Ost-West-Wanderung. Migration im Europa des späten 20. und frühen 21. Jahrhunderts

aus OWEP 1/2013  •  von Jochen Oltmer

Prof. Dr. Jochen Oltmer ist Vorstandsmitglied des Instituts für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS) an der Universität Osnabrück.

Zusammenfassung

Mit der Öffnung des „Eisernen Vorhangs“ 1989/90 gewann die über Jahrzehnte stark beschränkte Ost-West-Wanderung wieder erheblich an Bedeutung. Die Bundesrepublik Deutschland wurde zum wichtigsten Ziel. Der Beitrag verweist auf die Dimensionen der neuen Ost-West-Migration und fragt nach den Hintergründen und Folgen der politischen Bemühungen in West- und Mitteleuropa, die Bewegungen zu kontrollieren, zu begrenzen und zu steuern.

Der globale Ost-West-Systemkonflikt teilte Europa von den späten 1940er bis zu den späten 1980er Jahren migratorisch in zwei Blöcke. Die Sowjetunion hatte bereits in der Zwischenkriegszeit ein an den Erfordernissen einer gewaltsamen Industrialisierungspolitik orientiertes Migrationsregime entwickelt, das auf die restriktive Lenkung von Arbeitskräften im Innern und auf die Beschränkung der grenzüberschreitenden Abwanderung ausgerichtet war. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gingen die neuen Satellitenstaaten der UdSSR den sowjetischen Weg. Die Arbeitswanderungen aus Ostmittel-, Südost- und Osteuropa, die seit dem späten 19. Jahrhundert die europäischen Migrationsverhältnisse im Zeichen von Industrialisierung und Agrarmodernisierung mitgeprägt hatten, fanden deshalb ihr Ende.

Nach der Überwindung der unmittelbaren Folgen des Zweiten Weltkriegs (Flucht, Vertreibung, Umsiedlung) beschränkten sich die Bewegungen zwischen Ost und West seit Ende der 1940er Jahre meist in begrenztem Umfang auf Abwanderungen von Minderheiten (z. B. Juden aus der UdSSR nach Israel bzw. in die USA oder Aussiedler insbesondere aus Polen und Rumänien in die Bundesrepublik Deutschland), auf Flucht oder Ausweisung von Dissidenten aus dem Osten in den Westen oder auf Phasen, in denen die Destabilisierung eines Staatswesens im Osten den kurzzeitigen Zusammenbruch der restriktiven Grenzregime zur Folge hatte. Das galt vor allem für die Aufstände in Ungarn 1956 und in der Tschechoslowakei 1968, deren Niederschlagung jeweils zur Abwanderung Hunderttausender führte. Einen Sonderfall bildete bis zum Bau der Berliner Mauer 1961 die DDR. Zwar wurde die innerdeutsche Grenze bereits Anfang der 1950er Jahre unüberwindbar armiert, die besondere Stellung Berlins aber ließ Grenzsicherungsmaßnahmen zwischen den alliierten Sektoren der ehemaligen Reichshauptstadt lange nicht zu, sodass DDR und UdSSR die Abwanderung von Ost-Berlin nach West-Berlin kaum kontrollieren konnten: Wahrscheinlich wanderten von der Gründung der beiden deutschen Staaten 1949 bis zum Bau der Mauer 1961 über 3 Millionen Menschen aus der DDR in die Bundesrepublik.

Erst mit der Öffnung des „Eisernen Vorhangs“ 1989/90 gewann die stark beschränkte Ost-West-Wanderung erneut erheblich an Bedeutung. Zum Teil knüpften nunmehr die europäischen Migrationsverhältnisse wieder an die Situation vor dem Zweiten Weltkrieg an. Strukturelle Voraussetzung dafür waren einerseits die weitreichenden politischen Krisen im Prozess der Systemtransformation in den Staaten Ostmittel-, Südost- und Osteuropas, andererseits das das gesamte 20. Jahrhundert kennzeichnende Ost-West-Ungleichgewicht in der Wirtschaftsleistung sowie das daraus resultierende erhebliche Einkommensgefälle. Im Jahre 2000, also zehn Jahre nach der weltpolitischen Wende 1989/90, erreichte beispielsweise das Bruttosozialprodukt pro Kopf in Ostmitteleuropa lediglich 36 Prozent des für West- und Mitteleuropa ermittelten Wertes. Das war im Vergleich zum Jahr 1910, als dieser bei 28 Prozent lag, eine nur relativ geringe Steigerung. Das Verhältnis der Durchschnittslöhne hatte sich in diesen beiden Teilen des Kontinents sogar noch zu Ungunsten Ostmitteleuropas verschoben: von 1 zu 4 im Jahr 1910 auf 1 zu 6 im Jahr 2000.

