Rückkehr der Bewohner Serbiens zu Religion und Kirche?

Dragoljub B. Djordjević ist Professor für Soziologie an der Universität Niš und Autor zahlreicher Studien zur religiösen Situation in Jugoslawien.

In diesem Artikel soll auf der Grundlage von vorhandenem Material die neu erwachte Religiosität in Serbien untersucht werden. Auch wenn es gute Gründe dafür gäbe, die jüngere Generation aus der Sphäre der Älteren herauszunehmen und ihre Beziehung zu Religion und Kirche besonders zu analysieren, so werden wir doch davon Abstand nehmen, da es ebenso berechtigt ist, von der Religiosität der Jugend im Zusammenhang mit der Revitalisierung der Religiosität der gesamten Bevölkerung in Serbien zu sprechen. Die Bearbeitung des Themas muss mit einer kurzen Beschreibung der Besonderheit der serbischen Orthodoxie und der Situation der Serbischen Orthodoxen Kirche (im Weiteren: SOK) im früheren Jugoslawien beginnen. Dann wird diese mit der Darstellung der stürmischen und tragischen Ereignisse vom Ende der 80er bis zum Beginn der 90er Jahre fortgesetzt, um wenigstens oberflächlich auf die Frage des Titels antworten zu können: Handelt es sich um eine Rückkehr oder nur um eine Annäherung der jungen Generation an Religion und Kirche im Serbien der 90er Jahre?

Orthodoxie und SOK im ehemaligen Jugoslawien

Jede autokephale orthodoxe Kirche, die in der Regel mit der Geschichte, der Tradition und der Kultur des eigenen Volkes verbunden ist, hat auch ihre Besonderheiten, die jedoch ihre Rechtgläubigkeit nicht beeinträchtigen. Diese Besonderheiten manifestieren sich weniger in der Dogmatik und in den Riten als vielmehr in der historischen, kulturellen, politischen und jeder sonstigen alltäglichen und diesseitigen Sendung der Kirche. Mit aller Vorsicht lässt sich also über eine russische, eine griechische, eine rumänische oder eine serbische Variante der Orthodoxie sprechen.

Alle Besonderheiten der serbischen Orthodoxie lassen sich kompakt in dem Satz ausdrücken: "Die serbische Orthodoxie ist das Svetosavlje", womit Leben und Wirken des Hl. Sava als Synonym für den serbischen Volksglauben gemeint sind. Auch wird jeder Serbe sagen, dass die serbische Orthodoxie nichts anderes ist als Svetosavlje. Mit dem Hinweis auf die Gefahr des Phyletismus, womit hier die Überbetonung der nationalen Besonderheiten in einer orthodoxen Kirche gemeint ist, stellen Kritiker wie Dimitrij Obolenskij, führender Byzantinist, die Gleichsetzung von serbischer Orthodoxie und Svetosavlje in Frage, da sie darin ein Beispiel für Ideologisierung und für romantischen Nationalismus sehen. Die serbischen Theologen jedoch verwerfen den Gedanken, dass durch die Betonung des Svetosavlje das Nationale, besonders das Serbische, zum Schaden des Universellen, also des Christlichen betont würde. Bischof Irinej (Bulović), der angesehenste zeitgenössische serbische Theologe, schreibt, dass Svetosavlje in sich etwas Konkretes und Reales enthält, was sich "in der Wahrheit zeigt, dass die Orthodoxie, wenn sie gottmenschlich ist, wenn sie die Wahrheit über Gott bedeutet, der der Logos ist, der aber zur Rettung der Welt Mensch wird, also die Wahrheit über den inkarnierten Gott, dann bedeutet das weiter, dass sich die Orthodoxie auf die gleiche gottmenschliche Art im Leben, in der Spiritualität, in der Kultur, in der Erfahrung, in der Geschichte und im Alltag konkreter Menschen und Völker inkarniert. ... Das bedeutet: Die Orthodoxie, inkarniert in der Geschichte und der Erfahrung eines konkreten Volkes, nämlich des serbischen".

