Jugend in Weißrussland

aus OWEP 1/2005  •  von Alena Usowa

Alena Usowa ist Studentin am Theologischen Institut der Weißrussischen Staatlichen Universität in Minsk.

Die Frage „Was erwarte ich für meine Zukunft?“ beantworte ich wie jeder junge Mensch, der nicht untätig ist, sondern nach etwas strebt und damit ringt. Was erwarte ich? Verwirklichung der vorgenommenen Pläne, Erreichen der selbstgesteckten Ziele, Erfüllung der Hoffnungen, mit denen jeder von uns lebt.

Ich denke, dass es gegenwärtig schwierig ist, etwas Bedeutendes für unser Land und seine Gesellschaft zu tun. Das soll aber kein Vorwand für Müßiggang oder Warten auf bessere Zeiten sein. Nun bin ich noch eine Studierende, habe noch keine feste Stellung in der Gesellschaft bzw. keinen konkreten Beruf erlangt. Vor allem aber bin ich eine Christin und sollte das tun, wozu ich mich durch meinen Glauben und meine Religion verpflichtet fühle. Hier geht es nicht nur um christliche Nächstenliebe. Das ist ein Ideal, wonach zu trachten ein ganzes Leben dauert. Es geht vor allem um Duldsamkeit und Toleranz für einander, die ich für mich übrigens auch von der Gesellschaft erwarte. Ich glaube, dass die jungen Menschen ein Katalysator zur Umgestaltung der Gesellschaft sind. Obwohl wir keine Erlässe unterschreiben und keine Gesetze erlassen, sind wir nicht kraftlos. Unsere Stimme würde angehört, wenn sie kein einzelner Schrei wäre, sondern eine Stimme von uns allen, gerichtet auf Verbesserung der Verhältnisse, d. h. auf Frieden, Gleichberechtigung, gegenseitiges Verständnis, Mitgefühl und Liebe. In unserem Land gibt es verschiedene Jugendorganisationen (sowohl kirchliche als auch bürgerliche), die nach diesen Ideen leben wollen. Teilnahme daran kann schon ein möglicher Beitrag von uns sein. Am wichtigsten ist es, wenn wir so von der großen Gleichgültigkeit dem Los unseres Volkes gegenüber wegkommen.

Ganz wichtig ist Notwendigkeit einer guten Bildung. Sie macht den Menschen frei, fähig zur vollwertigen Selbstreflexion. Ein hoher Bildungsgrad verhindert die Entstehung einer „Masse“ („mob“), die so einfach zu regieren und kontrollieren ist. Später möchte ich einen Beruf ausüben, auf den ich mich jetzt vorbereite und der mir einen festen Platz in der Gesellschaft gibt. Dort werde ich schon Bescheid wissen, was ich mit meinen Möglichkeiten Konkretes für die Kulturentwicklung und Ausbildung der nächsten Generation tun kann. Als zukünftige Religionswissenschaftlerin betone ich natürlich die Notwendigkeit einer religiösen Ausbildung. Ihr Mangel in unserem Land zeigt sich nicht nur bei einfältigen Bürgern, sondern sogar unter schlecht ausgebildeten Religionslehrern! Ich hatte Gelegenheit, eine Vorlesung zu hören, bei der ein Lehrender das Christentum im Licht des Marxismus mit grausamen Verzerrungen, die fern aller Wahrheit liegen, unterrichtet hat. Religiöse Ausbildung braucht man auch für eine bessere Duldsamkeit und für Toleranz in Bezug auf andere Religionen.

Was ich selber für meine Kirche als ein Mitglied tun kann, besteht darin, den Menschen das Evangelium nicht nur theoretisch, sondern auch durch meine praktische Tätigkeit, durch mein Leben selbst zu vermitteln.

Familie: Für mich persönlich ist die Familie als Institution sehr wichtig. Doch in der Familie entsteht, wie auf einem vorbestimmten Grund und Boden, ein Mensch mit seiner Persönlichkeit. Die Erziehung, die der Mensch in seiner Familie bekommt, begleitet und führt ihn während seines ganzen Lebens. Deswegen hängt die Gesundheit der Gesellschaft auf das Engste mit der Gesundheit der Familien zusammen. Gerade hier gibt es aber in meiner Heimat große Probleme. Nach einer soziologischen Untersuchung ist in Weißrussland die Zahl der Scheidungen in der letzten Zeit immer weiter gestiegen (von 52.000 Ehen zerbrechen 40.000). Dies bedeutet, dass gleichzeitig die Geburtenzahl immer weiter sinkt. Worin liegt die Ursache? Die Antwort lautet: Erkrankung der Gesellschaft. Vielleicht ist es hier wichtig, ein Gespür der Verantwortung für eine besondere Unterstützung von Familiengründungen zu schaffen.

Freunde: Unabhängig davon, wo ich wohne und welchen sozialen Status ich habe, gehören Freunde zu meiner Existenz. Ihre Anwesenheit und Unterstützung ist besonders während der Jahre des Studiums zu fühlen. Wenn wir zusammen wie eine Familie in einem Studentenheim oder in einer Wohngemeinschaft wohnen, leben wir dieselben Hoffnungen und haben die gleichen Bestrebungen.

Glaube: Dies ist ein fester Bestandteil des Menschen. Jeder von uns glaubt, zwar verschiedenartig, doch er glaubt. Für den einen ist religiöser Glaube eine existenzielle Stütze, für einen anderen ist es der Glaube in sich selbst, in die Zukunft.

Krieg ist der größte Schrecken, unter dem vor allem die am meisten unschuldigen Menschen, die Kinder, leiden. Frieden bildet für uns den größten Wert, den wir schätzen sollten. Leider ist es oft so, dass scheinbar nichts verändert werden kann. Ich kann den Krieg im Irak nicht stoppen, obwohl ich dagegen protestiere. Selbstverständlich kann ich mich über den Krieg auf einer Protestkundgebung äußern, aber niemand wird mir zuhören. Es ist traurig. Mit jedem Krieg sind immer große Gelder verbunden. Alles ist in den Händen von Politikern, den Herren da oben. Die Weltgeschichte zeigt uns viele Beispiele von sinnlosen Kriegen mit grauenhaften Folgen. Wir können nur zur Menschlichkeit aufrufen. Dabei müssen wir alle bei uns selber anfangen. Mein Prinzip geht auf Worte zurück, die einst von dem russischen Heiligen Seraphim von Sarow1 ausgesprochen wurden: „Rette dich, und mit dir werden Tausende gerettet“. Am schlimmsten sind Untätigkeit und Gleichgültigkeit.

Deutsch von Alena Kharko.


Fußnote:


  1. Seraphim von Sarow (1759-1833), russischer Mönch und Mystiker, 1903 heilig gesprochen (Anm. d. Redaktion). ↩︎