Die Kirchen Ungarns und der Slowakei bitten gegenseitig um Vergebung

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aus OWEP 4/2006  •  von  OWEP-Redaktion

Zwischen der Slowakei und Ungarn bestehen historisch bedingte Spannungen, die bis heute nachwirken und immer wieder Ursache für offene Auseinandersetzungen auf politischer Ebene werden. Dies ist in mehreren Beiträgen des vorliegenden Heftes angeklungen. Katholische Christen beider Länder bemühen sich um Abbau der Vorurteile und um eine Verständigung, die zu einer dauerhaften Aussöhnung führen soll. Diesem Ziel diente auch ein Versöhnungsgottesdienst am 29. Juni 2006 in der Basilika von Esztergom in Ungarn, an der Vertreter der beiden Bischofskonferenzen teilgenommen haben. Während des Gottesdienstes wurden die Briefe beider Bischofskonferenzen über Versöhnung und Zusammenarbeit unterzeichnet und eine Segensbotschaft Papst Benedikts XVI. verlesen. Im Folgenden werden Auszüge der beiden Briefe, übersetzt von Christof Dahm, wiedergegeben. (Quelle: Archiv von „Magyar kurir“, 29.06.2006, zu finden unter www.magyarkurir.hu, in englischer Sprache).

Brief der Ungarischen Bischofskonferenz an die slowakischen Bischöfe

Exzellenz, verehrter Herr Bischof,
liebe Mitbrüder im Bischofsamt,

für Ungarn ist dieses Jahr ein Jahr wichtiger Jubiläen. Dieses Jahr ist der 50. Gedenktag der ungarischen Revolution von 1956 und der 550. Gedenktag des Siegs von Belgrad gegen die Truppen Sultan Mehmets II., die von den Kämpfern unter János Hunyadi und dem hl. Johannes von Capistrano besiegt wurden und so Mitteleuropa verteidigten. Aus diesem Grund hat unsere Bischofskonferenz dieses Jahr zum Jahr des Gebetes und der geistlichen Erneuerung unserer Nation ausgerufen. Dieses Jahr soll nach unserer Vorstellung ein Jahr der Versöhnung, der Reinigung des Gewissens und, im Geiste Papst Johannes Pauls II., der Vergewisserung dessen sein, was christliche Liebe bedeutet ... Das ganze Jahr wird es dazu gemeinsame Gebete, Wallfahrten, kulturelle und geistliche Programme geben. Eine große Freude war es zu vernehmen, dass sich in der Slowakei viele Menschen dieser geistlichen Erneuerung als Individuum oder in einer größeren Gemeinschaft im Gebet angeschlossen haben ... Über tausend Jahre gemeinsamer Geschichte verbinden uns. Diese Geschichte war erfüllt von wertvollen Ereignissen wie der Ausbreitung des Christentums, der Verdichtung des christlichen Lebens und der Begründung der Zivilisation durch das Christentum. Großartig sind auch die Zeugnisse der Wissenschaft, Kunst und christlichen Kultur. Jedoch war es oft auch eine Geschichte gemeinsamer Kämpfe und Leiden, eine Geschichte, der die Seiten des Gegeneinanders und des Leids nicht fehlen. Diese Verletzungen über die Jahre hinweg haben eine Narbe auf unseren Seelen hinterlassen. Jetzt, wo wir vor Gottes Angesicht stehen, unser Gewissen erforschen und für unsere geistliche Erneuerung beten, bitten wir Gott um Gnade und Vergebung für alle beschämenden Untaten, die im Laufe der Geschichte an den Menschen verübt wurden, die in dieser Region mit ihrer je eigenen ethnischen, nationalen, sprachlichen oder kulturellen Identität lebten. Mit großer Traurigkeit denken wir an die leidvollen Untaten, die das ungarische Volk den Menschen und Gemeinschaften slowakischer Herkunft angetan hat. Zugleich erneuern wir vor dem Angesicht Gottes das Gefühl der Versöhnung und des tiefen Respekts, das tief empfundene Gefühl von Liebe und Vergebung, das unser Volk in der Vergangenheit aufgrund des individuellen oder gemeinsamen Leidens als Erfahrung brauchte. Wir vergeben und bitten um Vergebung ...

