Der Transnistrienkonflikt

(Fallbeispiel)
aus OWEP 3/2005  •  von Klemens Büscher

Dr. Klemens Büscher ist Berater beim Hohen Kommissar für nationale Minderheiten der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) in Den Haag und war 1995/96 Mitglied der OSZE-Mission in Moldova. – Die folgenden Ausführungen geben ausschließlich die persönliche Meinung des Autors wider.

Die turbulenten politischen Entwicklungen während der sowjetischen Perestrojka führten 1990 zur Ausrufung einer transnistrischen Republik im Osten der damaligen moldawischen Unionsrepublik. In der Folgezeit entstand ein international nicht anerkannter, faktisch jedoch unabhängiger Kleinstaat. Diese „Transnistrische Moldaurepublik“ („Pridnestrovskaja Moldavskaja Respublika“/„PMR“) umfasst etwa 11 Prozent des Territoriums sowie knapp ein Sechstel der Bevölkerung der Republik Moldau (auch Moldawien oder Moldova genannt), deren Staatsorgane seit 1992/93 keinerlei Hoheitsrechte im Sezessionsgebiet ausüben können. Die abgespaltene Region ist zugleich das industrielle Herzstück, das „Ruhrgebiet“ der Republik Moldau, das Ende der achtziger Jahre ein Drittel der Industrieproduktion und 90 Prozent der Energieversorgung der Republik stellte. Die „PMR“ stellt den einzigen erfolgreichen Sezessionsfall eines außerhalb Russlands gelegenen russisch geprägten Gebietes dar und gehört zu den überraschendsten Resultaten der spät- und postsowjetischen Umwälzungsprozesse: Bis 1988 trat „Transnistrien“ in der Sowjetunion weder als gegenwartsbezogener politischer Begriff noch als politische Einheit in Erscheinung.

Der Konflikt um die abgespaltene Region gehört zu den so genannten „frozen conflicts“ auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion. Auch zwölf Jahre internationale Bemühungen um eine Konfliktregelung haben bisher keinerlei Fortschritte hinsichtlich einer Wiedereingliederung in den Staatsverband erzielen können. Die politische Dramatik im Falle Transnistriens besteht darin, dass in unmittelbarer Nachbarschaft der Europäischen Union ein Gebiet existiert, dass sich sämtlichen internationalen Regeln und Kontrollmechanismen entzieht. Die vielfach als „schwarzes Loch“ bezeichnete Region gilt als Hochburg illegaler Waffenproduktion und internationalen Waffenhandels, als Schwerpunkt von Schleuserkriminalität, Drogenhandel und Schmuggel jeglicher Art.

Ursachen und Verlauf des Konflikts

Die Sowjetrepublik Moldawien bestand aus zwei Teilgebieten, die durch unterschiedliche historische Erfahrungen geprägt waren. Das zwischen Pruth und Dnjestr gelegene Bessarabien, seit 1812 dem Russischen Reich zugehörig, wurde nach dem Zusammenbruch der Zarenmonarchie Teil Rumäniens (1918-1940) und gelangte infolge des Hitler-Stalin-Pakts erst 1940, endgültig dann 1944 unter sowjetische Herrschaft. Die Gebiete östlich des Dnjestr waren demgegenüber nie Teil eines rumänischen oder moldauischen Staates. Lediglich während der Besatzungszeit von 1941 bis 1944 machte die linksufrige (transnistrische) Bevölkerung als Teil des Gouvernements „Transnistrien“ mit dem Hauptort Odessa Erfahrungen mit rumänischer Herrschaft.

Vor diesem Hintergrund entwickelte sich parallel zum moldauischen Emanzipations- und Reformprozess 1989/90 im östlich des Dnjestr gelegenen Landesteil sowie in der rechtsufrigen (westlich des Flusses gelegenen) Stadt Bender eine Protestbewegung der mehrheitlich russischen und ukrainischen Bevölkerung, die von Reformgegnern der alten politischen und Wirtschaftselite organisiert wurde. Während die moldauische Regierung in der Hauptstadt Chişinău die sprachliche und nationale Rumänisierung des Landes betrieb, im Juli 1990 die Souveränität der Republik Moldau verkündete und das Land nach dem gescheiterten Moskauer Putsch 1991 für unabhängig erklärte, brachten die Führer der Protest- und Streikbewegung nach der Ausrufung einer „Transnistrischen Moldauischen SSR“ mit der „Hauptstadt“ Tiraspol (September 1990) nahezu alle Ortschaften Transnistriens unter ihre Kontrolle.

