Der Primas von Polen bekennt Schuld der Kirche

(Dokument)
aus OWEP 4/2000  •  von  OWEP-Redaktion

Der Primas von Polen, Józef Kardinal Glemp, bekannte am 20. Mai 2000 bei einer feierlichen heiligen Messe auf dem Theaterplatz in Warschau Schuld im Namen der Kirche. Unter anderem ging es dabei um Kollaboration von Geistlichen im kommunistisch regierten Polen, um das zu aufwendige Leben von Priestern und darum, dass man Erscheinungen des Antisemitismus geduldet habe. Persönlich bat der Primas für eine gewisse „Furcht“ in der Zeit des Kriegsrechtes (ab Dezember 1981) sowie dafür um Vergebung, dass er nicht vermochte, den von kommunistischen Sicherheitsbeamten im Jahre 1984 ermordeten Priester Jerzy Popiełuszko zu retten. Das Bekenntnis des Kardinals verdient umso mehr Beachtung, als die Amtskirche – auch in Polen – bisher keine besondere Eile zeigte, ihre Vergangenheit unter dem kommunistischen Regime selbstkritisch aufzuarbeiten. Nachfolgend Auszüge aus dieser Gewissenserforschung, die vom Primas als Bußeinführung vor der heiligen Messe abgelegt wurde:

„... Schauen wir, Brüder und Schwestern, in unsere Gewissen, um wahrzunehmen, was gut und was schlecht ist. Wir tun dies vor dem allmächtigen Gott, im Angesicht der Vergangenheit und Gegenwart unserer Hauptstadt und Polens. Wir sind uns des dauerhaften Glaubenserbes und der prächtigen Beispiele von Hoffnung und Liebe bei unseren Vorvätern und Brüdern bis in die Gegenwart bewusst. Wir verhehlen auch die Befürchtungen nicht, dass das beobachtete Böse in Zukunft Früchte zeitigen kann, deshalb wollen wir im Jubiläumsjahr durch eine Gewissenserforschung kritisch auf uns selbst schauen, damit wir es gar nicht zulassen, dass sich das Böse entfaltet.

Eine Gewissenserforschung ist die Einleitung zum Bekenntnis der Sünden und zu einer büßerischen Haltung. Eine Gewissenserforschung muss uns in der ganzen Wahrheit vor Gott stellen. In der Wahrheit sein, das bedeutet, die eigenen Schwächen, die eigene Untreue und Übertretung göttlicher und kirchlicher Gesetze zu erkennen. Sie bedeutet auch, das Gute wahrzunehmen, das man nicht übergehen darf. Man sollte nicht Sünden beichten, die von anderen Personen begangen worden sind. Dennoch darf man das Böse und die das Böse entfachenden Herde nicht mit Schweigen übergehen...

... Bei manchen meiner hochwürdigen Vorgänger im Dienst der Erzdiözese Warschau beobachte ich als Schwäche ihre Furcht vor dem Zaren. Doch einer von ihnen wurde, als er bewies, dass er sich nicht fürchtet, lebenslänglich aus der Hauptstadt verbannt und verbrachte über 30 Jahre in der Verbannung.

Auch ich habe Furcht erfahren. Ich fürchtete ein Blutvergießen in der Zeit des Kriegszustandes, denn ich wusste, wie groß die Empörung des Volkes ist. Auf meinem Gewissen bleibt die Last, dass ich nicht vermochte, das Leben Priester Jerzy Popiełuszkos zu retten – trotz der Anstrengungen, die in diese Richtung gingen. Möge mir Gott dies vergeben, vielleicht war so Sein heiliger Wille...

Geistliche, für die es das Ziel bleibt, den Ruhm Gottes zu verkünden und den Menschen zu Gott zu führen, werden oft missachtet, ja gerade deshalb gehasst, weil sie anders sind. Immer wieder, jedes Jahr zählt die Kirche neue Märtyrer, die deshalb starben, weil sie Geistliche waren. Bei uns tauchen in den Kriminalchroniken Informationen auf, die von Überfällen auf Pfarrhäuser, auf Wohnungen von Priestern künden, und es gibt mehr Überfälle als Informationen darüber.