Aber auch eine so verstandene Orthodoxie hat den Serben nicht dazu verholfen, die ihnen zustehende historische Rolle im kommunistischen Jugoslawien zu besetzen. Wie nirgendwo sonst im "kommunistischen Commonwealth" haben sie sich im ehemals gemeinsamen Staat von ihrer historischen Kirche und ihrem Glauben abgewandt. Dabei haben drei Faktoren eine wichtige Rolle gespielt: 1. Die Kriegsperiode (2. Weltkrieg) hat die SOK verstümmelt; 2. Das, was der Krieg nicht geschafft hat, hat das neu errichtete Regime vollendet: Die sozialistische Regierung hat die SOK und die serbische Orthodoxie zu Boden geworfen; 3. Um die Sache noch schlimmer zu machen, hat die serbische Kirche durch schwache und träge Führung und übertriebene Loyalität die negativen Folgen der Kriegsverwüstungen und der bolschewistischen Tortur noch verstärkt.

In einem solchen sozialen und kulturellen Ambiente wurde die Bedeutung der serbischen Orthodoxie und der Kirche, besonders hinsichtlich ihres Beitrags zur allgemeinen Entwicklung der Gemeinschaft, geschwächt und marginalisiert. Denn während die Kirche entmonopolisiert und die Zahl der Gläubigen enorm vermindert wurde, begann das Absterben der Glaubenspraxis und der Einfluss der Glaubenszugehörigkeit und des religiösen Verhaltens im Alltag ging zurück. Die Religiosität ging zu marginalen gesellschaftlichen Gruppen über und verließ die bestimmenden Gruppen und Schichten, so dass schließlich der Glaube zum Erkennungszeichen für die arme Bevölkerung wurde.

Orthodoxie und SOK im heutigen Jugoslawien

Doch schon am Ende des kommunistischen Jugoslawiens, in der zweiten Hälfte der 80er Jahre, veränderte sich die Lage der SOK zum Besseren. Seither ist die Tendenz der Abwendung der serbischen orthodoxen Bevölkerung von ihrem Glauben und ihrer Kirche beendet. Es kam zu einer Zeit der De-Säkularisierung, genauer der De-Atheisierung der Serben, die von verschiedenen Faktoren bestimmt war. Zunächst war das die De-Säkularisierung in ganz Osteuropa, vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs der sozialistischen Systeme, welche auch Einfluss auf die serbische Gesellschaft hatte. Die Stärkung des römischen Katholizismus und des Islam in der Nachbarschaft hat auch zu einer Stärkung der Orthodoxie und der SOK beigetragen. Schließlich ist in diesem Jahrzehnt die jugoslawische Gemeinschaft in die tiefste moralische, politische und wirtschaftliche Krise geraten, und viele Menschen haben sich auf der Suche nach möglichen Lösungen der Religion und der Kirche zugewandt. Die Serben sind, ähnlich wie die anderen südslawischen Völker, der Meinung, sie seien die größten Verlierer in der hoffnungslosen gesellschaftlichen Krise. Schließlich haben sich gleichzeitig einige Ereignisse zugetragen, die Bewusstsein und Unterbewusstsein der Serben ausdrücklich trafen und eine Hinwendung zur Orthodoxie und zur SOK anregten. Hier sind besonders die bekannten Konflikte mit den Albanern aus dem Kosovo, dem "Heiligen Serbischen Land", zu nennen. So gab es radikale Veränderungen in drei konzentrischen Kreisen: in den Ländern Osteuropas, im früheren Jugoslawien selbst und in der Republik Serbien, die in entscheidendem Maße die Erneuerung der serbischen Orthodoxie und der SOK bestimmt haben.

Andererseits führen einzelne kritische Soziologen unter Beachtung der erwähnten Gründe als Rahmenbedingung die Erneuerung der Religiosität dennoch auf einen einzigen Grund zurück, nämlich auf das extreme Anwachsen des Nationalismus. Unter dem Diktat der gesellschaftlich-politischen Situation ist es dazu gekommen, dass der Nationalismus Religion und Kirche in den Vordergrund gebracht und auch das religiöse Panorama der Bevölkerung umgedreht hat. Ohne jeden Zweifel hat der Nationalismus es bewirkt, dass die Menschen sich auch in religiösen Termini wiedererkennen, dass sie einen historischen, kulturellen und sozialen Hintergrund anerkennen, der auch religiös bestimmt ist.

