Roma in Serbien – Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft

Dragoljub B. Djordjević ist Professor für Soziologie an der Universität Niš und Autor zahlreicher Studien über die Lage der Roma im ehemaligen Jugoslawien.

Es ist schon ein Allgemeinplatz geworden, dass die Roma, diese ethnische Gruppe mit der einzigartigen Situation einer Ethnoklasse in der Gegenwart, überall, wo sie leben, bis zum äußersten marginalisiert werden, in sozialer, kultureller und ethnischer Hinsicht Diskriminierung und Xenophobie ausgesetzt sind. Überall und immer sind sie gebrandmarkt, werden ungern akzeptiert, misshandelt, vertrieben und fast bis zu den Ausmaßen eines Völkermordes vernichtet. Als grenzüberschreitende ethnische und kulturellen Gruppe sind sie ohne ihren Willen zum Testfall für die Demokratie einer jeder beliebigen Gesellschaft geworden, und niemand kann sich damit rühmen, den Status der nationalen Minderheiten geregelt zu haben, solange sie sich bedroht fühlen. Wäre es nicht ehrlich, als eines der Kriterien für den Eintritt in die Europäische Union auch das erreichte Niveau der Integration der Roma zu nehmen? Dann wären sie auch ein Test für Europa selbst.

Vergangenheit

Roma leben seit Menschengedenken auf dem Raum des früheren und des jetzigen Jugoslawiens. Es gibt sie in byzantinischer Zeit (11. Jahrhundert) bereits auf dem Balkan, im serbischen Gebiet werden sie zur Zeit von Stevan Nemanja (12. Jahrhundert) angetroffen, und in Dubrovnik erwähnen sie Dokumente im 14. Jahrhundert. Nach den Quellen waren das in dieser ersten Migrationswelle nach Serbien vor allem Roma von koptischem Glaubensbekenntnis, das dem orthodoxen ähnlich ist, die sich nach ihrem Übertritt zur Orthodoxie problemlos in die neue Gemeinschaft integriert haben. Im 15. Jahrhundert haben Roma Serbien in einer zweiten, erheblich bedeutenderen Welle als Begleiter der Osmanen besiedelt. Diese bekannten sich zum Islam und hatten im Verhältnis zu den unterdrückten Serben, die gewöhnlich Raja, also „Ungläubige“, genannt wurden, einige kleinere Privilegien.

In diesem langen Zeitraum spielte sich ein in seinen Konsequenzen dramatischer und weitreichender Prozess ab: Mehr gezwungen als freiwillig, mehr um ihr Überleben zu sichern und wegen der Vorteile haben sowohl orthodoxe eingesessene Roma als auch orthodoxe Serben den Glauben der Väter verlassen und den Islam, eine ihnen fremde Religion und Kultur, angenommen. Nach der Vertreibung der Türken wurden die Spuren der islamischen Kultur und des islamischen Glaubens schnell und rigoros ausgelöscht; dadurch verlor die übriggebliebene muslimische Romabevölkerung ihre Stütze für ein authentisches kulturell-religiöses Leben, und ein Teil der Roma kehrte mehr unter Zwang als freiwillig zur Orthodoxie zurück. Dieses historische Schicksal ist so tief in das Unterbewusstsein der Bevölkerung eingeprägt, vor allem im Südosten Serbiens und in den benachbarten Regionen, dass die Roma heute nicht nur von den umgebenden Nationen (Serben, Bulgaren, Makedoniern, Albanern) in zwei Gruppen geteilt werden, sondern auch selber diese Aufteilung anerkennen, nämlich: in (1.) Gadschikamo Roma (christlich orthodoxe, einheimische, alteingesessene, serbische Zigeuner, d. h. jene, von denen man nicht weiß, wann sie sich angesiedelt haben) und (2.) Korane Xoraxano Roma (türkische muslimische koranische Zigeuner, von denen man weiß, wann sie nach Serbien gekommen sind).