Am Beginn der transnistrischen Abspaltung standen somit vor allem machtpolitische Erwägungen der russischsprachigen lokalen Funktionsträger aus Wirtschaft und Politik. Ähnlich wie in anderen Gebieten der Sowjetunion waren in Transnistrien im Umfeld der strategisch bedeutenden Schwer- und Rüstungsindustrie mächtige Seilschaften aus miteinander verfilzten Partei-, Sowjet-, Verwaltungs- und Betriebsführungen entstanden. Die Aussicht, die Kontrolle über die enormen industriellen Ressourcen sowie die damit verbundene politische Macht und materiellen Privilegien zu verlieren, veranlasste diese regionale Klanelite zur Sezession. Die Realisierung dieser Zielsetzung war allerdings nur möglich aufgrund ähnlich gelagerter Interessen der ansässigen russischsprachigen Stadtbevölkerung. Die permanente Mobilisierung der transnistrischen Bevölkerung durch organisierte Dauerstreiks und regelmäßige Referenden verlieh dem Konfrontationskurs einen demokratisch-legitimen Anschein, der die Sezession nach innen und gegenüber Moskau absicherte. Die gezielte Radikalisierung der Autonomiebewegung durch lokale Medien und Sicherheitsorgane führte von Beginn an zu einer unversöhnlichen Atmosphäre, in der Ängste der Bevölkerung geschürt, die Aggressivität der Beteiligten angestachelt und politische Gegner diffamiert wurden. Spezifika des politischen Systems der UdSSR der Jahre 1989-1991, insbesondere die mangelnde Demokratisierung und fehlende Rechtsstaatlichkeit, erleichterten den transnistrischen Führern den Einsatz repressiver Instrumente beim Aufbau staatlicher Strukturen einerseits, der autoritären Organisation und Kontrolle der Autonomiebewegung andererseits.

Die Entwicklung der moldauisch-transnistrischen Beziehungen von 1991-1992 war durch eine weitere Eskalation gekennzeichnet. Die moldauische Regierung versuchte vergeblich, den Konflikt mit dem abtrünnigen Gebiet aus einer Position der Stärke zu lösen, und trug durch ihre Drohungen nur zur Radikalisierung der Abtrünnigen bei. Demgegenüber schufen die transnistrischen Führer mit dem konsequenten Aufbau staatlicher Strukturen vollendete Tatsachen. Während die Sowjets, Verwaltungen und Institutionen der Region Schritt für Schritt den neuen Tiraspoler Zentralorganen unterstellt wurden, gerieten auch gesellschaftliche Organisationen und Betriebe zunehmend in den Machtbereich Tiraspols. Im Frühjahr 1992 eskalierte der Konflikt zu einem regelrechten Krieg, dem etwa 1.000 Menschen zum Opfer fielen. Dabei erwies sich die moldauische Seite als technisch eindeutig unterlegen: Die Dnjestr-Garden Tiraspols waren von der in Transnistrien stationierten ehemals sowjetischen 14. Armee massiv mit schweren Waffen, Munition, Know-how und zunehmend auch personell ausgerüstet worden. Berichten zufolge kämpften Tausende der seit April Russland unterstehenden Soldaten auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen im Juni 1992 auf Seiten der Separatisten gegen die Truppen Chişinăus. Erst das Eingreifen des neu eingesetzten russischen Kommandeurs der 14. Armee, Aleksandr Lebed, beendete die Kampfhandlungen. Im Juli 1992 vereinbarten Moskau und Chişinău unter Beteiligung Tiraspols einen bis heute wirksamen Waffenstillstand, der zugleich die aus den Kämpfen resultierende Gebietsaufteilung zementierte und faktisch der „PMR“ Sicherheitsgarantien beim Aufbau eigenstaatlicher Strukturen verschaffte.