Während des „Kalten Krieges“ bildete die menschenrechtlich begründete Forderung nach einer Aufhebung der Beschränkungen der Freizügigkeit der Bevölkerung im Osten Europas ein Kernelement westlicher Argumentation. Zuwanderer aus Ostmittel-, Südost- und Osteuropa konnten in der Regel mit einer offenen Aufnahme in West- und Mitteleuropa rechnen, weil eine Abwanderung aus dem Osten als politisch motivierte „Abstimmung mit den Füßen“ zugunsten des Westens verstanden wurde. Mit den Grenzöffnungen 1989/90 und dem starken Anstieg der Zuwanderung reagierten die west- und mitteleuropäischen Staaten rasch mit Restriktionen und Abwehrmaßnahmen: Nicht nur die Stabilität der Arbeitsmärkte galt als gefährdet, vielmehr schien mit zunehmender Fremdenfeindlichkeit auch ein Anstieg gesellschaftlicher Konflikte zu drohen. Die vor diesem Hintergrund entwickelten Maßnahmen begrenzten den Umfang der Ost-West-Migration und pressten sie in erwünschte Bahnen, indem sie beispielsweise zeitlich befristet wurden. Das aber konnte nicht verhindern, dass die Ost-West-Migration die europäischen Migrationsverhältnisse im Jahrzehnt vor und nach der Jahrtausendwende nachhaltig prägte.

Nach den Grenzöffnungen 1989/90 sowie den Anfang der 1990er Jahre im Westen entwickelten Restriktionen zur Begrenzung und Kanalisierung der Migrationsbewegungen aus dem Osten Europas bildete die Osterweiterung der Europäischen Union (EU) 2004 und 2007 aufgrund der Freizügigkeit, die allen Unionsbürgern gewährt wird, die dritte zentrale Wegmarke für die Entwicklung der Ost-West-Migration im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert. Bevor diese Freizügigkeit einen größeren Teil der Bevölkerung Ostmittel- und Südosteuropas erreichte, gab es vor allem drei zentrale Wege des Zugangs für Migranten aus dem Osten Europas in die west- und mitteleuropäischen Staaten: 1. legale und illegale Arbeitswanderung, 2. Flucht sowie 3. konnationale Migration. Der Blick auf diese drei „gates of entry“ lässt nicht nur die Dimensionen der Ost-West-Wanderung deutlich werden, sondern zeigt zugleich auch die Genese der politischen Bemühungen in West- und Mitteleuropa auf, die Ost-West-Migration zu kontrollieren, zu begrenzen und zu steuern. Die folgende Skizze konzentriert sich dabei auf Bewegungen von Ost nach West. Die in weitaus geringeren Dimensionen aufgetretenen West-Ost-Bewegungen sowie interregionale Bewegungen in den Staaten Ostmittel-, Südost- und Osteuropas sowie Migrationen zwischen diesen Ländern werden demgegenüber vernachlässigt.

Arbeitsmigration

Ein Großteil der neuen Ost-West-Arbeitsmigration nach 1989 war zunächst ausgerichtet auf die westlichen Nachbarstaaten jenseits des ehemaligen „Eisernen Vorhangs“. Italien oder Griechenland wurden vornehmlich zum Ziel südosteuropäischer Zuwanderung, bei der insbesondere die albanische Migration ein hohes Gewicht hatte. Die Zuwanderung nach Österreich speiste sich vor allem aus Bewegungen aus Jugoslawien bzw. dessen Nachfolgestaaten, während in der Bundesrepublik Deutschland vornehmlich polnische Arbeitsmigranten beschäftigt wurden. Ein guter Teil der grenzüberschreitenden Arbeitsmigration blieb in den Bahnen von Pendelbewegungen oder saisonalen Wanderungen: In Grenznähe handelte es sich zum Teil um Tagespendler, in weiterer Entfernung um Wochenpendler, wobei die Distanzen auch viele hundert Kilometer betragen konnten wie im Falle polnischer Bauarbeiter oder Frauen im Bereich der haushaltsnahen Dienstleistungen, die in Belgien beschäftigt waren. Saisonarbeit bezog sich vor allem auf witterungsabhängige Beschäftigungen im Baugewerbe, in der Landwirtschaft und im Hotelgewerbe.