Neben den Roma aus der Zeit von Nemanja und der Zeit der türkischen Herrschaft sind die Roma auch nach Nordserbien (Vojvodina) durch Ansiedlung während der österreichisch-ungarischen Herrschaft gekommen (18. Jahrhundert), dann nach Westserbien durch Übertritt von sogenannten weißen Zigeunern serbischer Sprache aus Bosnien (18. Jahrhundert), und nach Ostserbien aus der Walachei in Rumänien (19. Jahrhundert). Der serbische Ethnologe Tihomir Djordjević, der sich Anfang des 20. Jahrhunderts mit den Roma beschäftigt hat, unterscheidet türkische Zigeuner, ungarische Zigeuner, weiße Zigeuner und walachische Zigeuner, und entsprechend ihrer Lebensweise teilt er sie in zwei Gruppen ein: fahrende und sesshafte oder, wie sie sich selbst nennen, Tamari und Alie. Die türkischen Zigeuner haben sich am meisten mit dem Schmiedehandwerk, mit Musik und Viehhandel, besonders Pferdehandel, beschäftigt; die ungarischen lebten vom Verkauf ihrer Produkte und vom Pferdehandel auf Märkten; die weißen Zigeuner waren Musikanten, Hufschmiede, Schmiede, Kutscher, Händler, Köhler, Tagelöhner und Bettler; auch bei den Roma aus der Walachei gab es ganz unterschiedliche Berufe. Jedenfalls sind die Roma eine autochthone ethnische Minderheit Serbiens und haben ein gemeinsames historisches Schicksal mit dem Mehrheitsvolk. Sie leben seit Jahrhunderten mit den Serben zusammen, in entfernten Dörfern, in Vorstadtsiedlungen, am Stadtrand, in eigenen Siedlungen oder tief in das Stadtzentrum verwoben, ethnisch und kulturell unterschiedlich, ihrem Glauben nach orthodox und muslimisch, katholisch und protestantisch, Wohlhabende und Arme, Gebildete und Analphabeten, ausgezeichnete Musiker und gewöhnliche Lumpensammler, Industriearbeiter und Landarbeiter, ruhige Bürger und laute Hooligans. Die Serben treffen sie auf jedem Schritt an, gleich ob sie Berührungspunkte mit ihnen haben oder nicht, aber sie kennen sie nicht genügend. Von Unkenntnis bis zum Vorurteil ist es nur ein kleiner Schritt. Viele Serben haben diesen Schritt noch nicht getan, aber zahlreiche haben Stereotype über Roma gebildet, manche sind in Xenophobie geraten und einige sogar in offenen Rassismus.

Gegenwart

Heute ist offiziell nicht bekannt, wie viele Roma in Serbien leben. Nach der Volkszählung von 1991 gab es 140.237, 1,5 % der Gesamtbevölkerung Serbiens. Danach sind sie die vierte Minderheitengruppe nach Albanern (1.674.353), Ungarn (343.942) und Muslimen/Bosniaken (246.411). Aber das ist weit von der Wahrheit entfernt, denn die Roma betreiben bewiesenermaßen ethnische Mimikry und geben sich meistens als Serben aus. Roma-Nationalisten übertreiben und behaupten, es gäbe eine Million, vernünftige Aktivisten sprechen von 600.000, und glaubwürdige Demographen schätzen die Zahl auf 400.000 bis 500.000. Wenn sich die Roma bei der Volkszählung vom April 20021 als das erklärt haben, was sie sind, nämlich als Roma, dann würde es sich ohne Zweifel zeigen, dass sie ihrer Zahl nach gleich hinter den Albanern liegen bzw. die zweite ethnische Minderheitengruppe in Serbien wären. Angesichts der Tatsache, dass das Territorium des Kosovo momentan außerhalb der Zuständigkeiten der Republik Serbien ist, würden die Roma ihrer Zahl nach die erste nationale Minderheit sein.

