Monster & Co.

Der Autor ist Schriftsteller und lebt in Belgrad.

Woodwork Squeeks And ... Out Come the Freaks"
– Out Come the Freaks, Was (not Was), 1981

Dragan Marković Palma: Kingpin im Angriff auf Europa

Er ist kräftig, hochgewachsen mit breiten Schultern, fantastisch dick, mit einem riesigen Kopf. Er hat einen Brustkorb wie ein Fell, einen Stiernacken, an dessen unterem Ende sich die Speckschichten aufeinander legen, und einen eindrucksvollen Schädel, der so sorgfältig rasiert ist, dass er unter der Sonne wie eine Billardkugel glänzt, jedoch noch intensiver unter Blitzlicht und Scheinwerfern, die ihn überall hin begleiten. Er trägt teure Anzüge, tadellose Hemden und eine ganze Sammlung von verschiedenen Seidenkrawatten und -schals. Er fährt in einer Limousine, die von schwarzen Hummer-Jeeps umgeben ist, in denen ebenso großköpfige Leibwächter zu sehen sind mit dunklen Brillen und Kopfhörern im Ohr.

Sie glauben, das ist der berüchtigte Kingpin, einer der gefährlichsten und bekanntesten Erzfeinde von Spiderman? Falsch.

Es geht um den Bürgermeister der serbischen Kleinstadt Jagodina (36.000 Einwohner), Dragan Marković Palma, geboren 1960 im Dorf Konačarevo bei Jagodina.

Autoritär, nahe an der Selbstvergötterung und am primitivsten Populismus, Initiator eines unglaublichen lokalen Personenkults, wie es ihn wahrscheinlich von hier bis Nordkorea sonst nicht mehr gibt, Führer einer kleinen politischen Partei „Einiges Serbien“, ehemaliger Freund und enger Mitarbeiter des ermordeten Untergrundbosses und Kriegsverbrechers Željko Ražnatović Arkan, stolzer Besitzer des lokalen Fernsehsenders „Palma Plus“ und des Kickboxclubs „Palmas Tiger“, des lokalen Aquariums und des Zoos sowie der städtischen Eislaufbahn und noch einiger anderer Einrichtungen: So ist dieser erschreckend korpulente Mann das Bild, ja das Urbild eines serbischen Kleinstadtdespoten.

Aber noch mehr: Der genannte Dragan Marković Palma ist, kurz gesagt, der lokale Gott. Die Bürger der Gemeinde Jagodina verehren ihn bis zum Irrsinn. Sie umkreisen ihn, wo auch immer er sein mag – vorausgesetzt, es ist in der Nähe von Jagodina – und sehen ihn von unten mit riesiger kindlicher Erwartung an, wie man eben einen Gott ansieht. Oder wenigstens ein goldenes Kalb.

Diese alltägliche Verehrung wird in den Beiträgen des lokalen Fernsehsenders mit dem genialen Namen „Palma Plus“, die den Aktivitäten des immer beschäftigten hyperenergischen Besitzers und Bürgermeisters gewidmet sind, noch unterstützt und in eine bestimmte Richtung gelenkt. In diesem Fernsehsender, der unermüdlich eine einheitliche Jagodina-Weltanschauung propagiert, wirkt der allmächtige, barmherzige, lebensspendende und viel verehrte Gott Palma jedenfalls wichtiger als jeder andere serbische Politiker, vom Gesindel aus der weiten Welt wie George Bush, Angela Merkel oder Nicolas Sarkozy ganz zu schweigen. Es ist nur eine Frage der Zeit, wann viele Straßen und Plätze in Jagodina nach ihm benannt werden und wann sie mit Statuen und Denkmälern mit dem erhabenen Bild des Großen Füh… – Entschuldigung – Bürgermeisters geschmückt werden.