Jedenfalls ist im jetzigen Jugoslawien für die Religion ein Tauwetter eingetreten. Deswegen kehrt für die SOK langsam aber sicher der alte Glanz zurück: 1. Sie wird zu einem unvermeidlichen Faktor im gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Leben, zuweilen auch, wie im Fall des Krieges in Bosnien und Herzegowina, zu einer nationalen Schiedsinstanz, deren Entscheidungen von einem großen Teil der Ethnie anerkannt werden. 2. Ihre immer zahlreicheren Kirchen - renovierte und neugebaute - sind voller als zu irgendeiner Periode der zweiten Hälfte des ausgehenden Jahrhunderts. 3. Sie ist materiell stark - auch wenn ihr die sozialistische Regierung unberechtigterweise das riesige zur Zeit des Kommunismus konfiszierte Eigentum nicht zurückgibt -, und sie wird auch spirituell immer reicher, so dass ihre theologischen Mittel- und Hochschulen zu klein sind, um alle am Studium Interessierten aufzunehmen. 4. Obgleich ihr bislang der Religionsunterricht in staatlichen Schulen noch nicht gestattet ist, wird dies doch z.T. durch ihre sichtbare Gegenwart in den Medien und durch umfangreiche Publikationstätigkeit ausgeglichen.

Die SOK hat jedoch noch eine riesige Aufgabe vor sich, um mit der Hilfe von Laien die Folgen der Säkularisierung der Serben zu verringern. Der Weg der De-Säkularisierung und der De-Atheisierung ist mühsam, und die Serben und die SOK erwarten viele Gefahren auf diesem Weg. Bereits jetzt ist deutlich, dass es hier Ungeschicklichkeiten, leere Rituale, Aberglauben, religiöses Pathos, unangemessene Feiern und kitschige Ikonographie gibt. Manchmal ist die Rückkehr zur Religion und zur SOK mit extremen Darstellungen der konfessionellen Mentalität verbunden, mit Nationalismus und Ausschließlichkeit gegenüber anderen ethnischen Gruppen.

Empirische Daten über die Revitalisierung der Religiosität in der Bundesrepublik Jugoslawien

Zunächst haben die Meinungsforschungen in der Zeit nach 1990, die kontinuierlich in bestimmten Abständen und mit vergleichbarer Methodik durchgeführt wurden, gezeigt, dass zwar das Wachstum der Religiosität der volljährigen Bevölkerung Serbiens (ohne Kosovo) von 1990 bis 1993 nicht groß war - denn sie stieg nur um 7% (von 35% auf 42%), mit kleineren Verschiebungen -, dass sich aber dennoch ein solcher Zustand deutlich von der religiösen Situation im Zeitraum von 1975 bis 1980 unterscheidet. Damals bewegte sich die Religiosität um 25%. Was das konfessionelle Bekenntnis betrifft, so hat sich der Trend zu vergrößerter Anerkennung der konfessionellen Herkunft und zur Identifizierung in konfessionellen Termini auch nach 1990 fortgesetzt. Hierzu ist zu sagen, dass diese Art der Verbindung von Menschen mit Religion und Kirche auch in der Zeit der Massenatheisierung nicht in Frage gestellt wurde. Die Volkszählung des früheren Jugoslawien aus dem Frühjahr 1991 zeigt Angaben über eine außerordentliche Verbreitung der konfessionellen Identifizierung in Serbien und Montenegro, in der Regel über 90% der Bürger. Nur in Belgrad (88,6%) und der Vojvodina (85,3%) ist der Prozentsatz etwas niedriger. Hinsichtlich der Religiosität der Bevölkerung gibt es in Serbien bestimmte Unterschiede in Bezug auf Geschlecht, Wohnort, Bildung, Generationszugehörigkeit und Parteizugehörigkeit. Wir wollen nur betonen, dass auch nationale Unterschiede in der Religiosität der Bevölkerung Serbiens stark ausgeprägt sind: Die Religiosität bei den Ungarn beträgt 68%, bei den Muslimen 56%, den Serben 42% und bei den Montenegrinern und Jugoslawen 25% (Meinungsumfrage, November 1993).