Die Roma sind tatsächlich in einer ungünstigeren Lage gegenüber dem Mehrheitsvolk und den übrigen nationalen Minderheiten, da es in Serbien – vielleicht in milderer Art als in anderen Nachbarstaaten – bestimmte Mechanismen der Diskriminierung von Roma gibt: (1) räumliche Diskriminierung (Existenz von Romasiedlungen, also Ghettos), (2) wirtschaftliche Diskriminierung (Arbeitslosigkeit oder Beschäftigung mit den am schlechtesten bezahlten und am wenigsten geschätzten Arbeitsplätzen), (3) Bildungsdiskriminierung (Analphabetentum, keine Zweisprachigkeit), (4) politische Diskriminierung (die Roma als ausgesprochen machtlose Gruppe). In drei großen strukturellen Segmenten der Gesellschaft, dem sozial-wirtschaftlichen, dem rechtlich-politischen und im Bereich der Kultur sind sie benachteiligt. In der Gesellschaft sind nicht alle gleichberechtigt und werden es auch niemals sein, aber allein die Roma sind im serbischen Staat wie auch in jedem anderen eine Ethnoklasse, denn sie sind die „Dritten“, die nichts oder nur sehr wenig haben, ohne jedes Ansehen, verachtet, erniedrigt und ohne Chance, ihre Interessen durchzusetzen.

In sozial-wirtschaftlicher Hinsicht leben die Roma entgegen der Meinung der Durchschnittsbürger tatsächlich in Armut, die Mehrheit sogar an der Grenze des Existenzminimums. Roma sind selten in festen Arbeitsverhältnissen, und wenn, dann bekommen sie schwere physische Arbeit und „schmutzige“ Müllarbeit, was wiederum eine eigene Art von Diskriminierung ist. Die Roma sind als Angehörige der ärmsten Schichten am häufigsten unter Bettlern zu finden. Neben den alten „Armen“, die außerhalb der Arbeitswelt stehen, gibt es aber auch noch die „neuen“ – jene Armen, die aus dem Produktionsprozess infolge der Anwendung neuer Technologien ausgegliedert werden und, was noch schlimmer ist, keine Chance auf Rückkehr haben. Die kommenden Generationen von Roma und die neuen Armen werden nicht für den brutalen Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt der offenen Gesellschaft vorbereitet sein.

Roma sind deswegen häufig in der grauen Wirtschaft, arbeiten schwarz und beschäftigen sich mit Schmuggel. In einer katastrophalen wirtschaftlichen und sozialen Situation wie in Serbien, wo Produktion und Handel vorgetäuscht werden und durch Schwarzhandel und Schmuggel nur die elementarsten Bedürfnisse befriedigt werden können, haben alle Schichten ihre eigenen Strategien des Überlebens entwickelt. Hierbei hat das Phänomen des Flohmarkts einen besonderen Platz: Neben „Gästen“ aus Bulgarien, Rumänien und China sind Serben und Roma auf den Flohmärkten am meisten präsent. Die Roma werden bei so starker Konkurrenz als die eifrigsten Verkäufer betrachtet: Seit jeher am Rand, haben sie den umgebenden Völkern ihren eigenen Lebensstil von der Straße als Muster für ihr Volk außerhalb legaler Wirtschaftsströmungen nahe gebracht. Sie sind die Verkörperung des Flohmarkts – er ist der „Spiegel der serbischen Wirtschaft“.

