„Eine Kerze für Bulgarien“ – der selige Papst Johannes XXIII. und Bulgarien

aus OWEP 4/2009  •  von Srećko Rimac

Pater Srećko Rimac OCD ist der Generalsekretär der Bulgarischen Bischofskonferenz.

Wenn wir uns mit dem Leben der Kirche in Bulgarien befassen, können wir in keinem Fall das Wirken von Erzbischof Angelo Giuseppe Roncalli – Papst Johannes XXIII. – ausklammern, der von April 1925 bis Dezember 1934 als Apostolischer Visitator und Gesandter des Heiligen Stuhls in Bulgarien wirkte. Die Erinnerungen an ihn sind nicht nur unter den Katholiken Bulgariens lebendig, sondern auch unter den anderen Bürgern dieses Landes. Die Bulgaren nennen ihn mit Stolz den „bulgarischen Papst“.

Neuerbaute katholische Kirche in Sofia. Das Medaillon über dem Portal zeigt Papst Johannes XXIII. (Foto: Renovabis-Archiv)

Die Spuren der Anwesenheit von Erzbischof Roncalli sind in der bulgarischen Kirche auch heute noch auf Schritt und Tritt zu erkennen. So wurde vor kurzem in Sofia dem seligen Papst Johannes XXIII. eine Kirche geweiht, die auf dem Grundstück steht, das er während seiner Tätigkeit in Bulgarien für den Bau eines Priesterseminars erworben hatte.

Im Gebäude der ehemaligen Nuntiatur, in dem viele Jahre Eucharistie-Schwestern wohnten, entsteht gegenwärtig ein geistliches Zentrum unter dem Namen „Papst Roncalli“. Lange Zeit bestand in Sofia unweit des Sitzes des orthodoxen Patriarchen und der Universität auch eine katholische Buchhandlung mit dem Namen „Angelo Roncalli“. So könnte man noch lange fortfahren, und in den Erinnerungen vieler Menschen ist Erzbischof Roncalli aus Gemeinde- und Firmbesuchen bis heute lebendig geblieben.

Ankunft und Wirken in Bulgarien

Während der Balkankriege (1912-1913) und des Ersten Weltkriegs (1914-1918) kamen viele Flüchtlinge nach Bulgarien, darunter Katholiken des östlichen Ritus aus Gebieten der heutigen Türkei und Griechenlands.1 Im Gegensatz zu den anderen Flüchtlingen, die orthodox waren und sich leichter in die orthodoxe Kirche in Bulgarien integrieren konnten, stießen diese Katholiken auf große organisatorische Probleme. Neben der Frage des materiellen Überlebens in der neuen Heimat stellte sich für sie auch die Frage einer geistigen Heimat, fehlte ihnen doch die Kirche ihres Ritus. In dieser schwierigen Situation gab es zwei Möglichkeiten – entweder die eigene Identität vollkommen aufzugeben oder ein neues kirchliches Leben aufzubauen.

Der Heilige Stuhl reagierte auf die Notlage und entschloss sich, zur Linderung der geistigen Nöte einen Visitator nach Bulgarien zu senden. Anvertraut wurde diese Aufgabe Erzbischof Angelo Roncalli (geb. 1881), der seit 1921 das päpstliche Missionswerk in Italien leitete. Sein Auftrag lautete:

  • die Katholiken des östlichen Ritus aufzusuchen und nach Möglichkeit in Gruppen zu sammeln,
  • für die Gewinnung von Priestern und Errichtung von Kirchen- und Schulgebäuden zu sorgen,
  • die Vorauswahl für einen Bischof für die Katholiken des östlichen Ritus zu treffen und diesem bei der Organisation der Diözese zu helfen,
  • die Gründung eines Priesterseminars vorzubereiten
  • sowie sich um die in Bulgarien tätigen Mönche und Schwestern zu kümmern.

Erzbischof Roncalli, der am 19. März 1925 die Bischofsweihe empfangen hatte – er wurde Titularerzbischof von Areopolis2 –, traf am 25. April 1925 in Sofia ein, von wo aus er in den folgenden Jahren die über ganz Bulgarien verstreuten Katholiken des östlichen Ritus aufsuchte. Schon die äußeren Umstände waren dabei oft recht abenteuerlich: Er benutzte die Eisenbahn, gelegentlich Autos, die eher Lastwagen waren, Kutschen und suchte die Gläubigen, wenn es notwendig war, sogar mit dem Pferd auf, wie er im Mai 1925 in einem Brief an seine Verwandten bemerkte: „An diesem Abend komme ich von einer langen Rundreise durch Bulgarien zurück ... Gesundheitlich geht es mir gut, obwohl ich sieben Stunden ununterbrochen auf einem Pferd durch die Berge geritten bin.“

Die orthodoxen Christen begegneten ihm anfangs mit großer Zurückhaltung. Zeitweilig wurde er sogar vom bulgarischen Geheimdienst überwacht. Das Misstrauen legte sich jedoch, nachdem man sich von seinen guten Absichten überzeugt hatte, und ging sogar in Sympathie über, denn von Beginn seines Aufenthaltes in Bulgarien an suchte er Kontakte zu den – wie er sie nannte – „geliebten orthodoxen Brüdern“ . Es ging ihm dabei stets um das, was Orthodoxe und Katholiken verbindet, und nicht um das, was sie trennt.