Die „PMR“ heute

In den Jahren 1993/94 vollzogen sich grundlegende Veränderungen in der Moldaurepublik, die eine klare Abkehr vom nationalistischen Kurs der Vorjahre bedeuteten. Die generelle Demokratisierung Moldovas, überzeugende Ansätze einer moderaten Minderheitenpolitik sowie die erfolgreiche Regelung des zweiten, gagausischen Autonomiekonflikts lassen Tiraspoler Vorwürfe einer drohenden „Rumänisierung“ der Nichtmoldauer seitdem unglaubwürdig erscheinen. Demgegenüber entwickelte sich die „PMR“ immer mehr zu einem autoritären Regime, dessen Führer Igor Smirnov prinzipiell eine Einigung mit der moldauischen Regierung ablehnt. Die ursprünglichen Grundsätze der Autonomiebewegung sind zu einer „Staats“-Doktrin erstarrt, die die Separation legitimieren und die autoritäre politische Ordnung stabilisieren soll. Die Politik Tiraspols basiert auf Manipulationen im politischen Entscheidungsprozess sowie auf einer Verbindung von Medienkontrolle und einer geschickten Propaganda, die Assoziationen und Ängste insbesondere der politisch mobilisierten älteren Bevölkerungsschichten instrumentalisiert. Im Zentrum der Agitation steht dabei die angebliche Bedrohung der slawischen bzw. transnistrischen Bevölkerung durch Chişinău, Rumänien oder westliche Mächte.

Kompromissbereite Kräfte der anfänglichen transnistrischen Autonomiebewegung werden durch offene Einschüchterungen, latente Drohungen und physische Gewalt systematisch zum Schweigen gebracht oder aus der Region vertrieben. Auch die fehlende internationale Anerkennung der „PMR“, die zugleich fehlende Kontrolle durch die Staatengemeinschaft bedeutet, trägt zur Zementierung der Verhältnisse am Dnjestr bei. Vielfältige Unterstützung erfährt die Führung der „PMR“ von Seiten „patriotischer“ Kräfte aus Russland, insbesondere in der russischen Staatsduma. Auch die fortgesetzte Anwesenheit russischer Truppen auf dem Gebiet der separatistischen Republik trägt entscheidend zur Stabilität des Tiraspoler Regimes bei. Ein weiterer, indirekter Stabilitätsfaktor der „PMR“ besteht in der mangelnden wirtschaftlichen und politischen Attraktivität der Republik Moldau in den Augen der transnistrischen Bevölkerung.

Internationale Vermittlungsbemühungen

Die damalige KSZE (heute: OSZE) beschloss im Februar 1993 die Entsendung einer internationalen Mission, die seit Ende April 1993 in Moldova tätig ist. Kernaufgabe dieser Mission ist es, „das Zustandekommen eines umfassenden politischen Rahmens für Dialog und Verhandlungen (zu) erleichtern und die Konfliktparteien bei der Fortführung von Verhandlungen über eine dauerhafte politische Beilegung des Konflikts (zu) unterstützen, welche die Unabhängigkeit und Souveränität der Republik Moldau bei gleichzeitigem Einverständnis über einen besonderen Status der transnistrischen Region konsolidiert“. Inhaltlich setzt das Mandat der Mission drei Schwerpunkte: die Regelung des Transnistrienkonflikts, die Verhandlungen über den Abzug der russischen 14. Armee sowie Fragen der Menschen- und Minderheitenrechte und der demokratischen Reformen auf dem gesamten Gebiet Moldovas. Nicht Bestandteil des Mandates in seiner schriftlich fixierten Form sind zwei Ziele, die bei der Entscheidung der OSZE-Mitgliedstaaten eine zentrale Rolle spielten. Es lag und liegt im vordringlichen Interesse aller Regierungen, einer militärischen Reeskalation des Dnjestrkonflikts vorzubeugen und eine territoriale Ausbreitung des Konflikts über seine jetzigen Grenzen hinaus zu verhindern. Die Relevanz dieser eher präventiven Aufgaben für die Mission liegt auf der Hand, sodass man hier von einem „impliziten Mandat“ sprechen könnte.