Migratorische Netzwerke beeinflussten die Wahl der Ziele und die Entwicklung von Schwerpunkten der Zuwanderung: Neuzuwanderer aus Ostmittel- und Südosteuropa gingen vielfach dorthin, wo sie auf Verwandte oder Bekannte trafen. So ist z. B. ermittelt worden, dass 56 Prozent der Zuwanderer aus dem Ausland, die insbesondere aus Südosteuropa zwischen 1989 und 1991 nach Wien kamen, hier über verwandtschaftlich-bekanntschaftliche Verbindungen verfügten und deshalb auf Hilfe bei den ersten Schritten nach der Ankunft (Arbeit, Wohnung) zählen konnten.

Unter den Ost-West-Migrationen dominierten zunächst die Bewegungen von Polen. Die registrierten polnischen Arbeitswanderer waren in den 1990er Jahren zu drei Vierteln in Deutschland beschäftigt. Um dauerhafte Einwanderung zu verhindern, illegale Arbeitswanderung zu bekämpfen und die Zuwanderung in diejenigen Arbeitsmarktbereiche zu lenken, in denen der Bedarf besonders hoch zu sein schien, vereinbarte die Bundesrepublik Deutschland als Hauptziel der Ost-West-Bewegungen Anfang der 1990er Jahre mit einem Großteil der Staaten Ostmittel- und Südosteuropas Abkommen zur Regelung der Arbeitsmigration – von Bosnien und Herzegowina und Bulgarien über Kroatien, die Tschechische Republik, die Slowakei, Serbien, Lettland, Makedonien, Polen, Rumänien bis hin zu Slowenien und Ungarn. Zentrale Elemente waren dabei die Beschränkung einerseits des Umfangs der Zuwanderung auf der Basis von Bedarfsanalysen der bundesdeutschen Arbeitsverwaltung sowie andererseits auf saisonale bzw. kurzfristige Tätigkeiten (meist ein bis drei Monate). Auch andere west- und mitteleuropäische Staaten schlossen in den 1990er Jahren und zu Beginn des 21. Jahrhunderts solche bilateralen Verträge, auch wenn sie nie das Gewicht der bundesdeutschen Regelungen erreichten. Im Jahre 2003 wurden im Rahmen bilateraler Verträge insgesamt 320.000 polnische Arbeitsmigranten beschäftigt, 95 Prozent davon in Deutschland.

Die restriktive Steuerung der Arbeitsmigration durch Deutschland trug mit dazu bei, dass andere Ziele in West- und Mitteleuropa an Attraktivität für polnische Zuwanderer gewannen. Seit Mitte der 1990er Jahre wuchs der Umfang der Bewegungen nach Spanien, Großbritannien, Belgien, Frankreich, Italien und schließlich auch nach Irland. Dass die Erwerbsbereiche in Deutschland seit Ende der 1990er Jahre auch zunehmend in weiter entfernt liegenden Gebieten Osteuropas Arbeitskräfte rekrutieren mussten, lag übrigens an der wirtschaftlichen Entwicklung in Polen selbst: Es entwickelte sich zum Zuwanderungsland, sodass auch polnische Arbeitswanderer, darunter viele hochqualifizierte Kräfte, wegen der verbesserten Erwerbsmöglichkeiten in ihre Heimat zurückkehrten. Das war schließlich auch der Hintergrund dafür, dass der vielfach erwartete starke Anstieg der Abwanderung aus Polen nach Mittel- und Westeuropa nach dem Beitritt Polens zur EU 2004 ausblieb – wie im Falle der anderen Beitrittsländer auch.

Fluchtbewegungen

Der Zusammenbruch des „Ostblocks“ bildete ein Konglomerat vielfältiger politischer Spannungen und Konflikte, die zu einem Teil in Bürgerkriegssituationen mündete. Krisenbedingte Migration war eine der Folgen. Ende der 1980er Jahre und Anfang der 1990er Jahre wuchs zunächst die Zahl jener Polen, Ungarn und Tschechoslowaken rasch an, die Asyl in Mittel- und Westeuropa beantragten. Bald folgten Rumänen, Bulgaren und Albaner. In West- und Mitteleuropa bildeten weitreichende politische Diskussionen um die Grenzen der Aufnahmebereitschaft und um den Missbrauch von Asylrechtsregelungen eine erste Reaktion, auf die bald Einschränkungen des Grenzübertritts und des Zugangs zu den Asylverfahren folgten.