Die Roma leben in Serbien in ihrer Mehrheit in städtischen Gebieten oder an den Stadträndern: Es gibt keinen Ort ohne Roma-Mahala, wie die Siedlungen heißen. Mehr als drei Viertel der Roma-Bevölkerung lebt in Städten, und allein in Belgrad sind mehr als 150 Roma-Enklaven registriert. Das sind zumeist unhygienische Siedlungen ohne elementare kommunale Infrastruktur. Selbst wenn Roma materiell besser stehen, entwerten sie das „leichthin“ durch ihre „selbstgewählte“ Siedlungsghettoisierung, in dem sie in einer Mahala leben. Das hat die Soziologen veranlasst, ein „Ghetto-Bewusstsein“ als Schlüsselbegriff für die soziokulturelle Mentalität der Roma zu bezeichnen. Das Ghetto-Bewusstsein ist somit, auch wenn es mit wichtigen Subsystemen (Wirtschaft, Politik, Kultur) verbunden ist, nicht ausschließlich durch die objektive Lage der Roma in der gesellschaftlichen Struktur bedingt, sondern auch durch den Blick, der auf archaischen Bildern beruht, die sie aus ihren Herkunftsorten mitgebracht haben. Selbst wenn sich ihr Status in den Subsystemen und in der Gesellschaft als Ganzes verbessern lässt, bleibt doch das Problem der negativen Funktion einer überlieferten Mentalität, welche die Roma von ihrer Umgebung absondert und sie ghettoisiert. Neuere Untersuchungen dementieren aber die Überzeugung, dass es für die Roma besser sei, wenn sie in ihren Mahalas leben: Die Mehrheit von ihnen (44,7 %) würde lieber in gemischten Siedlungen leben, für 29,9 % ist es egal, wo sie leben, und nur 16,4 % bevorzugen das Leben in der Romasiedlung. Die Verbindung der Roma zu ihrer Mahala ist schwächer geworden, sie ist nicht mehr prioritäre Option für ihren Wohnsitz, bleibt jedoch Symbol für die räumliche und nicht nur räumliche Abgrenzung der Romabevölkerung.

Im politischen Leben Serbiens spielen die Roma keine Rolle, sie sind ohne jeden Einfluss und dienen den herrschenden Garnituren zur Manipulation. Nach Meinung von Sonja Liht ist der Grund dafür „das Fehlen einer homogenen Kollektivität, einer autonomen Selbstorganisation und eines kollektiven nationalen Selbstbewusstseins“; und ich füge hinzu, auch das Fehlen einer politischen Kultur. Eigentlich handelt es sich um eine politische Nichtkultur, denn die Roma nutzen ihre zahlenmäßige Stärke nicht aus, um politisch Angst zu erregen, sie üben keinen Druck auf die politischen Parteien des Mehrheitsvolkes aus, haben selbst keine eigenen starken politischen Parteien und auch keine entwickelten Nichtregierungsorganisationen. Die Schuld hieran trägt vor allem die wirtschaftliche, kulturelle und politische Romaelite. Reiche Roma, deren Anteil wie bei der Gesamtbevölkerung Serbiens drei bis fünf Prozent beträgt, sind mit der weiteren Vergrößerung ihrer Habe beschäftigt und kümmern sich überhaupt nicht um ihre Landsleute. Eine kulturelle Subelite ist im Entstehen begriffen und ist noch dünn, und die politischen Führer der Roma sind völlig untereinander zerstritten. Die Mehrheit der Roma zweifelt ihre jetzigen Vertreter in der Regierung (einige Abgeordnete in Gemeinde- und Stadtparlamenten und einzelne Beamte in den Ministerien der Föderation und der Republik) an und stellt sie in Frage; sie haben sie nicht gewählt und sie vertreten nicht ihre eigenen Bedürfnisse. Sie möchten, und das ist ihr legitimes Recht, ihre eigenen Leute wählen, wenigstens dort, wo sie die Mehrheit darstellen.