Dass die Massen den Faschismus erwarten, dass Faschismus niemals und nirgends aufgezwungen wurde, sondern dass er gewünscht und durch eine breite Unterstützung der Bevölkerung gestärkt wurde, ist uns schon seit langem bekannt; diese These wird mit diesem Beispiel nur nochmals bestätigt. Die Handlung spielt im Jahr 2008, der Raum ist der westliche Balkan, oder genauer, Serbien, das fast ein ganzes Jahrzehnt nach all den Kriegen der neunziger Jahre verarmt, erniedrigt, orientierungslos war und nicht im Stande ist zu verstehen, welche Fehler es begangen hat und was es machen muss, um seine Bürger mit diesen Fehlern zu konfrontieren, um sie auf eine neue, wenigstens etwas hellere Zukunft vorzubereiten. Ein äußerst instabiler politisch-ökonomischer Übergangsprozess vollzieht sich, der vor allem durch die schmerzhafte Abtrennung der früheren südlichen Provinz Kosovo und die bis vor kurzem langsame und unentschlossene Verfolgung der Kriegsverbrecher gekennzeichnet ist. Niemand weiß genau, was die Zukunft bringt. Das ist genau das Klima, das allen Mikro-Hitlers gut tut, allen Megapopulisten im Kleinen, und Dragan Marković Palma ist gerade so, wie er ist – explosiv, unvorhersehbar, unerzogen, arrogant und grob – in mehrfacher Hinsicht indikativ für die augenblickliche politische Situation in Serbien. Er ist unser richtiges Maß. Und neben allem bisher Gesagten ist dieser Kingpin aus Jagodina gleichzeitig auch direkt verantwortlich für die Niederlage der nationalistischen Kräfte und politischen Parteien bei den unlängst abgehaltenen Wahlen und für die Schaffung der Bedingungen, dass Serbien sich endlich ernsthaft an die Europäische Union annähern kann.

Wie ist das überhaupt möglich, werden Sie fragen. Ich werde sofort und ohne Zögern antworten: Es ist leider möglich. Und wie es möglich ist! Es ist ganz einfach möglich in Serbien, im Land von der anderen Seite des Spiegels.

Ivica Dačić: Ein Klon von Milošević in der sozialistischen Internationale

Die (Mini)Partei von Dragan Marković Palma mit dem Namen „Einiges Serbien“ ist Mitglied in einer Dreierkoalition, die sich zur Teilnahme an den außerordentlichen Parlamentswahlen gebildet hatte, die am 11. Mai dieses Jahres abgehalten wurden. Die anderen beiden Köpfe dieser Hydra sind die Sozialistische Partei Serbiens, die irgendwie die Periode des Machtverlusts nach dem katastrophalen Ende der verbrecherischen Politik überlebt hat, welche diese Partei konsequent in den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts unter der Führung ihres ersten Vorsitzenden und Gründers Slobodan Milošević durchgeführt hat, und ein Rentnerverband, der sich unter einer unabsichtlich komischen Abkürzung gebildet hat – PUPS. Die Rentner waren bis vor kurzem die stabilste Basis der Sozialisten und haben auch heute unrealistisch hohe Erwartungen an sie.

Vor den Wahlen schien es, als ob sich die Wähler am meisten vom äußeren Aussehen der drei Parteiführer, die auch prompt Trio fantasticus genannt wurden, beeindrucken ließen. Das waren der bereits beschriebene lokale Gott Palma, dann der etwas karikaturistische Führer der Sozialisten, Ivica Dačić, geradezu das Abbild eines von der Leine gelassenen Parteiapparatschiks, einst ein Klon von Milošević, dessen Appetit in der Zeit gewachsen ist und der zu aller Überraschung mit der Zeit auch einzelne individuelle Eigenschaften aufgezeigt hat, und last but also the least, der wackelige, uralte Führer von PUPS, ein gewisser Jovan Krkobabić, über den sich wirklich nichts Besonderes sagen lässt.

In einem für das moderne Serbien typischen Konflikt zweier dominanter und scharf entgegengesetzter Ideologien – (harte) Nationalisten gegen (mehr oder weniger weiche) Europäer – hatte niemand ernsthaft mit dem erwähnten Dreierbündnis kleinerer Parteien gerechnet, das sich irgendwo in der Mitte befand. Es diente vor allem zu einem komischen Intermezzo, über das wir uns ein wenig amüsiert haben, wenn wir uns von dem Übermaß an Eifer und Gift erholen wollten, das ansonsten die gegenwärtige serbische Politik charakterisiert. Und das „Trio fantasticus“ – Kingpin, der Klon von Milošević und der Methusalem – war für uns wie zu diesem Zweck geschaffen. Niemand konnte sich vorstellen, welche Kraft und welches Potenzial in dieser prinzipienlosen dreiköpfigen Koalition von politischen Outsidern verborgen waren. Das dauerte solange, bis uns dank der kalten mathematischen Logik der Wahl und der Pattposition, in der sich nach der Verkündung der Ergebnisse die wichtigsten Favoriten befunden haben, klar wurde, dass genau diesem Dreierbündnis die Rolle des Züngleins an der Waage zugeteilt war – eine Rolle, die sich, wie sich bald zeigte, ordentlich und auf verschiedene Weise zu Kapital machen ließ.