Von großer Bedeutung für die Entfaltung geistlichen Lebens war die Gewinnung eines Bischofs für die Katholiken des östlichen Ritus. Erzbischof Roncalli sandte nach sorgfältiger Prüfung die Namen von drei Priestern als Kandidaten nach Rom. Der Heilige Stuhl wählte den jungen Priester Stefan Kurteff (geb. 1891) aus, der im Dezember 1926 zum Bischof geweiht wurde und als Apostolischer Exarch (Bischof) den Namen Kyril annahm. Kein Erfolg war hingegen den Planungen für ein Priesterseminar beschieden. Erzbischof Roncalli konnte zwar ein Grundstück erwerben; nach der Grundsteinlegung geriet die Verwirklichung jedoch ins Stocken, da sich Erzbischof Roncalli mit seiner Idee eines Seminars für Priester beider Riten gegen viele Widerstände, besonders seitens einiger Orden, nicht durchsetzen konnte.3

Trotz mancher Erfolge war die Tätigkeit des Visitators keineswegs einfach. Wie man in seinem Tagebuch nachlesen kann, bezeichnete er sein Wirken in Bulgarien als „sein Kreuz“, aber zur gleichen Zeit war er auch bereit, dieses Kreuz bis zum Äußersten zu tragen. Besonders erwähnt seien zwei Ereignisse, die ihm viele Probleme bereiteten.

Unerwartete Folgen brachte der Abschluss der Lateranverträge mit sich, in denen 1929 das Verhältnis zwischen Italien und dem Heiligen Stuhl geregelt wurde. Diese Verträge, die u. a. die Souveränität des Staates der Vatikanstadt festlegten, wurden in Bulgarien missverstanden und so ausgelegt, als ob der Heilige Stuhl seinen Einfluss nach Südosteuropa ausdehnen und Bulgarien zur Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen – diese bestanden bisher noch nicht – zwingen wollte. Erzbischof Roncalli musste sein ganzes diplomatisches Geschick einsetzen, um darzulegen, dass die Verträge weder gegen den bulgarischen Staat noch gegen die orthodoxe Kirche gerichtet waren.

Schwierigkeiten bereitete auch die Eheschließung von Zar Boris III. mit der italienischen Prinzessin Giovanna im Jahre 1930. Zar Boris IIII. hatte versprochen, in einer katholischen Kirche zu heiraten und die Kinder katholisch taufen und erziehen lassen wird. So wurde am 25. Oktober 1930 in Assisi die Hochzeit gefeiert, doch dann folgte kurz darauf in der orthodoxen Aleksander-Nevski-Kathedrale in Sofia eine zweite Trauung. Erzbischof Roncalli musste nun einen offiziellen Protest beim Zaren einlegen und hatte zudem unter Vorwürfen katholischer Seite zu leiden, er trage die Schuld an der zweiten Eheschließung, weil er sich nicht ernsthaft bemüht hätte, sie zu verhindern. Das Problem lag aber auf Seiten von Zar Boris III., denn gemäß der damaligen bulgarischen Verfassung konnte der Souverän nur ein orthodoxer Christ sein und in einer orthodoxen Zeremonie heiraten. Königin Giovanna war die Leidtragende dieser Entwicklungen, fand aber in Erzbischof Roncalli einen verständnisvollen Freund. Sie sagte ihm übrigens auch seine Wahl zum Papst voraus und hat ihn einige Tage nach der Wahl im Oktober 1958 mit ihren Kindern besucht.

1934 erfolgte die Ernennung von Erzbischof Roncalli zum Apostolischer Delegaten für die Türkei und Griechenland. Damals versprach er, in seinem Fenster werde immer eine Kerze für Bulgarien brennen, und wenn irgendjemand aus Bulgarien – Katholik, Orthodoxer oder Moslem – vorbeikomme, werde er ihn empfangen. Für seine große Liebe zu Bulgarien spricht auch die Tatsache, dass er Papst Pius XI. bewegen konnte, ihm das Titularerzbistum Nessebar (lateinisch „Mesembria“) an der bulgarischen Schwarzmeerküste zu verleihen. Bevor er Bulgarien im Januar 1935 verließ, sagte er in seiner letzten Predigt an Weihnachten 1934: „Jedes Mal, wenn ich unterschreiben soll, werde ich mit Guiseppe, Erzbischof von Mesembria, unterschreiben und mich an dieses schöne Land erinnern.“