Oft wird von den Älteren gesagt, dass die Solidarität die Roma zusammengehalten hat, und über diese Solidarität werden Legenden gesponnen. Jahrhundertelang verfolgt und vernichtet, Xenophobie und Rassismus seitens der umgebenden Völker ausgesetzt, konnten sie sich nur durch starke innere Solidarität und Integration verteidigen und überleben. Die Jüngeren jedoch sagen, dass das alte Zeiten sind und es nicht mehr so sei. Die traditionelle Moral der Roma hat sich verändert – die Solidarität ging verloren. Ein Rom vertraut dem Anderen nicht mehr, statt dessen glaubt man mehr den Nichtroma. Man schätzt einander nicht mehr. Die Jüngeren achten die „weisen Häupter“ nicht mehr und möchten sie sobald wie möglich aus dem Spiel werfen, sie nehmen ihnen ihre Aktivitäten und schicken sie in den Ruhestand, ohne sich an ihre Verdienste und an die Notwendigkeit weiterer Ratschläge zu erinnern. Ein Generationenkonflikt ist unausweichlich, aber er wird vor allem den Roma schaden, die ohnehin nicht allzu viel Gebildete unter sich haben. Ein solcher unproduktiver Konflikt von Jungen, Mittleren und Alten ist bereits zu bemerken. Sollte trotz aller Solidarität der Egoismus bei den Roma siegen, dann wird es nur Einzelnen gelingen, ihren Status zu verbessern, was nicht viel hilft, denn ohne einen kollektiven Erfolg des Ethnos gibt es auch die langersehnte Integration nicht. Die überflüssigen Generationskonflikte sind ein Hindernis auf dem Weg dorthin.

Die Roma haben eine Reihe von traditionellen Gebräuchen, die seitens verschiedener Neuerungen angegriffen sind. Diese Modeerscheinungen führen zu Übertreibungen entsprechend dem Sprichwort: „Die Armen verschwenden und die Reichen sparen“. Der Wunsch, sich vor Anderen zu zeigen, ist zwar menschlich verständlich, aber seitens des Einzelnen, der Gruppe und des Ethnos ist er nicht rational. Viele Roma sparen sich alles vom Mund ab, um eine großartige Hochzeit, einen Geburtstag oder eine Beerdigung auszurichten, um die Beschneidung des Sohnes durchzuführen oder eine noch nicht volljährige Ehefrau zu erhalten. Besser wäre es, wenn man nur einen Teil davon für Wohnraum, Sauberkeit im Hof, Reparatur des zusammengefallenen Zauns oder, was ein Pfand für die Zukunft wäre, für Schulbildung aufwenden würde. Die Roma dürfen es sich nicht erlauben, Gefangene ihres traditionellen Lebensstils zu bleiben. Ebenso wenig dürfen sie aber auch die Zerstörung ihrer dünnen kulturellen Identität durch aggressiven Kitsch und Schund zulassen.

Bedroht ist gerade die authentische Romakultur: Besonders die Welle von Neofolk, in dessen Hintergrund angebliche Manager, denen es nur um das Geld geht, stehen, hat die Romamusik in ungeahntem Ausmaß degradiert. Die ursprüngliche Bestimmung der Romafolklore und des kulturellen Habitus (bekanntlich sind Roma sehr musikalisch) ist dabei zu verschwinden und in orientalischem Schund zu versinken. Profis müssen die Musik und die Folklore bewahren – aber nur im interkulturellen Austausch mit den umgebenden Kulturen, wenn man mit Erfolg auf dem dornigen Weg der Integration vorankommen will. Der serbische Staat hat hier nichts zu suchen, er kann vielleicht durch die Bereitstellung von Bedingungen helfen, aber die eigentliche Aufgabe bleibt den Roma selbst.