Für Palma gab es kein Dilemma zwischen Nationalstolz und Öffnung zu Europa im Interesse eines besseren Lebens. Wie jeder Despot, der nur auf sich selbst hört, hat er lange vor Dačić und jenem Dritten offen gesagt, dass eine Zusammenarbeit ihrer Koalition mit den (harten) Nationalisten absolut unmöglich sei, und zwar genau wegen deren resolut anti-europäischer Position. Denn Palma weiß gut, dass seine Ambitionen nur dort ungestört blühen und gedeihen können, wo der Zugang zum Geld leicht ist, wo also die Möglichkeiten größer sind. Einzig in dieser Intention ist sein unerschütterliches „Europäertum“ begründet. Im Unterschied zum redseligen Palma hat in den ersten Tagen nach der Wahl der Führer der Pensionäre geschwiegen und darauf gewartet, dass klügere und wichtigere als er selbst zuerst sprechen, während der Führer der Sozialisten, Ivica Dačić, im Eifer des unerhofften „Sieges“ praktisch unaufhörlich in den verschiedenen Medien präsent war. Er ist aufgegangen wie ein Hefeteig im Bewusstsein, dass das Schicksal des Landes von ihm abhängt. Und dabei wirkte er sehr ernsthaft, wie das einem wichtigen Politiker auch ansteht, der mit eigener Hand am empfindlichen Textil der Geschichte webt, auch wenn seine Äußerungen von Tag zu Tag immer finsterer wurden. Kurz, er hat das Eine gesagt und das Andere getan und etwas Drittes gedacht. Oder, wie das bei uns so schön heißt, „den Handel festgemacht“.

Die Verhandlungen mit den (harten) Nationalisten, denen sich diese unverhofft populäre Koalition unvorsichtigerweise im Vorfeld versprochen hatte, endeten rasch. Verabredungen wurden getroffen und gleich danach wieder aufgelöst. Der Führer der Sozialisten sah sich zerrieben zwischen der natürlichen Hingabe an die alten Ideale von politischer Dummheit, kurzsichtigem Opportunismus und reiner Bosheit, wie sie so überzeugend sein einstiger Mentor Milošević vertreten hatte, und dieser neuen pro-europäischen materialistischen Habgier, die sich für ihn plötzlich als ganz unerwartete Möglichkeit öffnete. Besonders faszinierte Dačić jenes diskret gegebene Versprechen, die Sozialistische Partei Serbiens würde unter der Voraussetzung, sie entschiede sich für eine Regierung mit der „Bewegung für ein europäisches Serbien“, bald auch einen Antrag auf Mitgliedschaft in der Sozialistischen Internationale stellen können. Dabei interessierte ihn nicht so sehr die Sozialistische Internationale selbst (für sie und ihre Ideale interessiert er sich nicht) als vielmehr die Möglichkeit, sich mit dieser internationalen Legitimität vom schweren Ballast der Verbindung mit dem verstorbenen Milošević zu befreien und, was noch wichtiger ist, die glänzenden finanziellen Mittel, über die die Sozialistische Internationale verfügt. So hat Dačić nachgegeben und in seinen kleinen Augen leuchteten am Schluss auch die Eurosymbole; diese Miniaturkoalition hat schließlich eine historische Entscheidung getroffen: Sie hat sich für das entschieden, was in unserem Volk populär „europäischer Weg“ heißt.

Radovan Karadžić alias Dragan (Dr. David) Dabić: Der flüchtige Bioenergetiker in Scheveningen

