verhalten Russlands während des Krieges der NATO gegen Jugoslawien und als eine besondere Art des "Austauschs von Komplimenten" verstehen. Doch leider ist das alles nicht so einfach. Die russisch-europäischen Beziehungen sind tatsächlich so tief gefallen, dass die jetzige Krise einfach geschehen musste und dass auch ohne Tschetschenien ein Anlass für sie gefunden worden wäre.

In der Wirklichkeit der russischen Außenpolitik fehlte immer in katastrophaler Art und Weise eine adäquate Vorstellung über die Rolle und den Platz Europas im System der internationalen Beziehungen. Moskau war im geopolitischen Spielen mit den USA engagiert und daher immer geneigt, die alte Welt als ruhiges Hinterland zu betrachten, wo man sich im angenehmen Kreis der französischen und deutschen Freunde nach den Diskussionen mit Amerika erholen konnte. Das erste Alarmsignal erklang in dem Moment, als sich Frankreich und Deutschland im Dezember 1998 faktisch mit den Luftangriffen der Engländer und Amerikaner auf den Irak solidarisierten. Und danach geschahen die Ereignisse auf dem Kosovo, als die wichtigsten Europäer die Meinung Moskaus fast völlig ignorierten. Die Reaktion seitens Russlands war eine bittere Verstimmung, die jedoch leider nicht dazu führte, die entstandene Praxis der Beziehungen sachlich zu überprüfen. Man ließ zu, dass sich Widersprüchlichkeiten bis zur kritischen Grenze ansammelten, und im Herbst/Winter 1999 kam es zur Explosion.

Die Europäer waren ihrerseits in den letzten Jahren fast ausschließlich mit ihren inneren Angelegenheiten beschäftigt, wobei sie die Lösung der wichtigen Probleme der eigenen Sicherheit, sei es die Erweiterung des Nordatlantikpaktes oder die Befriedung des Balkans, den Vereinigten Staaten überließen. Das ist jetzt anders. Europa macht sich mit Überzeugung auf zu einer grundsätzlich neuen Ebene der Integration, nämlich der militärisch-politischen, was eine neue Artikulation von Verhaltensprinzipien auf internationaler Ebene verlangt. Außerdem haben die Regierungswechsel in der Alten Welt, die in den letzten zwei Jahren vollzogen wurden, eine neue Generation von Politikern an die Macht gebracht, die völlig von den Folgen des Zweiten Weltkrieges emanzipiert sind und die mit Vorstellungen von Russland als dem Land Breschnjews aufgewachsen sind, das den Prager Frühling erstickt und Afghanistan besetzt hat.

Das Problem liegt darin, dass es in der ganzen Geschichte des neuen Russland keine einzige mit Europa strittige Frage gegeben hat, deren Schärfe dazu geführt hätte, die Beziehungen zu klären. Sogar das Problem der NATO-Erweiterung wurde hauptsächlich in einem Dialog zwischen Moskau und Washington diskutiert. Die Bewohner der Alten Welt sind praktisch nicht mit Russland in einen Dialog eingetreten, obwohl sie uns gelegentlich daran erinnert haben, dass sie zum Atlantik-Pakt gehören. So haben sie unbewusst die Rolle des "guten Polizisten" gespielt (die USA somit die des "schlechten Polizisten"). Das hat so lange funktioniert, bis beide Seiten durch ihre inneren Probleme buchstäblich an die Wand gedrückt waren. Für uns ist das die Notwendigkeit, auf dem Recht des russischen Staates zu beharren (und dieses Recht gibt es nun einmal), das gesamte Territorium des Landes zu kontrollieren. Die Europäer müssen ihre Fähigkeit erweisen, in wichtigen Fragen mit einer eigenen und abgestimmten Position aufzutreten. Es würde sich für beide Seiten lohnen, eine für sie wirklich wichtige Frage zu erörtern, nämlich wie der scharfe Konflikt zustande gekommen ist. Da die Europäer daran gewöhnt sind, dass sich auch die ärgsten Konflikte gleichsam von selber lösen, sind sie darüber verwundert, dass Moskau hart bleibt und ihre Einmischung in das Tschetschenien-Thema nicht akzeptiert. Das ganze System der Beziehungen, das doch stabil erschien, stürzt vor unseren Augen zusammen und der EU-Kommissar für außenpolitische Beziehungen hat bereits über die Möglichkeit gesprochen, die Übereinkunft über Partnerschaft und Zusammenarbeit wieder aufzuheben. All das, was jahrelang als Beispiel für eine schrittweise Zusammenarbeit gelobt wurde, erwies sich als hohl, als Koloss auf tönernen Füßen.

