Orthodoxe und katholische Identität im Dialog

(Erfahrungsbericht)

Aleksandar Marković (geb. 1987) stammt aus Novi Sad in Serbien, hat an der Theologischen Fakultät der Universität Belgrad studiert und ist zur Zeit ebenso wie Darko Anev Stipendiat des Ostkirchlichen Instituts Regensburg.

Der Geist, der von früher Kindheit an tief in die Seele fast eines jeden orthodoxen Serben eingepflanzt wurde, ist ein völlig anderer als der, den man im modernen Europa vorfindet. Das christliche Westeuropa hat über Jahrhunderte hinweg eine völlig andere Kultur als der Osten ausgebildet. Allein schon die geringere Anzahl von Kriegen bildete die ideale Grundlage für die Entwicklung des modernen West- und Mitteleuropa. Hingegen haben die östlichen, orthodoxen europäischen Länder, insbesondere auf dem Balkan, über Jahrhunderte für ihre Unabhängigkeit gekämpft, während sich das westliche Europa vielfältig entwickeln konnte. Gerade dieses schöne Bild des hoch entwickelten Westeuropa ist der Traum so ziemlich jedes jungen Menschen, um im Westen eine Zeit lang zu verweilen, vor allem für Studierende aus den weniger entwickelten osteuropäischen Ländern. Fremde Kulturen, Bräuche und Traditionen kennen lernen, das in der Heimat abgeschlossene Studium auf weltbekannten Universitäten des modernen Westeuropa fortsetzen – das sind große Herausforderungen für die Heranwachsenden. Die Konfrontation mit einem völlig anderen Lebensrhythmus, mit gänzlich anderen Mentalitäten und einer neuen Umgebung kann einem jungen Menschen aus nicht so entwickelten östlichen Ländern sehr viel bedeuten, nicht zuletzt für eine Laufbahn als Wissenschaftler.

Mir als aktivem Mitglied und Studenten der orthodoxen Kirche bedeutet die Kirche hier wie zuvor schon in der Heimat sehr viel. Ich verdanke ihr sogar meinen Aufenthalt in Deutschland. Mein Fall ist kein Einzelfall; vielen Studierenden, insbesondere Studenten der theologischen Fakultät der Serbischen Orthodoxen Kirche, aber auch vielen anderen aktiven Mitgliedern ist sie so unzählige Male entgegengekommen, Leuten, die das Interesse haben, an den bekanntesten europäischen Universitäten zu studieren. Für viele unter ihnen ist ein Leben ohne die orthodoxe Kirche undenkbar, weder in der Heimat noch im Ausland. Die orthodoxe Kirche in Deutschland erfüllt nicht nur einen geistigen Zweck, sondern verfolgt auch das Ziel, für den Erhalt der Muttersprache, herkömmlicher Traditionen und Bräuche in der Migration zu sorgen. Die orthodoxe Kirche hat es sich zur Pflicht gemacht, die Identität ihrer Landsleute zu bewahren, weshalb es gegenwärtig auch so viele orthodoxe Gläubige nicht nur in Deutschland, sondern weltweit gibt. Gerade deswegen ziehen diese Orte sowohl in Europa als auch in Übersee viele Studierende an, die nützlichen Rat und Unterstützung von ihren Landsleuten erwarten können, die schon zuvor ähnliche Probleme bewältigen mussten. Gerade diese Erkenntnis ist unerlässlich für den jungen Studierenden, der am Anfang seines Auslandsaufenthaltes steht, da sie ihm das Gefühl vermittelt, nicht allein zu sein, weil er dort seinesgleichen finden kann, kulturell und traditionell. Das heißt natürlich nicht, dass es nicht auch andere Formen der Unterstützung gibt, denn in Deutschland gibt es zahlreiche Organisationen, die sich der Hilfesuchenden annehmen. Dennoch hat der Mensch das Bedürfnis nach dem Eigenen, nach Sicherheit und Vertrauen. Dieses Vertrauen gewinnt man bereits in der Heimat, obschon es nicht die Regel ist, denn viele wenden sich erst hier, in der Diaspora, der Kirche zu. Beherrscht jemand nicht die Landessprache, können Kontakte, wie sie durch die Kirche zustande kommen, wegweisend für die berufliche Laufbahn im Ausland sein. Die Eingewöhnungsphase nimmt dann nicht so viel Zeit in Anspruch, insbesondere auch wegen der wunderbaren Gastfreundschaft, die ein Studierender aus dem Ausland in Deutschland genießt. Durch die selbstlose Unterstützung der Bevölkerung und der Kirchen gelingt es den Studierenden also sehr schnell, selbstständig zu werden.

Für gewöhnlich stellen sich Neuankömmlingen als erste Fragen: Wo will ich hin? Was soll ich machen? Wenn man sich in einer solch wenig beneidenswerten Lage wiederfindet, wenn man neu ist in einer Stadt und niemanden kennt, an den man sich wenden kann, bietet sich als erste Anlaufstelle immer die Kirche an. Gerade diese kann wegweisend sein bei weiteren, viel schwierigeren Fragen, die auf einen zukommen und die man dann selbstständig lösen muss.