Ausgehend von der Überzeugung, dass jede Konfliktlösung in einer beidseitig akzeptierten rechtlichen Regelung des transnistrischen Status im Rahmen der Republik Moldau münden muss, hat die Mission zunächst einen detaillierten Vorschlag erarbeitet und vorgelegt. Dieser Missionsvorschlag für eine Art autonomer Republik Transnistrien basierte auf intensiven Gesprächen der Missionsmitglieder mit zahlreichen Akteuren beider Seiten und wurde im Frühjahr 1994 von den Kontrahenten als Verhandlungsgrundlage akzeptiert. In einer von der Mission vermittelten gemeinsamen Erklärung kündigten der damalige moldauische Präsident Mircea Snegur und Transnistriens „Präsident“ Smirnov an, künftig ausschließlich auf dem Verhandlungsweg den „staatlich-rechtlichen Status“ Transnistriens regeln zu wollen und zu diesem Zweck Expertengruppen einzusetzen. Seitdem versucht die Mission mit diplomatischen Mitteln, Vertreter beider Verhandlungsteams und Expertengruppen zu regelmäßigen Verhandlungen zu bewegen. Neben der OSZE-Mission ist Russland und seit 1995 auch die Ukraine als Vermittler bei der Suche nach einer politischen Lösung des Transnistrienkonflikts tätig. Die in unregelmäßigen Abständen stattfindenden Gespräche zwischen Chişinău und Tiraspol werden daher allgemein als „fünfseitige Verhandlungen“ bezeichnet.

Das Engagement der OSZE in der Republik Moldau hat zweifellos zur Stabilität in der Region beigetragen. Mit dem Instrument der Langzeitmission, ergänzt durch Aktivitäten anderer OSZE-Institutionen und weiterer internationaler Akteure, gelang es, den Transnistrienkonflikt „einzuhegen“ und einen Verhandlungsprozess zwischen den Kontrahenten zu institutionalisieren. Damit hat die OSZE-Mission die Erwartungen des „impliziten Mandats“ erfüllt, ebenso wie sie die Frühwarnungs- und Konfliktverhütungsfunktion des Mandats mit beachtlichem Erfolg ausübt.

In Bezug auf die inhaltliche Entwicklung der Statusverhandlungen ist die bisherige Bilanz insbesondere mit Blick auf die transnistrische Position allerdings enttäuschend. Chişinău zeigte sich in der Vergangenheit mehrfach bereit, einer Autonomen Republik Transnistrien weit reichende Vollmachten zu gewähren. Auf transnistrischer Seite hingegen sind die Signale weiterhin negativ. Zeitweise erschien es so, als akzeptiere die Führung in Tiraspol die territoriale Integrität Moldawiens als Basis der Gespräche, auch wenn weiterhin die unerfüllbare Forderung nach internationaler Anerkennung einer transnistrischen „Staatlichkeit“ erhoben wurde. Immer wieder wurde jedoch eine substanzielle Annäherung der Positionen durch Initiativen Smirnovs torpediert, der sich um internationale Anerkennung der „PMR“ bemühte. Tiraspoler Positionspapiere illustrierten die Strategie die transnistrischen Führung: Moldova und die „PMR“ sollten als zwei souveräne Staaten einen Vertrag über „assoziierte Beziehungen“ schließen, die in der Zukunft „den Übergang zu einem einheitlichen Staat oder zu einer sanften Scheidung der Staaten“ ebnen können. Zur Bestätigung des Anspruchs auf Unabhängigkeit ließ Smirnov bereits 1995 per Referendum eine Verfassung der „PMR“ absegnen, die einen „souveränen, unabhängigen“ Staat konstituiert, der „die oberste und ausschließliche Gewalt über sein Territorium ausübt“ und „seine Unabhängigkeit und territoriale Integrität verteidigt“. Einen Hinweis auf die Republik Moldau enthält die Verfassung nicht.

Mit dem überwältigenden Wahlsieg der Kommunistischen Partei bei den Parlamentswahlen in Moldova im Februar 2001 änderten sich die Rahmenbedingungen der Gespräche. Der anschließend zum Präsidenten gewählte Parteichef der Kommunisten, Vladimir Voronin, der sich auf eine verfassungsgebende Mehrheit seiner Fraktion im Parlament und auf eine prokommunistische Regierung stützen kann, war mit einem vielfach als prorussisch eingeschätzten politischen Programm angetreten. Dazu gehörten eine konsequente Abkehr von national-rumänischen Tendenzen in der Minderheiten- und Sprachenpolitik sowie die außenpolitische Anlehnung an Russland. Die Regelung des Transnistrienkonflikts betrachtete Voronin als Schwerpunktaufgabe, wobei er die Bereitschaft zu weit gehenden Zugeständnissen an Tiraspol signalisierte. In seiner Rolle als Vermittler erarbeitete Russland 2003 einen Regelungsvorschlag, dessen Entwürfe zunächst mit Chişinău abgestimmt wurden. Die im November vorgelegte endgültige Fassung dieses nach seinem Autor als Kozak-Memorandum bezeichneten Vorschlags enthielt jedoch derart weitgehende Vollmachten für Transnistrien und langfristige Stationierungsrechte für die Truppen Russlands, dass Voronin im Einvernehmen mit der OSZE-Mission seine Zustimmung verweigerte. Der Vorfall wird weithin als Schlüsselereignis gedeutet, das den im Verlauf des Jahres 2004 vollzogenen Politikwechsel Voronins hin zu einer prowestlichen Politik auslöste. Dieser neue Kurs wurde durch den erneuten Wahlsieg der Kommunistischen Partei bei den jüngsten Parlamentswahlen in Moldova bestätigt.