Das ist die traurige Bilanz einer fast zehnjährigen Erfahrung von Beziehungen zwischen dem neuen Russland und Europa, die Bilanz eines Dialogs ohne Verständnis für die Logik der Handlungen des Partners, für seine Ziele und inneren Motive. In Russland ist der Sinn eines Eintritts Russlands in den Kreis der europäischen Völker unverständlich geworden. Der deutlichste Ausdruck dieses bedauerlichen Faktums sind die jüngsten Vorgänge in der parlamentarischen Versammlung des Europarats und besonders die Reaktion der russischen öffentlichen Meinung darauf. Diese Reaktion war optimistisch. Der Grund dafür, dass die russische Presse und die öffentliche Meinung die Entscheidung der parlamentarischen Versammlung, Russland zu suspendieren, positiv aufgenommen haben, ist die Tatsache, das bei der Mehrheit der russischen Bürger, und zwar auch bei den Vertretern der politischen Klasse, eine auch nur einigermaßen klare Vorstellung über die Ziele und den Sinn einer Mitgliedschaft ihres Landes im Europarat völlig fehlen. Die öffentliche Meinung in Russland hat gesehen, dass es jetzt endlich möglich sein wird, den qualvollen Gegensatz zwischen der Notwendigkeit, die formale Mitgliedschaft Russlands in diesem angesehenen Klub zu bezeugen, und dem völligen Unverständnis für den Gehalt seiner Aktivitäten aufzulösen.

Ich wage zu behaupten, dass der wichtigste Grund für die Krise in den russisch-europäischen Beziehungen das Fehlen einer gemeinsamen Sprache ist. Denn auch die Liberalen in der russischen außenpolitischen Elite, die darauf beharren, dass Russland zu Europa gehört, verlangen von Europa nur Technologien und Investitionen und verweigern ihm das Recht, die ihm eigenen Werte zu verbreiten. Die scheinbare Nähe der materiellen Kultur führt keineswegs zu gegenseitigem Verständnis. In Russland versteht man jetzt nicht nur Europa nicht, sondern man ist sich nicht einmal des Grades und des Ausmaßes dieses Unverständnisses bewusst. Wir befinden uns jetzt viel weiter von Europa entfernt als sogar die baltischen Nachbarn Russlands, die zwar an einem posttotalitären Komplex leiden, aber dennoch ihre Ziele deutlich sehen und mit dem Fleiß aufmerksamer Schüler zu verwirklichen suchen.

Russlands Perspektive: „Rückkehr nach Europa“

Es lässt sich vermuten, dass Russland immer noch vor der Wahl steht, entweder die europäischen Werte anzunehmen oder seinen eigenen Weg zu gehen. Aber Russland ist zu klein, um die Rolle einer selbstständigen Zivilisation zu spielen. Seine Bevölkerung (jetzt leben in Russland etwas mehr 145 Millionen Menschen) übertrifft die der großen europäischen Staaten nur um ein Geringes und erweist sich als völlig unbedeutend im Vergleich zur Gesamtbevölkerung der Europäischen Union. Ein enger Korridor von Möglichkeiten, der durch die lange Periode des zerstörerischen Totalitarismus, durch den Zerfall des Imperiums und durch das Jahrzehnt nicht immer erfolgreicher Reformen vorherbestimmt war, hat Russland nur einen Ausweg gelassen - die Rückkehr nach Europa. Sollte Russland das nicht akzeptieren, wäre das ein riesiger historischer Fehler, der sehr wahrscheinlich dazu führen würde, dass das Land zwischen den Mühlsteinen der Zivilisationen des Ostens, des Südens und des Westens zermahlen wird. Die Form, in welcher sich dieser Prozess der "Rückkehr nach Europa" vollzieht, ist nicht so wichtig. Grundsätzliche Bedeutung hat jedoch, dass die Bürger und die politische Elite Russlands ihn als unausweichlich akzeptieren. Dadurch wird Russland die Chance erhalten, eine Identität zu erwerben und seine Zugehörigkeit zur Geschichte der europäischen Zivilisation zu verspüren.