Der arme Ivica Dačić! Im schweren Kampf für die Positionierung nach den Wahlen sah es so aus, als müsste gerade er den meisten Sinn für Kompromisse haben. Auch wenn er im Laufe der Verhandlungen offenbar glaubte, dass er reale Chancen hätte, den Rang des Premierministers zu erreichen, war er gezwungen, sich mit dem Posten des ersten stellvertretenden Regierungschefs und zugleich dem des Ministers für innere Angelegenheiten zu bescheiden. Doch er konnte nicht unzufrieden sein. Diese Position gab die lang verlorene Kontrolle über eines der wichtigsten Machtzentren im Land den Sozialisten wieder in die Hand. Alles verlief nach Wunsch, wenigstens für kurze Zeit. Doch dann, nur ein paar Tage nach der offiziellen Amtseinführung und dem Amtsantritt, fiel plötzlich die heißeste Kartoffel in den Schoß von Dačić, die man sich überhaupt nur vorstellen kann. Das Büro des Präsidenten der Republik (und danach auch alle Medien) meldete die sensationelle Nachricht von der Identifizierung und Verhaftung des langjährigen Flüchtlings vor dem Haager Tribunal: Radovan Karadžić. Wenn man nicht Dačić ist, der entsprechend dem schwammigen Wesen seines Charakters prompt mit der Erklärung an die Öffentlichkeit ging, dass er als Polizeiminister mit dieser Verhaftung aber auch wirklich überhaupt nichts zu tun habe, und wenn man nicht zu denen gehört, die aus offen homoerotischen Motiven Radovan Karadžić die ewige Liebe erklären, die behaupten, dass sie bereit seien, ihr Leben für ihn zu geben, wenn es notwendig ist, die ihn in neu komponierten epischen Versen besingen und sein Bild tief in den serbischen Herzen tragen – wenn man also all das nicht ist, dann hätte einen wahrscheinlich diese Nachricht als greifbarer Beweis dafür erfreut, dass sich die Dinge bei uns tatsächlich langsam bewegen, dass nicht alles nur Lug und Trug und Auf-der-Stelle-Treten ist.

Doch dann folgten die Informationen über die Details seines dreizehnjährigen Verstecks, eine schlimmer als die andere. Man kann eigentlich nicht anders, als Radovan Karadžić auch ein bisschen zu bewundern. Wir wussten alles Mögliche über ihn, aber dass er zugleich ein so geschickter master of deception ist, wussten wir nicht. Wie ein Heiliger hat Karadžić in einigen tapferen, fast künstlerischen Zügen – jedenfalls wesentlich erfolgreicher als seine „Poesie“ – sein wohlbekanntes Angesicht von Grund auf neu definiert, das bekannte Gesicht, das irgendwo zwischen einerseits einem zerzausten Dichter und Psychiater war, der sich aus Versehen der Politik gewidmet hat und für den wahrscheinlich selbst auch ein paar Fachtherapien auf der Couch gut gewesen wären, und andererseits einem primitiven Untäter mit herabgelassenen Schultern und zusammengepressten, geraden Lippen, die seinem Gesicht jenen uns gut bekannten, unangenehmen Ausdruck eines Reptils verliehen haben. Auf den neuesten Bildern sahen wir etwas ganz Neues. Machen Sie sich also bekannt mit dem „Neuropsychiater und Bioenergetiker“, Dragan „Dr. David“ Dabić, einem schlanken und aufrechten Mann höheren Alters, mit langem, dichtem, weißem Bart und ebenso langem Haar, das zum Zopf geflochten ist, ganz schwarz angezogen, mit Brille und immer einem weißen Panama-Hut mit breiter Krempe. Unter der undurchdringlichen Maske eines esoterischen Heilkundigen im Aussehen eines älteren Hippies aus Venice Beach hat sich Karadžić so verborgen, wie sich nur die Geschicktesten verbergen können. Er war nämlich die ganze Zeit da, unter uns, und er hat ein ganz normales Leben geführt. Er hat sich mitten in Belgrad bewegt und frei gearbeitet – er hat Leute mit Berührungen und anderen „fortschrittlichen“ Methoden „geheilt“, er hat orthodoxe Schweigeübungen als legitime lokale Form der transzendentalen Meditation vorgeschlagen, er hat Artikel und Texte für einige Zeitschriften aus dem Bereich des gesunden Lebens und der Ernährung geschrieben und an Podiumsveranstaltungen teilgenommen, die der alternativen Medizin, der gesunden Ernährung und verschiedenen esoterischen Disziplinen gewidmet waren.

Einige hiesige Boulevardkolumnisten, die das böse Schicksal dieses Kriegsverbrechers beklagt haben, haben auch erwähnt, dass an diesem 23. Juli, als die Meldung von Karadžićs Verhaftung bekannt gegeben wurde, über Belgrad grauer, schwerer Regen fiel. Sie wollten damit wohl sagen, dass auch die Himmel sich am Schicksal dieses einzigartigen Menschen betrüben. Wie soll dann das serbische Volk das nicht tun? In Wirklichkeit hat die ganze Sache das psychologische Gleichgewicht eines durchschnittlichen serbischen Bürgers nicht besonders gestört. Ein solcher ist schon lange ruhig geworden und reagiert nicht mehr. Und die Sonne hat schon am nächsten Tag wieder geschienen. Ganz verräterisch!