Die Untersuchung der religiösen Werte der Orthodoxie im Alltagsleben der Bevölkerung des Gebiets von Niš (Vojinović, 1993) lässt sich von ihrem Gegenstand her als Untersuchung der Veränderung des Grades der Religiosität der Bürger und der Annahme religiöser (orthodoxer) Werte durch das Praktizieren religiöser Rituale bestimmen. Die Untersuchung wurde durch die Operationalisierung einer größeren Zahl von Indikatoren durchgeführt, nämlich: Selbsteinschätzung der Religiosität, Glaube an Gott, Gebet, Besuch der Liturgie, Empfang der Kommunion, Fasten, Taufe u.a. Als Ansatzpunkt nahm die Autorin unsere erste Untersuchung der homogen orthodoxen Bevölkerung in der damaligen Region von Niš aus dem Jahr 1982 (Djordjević, 1984). Bei großer Vorsicht hinsichtlich der Vergleichbarkeit der Untersuchungsergebnisse aufgrund der Menge der Befragten, die 1993 nur 120 Personen betrug, geben wir hier die Angaben, die nach der Autorin von einem Trend der Hinwendung zum Glauben Mitte der 90er Jahre nach dem Prozess der Säkularisierung der 80er Jahre zeugen. Suzana Vojinović hat auf diese Art 50% religiöser, 23,4% unbestimmter und 26,6% nichtreligiöser Menschen gefunden, was ein völlig anderes Bild der Religiosität der Bürger von Niš und Umgebung gibt als das, zu welchem ich 11 Jahre vorher gekommen war. Auch haben bestimmte religiöse Verhaltensformen eine Renaissance erlebt: Der regelmäßige Kirchbesuch ist von 0,16% auf 25,8% gestiegen, das Gebet von 5,56% auf 22,8%, der Besuch der Liturgie von 0,16% auf 17,5% usw. Nach Meinung der Autorin hat all das die Ausgangshypothese von einer Wiederbelebung der Religiosität in Niš bewiesen. Die Voraussetzungen für die Revitalisierung des religiös-kirchlichen Bereichs liegen in der Wirkung einer Reihe von Faktoren, unter denen die gesellschaftliche Krise und das Bedürfnis der Aneignung neuer kultureller Muster und Ideen dominant sind. Jedoch muss unterstrichen werden, dass zur Zeit der Untersuchung auch eine politische Instrumentalisierung von Kirche und Religion wirksam war, dass eine nationale politische und gesellschaftliche Homogenisierung durchgeführt wurde und dass man Loyalität und Konformismus auch durch ein bestimmtes Betragen in religiös-kirchlicher Hinsicht demonstriert hat.

Mirko Blagojević hat im Sommer 1993 mit Hilfe von 20 Indikatoren eine Untersuchung über die Verbindung der Menschen mit Religion und Kirche in der homogen orthodoxen Gegend in Braničevo durchgeführt, die man in Parameter von traditioneller, aktueller und dogmatischer Beziehung zu Religion und Kirche einteilen könnte. Angesichts der wesentlichen Unterschiede bezüglich der Untersuchungsgruppe (es handelt sich um Bevölkerung, die vorwiegend, zu etwa 67%, im Dorf lebt) dürfen die Resultate mit einem hohen Prozentsatz für die Religiosität (71,3%) und für die konfessionell bestimmten Befragten (96,5%) nicht überraschen. Der Wert seiner Untersuchung liegt in der Absicht, einige synthetische Indikatoren zu schaffen, die sich in Indices der traditionellen, aktuellen und dogmatischen Beziehung gegenüber Religion und Kirche operationalisieren lassen und welche nicht nur die Verbreitung der untersuchten Erscheinungsformen gemessen haben, sondern auch deren Intensität. So hat die Untersuchung eine ausgesprochene Verbreitung traditioneller Riten gezeigt (eine völlig traditionelle Verbindung zu Religion und Kirche war bei 68,7% und eine teilweise bei 30,8% vorhanden), aber auch eine ziemliche Intensität dieser Verbindung (69,1% der Befragten waren im höchsten Grade traditionell mit Religion und Kirche verbunden). Der Index für die aktuellen Verbindungen der Menschen mit Religion und Kirche zeigt ganz andere Resultate: Nur 0,2% der Bürger aus der befragten Gruppe ist völlig aktuell mit Religion und Kirche verbunden und die übrigen, teilweise aktuell Verbundenen, sind das in äußerst schwacher Intensität (72,6%). Die aktuelle Verbindung mit Religion und Kirche ist also sehr schwach. Das religiöse Verhalten ist nicht kontinuierlich und bei den sich selbst als religiös bezeichnenden Untersuchten auch inkonsistent. Danach spielt also Religion in nicht traditioneller Form im Leben der Menschen eine weitaus geringere Rolle denn als traditionelles Kulturmuster. Natürlich gibt es auch eine sehr kleine Gruppe von Befragten, die völlig oder relativ fest aktuell mit Religion und Kirche verbunden sind. Diese Befragten leben ihr Leben in engster Verbindung mit den religiös vorgeschriebenen Richtlinien, und nur von ihnen kann man behaupten, dass sie gute, fromme Gläubige sind. Wir sind also weit entfernt von einer enormen Erneuerung des typischen kirchlichen Verhaltens in Übereinstimmung mit der dargestellten konventionellen Religiosität. Die religiösen Überzeugungen liegen ihrer Verbreitung und Intensität nach zwischen einer traditionellen und einer aktuellen Beziehung zu Religion und Kirche. So lässt sich aus der analysierten Untersuchung folgende Schlussfolgerung ziehen: "In der Mitte des neunten Jahrzehnts lässt sich vor allem von gewissen Anzeichen einer Annäherung an Religion und Kirche sprechen, viel weniger jedoch von einer Rückkehr und am wenigsten von einer massenhaften Rückkehr."

