Serben in Kroatien: heimatlos?
Der Beitrag bildet eine Ergänzung zum Hintergrundbericht von Dunja Melčić: Serben in Kroatien. In: OST-WEST. Europäische Perspektiven 9 (2008), H. 1, S. 73-80 (der gedruckten Ausgabe). Dort zeigte sich, dass es in Kroatien ermutigende Beispiele der (Wieder-)Integration der serbischen Minderheit gibt. Dass es allerdings vielerorts noch anders aussieht, geht aus den nachstehenden Zeilen hervor.
Als in Belgrad die Botschaften von Ländern brannten, die das Kosovo anerkannt hatten, konnte man leicht vergessen, dass auch Serben Opfer der Kriege auf dem Balkan waren. Die Korrespondentin der katholischen Krakauer Wochenzeitung „Tygodnik Powszechny“ berichtet über deren Lage.
Die ganze Kindheit und Jugend verbrachte Igor in Dubrovnik. Hier spielte er Verstecken zwischen den alten Mauern, übte sich in Judo, trank heimlich Wein. Ähnlich wie seine Altersgenossen, ganz gleich ob sie Kroaten, Serben oder Juden waren. Hier küsste er zum ersten Mal seine zukünftige Frau. Die Eltern hatten ihn im Geiste des alten Dubrovniks erzogen: der Republik Dubrovnik (Ragusa), wo die Freiheit über alles kam. „All meine Erinnerungen und Gefühle sind mit dieser Stadt verbunden“, sagt Igor heute. Alles änderte sich 1991, als nach Verkündung der Unabhängigkeit durch Kroatien (zu dieser jugoslawischen Teilrepublik gehörte damals Dubrovnik) die von den Serben dominierte jugoslawische Armee mit der Beschießung der Stadt begann.
Die Belagerung dauerte nur drei Monate, aber danach war nichts mehr wie früher. Igors Familie wurde von den Kroaten vertrieben. Seither lebt er mit Ehefrau Andja und dem Sohn in einer Flüchtlingssiedlung in Montenegro. Sie wollen zurückkehren, aber sie können nicht.
So ist das Leben vieler bodenständiger Einwohner dieser „Perle der Adria“.
Mauern und Menschen
Während der Belagerung beschoss die jugoslawische Armee alles: wertvolle Kunstdenkmäler, Hotels, Cafés. Heute hat die Stadt, u. a. dank Hilfe der UNESCO, ihr Vorkriegsaussehen wiedergewonnen. Dennoch lassen sich Mauern leichter reparieren als das, was zwischen den Menschen geschah.
Damals, in den Jahren 1991/92, wollten zahlreiche in Dubrovnik geborene Serben nicht in der kroatischen Truppe dienen. Sie glaubten, es könnte ihnen gelingen, neutral zu bleiben. Aber die Kroaten beschuldigten sie des Sympathisantentums, wenn nicht sogar der Zusammenarbeit mit den „Tschetniks“, den serbischen Milizen – und sie zwangen sie zum Verlassen der Stadt, bezeichneten sie als „unerwünschte Elemente“. Wohnungen und Häuser der Verjagten wurden schnell besetzt und verkauft. Serben, die zurückkehren wollen, versuchen seit Jahren erfolglos, ihr Eigentum wiederzubekommen.
Auch Igors Familie, die seit Generationen in Dubrovnik lebt.
Der Pazifist
Sein Vater war Serbe, die Mutter Kroatin. Er hatte nie das Gefühl, zu einer konkreten Nation zu gehören. Er hielt sich für einen Bewohner Dubrovniks mit jugoslawischer Staatsbürgerschaft. Aber während des Krieges genügte das nicht mehr. Igor sagt heute: „Die Beschießung war schrecklich, ich fürchtete um meine Familie. Es stimmt: Ich wollte nicht in die kroatische Armee eintreten. Ich bin Pazifist. Außerdem wollte ich meine Frau und das kleine Kind nicht allein lassen.“
Er sagt ferner: „Schon mehrere Monate vor der Belagerung begegneten uns manche Kroaten mit Schikanen. Sie nannten uns Tschetniks, erhoben Anklagen gegen uns wegen Vukovar (die Serben haben dort mehrere hundert Kroaten ermordet – Anmerkung der Redaktion). Aber ich hatte doch nichts gemein mit der serbischen Armee oder mit Vukovar!“
Zweimal wurde er verhaftet. „Sie schlugen mich nicht, nach dem Verhör ließen sie mich frei. Aber ein Teil der Bekannten kam blutig geschlagen nach Hause.“
An einem Oktobermorgen des Jahres 1991 beschossen maskierte Zivilisten ihr Haus. Sie kamen durch den Beschuss nicht zu Schaden, aber für Igor und Andja war das ein Signal, dass sie nicht gern gesehen waren. Zwei Tage später flohen sie. Nach dem Krieg erfuhren sie, dass ihre Wohnung im Zentrum der Altstadt von den Behörden besetzt und verkauft worden sei. Heute befindet sich dort eine Pension, die immer voller Touristen ist.