Doch seit der Verhaftung von Karadžić gibt es in Belgrad Proteste von jenen, die ihn für einen Märtyrer halten, ein Opfer der Weltungerechtigkeit und einen echten Sohn des serbischen Volkes, dessen Freiheit sie mit der Freiheit der ganzen Nation gleichsetzen. Nach den chaotischen Gewaltakten, die im Zentrum der Stadt schon am Tag nach der Verkündigung der Nachricht von seiner Verhaftung ausgebrochen waren, wurden die Proteste in täglichen Demonstrationszügen artikuliert. Einige Zwischenfälle, die vor allem gegen Journalisten gerichtet waren (die „Demonstranten“ haben einen Kameramann des Belgrader Fernsehsenders B92 verprügelt), hat die führenden Medienhäuser in Serbien dazu gebracht, dass sie gemeinsam diesen Protest ignorieren, der schon nach wenigen Tagen zu einem unauffälligen Alltagsgeschehen wurde, auf das kaum jemand Rücksicht genommen hat. Doch dann wurde ein Unterstützungsmeeting für Radovan Karadžić am 29. Juli im Zentrum von Belgrad angekündigt. Angekündigt waren zu diesem „friedlichen Meeting“ Hunderttausende von Bürgern, um der ganzen Welt ihren Unwillen gegen die brutalen Ansprüche und Entscheidungen der bösen Europäischen Union zu zeigen, die ja vor allem deshalb existiert, um die armen, unschuldigen Serben zu ärgern und ihre glänzendsten Bürger, ihre Crème und ihre Helden zu verhaften und in ein kaltes, feindliches Den Haag oder Scheveningen zu bringen.

Es war ein heiterer und heißer Abend am 29. Juli, als die patriotisch eingestellten Bürger sich im Zentrum von Belgrad versammelten, um ihrem Zorn Ausdruck zu verleihen; tatsächlich in erheblich geringerer Zahl als angekündigt, knapp 20.000, aber man darf hier nicht hämisch sein. Die erregten „Führer“ haben sich von einer Bühne an die „versammelte Masse“ gewendet, während am Rand dieser versammelten Menschenmenge eine Gruppe von etwa 200 Hooligans unaufhörlich die Polizei provozierte, indem sie die in Reihen aufgestellten Polizisten mit Steinen, Feuerwerkskörpern und Stangen bewarfen. Als sich die Polizisten dann tatsächlich bewegten, haben sich die Hooligans auf eine wüste Schlägerei mit ihnen eingelassen, wobei sie nebenbei alles drum herum zerstörten und vernichteten. Irgendwo aus dem Hintergrund drangen die dramatischen Stimmen der Redner, Karadžić hier und Karadžić dort, aber diese jungen Männer in den Trainingsanzügen mit Baseballkappen auf der Stirn, Kapuzen über den Köpfen oder T-Shirts, die sie über die Gesichter gezogen haben, waren nicht gekommen, um sich Reden anzuhören. Sie wissen ganz wenig von diesem Radovan Karadžić – „Mensch du, der ist Serbe? Dann muss er doch cool sein“, usw. – aber er interessiert sie auch nicht allzu sehr. Sie sind ganz einfach gekommen, um sich mit den Bullen zu schlagen. Die Polizei hat ihrerseits entschiedener und energischer als in den vorhergehenden Tagen reagiert und so Gewalt von größerem Ausmaß verhindert. Der Protest ist einfach misslungen, ein völliges Debakel. Der Protestmarsch wurde abgesagt, viele unschuldige Bürger haben in dem Chaos, das entstand, Prügel bezogen, und von den Hooligans war mit Ausnahme der verprügelten und festgenommenen keine Spur mehr. Bevor sich irgendjemand in dem entstandenen Chaos zurechtfand, hatten sie sich schon in ihr Versteck zurückgezogen, um sich für den nächsten Tag ein neues Vergnügen auszudenken.