Ein Team von Fachleuten des Belgrader Instituts für Philosophie und Gesellschaftstheorie (Golubović u.a.) hat im Oktober 1993 eine komplexe Untersuchung mit dem Titel "Gesellschaftlicher Charakter und gesellschaftliche Veränderungen im Lichte der nationalen Konflikte" durchgeführt, bei der 1.555 Volljährige aus Serbien (ohne Kosovo) befragt wurden. Der umfangreiche Fragebogen enthielt auch einige Punkte aus der religiös-kirchlichen Thematik, um eine Skalierung der traditionalistischen Orientierung und eine Untersuchung der Meinungen der Bürger über die gewünschte Beziehung der Gesellschaft zu Religion und Kirche zu ermöglichen. Die heutige Retraditionalisierung vollzieht sich nicht durch Engagement für Veränderungen, wie das gewöhnlich der Fall ist, sondern umgekehrt: Es handelt sich um ein so genanntes Nostalgiesyndrom, d.h. um eine Rückkehr zu jenen Werten, deren Kontinuität vor 50 Jahren, mit der Einsetzung des kommunistischen Regimes, unterbrochen wurde. Die Summe solcher Werte bezieht sich zum Teil auf Religion, auf Vorfahrenkult und auf die Rückkehr und die Achtung alter Gebräuche, die durchdrungen sind von religiösen Elementen. So hat folgende Aussage die größte Korrelation mit der ganzen Skala des Traditionalismus gezeigt: "Die Erneuerung und Erhaltung der Religion seiner Vorfahren ist die heilige Pflicht eines jeden Menschen" (0,86). Das heißt, 63% der Befragten hatten sich mit einer solchen Behauptung einverstanden erklärt. Eine ähnliche Faktorensättigung von 0,76 zeigt auch die Aussage "Der Mensch muss die Glaubensgewohnheiten seiner Großväter pflegen, selbst dann, wenn er selbst nicht religiös ist", sowie die Aussage "Neben der zivilen sollten Eheleute auch eine kirchliche Ehe schließen" (0,79). Was jedoch die Meinung darüber betrifft, welche Position die Gesellschaft gegenüber Kirche und Religion einnehmen sollte, so hat sich die Mehrheit der Befragten (68%) für die Antwort entschieden, dass Religion Privatsache des Einzelnen sei und die Gesellschaft sich in solche Fragen nicht einmischen solle. Ebenso hat sich die überwältigende Mehrheit der Befragten (64,7%) für den Religionsunterricht als freiwilliges Fach ausgesprochen, während sich die übrigen in gleicher Anzahl (jeweils 17,8%) mit den beiden anderen Antworten einverstanden erklärten: "Religionsunterricht sollte Pflichtfach sein" oder "Religionsunterricht sollte überhaupt nicht eingeführt werden". Die Autoren ziehen den Schluss, dass eine positive Haltung gegenüber dem Religionsunterricht als Pflichtfach am meisten mit einem traditionalistischen Bewusstsein verbunden ist (Landarbeiter), während das Engagement für den freiwilligen Status mehr durch die Annahme einiger universaler Prinzipien (Prinzip der Freiheit des Individuums) bedingt ist, wozu eher nicht traditionelle, jüngere und gebildete Bürger neigten.