Die serbischen Roma sind in ihrer Mehrheit orthodoxe Christen, dann sunnitische Muslime sowie einige Katholiken und immer mehr Protestanten. In den letzten Jahren wurde der Trend von Konversionen der Roma in kleine protestantische Glaubensgemeinschaften oder Sekten beobachtet, besonders der Übertritt zu den Adventisten, den Pfingstlern oder den Baptisten. Im Hintergrund stehen eine Reihe von religiösen, sozialen und materiellen Gründen, aber auch die Tatsache, dass sie in vielfacher Weise und auf unterschiedlichen Stufen in einer Minderheitssituation sind. Sie sind eine Minderheit in der Republik, aber in der Regel auch eine Minderheit, die in der Mitte einer größeren ethnischen Minderheit und des Mehrheitsvolkes lebt (z. B. im Gebiet Raška: die Roma sind ethnische Minderheit, die Bosniaken bilden die größere ethnische Minderheit, die Serben das Mehrheitsvolk), oder nur mit dem Mehrheitsvolk (etwa in der Gegend von Niš: Roma als ethnische Minderheit unter den Serben als Mehrheitsvolk). Sie bilden auch in der Republik eine religiöse Minderheit, aber auch eine Minderheit, die umgeben ist von der Religion der größeren ethnischen Minderheit, die wiederum nicht die Religion des Mehrheitsvolkes ist (etwa im Gebiet von Raška: islamische Roma bekennen die Religion der größeren ethnischen Minderheit, der Bosniaken, während das Mehrheitsvolk, die Serben, orthodox ist), oder stimmen nur mit der Religion des Mehrheitsvolkes überein (Umgebung von Niš: Roma als Orthodoxe und Muslime sind religiöse Minderheiten gegenüber den orthodoxen Serben).

Roma sind persönlich sehr religiös und „gute“, klassische kirchliche Gläubige. Etwa 66 % der Roma sind persönlich religiös, 70 % glauben an Gott und sehr viele praktizieren ihren Glauben: 83 % vollziehen die Taufe, 67 % lassen sich in der Kirche trauen, 69,6 % begehen Weihnachten und Ostern, 83 % lassen die Verstorbenen kirchlich bestatten – Prozentsätze, an die die übrigen Christen, besonders die Serben, nicht heranreichen. Drei sicherlich „einfachere“ Riten sind bei muslimischen Roma mehrheitlich verbreitet: Die Beschneidung von Kindern (62 %), die Feier des Ramadan und des Opferfests (58,2 %) und die Bestattung von Verstorbenen nach islamischen Gewohnheiten (78 %), während die beiden „schwierigeren“ Riten nur von einer Minderheit beachtet werden, das Einhalten des Fastens (41,8 %) und das fünfmalige Gebet am Tag (46,4 %). Über das fünfmalige Gebet am Tag, eines der wichtigsten Gebote im Islam, kann man nur sagen, dass es kaum mehr praktiziert wird. Die muslimischen Roma halten sich weniger an die Rituale als ihrer orthodoxen Mitbrüder, dennoch sind sie auf dem Weg, gute klassische Gläubige der islamischen Religionsgemeinschaft zu werden.

Als eine grenzüberschreitende ethnische und kulturelle Gruppe oder als europäische Minderheit: Die Roma sind das Lackmuspapier für den Stand der sozialen, ethnischen und religiösen Beziehungen auf dem europäischen Kontinent und in jedem einzelnen Land. Die feststellbaren Variationen der ethnischen Distanz ihnen gegenüber zeigen deutlich Wachstum oder Abklingen von xenophobischer Stimmung, von Nationalismus und Chauvinismus sowie rassistischen Ausfällen. In friedlichen Zeiten blieb die sozial-ethnisch-religiöse Distanz ihnen gegenüber konstant und in der Regel sehr hoch. Wie auch in anderen Fällen, so zeigen soziologische Untersuchungen den Befund, dass die ethnische, soziale und religiöse Distanz mit gesellschaftlicher Entfernung wächst, wenn auch nicht immer linear.