Die Medien haben an diesem Abend keine andere Wahl gehabt, als schamlos das tote Pferd zu peitschen und unermüdlich die paar armseligen Aufnahmen von der Schlägerei zwischen den Hooligans und der Polizei zu wiederholen. Das dauerte, bis sich zu ihrem Glück plötzlich eine Nachricht vernehmen ließ, die sie alle sofort meldeten. Das holländische Fernsehen habe inoffiziell bekannt gegeben, dass der Prozess der Auslieferung von Radovan Karadžić nach Den Haag begonnen habe! Das holländische Fernsehen dementierte jedoch schnell und scharf, dass es jemals eine solche Information offiziell oder inoffiziell bekannt gegeben habe. „Radovan Karadžić wird doch nicht im Laufe dieser Nacht in die Hafteinheit Scheveningen ausgeliefert, wie man es zunächst erwartet hatte“, erklärte uns die Moderatorin mit ihrer suggestiven Stimme, und wir haben daraufhin nur mit den Schultern gezuckt. Also nichts. Berge haben gekreißt und ein Mäuschen wurde geboren, nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal. Und deswegen sind wir direkt ins Bett gegangen, nur um am frühen Morgen des 30. Juli zu erfahren, dass Karadžić doch im Verlauf der vergangenen Nacht nach Scheveningen überstellt worden ist. Um diese Behauptung zu unterstreichen, hat man uns die Aufnahme eines nicht identifizierten Helikopters gezeigt, der in einem Hof zwischen hässlichen Gebäuden landet. An alles andere mussten wir selber glauben. Aber wir haben es geglaubt. Radovan Karadžić ist – jetzt war es völlig klar – an seinem neuen Bestimmungsort angekommen: Europa, Holland, Scheveningen, Luxusgefängnis (okay, okay, Hafteinheit) mit Zellen von 15 qm, mit Dusche, Fernseher und Kaffeemaschine, mit Breitband-Internetzugang und Kursen für Kunst, Fremdsprachen und Kochen. Er ist jetzt also dort, wo er übrigens so lange schon hin gehört.

Monsters Inc.

So, das ist jetzt das Ende. Das Ende dieses Textes natürlich, aber auch noch viel mehr. Das Ende einer Ära oder einer Episode wenigstens.

Komisch, aber spüren Sie nicht, dass wir Ihnen jetzt, wenn Karadžić endlich dort bei Ihnen im Herzen Europas ist, wenn auch die Sozialisten von Dačić, die Initiatoren aller Kriege aus den neunziger Jahren, vor der Mitgliedschaft in der Sozialistischen Internationale stehen und wenn auch Palma, diesen irrsinnigen Kleinstadtdiktator mit dem Aussehen eines Verbrechers aus dem Comicstrip, nicht mehr viel vom Europäischen Parlament trennt, dass auch wir alle näher sind? Wir vom Subkontinent. Wir vom westlichen Balkan. Wir Serben.

Wir mit unseren großen Köpfen. Wir mit unseren durchgehenden, dichten Augenbrauen. Wir mit unseren orientalisch dunklen Blicken. Wir mit unserem zu lauten Gelächter, mit unserer zu lauten Musik, mit unseren ungehobelten Manieren, mit unseren zu starken Emotionen und mit der zu fetten und zu stark gewürzten Nahrung. Unverbesserlich anders.

Europäer, die das vielleicht gar nicht sind. Die man vielleicht doch besser für immer auf Distanz hält. Und Sie lassen gerade Ihre letzte Chance dafür aus, denn … die Barbaren kommen! Die Monster stehen vor der Tür! Nichts kann sie mehr aufhalten. Man kann uns schon sehen im Dunst, der uns zu lange getrennt und uns in sicherer, angenehmer Entfernung von Ihnen gehalten hat.

Was denken Sie darüber? Gefällt Ihnen das? Oder nicht? Stört es Sie? „Ihr habt uns gerade noch gefehlt“, denken Sie vielleicht mit einem leisen Seufzen? „Wir haben doch schon genug mit diesen Polen und Slowaken, von den Bulgaren und Rumänen gar nicht zu sprechen“, fügen Sie hinzu? „So haben wir uns das nicht vorgestellt“, beklagen Sie sich?

„Bei den nächsten Wahlen muss man unbedingt für die Ultrarechten stimmen, nur sie haben wenigstens irgendwelche Lösungen“, denken Sie sich heimlich?

Aber all das ist so im Ganzen gesehen eine ganz neue Geschichte. Die Sage wird sich deswegen nach allem zu urteilen fortsetzen ...

Aus dem Serbischen von Thomas Bremer.