Vojislav Koštunica

(Porträt)
aus OWEP 3/2001  •  von Sonja Biserko

Sonja Biserko ist Vorsitzende des Helsinki-Komitees in Serbien.

Bei den Wahlen im September 2000 schlug Vojislav Koštunica den Amtsinhaber Milošević in der ersten Runde. Es wurde nie festgestellt, ob er tatsächlich die nötigen 51 % Stimmen erhalten hat, um nicht in einem zweiten Wahlgang antreten zu müssen. Die Dokumentation wurde verbrannt, der Zweifel ist geblieben. Doch sein Sieg war eindeutig angesichts der 33 % Stimmen, die Milošević bekommen hat. Koštunicas Übernahme des Steuerruders der Bundesrepublik Jugoslawien erinnert an die von Slobodan Milošević: Man hatte sich darüber zunächst in Kreisen geeinigt, die der Armee nahe stehen.

Vojislav Koštunica war Dozent an der juristischen Fakultät in Belgrad, von der er entfernt wurde, als die Verfassung von 1974 verabschiedet wurde. An der Fakultät wurde damals eine Diskussion über Ergänzungen der neuen Verfassung geführt und ein Teil der Professoren sträubte sich gegen jenen Teil der Verfassung, der konföderale Elemente einführte; sie erklärten, das würde "die Einheit des serbischen Volkes" zerschlagen, welches das "Rückgrat Jugoslawiens" sei, und das serbische Volk könne "als Minderheit nicht selbstbestimmt" leben. Mihajlo Djurić, der in seiner Kritik am radikalsten war, endete im Gefängnis, und Vojislav Koštunica im Institut für Gesellschaftswissenschaften, welches zu jener Zeit (wie heute noch) auch anderen Dissidenten Asyl bot.

Vojislav Koštunica ist einer der Gründer der Demokratischen Partei, doch spaltete er sich später von ihr ab und gründete die Demokratische Partei Serbiens (DSS). Sie war nach ihren Positionen auf der äußersten Rechten; nach der Zahl ihrer Anhänger war sie außergewöhnlich marginal, so dass man sie häufig eine "Kombi-Partei" genannt hat (was darauf anspielte, dass alle Mitglieder in einem Kleinbus Platz finden würden). Die meisten Anhänger kamen aus Belgrad und anderen Städten Serbiens.

Während des Krieges in Bosnien und Herzegowina war Koštunica eng mit allen Ereignissen in der Republika Srpska verbunden, in deren Medien er ständig präsent war. Seine Haltung gegenüber der Republika Srpska fasste er kurz in einem Brief zusammen, der sich auf der Internetseite seiner Partei befindet: "Wir beachten den Vertrag von Dayton als Tatsache der Gewalt, aber nicht als Tatsache von Gerechtigkeit und Recht. Man muss alles tun, damit die Republika Srpska, dieser Staat in einem fremden Staat, in Bosnien und Herzegowina, so weit wie möglich selbstständig wird, und zwar so sehr wie möglich, dass er seine Attribute von Staatlichkeit so stark wie möglich betont und dass sich immer festere Beziehungen zwischen der Republika Srpska und Serbien bilden". Für Koštunica ist die Vereinigung mit der Republik Srpska "nationales Ziel". "Unsere Politik" so sagt er, "ist die Herauslösung der Republika Srpska und ihre Annäherung und Vereini-gung mit Serbien. Von dieser Politik kann und darf man nicht ablassen".

Dass Koštunica von dieser Politik tatsächlich nicht abgelassen hat, sah man an den ersten Tagen seiner Präsidentschaft, als er sofort öffentlich erklärte, dass es "nicht normal ist, dass serbische Städte im Ausland sind, und dass nur Globalisten die Drina [Grenzfluss zwischen Serbien und Bosnien, A.d.Ü.] für einen Ozean halten". Nur unter dem Druck der internationalen Gemeinschaft reiste er zu einer Gedächtnisfeier in die Stadt Trebinje über Sarajevo, wo er auf dem Flughafen auf die Frage nach einer Entschuldigung sagte, "dass die Wahrheit noch nicht bekannt ist und dass sie erst noch festgestellt werden muss".

Die Kritik am Regime kam immer von der Rechten und war besonders gegen die Unfähigkeit von Milošević gerichtet die serbischen Territorien zu behalten, sowie gegen seine "Kapitulation in Dayton und Kumanovo". Koštunica war entschieden gegen das Abkommen zwischen Milošević und Holbrooke und hatte immer Angst, Milošević könne einen Kompromiss hinsichtlich der Übergabe des Kosovo finden. Ebenso war er ganz entschieden gegen die Unterzeichnung des Abkommens in Rambouillet.