Seitdem sind die Fronten bei den Gesprächen über den Status Transnistriens verhärtet. Die moldauische Führung zeigt sich zunehmend frustriert vom mangelnden Fortschritt der seit nunmehr elf Jahren laufenden Verhandlungen und bemüht sich um eine stärkere Internationalisierung des Prozesses. Insbesondere wünscht Chişinău eine Ausweitung des Verhandlungsformats durch direkte Einbeziehung der Europäischen Union und der USA. Die EU hat inzwischen mit der Einsetzung eines Sonderbeauftragten für den Transnistrienkonflikt erstmals Bereitschaft zu einem stärkeren Engagement signalisiert, jedoch scheitert eine formelle Änderung des Verhandlungsformats bislang am Widerstand Russlands und der transnistrischen Führung. Eine weitere Forderung Chişinăus bezieht sich auf innere Reformen in Transnistrien. In den vergangenen Monaten hat sich in der moldauischen Regierung die Position durchgesetzt, dass die nicht durch demokratische Wahlen legitimierte Führung Transnistriens kein angemessener und insbesondere kein gleichberechtigter Verhandlungspartner Chişinăus sein kann. Über nahezu ein Jahr verweigerte Moldova die Wiederaufnahme der Verhandlungen mit Tiraspol.

Positive Impulse für den Prozess der Konfliktregelung resultierten in jüngster Zeit allein aus der aktiveren Rolle der Ukraine. Während Kiew über viele Jahre eine eher passive Position einnahm, führte die „orangene Revolution“ auch auf diesem Gebiet zu einer positiven Veränderung der ukrainischen Politik. Erstmals werden in der ukrainischen Öffentlichkeit der Transnistrienkonflikt als Problem erkannt und seine Regelungsmöglichkeiten breit diskutiert. Zugleich ist die um eine Westintegration bemühte neue ukrainische Führung offener gegenüber der Aufforderung von Seiten der EU, sich stärker um konstruktive Beiträge zur Konfliktregelung zu bemühen. Im April diesen Jahres legte Präsident Viktor Juschtschenko eine „road map“ für eine schrittweise Regelung der Statusfrage vor. Zwar lässt auch dieser Plan wesentliche Fragen offen, doch hat die ukrainische Initiative zu lebhaften Diskussionen und zumindest zu einem erneuten Verhandlungstreffen beider Seiten mit den drei Mediatoren OSZE, Russland und Ukraine geführt. Obwohl der Plan das Problem der fehlenden Demokratisierung Transnistriens erkennt, bieten die enthaltenen Vorschläge noch kein überzeugendes Rezept für kurzfristige Problemlösung. Vielmehr sind auf der Grundlage des ukrainischen Plans weitere Konsultationen aller beteiligten internationalen Akteure erforderlich.

Ausblick

Zur Beantwortung der Frage, warum der Transnistrienkonflikt trotz internationaler Bemühungen nach wie vor von einer dauerhaften politischen Lösung weit entfernt ist, muss vor allem auf einige grundlegende Probleme verwiesen werden:

  • Die OSZE hat der Bevölkerung Transnistriens in der Anfang der neunziger Jahre gegebenen politischen Situation das Recht auf einen besonderen Autonomiestatus innerhalb der Republik Moldau zugestanden, obwohl es bisher keine freie Willensäußerung dieser Bevölkerung gab. Zugleich wurde die demokratisch nicht legitimierte transnistrische Führung als Verhandlungspartner akzeptiert. Diese zur Einleitung einer Konfliktregelung sicherlich notwendigen und über viele Jahre von der moldauischen Regierung akzeptierten Schritte haben die transnistrische Sezessionspolitik zumindest teilweise legitimiert und zwangsläufig auch das Selbstbewusstsein Tiraspols gestärkt. Die Strategie Smirnovs zielt darauf, den Verhandlungsprozess selbst für seine Separationspolitik zu instrumentalisieren: Wer bereits von Chişinău und der OSZE als Verhandlungspartner anerkannt wurde, kann der eigenen Bevölkerung leicht suggerieren, Gegenstand der Gespräche sei die Anerkennung der „PMR“. Jede Vermittlungsaktivität steht vor dem Problem, legitime von nicht legitimen Ansprüchen der Kontrahenten trennen zu müssen und den unberechtigten Forderungen nicht ungewollt zur Durchsetzung zu verhelfen. Tiraspol als Verhandlungspartner zu akzeptieren, ohne einer Anerkennung der „PMR“ Vorschub zu leisten, bleibt eine schwierige Gratwanderung. Das Problem wird mittlerweile dadurch verschärft, dass die moldauische Regierung immer weniger bereit ist, das bisherige „fünfseitige“ Verhandlungsformat zu akzeptieren.

  • Die Akzeptanz der gegenwärtigen Tiraspoler Führung als Verhandlungspartner räumt dieser nicht nur faktisch ein Vetorecht bei den Gesprächen ein, sondern erschwert auch genau die inneren Reformen in der Region, die einen Kompromiss beider Seiten erst ermöglichen würden. Es ist insofern konsequent, dass sich Initiativen aus der moldauischen Zivilgesellschaft auf die Forderung nach Demokratisierung, Demilitarisierung und De-Kriminalisierung Transnistriens konzentrieren. Erst wenn es gelingt, die in Tiraspol herrschende Führungsschicht abzulösen und das Regime zu demokratisieren, wäre der Weg frei für eine transnistrische Regionalbewegung, die mit demokratischen Mitteln die legitimen Interessen einer sprachlich und kulturell mehrheitlich russisch geprägten Bevölkerung innerhalb der Republik Moldau vertritt. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind kompromissbereite Kräfte innerhalb der „PMR“ jedoch zu schwach, um eine solche Demokratisierung einzuleiten.

  • Nach wie vor ist die Rolle Russlands im Transnistrienkonflikt ambivalent. Einflussreiche Politiker in Moskau äußern mehr als deutliche Sympathie für die Tiraspoler Führung und leisten Smirnov vielseitige politische und wirtschaftliche Unterstützung. Auch der russischen Regierung scheint es am politischen Willen zu mangeln, alle verfügbaren Instrumente zur Lösung des Transnistrienkonflikts einzusetzen.

  • Schließlich hat auch der Westen bislang nur ein begrenztes Engagement gezeigt. Zwar mehren sich die Stimmen, die angesichts der aus der Konfliktsituation resultierenden vielfältigen Gefahrenpotenziale für Europa eine aktive Rolle der EU und der USA befürworten, doch rangiert Moldova auf der europäischen und amerikanischen Prioritätenskala noch auf einem unteren Platz.

Angesichts dieser Problemlagen gibt es für die Lösung des transnistrischen „frozen conflict“ sicherlich kein Patentrezept. Radikale Vorschläge wie die eines Abbruchs der Verhandlungen oder einer umfassenden Blockade der abtrünnigen Region bieten keinerlei Perspektiven, sondern bergen das Risiko einer erneuten Konflikteskalation. Zu Verhandlungen mit Tiraspol gibt es keine Alternative, doch müssen Ansätze für eine Demokratisierung der Region von allen Beteiligten stärker genutzt werden. Dabei bietet sich die neue ukrainische Regierung als konstruktiver Partner an.

Auch eine auf Kompromissen und dem guten Willen beider Seiten basierende Vermittlung benötigt effektive Instrumente zur Beeinflussung der Konfliktparteien. Angesichts der kompromisslosen Position der „PMR“ ist es auf Seiten des Westens erforderlich, unterhalb der Schwelle einer Blockade wirksamere Einfluss- und Sanktionsinstrumente gegenüber Tiraspol zu entwickeln und sämtliche politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen und Entscheidungen gegenüber Transnistrien an strenge Bedingungen zu knüpfen. Gezielt eingesetzte politische und wirtschaftliche Sanktionen könnten insbesondere die transnistrische Wirtschaft davon überzeugen, dass ein Austausch der politischen Führung im wohl verstandenen Interesse der Region liegt.