Wir bitten um Gottes Segen für das slowakische Volk, die katholische Kirche in der Slowakei, die Slowakische Bischofskonferenz und die Völker Europas. Wir bitten um die Fürbitte des hl. Adalbert, der hl. Märtyrer von Košice und aller früheren und künftigen Heiligen der Slowakei und Ungarns für unsere Völker und die Kirche, damit wir nach ihrem Beispiel leben können.

Ergebenst in brüderlicher Liebe,
die Mitglieder der Ungarischen Bischofskonferenz

Brief der Slowakischen Bischofskonferenz an die ungarischen Bischöfe

Liebe Mitbrüder im Bischofsamt,

die historischen Ereignisse des Heiligen Jahres 2000 und das freudige Überschreiten der Schwelle zum dritten Jahrtausend sind noch sehr lebendig in unserer Erinnerung, ebenso die Aufgaben, die der Heilige Vater Johannes Paul II. herausgestellt hat. Sein Ruf hat in der ganzen Welt ein Echo in Gestalt vieler schöner Initiativen gefunden. Unter diese können wir auch unsere wechselseitige brüderliche Bitte einreihen, die nicht nur in schriftlicher Form, sondern auch in persönlicher Begegnung erfolgt ist. Gemeinsam suchen wir nach dem Weg für eine Verständigung zwischen unseren Völkern, mit dem Blick auf Vergebung und Frieden.

Die Überzeugung, dass Jesus Christus der Herr der Geschichte ist, war eine der Grundlagen des Pontifikats Johannes Pauls II. Er rief jeden einzelnen und die Gemeinschaften dazu auf, „ihr Gedächtnis zu reinigen“, um so die Gnade der Vergebung im Hinblick auf die Treulosigkeiten zu erlangen, die sich viele Söhne und Töchter der Kirche hatten zuschulden kommen lassen ... Es geht um unsere gemeinsame Geschichte, die wir gestaltet haben und die uns nicht voneinander trennen kann ...

Unsere Erinnerungen reichen zurück in die Vergangenheit bis zu den Anfängen der Kirche in unseren Ländern. Zunächst war die Kirchengeschichte für unsere beiden Völker dieselbe. Wir wollen auf diese gemeinsame Vergangenheit zurückblicken, in der wir gegenseitige Angriffe und Konflikte finden, aber auch Erinnerungen, die der Heilige Geist gereinigt hat. Er erleuchtet unsere Erinnerungen, sodass wir sie aus seiner Perspektive sehen können.

In diesem Geist, liebe Mitbrüder im Bischofsamt, haben wir euren Brief mit großem Interesse und mit Genugtuung empfangen. In ihm lesen wir, wie ihr die Ereignisse in der Slowakei und in der Geschichte unserer Kirche mit Aufmerksamkeit verfolgt. Wir handeln ebenso, denn die Zukunft der katholischen Kirche in eurem Heimatland ist uns nicht gleichgültig. Auch wir kämpfen mit vielen Problemen, die den euren ähnlich sind. Aus diesem Grund haben wir mit Freude eure Initiative, die vom Heiligen Geist angestoßen worden ist, aufgenommen, mit der ihr ein Jahr der geistlichen Erneuerung in eurem Heimatland ausgerufen habt.

Mit großem Ernst betrachten wir die historischen Wahrheiten als das, was sie sind, und danken Gott aus ganzem Herzen und bitten für eine gemeinsame Vergebung und Erneuerung. So vergeben wir und bitten wir um Vergebung.

Gemeinsam mit unseren Brüdern im Bischofsamt wissen wir, dass das Christentum keine bloße Erinnerung an die Vergangenheit ist. Die Lehren der Geschichte weisen uns den Weg, ein gemeinsames Programm für den Auftrag, den uns Gott gegeben hat, zu suchen ... Wir wollen jede Form personeller oder nationaler Interessen vermeiden, um von jetzt an gegen christliche Prinzipien weder in Worten noch in Taten zu verstoßen ...

Möge der Herr unsere Bemühungen segnen ... Möge die selige Jungfrau Maria, die gemeinsame Beschützerin unserer Völker, mit allen Heiligen, die wir verehren, unsere Bemühungen und Handlungen unterstützen und für uns den Segen ihres Sohnes, unseres Herrn, erwirken.

Die Bischöfe der Slowakei