Koštunica ist seit der Gründung des Tribunals in Den Haag gegen dieses eingenommen, mit der Begründung, es sei antiserbisch, illegal und unter der Dominanz Amerikas. Im Wahlkampf sagte er, dass "das Tribunal nicht meine Priorität ist, angesichts der Art und Weise, wie es geschaffen wurde", und dass es nicht interessiert sei an "Gerechtigkeit, sondern nur an der Ausnutzung von Privilegien und an ein Parasitenleben". Hin-sichtlich der Verantwortlichkeit von Milošević meinte er, dass ihm vor einheimischen Gerichten der Prozess für all das gemacht werden solle, was er den Serben angetan habe, für den "Diebstahl der Wahl und die Kriminalisierung der Gesellschaft" sowie für den "Zerfall des Staates". Er hatte, wie Koštunica sagt, auch in den anderen Republiken Mittäter, aber auch in der internationalen Gemeinschaft. Er hat eine eigene Wahrheits-Kommission gegründet, deren Funktion, wenigstens nach ihrer Zusammensetzung zu urteilen, offensichtlich in der Simulierung und der Vermeidung einer wirklichen Konfrontation liegen soll.

Gleich nach der Übernahme der Präsidentschaft begann Koštunica mit der Konsolidierung des Raumes, den Milošević markiert hat. Bezüglich des Kosovo insistiert er auf der Resolution 1244 des UN-Sicherheitsrats, worin er die feste Unterstützung Russlands, aber auch Chinas hat. Überhaupt ist es Russland gelungen, eine genauere Bestimmung des Status des Kosovo zu verhindern. Durch legalistische Akrobatik verhindert Koštunica die Einrichtung von Zollpunkten an der Grenze zwischen dem Kosovo und Serbien und wartet auf einen günstigen Moment, um eine Kompensation für den Verzicht auf das Kosovo in der Form vorzuschlagen, dass er die Republika Srpska verlangen wird. Außerdem instrumentalisiert er die Kosovo-Serben und verhindert ihre Teilnahme an Verhandlungen mit den Albanern und der internationalen Gemeinschaft.

Koštunica lehnt sich an das Establishment von Milošević, die Armee, die Kirche und die Kreise um Dobrica Cosić und stellt im Wesentlichen eine Kontinuität der Politik von Milošević dar. Krieg wird nicht mehr gebraucht, Koštunica arrondiert die serbischen Territorien jetzt durch seinen selektiven Legalismus. Er hat sich vor die Armee gestellt, die er hartnäckig vor allen Angriffen verteidigt, indem er behauptet, dass alles, was die Armee gemacht hat, "absolut in Übereinstimmung mit den gültigen Vorschriften geschehen ist, das gilt für alle hohen Offiziere der Armee Jugoslawiens".

Koštunica ist ein Mann der Kirche und seit seiner Machtübernahme hat sie eine bislang noch nicht da gewesene Stellung im öffentlichen Leben Serbiens bekommen, mit der Absicht die Religion in den Schulen, in der Armee, in Krankenhäusern und anderen Institutionen einzuführen. Serbien ist bereits seit dem 19. Jahrhundert ein säkularer Staat, doch das Ideal von Koštunica ist offensichtlich ein theokratischer Staat wie Griechenland. Das serbische Athos-Kloster Hilandar besuchte er einige Tage nach den Wahlen, wobei er von 800 Menschen begleitet wurde, die offensichtlich auf Staatskosten dort hingefahren sind.

Die gesamte Energie von Koštunica ist auf eine möglichst große Marginalisierung von Djindjić gerichtet, dem das Schicksal von Ante Marković droht, denn er verlangt Anstrengungen und Hinwendungen zur Transformation, was für die Bevölkerung, die bereits seit 10 Jahren nicht arbeitet, nicht leicht sein wird. Die Wahlergebnisse in Montenegro haben die Popularität von Koštunica weiter erhöht, denn er hat erheblich zu einem solchen Resultat beigetragen. Sein Insistieren auf der Frage nach dem Staat, bei dem der Westen ihm hilft, stellt die Reformen zurück. Des-wegen sind die Chancen von Djindjić gering, und in diesem Sinne kann Koštunica sehr leicht, wenn er das nicht schon ist, auch ein Problem für Serbien werden.