Aber Igor und Andja sind hartnäckig. Sie wollen zurückkehren. Seit Jahren kämpfen sie um die Rückgabe ihres Eigentums. Sie hatten damals Möbel zurückgelassen, familiäre Erinnerungsstücke, altes Porzellan, Alben mit Fotos. Andja, die aus einer serbischen Dubrovniker Familie stammt, hat seit 1991 nur ein einziges Mal ihr Haus von außen sehen können. „Ich kann dort nicht ruhig entlanggehen, ich muss weinen. Das war unser erstes gemeinsames Heim, dort machte unser Sohn die ersten Schritte. Jetzt wohnen wir in einer Baracke voller Ratten. Mein Sohn hat seine ganze Kindheit in diesem Albtraum verbracht.“
Wenn sie nach Dubrovnik kommen, begegnen ihnen manchmal frühere Bekannte. Nur manche erwidern ihren Gruß. Ein Teil sieht in ihnen immer noch „Tschetniks“, blutgierige Serben. Ein anderer Teil fürchtet sich, überhaupt mit Serben in Kontakt zu kommen.
Durch Vermittlung eines früheren Kollegen fand der Pazifist Igor eine Arbeit in Dubrovnik: Drei Tage in der Woche arbeitet er als Wachmann, schwarz und für geringen Lohn. Mit einer anderen und legalen Beschäftigung kann er nicht rechnen.
Ein serbisches Schicksal
Andja und Igor haben mehrere Anträge auf Rückgabe ihres Hauses eingereicht; geholfen hat ihnen dabei das Zentrum für Flüchtlinge in Dubrovnik und das Helsinki-Komitee. Ohne Erfolg.
Als das kroatische Fernsehen im Jahre 2007 eine Reportage über sie drehte, versprachen die von den Journalisten befragten Stadtratsvertreter, sie würden binnen 15 Tagen den Bescheid über die Zuteilung einer anderen Wohnung erhalten. Der Film wurde nicht gesendet, eine Wohnung gibt es nicht.
In ähnlicher Lage sind viele Serben. Wie Vesna Stepanović, die zurückgekehrt ist und bei einer kroatischen Freundin wohnt. „Um die alte Wohnung bemühe ich mich nicht einmal. Das größte Problem ist der Arbeitsplatz: Ich bin Juristin, beherrsche drei Sprachen, aber niemand will mich einstellen. Bisweilen bieten mir befreundete Rechtsanwälte eine Arbeit an, aber schwarz“, so berichtet sie.
Vesnas Bericht wird von Milorad Vukanović, dem Leiter der serbischen Minderheit in Dubrovnik, bestätigt: „Oft haben die Serben keine feste Arbeit, sie wohnen bei Freunden, bei den wenigen, die wir hier haben. Die Kroaten empfinden entweder weiterhin Aversionen oder sie haben Angst zu helfen, denn so etwas wird von den Behörden nicht gern gesehen. Ein bekannter Eigentümer einer Bar sagte, er würde mich gern beschäftigen, aber er kann es sich nicht erlauben, täglich vom Finanzamt mit Kontrollen überzogen zu werden.“
Die Kroaten kommentieren die Lage der serbischen Minderheit unterschiedlich. Die meisten sehen überhaupt kein Problem. Ein (kroatischer) Fischer, Joško, liefert täglich Fische für ein Restaurant in der Altstadt: „Ich verstehe nicht, warum sie sich beschweren. Sie haben die gleichen Rechte wie wir. Ich kämpfte für ein unabhängiges Kroatien, ich verteidigte Dubrovnik, und zahlreiche Serben kämpften Schulter an Schulter mit uns. Ihnen ist nichts geschehen. Wenn jemand sich für die Flucht entschied, dann hat er eben jetzt das Schicksal eines Flüchtlings“, sagt er.
Kurz darauf fügt er jedoch hinzu: „Aber das ist wohl nicht in Ordnung, dass sie ihre Häuser nicht wiederbekommen können. Ich hatte nie etwas gegen Serben, besonders nicht gegen unsere Dubrovniker. Leider sind zahlreiche Kroaten aus der Herzegowina, aus Bosnien in die Stadt gekommen. Sie stellen die Mehrheit in allen Institutionen dar, und schon während des Krieges brachten sie eine ungesunde Atmosphäre mit sich.“
Warten hinter der Grenze
Zdravko Bazdan vom Helsinki-Komitee für Menschenrechte in Dubrovnik meint, das Problem der Rückkehr der Serben sei aus politischen Gründen nicht gelöst worden. In den Augen vieler Kroaten sei Dubrovnik noch immer bedroht: Umgeben vom serbischen Element (das Gebiet grenzt an das orthodoxe Montenegro sowie an den serbischen Teil Bosniens und der Herzegowina), ist es abgeschnitten durch das bosnische Neum vom Rest Kroatiens.
Außerdem seien die serbischen Häuser oft schon von einer Hand in die andere gegangen. Der kroatische Staat habe nicht die Mittel, sie wieder auszulösen, und es fehle am Willen, den Flüchtlingen anderen Wohnraum anzubieten. „Obwohl die kroatischen Politiker erklärten, sie würden die Rückkehrer aufnehmen und ihnen das Eigentum erstatten, tun sie nichts.“
Viele Serben leben unmittelbar hinter der Grenze, in Lagern für Flüchtlinge. Sie sind in Wartestellung. Von kroatischer Seite spricht niemand mit ihnen.
Inzwischen führt Kroatien Verhandlungen mit der EU. Ihr Abschluss ist für 2009 vorgesehen. EU-Mitglied kann Zagreb im Jahre 2012 werden. Die Verhandlungen ziehen sich hin, denn die EU hat Zagreb weiterhin viel vorzuwerfen. Kroatien, so sagt die EU, muss den Minderheiten und den Kriegsflüchtlingen ihre Rechte garantieren.
Das klingt gut, aber für Andja, Igor und Vesna bringt das nicht viel.
Aus dem Polnischen übersetzt von Wolfgang Grycz.