Millionenfache Fluchtbewegungen hatte in den 1990er Jahren vor allem das Zerbrechen Jugoslawiens zur Folge, das in die Kriege in und um Slowenien im Sommer 1991, in und um Kroatien in der zweiten Jahreshälfte 1991 bzw. im Frühjahr und Sommer 1995, in und um Bosnien und Herzegowina 1992 bis 1995 sowie in und um Kosovo 1998/99 mündete. Nach Angaben des Flüchtlingshochkommissars der Vereinten Nationen gab es 1995 nicht weniger als 3,7 Millionen Flüchtlinge im Kontext des Jugoslawien-Konflikts, die innerhalb der Region ausgewichen waren. Hinzu kamen mehrere hunderttausend Flüchtlinge, die andere Staaten Europas für unterschiedlich lange Zeiträume aufnahmen.

Vor allem im Krieg um Bosnien und Herzegowina stieg die Zahl der Flüchtlinge in West- und Mitteleuropa stark an, während diese im Falle der anderen Konflikte vornehmlich in der Region blieben. Schätzungen gehen davon aus, dass wegen der kriegerischen Auseinandersetzung in und um Bosnien und Herzegowina rund 2,5 Millionen Menschen flohen. Etwa 600.000 von ihnen wichen innerhalb Bosnien und Herzegowinas aus, eine ähnlich hohe Zahl blieb in den Staaten der ehemaligen Bundesrepublik Jugoslawien. Ca. 1,3 Millionen Menschen flohen in andere Staaten, von denen wahrscheinlich rund die Hälfte EU-Staaten erreichte.

1997, also bereits nach dem Ende des Krieges, hielten sich noch rund 580.000 Flüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina in EU-Staaten auf, darunter mit 340.000 der größte Teil in der Bundesrepublik Deutschland. Die massiven Zerstörungen, insbesondere auch von Wohnraum und Infrastruktur, behinderten die Rückwanderungen, die in den späten 1990er Jahren allerdings rasch zunahmen. Vor allem Deutschland setzte dabei auf eine Politik des erhöhten Drucks zur Rückkehr: Ein prekärer Aufenthaltsstatus und Abschiebungen wirkten zusammen, weshalb sich die Zahl der Flüchtlinge aus Bosnien und Herzegowina in Deutschland bis 2003 auf ein Zehntel des Wertes von 1997 verringerte.

Im letzten Staatenbildungskonflikt in Südosteuropa, dem Krieg im und um Kosovo, blieben die Flüchtlinge demgegenüber ganz überwiegend in der Region selbst, überschritten die Grenzen der Nachbarstaaten, um nach dem Ende des Konflikts sogleich wieder zurückzukehren, erreichten aber nur selten Mittel- und Westeuropa: Von den rund 900.000 Flüchtlingen, die Kosovo im Frühjahr und Sommer 1999 verließen, nahm allein der Nachbarstaat Albanien 500.000 auf, Makedonien über 200.000, Montenegro wahrscheinlich 70.000. Demgegenüber nahm sich die Zahl von ca. 43.000 Asylanträgen in West- und Mitteleuropa zwischen April und Juni 1999 gering aus. Die Rückkehr des größten Teils der Kosovo-Flüchtlinge dauerte nur einige Wochen; bereits einen Monat nach dem Ende der Kampfhandlungen sollen 80 Prozent aller Flüchtlinge in das Kosovo zurückgekehrt sein.