In der Praxis wäre das angemessenste Verhaltensmodell für Russland die Entwicklung der Beziehungen mit Europa nicht auf deklarativer oder rein institutioneller Ebene, sondern durch funktionelle Zusammenarbeit, durch wirkliches Einbeziehen. Dafür ist es zunächst notwendig, strategische Prioritäten in den Beziehungen mit der EU zu bestimmen. Diese verlangen ihrerseits nicht die Verkündigung der Zugehörigkeit zur europäischen Zivilisation immer und überall, sondern die Anerkenntnis dessen, dass die europäischen Werte wirklich für die russischen Bürger mehr als einfach Worte sind. Die Regierung und die Bürger Russlands müssen verstehen, dass die bestehende wirtschaftliche Zusammenarbeit und die mögliche militärisch-politische Kooperation mit der NATO und der EU/WEU zwar wichtig sind, aber nicht den automatischen Zugang zu Europa sichern.

Dafür muss Russland Europa erst kennen lernen. Es ist notwendig, den Geist der europäischen Zivilisation zu spüren und zu verstehen, sich die geschriebenen und ungeschriebenen Regeln und Traditionen anzueignen, welche die Verhaltenslogik der Europäer bestimmen, und dafür muss man notwendigerweise lernen. So muss die Zusammenarbeit zunächst "pädagogischen" Charakter haben. Je mehr "Europäer im Geist" in der russischen Wirtschaft, in staatlichen Institutionen und in der höheren Erziehung leben und arbeiten werden, um so eher wird Russland genau das hören können, was Europa ihm sagen will, und nicht nur den gespenstischen Widerhall der russischen Vorstellungen über Europa, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben.

Jetzt sehen wir, dass die neue politische Führung Russlands den Boden für die Entwicklung neuer Beziehungen mit Europa sondieren will. Daran, wie das geschieht, kann man zwei wichtige Momente erkennen. Einerseits erkennt Moskau noch nicht völlig die Natur der EU und versucht, Beziehungen mit Gegengewicht zu entwickeln. Russland macht die Erweiterung der Beziehungen mit Großbritannien zum Gegengewicht für die traditionellen Partner Frankreich und Deutschland, deren Position in der Tschetschenienfrage für Moskau eine unangenehme Überraschung war.

Gleichzeitig sind für die neue russische Führung Pragmatismus und Ausrichtung auf das physische Überleben des Landes charakteristisch. Das erlaubt es zu behaupten, dass diese Führung in adäquatem Maße wahrgenommen hat, wie eng der Korridor der verbliebenen Möglichkeiten ist. Gleichzeitig ist unter den gegenwärtigen Umständen eine produktive strategische Zusammenarbeit nur dann unmöglich, wenn man sich in den Konzepten nicht versteht. Deswegen führt die Notwendigkeit nicht nur einer Kooperation, sondern einer wirklichen Annäherung Russlands und Europas fast unausweichlich dazu, dass die politische Elite reale Schritte in diese Richtung unternehmen wird. Und nur so wird Russland aus dem geschlossenen Kreis von Liebe und Hass gegenüber Europa herauskommen können, der mit jeder neuen Umdrehung enger wird und das Land sowie die Bevölkerung zu erdrücken droht.

Aus dem Russischen übersetzt von Thomas Bremer.


Fußnoten:


  1. Hier denke ich an die formale und vertragliche Seite der Beziehungen, die momentan Russland, die Ukraine, Weißrussland und Moldova aus der Gruppe der wahrscheinlichen Kandidaten für einen EU-Beitritt ausschließt. ↩︎

  2. Vgl. O. Chan, Rossija i Evropejskij Sojuz, St. Petersburg 1999, S. 7. ↩︎