Zwei Jahre (1993 und 1994) hat Zorica Kuburić eine sozialpsychologische Untersuchung der Selbstwahrnehmung junger Leute unternommen, die aus religiösen Adventistenfamilien in Jugoslawien stammen. Es wurden 447 Jugendliche von 13-19 Jahren befragt. 223 von ihnen waren Gläubige der adventistischen Kirche (Untersuchungsgruppe), die anderen gehörten zur allgemeinen Bevölkerung (Kontrollgruppe). Es wurden auch die Eltern befragt, ebenso wie 230 Gläubige verschiedener Altersstufen und Kategorien. Wir werden uns hier nur auf den Teil des Untersuchungsberichts konzentrieren, der sich auf die Religiosität der Adventisten bezieht. Die Resultate zeigen, dass es zwischen jungen Menschen aus adventistischen Familien und jenen aus der allgemeinen Bevölkerung einen statistisch bedeutsamen Unterschied (auf dem Niveau von 0,01) in der Haltung gegenüber Gott gibt. Die jungen Adventisten glauben an die Existenz Gottes und an den Einfluss, den dieser Glaube auf ihr persönliches Leben hat. Sie unterhalten sich oft mit anderen Menschen über Gott, sie beten und lesen die Bibel. Ebenfalls glauben sie, genauso wie ihre Eltern, dass ein Leben nach Gottes Regeln und Geboten Voraussetzung für die Erlösung ist. Die Anerkennung einer solchen Haltung bewegt sich von 78% bis zu 92% der Befragten bei Erwachsenen und jungen Gläubigen.

Im Lebensstil unterscheiden sich junge Adventisten hinsichtlich einer Reihe von Faktoren bedeutend von ihren Altersgenossen aus der restlichen Bevölkerung. Die Pflege eines asketischen Lebensstils - Enthaltsamkeit von Alkohol, Zigaretten, Kaffee, Drogen und vorehelichen Geschlechtsbeziehungen - illustriert ein konsequent dem Glauben entsprechendes Verhalten der Adventisten und unterscheidet sie deutlich von den Angehörigen anderer Glaubensgemeinschaften, aber auch von nichtreligiösen Menschen. Die jungen Adventisten sind sich der Besonderheit ihres Lebensstils bewusst, ebenso der Tatsache, dass dieser in ihrer vorherrschend orthodoxen Umgebung nicht selten auf Unverständnis, Verwunderung und Spott trifft. Die adventistischen Jugendlichen zeigen offen ihre Zugehörigkeit zur Kirche und beweisen diese dadurch, dass sie häufig deren Schwelle überschreiten und den Gottesdienst besuchen. Die Kinder von Predigern gehen zu 90% wenigstens einmal wöchentlich in die Kirche, die von Gläubigen tun das in 77,7% der Fälle. Die Befragten aus der Kontrollgruppe praktizieren ein solches Verhalten in wirklich zu vernachlässigenden 0,71%. Daraus folgt, dass die Religiosität der adventistischen Jugend weit über der Religiosität und dem religiösen Verhalten der allgemeinen Bevölkerung von orthodoxer konfessioneller Herkunft oder atheistischer Färbung liegt.

Schlussfolgerung

Welche Schlussfolgerungen können wir auf Grund der analysierten Resultate der Untersuchung von Religiosität in Jugoslawien ziehen, und wie sieht die Zukunft des religiös-kirchlichen Bereichs in unseren multireligiösen Gebieten aus? Erlauben uns die angeführten Resultate den Schluss, dass die Menschen jetzt und hier zu Religion und Kirche zurückkehren, d.h. den eines evidenten Prozesses der De-Säkularisierung, der über eine längere Zeitperiode stabil bleiben wird?

Erstens ist es ganz offensichtlich, dass es Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre zu einer Veränderung der religiösen Situation auch in homogen orthodoxen Gebieten gekommen ist. Das lässt sich am deutlichsten an der radikalen Verringerung der Zahl von Menschen sehen, die sich im Sinne einer atheistischen Orientierung äußern. Wenn es in den 70er und 80er Jahren nach einigen Untersuchungen der öffentlichen Meinung kaum 10% der Bürger gegeben hat, die sich als religiös identifizierten, so hat es in der Mitte der 90er Jahre ebensoviel nicht religiöse Befragte gegeben.