Nicht jeder Geistliche ist jedoch heiligmäßig. Deshalb haben die in den Menschen verwurzelten Schwächen ihr Echo auch im Klerus. Wenn sie sich entschieden bemerkbar machen, dann bedeutet dies, dass das geistige Leben verflacht und die Sünde der Vernachlässigung und des Versäumnisses eingedrungen ist. Doch wem mehr gegeben wurde, von dem wird man mehr fordern. Deshalb beten die Menschen, die ein Gefühl für die Kirche haben, um heiligmäßige Priester.

Ich erwecke Reue wegen der Schuld von Geistlichen in der vergangenen Epoche und bitte um Vergebung für die so genannten „patriotischen Priester“, die in der Zeit Volkspolens gefördert wurden. Es trifft zu, dass sie oftmals stark unter Druck gesetzt, dass sie erpresst wurden, aber sie ließen sich auch zu einer weitgehenden Loyalität gegenüber der Volksmacht hinreißen, um den Preis eines ruhigen Lebens und um kläglicher Entlohnung willen. In den Zeiten des Sozialismus, als es zum Programm der Partei gehörte, die Gruppierungen zu spalten, glaubte ein – zwar kleiner, weil nur 5-10% des gesamten Klerus umfassender – Teil der Geistlichen entweder an die Dauerhaftigkeit des Kommunismus oder er wollte sich im bestehenden System ein ruhiges Leben sichern. Für diese Haltungen des Schwankens - des halbherzigen oder vollständigen Verrates - bitte ich Dich, Gott, um Vergebung.

Ich erwecke Reue für jene Geistlichen, die die Liebe zu den Menschen verloren und ihr eigenes Privatleben aufwendig ausgebaut haben, wobei sie sich darauf konzentrierten, Reisen zu machen oder bequeme Wohnungen zu haben, statt die ganze Zeit den Armen, insbesondere der Jugend zu widmen.

Der Verlust der Liebe zu den Menschen kam bisweilen darin zum Ausdruck, dass man Menschen anderer Bekenntnisse missachtete oder Erscheinungen des Antisemitismus tolerierte.

Ich bitte für jene um Vergebung, die ihre Pflichten nicht treu erfüllen, insbesondere betrifft dies die Pflichten als Seelsorger oder Lehrer, und die den Religionsunterricht vernachlässigen.

Möge Gott denen vergeben, die vergessen, dass das, was sie besitzen, von der Kirche genommen ist und der Kirche dienen muss. Der ungeschickte oder willkürliche Umgang mit Gütern der Kirche wird, sofern er irgend jemandem Unrecht zugefügt hat, auf das strenge Gericht Gottes treffen.

Ich bitte auch Gott darum, jenen Geistlichen zu vergeben, die von der Nikotinsucht nicht loskommen und der eigenen Gesundheit schaden. Ich bitte Gott darum, er möge allen helfen, sich von der Krankheit des Alkoholismus zu befreien, insbesondere jedoch den Geistlichen, sofern sie davon bedroht sind. Möge Gott die Bitte um Vergebung dafür annehmen, dass man leichtsinnig einer Sucht verfallen ist. Möge Gott bewirken, dass alle Geistlichen inbrünstig über die Jugend wachen, wenn sie in Gefahr ist, den Weg der Rauschgiftsucht zu gehen.

Wenn ich vor Deinen Augen, Herr, die Schuld mancher Geistlicher ausbreite, dann will ich im Namen der Wahrheit inbrünstig für die ganzen Scharen von Priestern danken, die voller Hirtenliebe sind, die innig beten und eifrig ihre Arbeit tun, ohne mit Auszeichnungen rechnen zu können, die die Mühsal der Einsamkeit und des Unverständnisses für das bei der Weihe gesprochene Gelöbnis ertragen...

Quelle: KAI Biuletyn Prasowy, Nr. 41 (552), vom 23. Mai 2000.

Aus dem Polnischen übersetzt von Wolfgang Grycz.