Zukunft

Für die Zukunft der Roma in Serbien wird es notwendig sein, dass sie sich wie andere nationale Minderheiten in die serbische Gesellschaft integrieren. Die Integration müssen die Roma selbst durchführen, ob sie es wollen oder nicht. An ihnen liegt es, sich selbst zu verstärken und zu befähigen, um größere Vorteile an gesellschaftlichen Gütern zu haben und Ansehen im Staatswesen erwerben zu können. Der Staat ist auf jeden Fall verpflichtet, die Wege zur Integration mit Unterstützung zu pflastern, vor allem in rechtlicher und materieller Hinsicht, und die Serben als Mehrheitsvolk müssen sie durch den aufrichtigen Wunsch nach interkulturellem Austausch unterstützen, durch Geben und Nehmen. Staat und umgebende Nation sollten nicht nur aus Gründen der Gewissensbisse so handeln, denn sie tragen die historische Schuld für die Leiden der Roma als Menschen ohne Würde. Sie müssen das auch tun, weil es ein Pfand für die Zukunft ist. Generell gesprochen, wird das Modell der Integration Erfolg haben, wenn (a) viele Roma endlich Verantwortung für sich selbst akzeptieren, individuell, als Gruppe und als gesamter Ethnos die Sache in die Hand nehmen und sich für ihre Emanzipation einsetzen, und wenn (b) im Staat, in der serbischen Gesellschaft und bei den Serben die Idee an Gewicht gewinnt, wonach es ein Vorteil ist, mit und neben den rassisch, ethnisch und religiös Anderen zu leben, keineswegs aber ein Unglück, gegen das man kämpfen muss. Die Roma sind dazu bereit – die Frage ist, wie weit das auf die Serben zutrifft.

Die Roma sind ein wunderbares Volk und können uns, den Völkern und nationalen Minderheiten in den Balkanstaaten, als Beispiel für die Praxis des interkulturellen Austauschs dienen. Was ist interkulturelles Leben denn anderes als Austausch? Natürlich wurde ein solches Verhalten bei den Roma nie rational durchreflektiert oder strategisch begründet, sondern es ist vielmehr die Frucht eines jahrhundertelangen Lebens in der Umgebung von Mehrheitsidentitäten und -kulturen. Der Volksinstinkt hat gelehrt: „Immer sind wir in der Umgebung einer stärkeren Mehrheitskultur, passen wir uns an, nehmen wir von ihr, was gut und nützlich ist, verarbeiten wir das auf unsere Weise, schenken wir ihr auch etwas von uns, dann werden wir überleben.“

Es stimmt, dass die Roma mehr aufgesaugt und angenommen haben, als sie angeboten und gegeben haben. Aber es stimmt auch, dass sie für einen kreativen Austausch bereit sind. Die Möglichkeiten kreativen kulturellen Austausches mit den Roma bewegen sich von der Musik bis hin zu Modellstrategien des täglichen Überlebens. Die Mehrheit weiß das gar nicht, doch sie sollte es wissen. Daher stammt auch die besorgniserregende Unkenntnis über die Grundelemente der Romakultur, die oft und leichthin in Nichtachtung oder sogar Negierung von irgendeiner Originalität vereinfacht wird. Von dort ist es bis zum Vorurteil nur ein kleiner Schritt. Der erste Schritt auf dem Weg zur Beseitigung von Stereotypen und Vorurteilen über die Roma besteht in einer gründlichen Kenntnis ihrer Vergangenheit und ihrer Gegenwart, ihrer Kultur und ihres Alltags, ihrer Religion und ihrer Gebräuche. Das müsste einerseits zu einem besseren Verständnis des Andersseins der Roma beitragen, andererseits uns zeigen, dass es keinen Grund für eine überhebliche Haltung gegenüber den Roma gibt. Der vorliegende Artikel möchte dazu einen bescheidenen Beitrag leisten.

Aus dem Serbischen übersetzt von Thomas Bremer.


Fußnote:


  1. Die Veröffentlichung der Volkszählung aus dem vergangenen Jahr wird immer weiter verzögert. Viele denken, dass der Grund dafür in „unangenehmen“ Veränderungen der Zahl einiger nationaler Minderheiten liegt. ↩︎