Bulgarien im Herzen von Angelo Roncalli

Besonderen Dank schuldet Bulgarien Erzbischof Roncalli für die Rolle, die er nach dem Zweiten Weltkrieg während der Friedenskonferenz in Paris 1947 spielte. Er war seit 1944 als Apostolischer Nuntius in Frankreich tätig und hatte sich dort bereits einen guten Ruf als Vermittler erworben. Als während der Konferenz die Delegationen der Siegerstaaten die Vertreter der besiegten Länder mit Ausnahme von Bulgarien begrüßten, war es Nuntius Roncalli als Doyen des diplomatischen Korps, der beim Erscheinen der bulgarischen Delegation „Viva Bulgaria“ ausrief und nicht zuerst die Sieger begrüßte, wie es zu erwarten gewesen wäre. Diese Geste leitete einen Stimmungsumschwung zugunsten Bulgariens ein. Natürlich rief dies auch Verwunderung hervor, zeigte er doch als Vertreter des Vatikans sein Wohlwollen gegenüber dem kommunistischen Regime in Bulgarien. Er tat dies aber, wie er betonte, nicht aus Sympathie für die Kommunisten, sondern weil er Bulgarien vor den Annexionsgelüsten der Siegerstaaten Griechenland und Jugoslawien schützen wollte.

Anwesenheit von Angelo Roncalli in Bulgarien

Bei der Seligsprechung von Papst Johannes XXIII. am 3. September 2000 in Rom war auch eine offizielle Delegation aus Bulgarien anwesend. Die katholische Delegation wurde vom Apostolischen Exarchen Christo Proykov geleitet. Ebenso vertreten war der bulgarische Staat durch den stellvertretenden Parlamentspräsidenten. Für die Bulgarische Orthodoxe Kirche nahm Metropolit Simeon von West- und Mitteleuropa teil.

Wie bereits eingangs erwähnt, finden sich viele Erinnerungen an Erzbischof Roncalli in Bulgarien. Ein wichtiges Projekt ist die Errichtung des geistigen Zentrums „Papst Roncalli“ in dem Gebäude in Sofia, in dem er sieben Jahre gewohnt hat. Gemäß der Vorstellungen des seligen Papstes soll es ein Ort der Begegnung zwischen katholischen und orthodoxen Gläubigen sein und damit den Geist der Ökumene fördern. Auch das neue Gebäude der Nuntiatur trägt den Namen „Villa Roncalli“, in Burgas führt ein Kinderheim den Namen „Roncalli“.

In orthodoxen Kreisen erinnert man sich noch heute, wie Erzbischof Roncalli reagierte, als ihn ein orthodoxer Priesteramtskandidat um Unterstützung für den Plan bat, zusammen mit anderen orthodoxen Priesteramtskandidaten in Rom an der Fakultät für katholische Priester studieren zu können. In seinem Antwortbrief riet ihm Erzbischof Roncalli, in Sofia zu bleiben und an der orthodoxen Fakultät zu studieren, denn „Katholiken und Orthodoxe sind keine Feinde, sondern Brüder. Wir haben den gleichen Glauben und nehmen an den gleichen Sakramenten teil ... Auch wenn wir auf verschiedenen Wegen gehen, werden wir uns später in der Einheit der Kirchen dadurch wiedertreffen, dass wir gemeinsam die wahre und einzige Kirche unseres Herrn Jesus Christus gestalten“.

Wie Kenner des Lebens und Denkens des seligen Papstes Johannes XXIII. sagen, hat seine Zeit in Bulgarien und der Türkei und die Erfahrungen, die er hier in unmittelbarem Kontakt mit den orthodoxen Christen und dem Islam gemacht hat, einen großen Einfluss auf die Entwicklung seines Denkens ausgeübt. Als er Papst wurde und das Konzil einberief, baute er darauf auf und machte sie für die ganze Kirche nutzbar.

Aus dem Kroatischen übersetzt von Vitomir Mosković.


Literaturhinweis:

Zahlreiche Dokumente finden sich im Archiv „Roncalli“ der Stiftung Johannes XXIII. in Bergamo und im Archiv von Monsignore Loris Capovilla (Privatsekretär des Papstes).


Fußnoten:


  1. Andere Bezeichnung: Katholiken des byzantinischen Ritus. Vgl. auch Thomas Bremer: Die östlichen Kirchen – ein Überblick. In: OST-WEST. Europäische Perspektiven 10 (2009), H. 3, S. 167-178, bes. S. 176 f (der gedruckten Ausgabe). ↩︎

  2. Unter Titularbistum ist eine untergegangene Diözese zu verstehen. Der Titularbischof empfängt die Weihe und trägt den Titel, leitet aber keine Diözese, sondern wirkt innerhalb einer existierenden Diözese als Weihbischof oder ist im kirchlichen diplomatischen Dienst tätig. – Areopolis ist eine untergegangene Erzdiözese in Palästina (Anm. d. Redaktion). ↩︎

  3. Heute befindet sich auf dem Grundstück die ihm geweihte Kirche. ↩︎