Zweitens ist es zu einer größeren Verbreitung traditioneller religiöser Riten gekommen, was dem begonnenen Prozess der Rückkehr der Menschen zu den Wurzeln und zu einer "heiligen" Vergangenheit zuzuschreiben ist. Diese Erneuerung des praktischen religiösen Verhaltens (Taufe, Trauung, kirchliches Begräbnis, Feiertage) gilt auch für die Stadtbevölkerung; auf dem Land hatte sie sich auch unter dem Druck des schärfsten Atheismus erhalten.

Drittens ist das aktuelle religiöse Verhalten im Vergleich zum traditionellen nicht im gleichen Maße vom Prozess der Revitalisierung von Religion und Kirche erfasst. Auch weiterhin sind rituelle religiöse Verhaltensformen von aktueller Natur - z.B. Besuch der Kirche, der Liturgie und Kommunion, Gebet und Fasten – nur zu kleinen Prozentsätzen verbreitet. Das bedeutet, dass die beschriebene Bereitschaft der Bürger zur Artikulierung in religiösen Termini nicht von einem konsequenten religiösen Verhalten begleitet wird.

Viertens lässt sich die Revitalisierung, von der die Rede ist, mit den stürmischen soziopolitischen Ereignissen vom Ende der 80er und Beginn der 90er Jahre auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien in Zusammenhang bringen. Hierbei lässt sich der Sturm des Nationalismus zwar nicht als einziger, aber doch als entscheidender Faktor des Prozesses der De-Säkularisierung sehen.

Fünftens: Wenn sich einige Elemente der De-Säkularisierung als Folge der Apologie der Nation und ihrer Kultur gezeigt haben, dann lässt sich erwarten, dass sie nachlässt, sobald die Gefahr und die Bedrohung für Nation und Konfession vorübergehen. Das bedeutet wiederum, dass die Prozesse der De-Säkularisierung reversibel sind und dass in unserem Fall viel von den Veränderungen auf der politischen Ebene abhängt.

Sechstens lässt sich auf Grundlage der bekannten Resultate von Untersuchungen über die Religiosität die Entwicklung der religiösen Situation bei uns nicht genau vorhersagen. Sicherer kann behauptet werden, dass durch die allgemeinen soziopolitischen Verhältnisse in postsozialistischen Gesellschaften auch die Beziehung der Menschen gegenüber Religion und Kirche in bedeutendem Maße determiniert werden. Durch seine gesellschaftlichen Implikationen wird der religiös-kirchliche Bereich entweder Schritt für Schritt immer mehr an Glaubwürdigkeit verlieren und dorthin zurückkehren, wo er die letzten Jahrzehnte auch gewesen ist - in die Privatsphäre von Individuen und kleinen Gruppen von Gläubigen. Oder es wird zu einer deutlicheren Erneuerung der Religiosität kommen, wenn diese auch weiterhin in der Funktion der Legitimation, der Homogenisierung und des Schutzes von Nation und Staat steht.


Alles in allem sind wir Zeugen einer neuen Verwurzelung in die traditionelle Kultur zum Schutz der nationalen und kulturellen Identität, wovon auch die heutige Jugend nicht verschont bleibt. Jede Homogenisierung, stehe sie unter nationalem oder religiösem Vorzeichen, äußert sich im Bewusstsein des Individuums als konsequente und negative Reaktion gegenüber dem Anderen und dem Andersartigen. Deswegen kann die registrierte Rückkehr der jungen Leute zur Religion mit Neokonservativismus und nationaler Engstirnigkeit verbunden sein, sie lässt sich aber auch als Geste von Toleranz, freierer Ausdrucksweise der eigenen Überzeugungen und demokratischer Orientierung interpretieren. Im Licht der Befunde der jugoslawischen Untersuchungen zeichnet sich die gegenwärtige Jugend im Großen und Ganzen durch Offenheit und eine globalistische Ausrichtung aus, was ja ganz allgemein Charakteristikum der Jungen gegenüber den Älteren ist. Im Kontext dieser allgemeinen Bestimmung gibt es jedoch auch Inkonsequenzen, Abweichungen und Nicht-Übereinstimmungen, was nur bestätigt, dass auch die Jüngeren einigermaßen mit den Problemen beschäftigt sind, die sonst zumeist für die Welt der Älteren reserviert bleiben. Sie können sich nicht von dem bitteren Alltagsleben isolieren, welches die Sorglosigkeit ihrer Jugend beeinträchtigt, aber sie sind bereit für ein Zusammenleben in einer multikulturellen Gesellschaft.

Aus dem Serbischen übersetzt von Thomas Bremer.