Die tiefen Blicke

Der ungarische Filmregisseur und Produzent Barna Kabay (Porträt)
aus OWEP 2/2007  •  von Michael Albus
Barna Kabay. (Das Foto wurde freundlicherweise vom Interviewpartner zur Verfügung gestellt)

Barna Kabay ist ein stiller Mensch. Einer, der lange beobachtet, bevor er mit der Kamera kommt. Zu diesem Zeitpunkt hat er bereits vieles gesehen, ist aber offen und bereit, Neues, Augen-Blickliches wahrzunehmen. Er ist ein Ästhet, einer, der wahrnimmt und für wahr nimmt. Das kann man erfahren, wenn man seine Filme und Dokumentationen sieht. Die Augen gehen einem auf, manchmal auch über, und danach sieht man besser.

Barna Kabay wurde am 15. August 1948 in Budapest geboren. Nachkriegsjahre, Herrschaft des Kommunismus. Wie eine Jugend in diesen dunklen Zeiten, in denen ein Gespräch über Bäume ein Verbrechen war, sich entwickelte, können sich die Nachlebenden nur schwer vorstellen. Aber in dieser Zeit lernte Barna Kabay das Sehen, das Hinschauen.

Zuerst hat er Architektur studiert. 1973 erhielt er das TV- und Filmregisseurdiplom an der Budapester Universität für Theater- und Filmkunst. Von 1972 bis 1976 war er als Regisseur in der Spielfilmredaktion des Ungarischen Fernsehens tätig und nahm 1974 an der Gründung des Experimentalstudios des Ungarischen Fernsehens teil. Das war ein wichtiger Abschnitt in seinem Leben. In dieser Zeit arbeitete er als Co-Autor mit Imre Gyöngyössy zusammen. Über diesen Regisseur, der 1994 an den Spätfolgen der Haft und der Folter durch die Schergen des Kommunismus gestorben ist, kann man nicht leicht hinweggehen, über seine Filme nicht leicht hinwegsehen. Was die beiden den erstaunten Augen zu sehen gaben, hat viele Menschen tief berührt, berührt sie bis heute. Ihre Bilder streiften nicht nur die Oberfläche der Erscheinungen der so genannten wirklichen Welt, sie gingen unter die Netzhaut und unter die Haut der Welt.

Seinen ersten eigenen Kinofilm, „Legende vom Hasengulasch“ drehte Barna Kabay 1975. Bekannt aber wurde er in Deutschland durch das gemeinsam mit Imre Gyöngyössy produzierte Werk „Ein ganz gewöhnliches Leben“, die einfühlsame Verfilmung des Tagebuchs einer ungarischen Bäuerin. Dafür bekamen die beiden den renommierten Adolf-Grimme-Preis in Gold. Seit den achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts arbeitet Kabay als Co-Autor und später Co-Regisseur zusammen mit der Schauspielerin Katalin Petényi, der Ehefrau von Imre Gyöngyössy.

Seit 1980 lebt Barna Kabay in Starnberg und ist Geschäftsführer einer Filmproduktionsfirma, der Macropusfilm. Neben seiner vielfältigen und regen Tätigkeit als Produzent europaweit rezipierter Filme führt er weiter selbst Regie. Im Laufe der Zeit hat er sich immer mehr auf europäische Koproduktionen spezialisiert und arbeitet mit den großen europäischen Fernsehanstalten sowie Film- und Fernsehförderungen zusammen. Seit 1974 produziert er Kinderfilmserien, Spielfilme und Dokumentarfilme für Kino und Fernsehen und führt Regie gemeinsam mit Katalin Petényi.

Ein Blick auf die wichtigsten Filme von Barna Kabay zeigt dreierlei: Einmal die Perspektive der Heimat: Ungarische Themen ziehen sich von Anfang bis heute durch sein Schaffen. Zum anderen der Blick für wunderbare Geschichten am Rande eines schrecklichen und bedrohten Lebens. Die Zeichen unserer Zeit werden in den Filmen Kabays auf schöne und bestürzende Weise offenbar. Schließlich gerät die Offenheit Barna Kabays für wichtige und aktuelle Themen in den Blick. Die Bandbreite seiner Hinsichten, seine menschliche, politische, poetische Sensibilität ist eindrucksvoll, ja zuweilen wirklich faszinierend. Zugegeben: Das sind subjektive und emotionale Kategorien, die aber bei den bewegten Bildern und ihrer Wahrnehmung eine entscheidende Rolle spielen.

Für mich sind die drei stärksten Arbeiten aus der langen Reihe von Barna Kabays Arbeiten folgende: „Ein ganz gewöhnliches Leben“ (1977), „Hiobs Revolte“ (1982) und „Boatpeople“ (1987). Aber wenn ich diese persönliche Auswahl hier nenne, ist mir das schon wieder zu wenig. In Barna Kabays Filmen ist mehr zu sehen, als es zu sehen gibt. Seine Bilder erschließen eigene Bilderwelten, sie machen die Seele weit und halten das Herz offen.

Die letzte große Filmdokumentation, die Barna Kabay als Co-Regisseur und Produzent zusammen mit Katalin Petényi im Jahre 2005 vorgestellt hat, trägt den Titel „Der Vermittler“. Sie berichtet über die ungarische Benediktinerabtei Pannonhalma, in ihrer Mitte Erzabt Asztrik Várszegi. In dieser Dokumentation wird die Geschichte Ungarns, die Geschichte Europas, die aktuelle Frage nach der Antwort der Religionen auf Fragen und Nöte der Menschen von heute sichtbar. Diese Dokumentation ist, so scheint mir, im Schaffen von Barna Kabay eine Rückkehr zu seinen tiefsten Wurzeln, ein Aufblick zu den höchsten Zweigen seines Arbeitsbaumes und ein Ausblick von dort auf die Weite der Lebenslandschaft und die sie begrenzenden und bestimmenden Horizonte. „Der Vermittler“ ist ein wichtiger Teil der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft von Barna Kabays Leben und Schaffen. In dieser Arbeit gibt er sich und den Zuschauerinnen und Zuschauern durch das Medium der Bilder eine ganz besondere Antwort auf die wichtigsten Fragen, die sich in einer zunehmend unübersichtlicher werdenden Welt stellen. Er schlägt eine Bilderschneise durch den Urwald des modernen Lebens.

Ein grundlegender Aspekt sei zum Schluss noch ausdrücklich genannt. Barna Kabays Filme und Dokumentationen geben insgesamt durch die Art und Weise, wie sie „gemacht“, gestaltet sind, eine grundlegend wichtige Antwort auf unser heutiges Leben: Sie sind bestimmt von einer heilsamen und heilenden Langsamkeit inmitten der großen und zerreißenden Hektik persönlicher und gesellschaftlicher Lebensprozesse. Insofern sind sie im wahrsten Wortsinn auch therapeutische Filme. Beim Anschauen kommt, trotz der Dramatik vieler Geschichten, das Herz zur Ruhe. Film ist und bleibt ein emotionales Medium. Aber es regt auch den schärfsten Verstand noch an, macht ihn sensibel für das, was wirklich wichtig ist im Leben.

Barna Kabay lehrt sehen, schenkt tiefe Blicke.