Konnationale Migrationen

Ein Element des Anstiegs der Ost-West-Wanderungen nach den Grenzöffnungen 1989/90 bildete die Zunahme der Migration von Minderheiten, die zu einem Teil dann Staaten des Westens erreichten, wenn sich dort im „Kalten Krieg“ eine privilegierende Politik gegenüber solchen konnationalen Gruppen etabliert hatte. Der Zerfall des sowjetischen Imperiums Anfang der 1990er Jahre führte dazu, dass Millionen Russen und Ukrainer, die in den Nachfolgestaaten der UdSSR Angehörige von Minderheiten geworden waren, nach Russland bzw. in die Ukraine abwanderten. Schätzungen zufolgen sollen außerdem die 4 Millionen Menschen, die allein zwischen 1989 und 1992 Ostmittel-, Südost- und Osteuropa verließen, überwiegend Angehörige von Minderheiten gewesen sein. Zu den konnationalen Gruppen, die relativ günstige Aufnahmebedingungen vorfanden, zählten die wahrscheinlich rund 70.000 Pontosgriechen, die vor allem seit 1987 aus der UdSSR bzw. ihren Nachfolgestaaten nach Griechenland zuwanderten. Mehrere hunderttausend polnische „Repatrianten“ aus der UdSSR bzw. der Ukraine und Kasachstan kamen nach Polen. Hunderttausende Juden aus Osteuropa wanderten zudem nach Israel zu oder fanden mit dem Status des Kontingentflüchtlings Aufnahme in der Bundesrepublik Deutschland. Karelier strebten nach Finnland, Tschechen aus Wolhynien und Serbien in die Tschechische Republik, Slowaken aus Ungarn oder der Ukraine in die Slowakei. Den größten Umfang erreichte die Zuwanderung von Aussiedlern, die als Angehörige deutscher Minderheiten in Ostmittel-, Südost- und Osteuropa in der Bundesrepublik aufgenommen wurden.

Die Kategorie des Aussiedlers und dessen privilegierte Aufnahme waren bereits mit dem Bundesvertriebenengesetz von 1953 etabliert worden. Von 1950 bis 1987 erreichten fast 1,5 Millionen Aussiedler die Bundesrepublik Deutschland. Sie kamen überwiegend aus Polen und aus Rumänien. Mit der Öffnung des „Eisernen Vorhangs“ begann die Massenzuwanderung der Aussiedler: Von 1987 an gingen die Zahlen vor dem Hintergrund von „Glasnost“ und „Perestroika“ in der UdSSR rasch nach oben, seither kamen mehr als 3 Millionen Aussiedler in die Bundesrepublik Deutschland mit einem Schwerpunkt in den späten 1980er und in den frühen 1990er Jahren. Insgesamt wanderten in den sechs Jahrzehnten von 1950 bis heute mehr als 4,5 Millionen Aussiedler zu. Damit bilden die Aussiedler die zweitgrößte Zuwandererkategorie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Anfang der 1990er Jahre führte ein ganzes Bündel von Maßnahmen zu einer weitreichenden Begrenzung und Steuerung der Aussiedlerzuwanderung – zusammen mit Regelungen zur Förderung der deutschen Minderheiten in den Herkunftsgebieten und dem Nachlassen der Wanderungsdynamik angesichts der starken Abnahme des Kreises der Personen, die eine deutsche Herkunft geltend machen konnten. Seit Mitte der 1990er Jahre sank deshalb die Aussiedlerzuwanderung massiv ab und ist heute in der bundesdeutschen Wanderungsbilanz ein zu vernachlässigender Faktor: 2011 erreichte die Aussiedlerzuwanderung mit knapp über 2.000 Personen den niedrigsten Wert seit Beginn der Aussiedleraufnahme Anfang der 1950er Jahre.

Schlussbemerkung

Mit der Osterweiterung der EU haben sich die Rahmenbedingungen der Ost-West-Migrationsverhältnisse grundlegend verändert. Bis auf Bulgarien und Rumänien, deren Bürger ab Januar 2014 keinen Beschränkungen der räumlichen Bewegungen innerhalb der EU mehr unterliegen, herrscht Ost-West-Freizügigkeit. Seit den 1990er Jahren ist die EU zudem bestrebt, ein spezifisches EU-Migrationsregime zu entwickeln, dass nicht nur eine weitreichende Kontrolle der EU-Außengrenzen ermöglicht, sondern auch Einfluss auf die Migrations- und Grenzpolitik der Nachbarstaaten nimmt, um zu verhindern, dass die EU-Außengrenzen überhaupt erreicht werden können. Fluchtbewegungen vor dem Hintergrund politischer Krisen beispielsweise in Nachfolgestaaten der UdSSR, die schwierige Situation von Minderheiten (insbesondere Roma) im Osten und Südosten Europas, aber auch das im Blick auf viele Regionen Südost- und Osteuropas ausgeprägte Ost-West-Gefälle in der Wirtschaftsleistung und in den Einkommen wird allerdings dazu beitragen, dass Ost-West-Migration von außerhalb der EU auch zukünftig die migratorische Entwicklung Europas mitprägen wird.