In meinem Fall waren es die Kirche und die Stadtverwaltung von Regensburg, die mir zunächst zur Hilfe kamen, als ich mich mit meinen miserablen Deutschkenntnissen an niemand anderen wenden konnte. Gleichwohl hatte ich das Bedürfnis, mich in meiner Muttersprache über die Funktionsweise des Bildungssystems an deutschen Universitäten zu informieren. Mich zunächst in der Serbischen Orthodoxen Kirche zu informieren, schien mir besonders wichtig, da das deutsche Bildungssystem und auch das Verhältnis der Studierenden und Professoren untereinander ganz anders sind als im östlichen Europa.

Als nächstes stellte sich die Frage nach dem Erwerb der deutschen Sprache. Gleich zu Beginn habe ich begriffen, dass das Deutsche und die slawischen Sprachen sich grundsätzlich voneinander unterscheiden. Deutsch von Grund auf zu lernen ist eine ziemlich komplexe Angelegenheit und erfordert viel Fleiß. Diese Aufgabe erfordert maximale Aufmerksamkeit. Neben den Pflichtlehrveranstaltungen für die deutsche Sprache können ausländische Studierende aber auch an diversen Konferenzen und Seminaren teilnehmen. Gerade bei solchen Veranstaltungen haben Studierende die Gelegenheit, sich Sprachpraxis zu erwerben. Darüber hinaus werden viele andere Seminare veranstaltet, an denen auch orthodoxe Studierende teilnehmen, nicht nur um die deutsche Sprache zu lernen, sondern um sich auch auf anderen Gebieten des Christentums weiterzubilden. Derartige ökumenische Konferenzen sind mehr als nützlich für die daran beteiligten Seiten, schon allein die Kontaktaufnahme und der Erfahrungsaustausch sind ein beiderseitiger Zugewinn. Gleichzeitig werden die orthodoxen Studierenden durch das Erlernen der deutschen Sprache bis ins Detail mit dem römisch-katholischen Gottesdienst vertraut. Dies gilt auch für viele andere Bereiche dieser Kirche, für das Studium an ihren Fakultäten und weitere Aspekte der katholischen Identität. Diese Fragen sind für einen orthodoxen Studierenden von besonderer Relevanz, weil sie in einer anderen und qualitativ besonderen Art und Weise verschiedene Kirchen einander nahe bringen. Sie haben damit auch die Möglichkeit, eine im Vergleich zum östlichen Ritus völlig andere Zugangsweise zum Kern des christlichen Glaubens kennen zu lernen.

In vielerlei Hinsicht ist die tiefere Auseinandersetzung mit katholischen Grundprinzipien auch für Studierende aus orthodoxen Ländern nützlich. Allein der mehrfache Nutzen, den das Beherrschen der deutschen Sprache ausmacht, und die große Vielfalt der dadurch zugänglichen Literatur sind nur zwei der vielen Vorteile, zumal für das Studium der Theologie. Die Literaturbestände und der Forschungsstand sind hier im Vergleich zur Situation auf dem Balkan um einiges umfassender. Nur wenige Titel sind dort übersetzt, genau genommen hat die Serbische Orthodoxe Kirche auch nur sehr wenige Autoren hervorgebracht.

Aus den bisher gemachten Erfahrungen kann ich wohl behaupten, dass die Studierenden aus der Orthodoxie am Ostkircheninstitut in Regensburg große Gastfreundschaft genießen. Nebst Kost und Logis erhalten sie auch ein beachtliches Stipendium. Die Studierenden sind nur zu den Lehrveranstaltungen und daraus erwachsenden Aufgaben verpflichtet. Die Mitarbeiter dieser Institution haben alles Erdenkliche getan, damit sich die Studierenden orthodoxen Glaubens hier wie zuhause fühlen. Zum Ende des Studiums am Ostkircheninstitut, nach bestandenem Sprachkurs, besteht die Möglichkeit für die Studierenden, sich an bekannten Universitäten in der Bundesrepublik zu immatrikulieren und ihr Studium abzuschließen.

Abschließend soll nicht unerwähnt bleiben, dass wir nicht zuletzt den deutschen Stiftungen, die uns die Stipendien ermöglicht haben, und der deutschen Bevölkerung zu Dank verpflichtet sind. Besonderer Dank für das Vertrauen gilt unseren Heimatkirchen, ohne deren Hilfe wir nichts erreicht hätten. Das gleiche gilt für das Vertrauen verschiedener Institute und Universitäten gerade hier im Westen, die uns auf Empfehlung unserer Kirchen aufgenommen haben. Ein hervorragendes langjähriges Beziehungsverhältnis zwischen zwei Kirchen, der römisch-katholischen und der orthodoxen Kirche, haben dazu beigetragen, dass wir heute schon eine beträchtliche Anzahl hoch qualifizierter Professoren an unseren Hochschulen vorweisen können, insbesondere solcher, die im Westen ausgebildet wurden, sowie eine große Anzahl von potenziellen Kandidaten, die sich hierzulande noch in der Ausbildung befinden.