Bulgarische Literatur und ihre Rezeption im deutschen Sprachraum

aus OWEP 4/2009  •  von Norbert Randow

Der Autor (geb. 1929) war Assistent für slawische Philologie an der Humboldt-Universität in Berlin. Von 1962 bis 1965 saß er wegen „Beihilfe zur Republikflucht und staatsgefährdender Propaganda“ im Gefängnis, war danach viele Jahre mit Berufsverbot belegt und daher freiberuflich als Übersetzer tätig. Nach 1989 kehrte er an die Universität als Honorarprofessor für bulgarische und weißrussische Literatur zurück und wurde 1995 emeritiert. Er erhielt für seine Arbeiten in Deutschland und Bulgarien viele Auszeichnungen.

I.

Auf der Grundlage eines um ihre Geburtsstadt Saloniki gesprochenen altbulgarischen Dialekts schufen die Slawenlehrer Konstantin (827-869) und sein Bruder Method (Methodios, 815-885) für die christliche Missionsarbeit unter den Slawen in Mähren, mit der sie im Jahre 862 vom byzantinischen Kaiser betraut wurden, eine Schriftsprache. Dazu stellten sie ein eigenes, das so genannte glagolitische Alphabet zusammen, auf dessen Grundlage in formaler Anlehnung an das griechische Alphabet zu Beginn des 10. Jahrhunderts in Bulgarien das kyrillische Alphabet entstand, genannt nach Kyrillos, dem Namen, den Konstantin annahm, als er kurz vor seinem Tode Mönch wurde. Auf die beiden Slawenlehrer und ihre Schüler gehen die altbulgarischen (altkirchenslawischen) Übersetzungen der Bibel und zahlreicher kirchlicher und ziviler Gesetze aus dem Griechischen zurück. Nach dem Tode des Methodios aus Mähren vertrieben, gelangten die Schüler der Slawenlehrer nach Bulgarien, wo sie von dem Fürsten Boris I. (gest. 907), der 865 von Byzanz das Christentum angenommen hatte, mit offenen Armen empfangen wurden. Einige von ihnen, darunter vor allem Kliment (um 840-916), wurden in den westlichen Landesteil, nach Ochrid, gesandt, wo sie eine fruchtbare schriftstellerische und Lehrtätigkeit ausübten.

In Pliska, der Residenz des Fürsten Boris I., ebenso wie in Preslav, wohin sein Sohn und Thronerbe Simeon der Große (864-927) die bulgarische Hauptstadt verlegte, waren andere Schüler und Nachfolger der beiden Slawenlehrer tätig, darunter vor allem Joan Exarch (um 860-um 930); sein Hauptwerk, das „Hexaëmeron“, ist eine auf byzantinischen Vorbildern beruhende Kosmogonie. Die Regierungszeit der großen Herrscher Boris und Simeon gilt als das „Goldene Zeitalter“ der bulgarischen Kultur. Unter Simeons Nachfolger Petar (gest. 969) kamen in dem durch Kriege zerrütteten Land starke religiöse Strömungen auf. So gründete der Heilige Ivan (gest. 946) das Rilakloster, das bis in die Neuzeit ein geistliches Zentrum Bulgariens blieb.

Eine zweite Blüteperiode erlebte die alte bulgarische Literatur vor allem während des 14. Jahrhunderts. Um 1350 gründete der Mönch Teodossij nahe der neuen Hauptstadt Tărnovo ein Kloster, das zur Pflanzstätte des Hesychasmus in Bulgarien wurde, einer asketischen Licht- und Gebetsmystik im ortho¬doxen Christentum, die sich während der unruhigen Zeit vor der Eroberung durch die Türken ausbreitete. Zu den Schülern Teodossijs gehörte der bulgarische Patriarch Evtimij, der in Tărnovo eine literarische Schule ins Leben rief, aus der solche umfassenden Geister hervorgingen wie Grigorij Tsamblak (1364-1420), Kiprian (1330-1406) und Konstantin von Kostenetz (um 1380-um 1440), die nach der Eroberung Bulgariens durch die Türken den Geist und die formalen Prinzipien der bulgarischen Literatur nach Russ¬land, Rumänien und Serbien verpflanzten und damit eine neue Periode in der literarischen Entwicklung dieser Länder einleiteten.

II.

Die während der ersten Jahrzehnte der türkischen Fremdherrschaft in Bulgarien verfassten literarischen Werke standen noch ganz in der von Evtimij geprägten religiösen und formalen Tradition, wenn ihnen auch der für diese kennzeichnende offizielle Rückhalt fehlte. Erst nach dem Fall Konstantinopels (1453), als die Hoffnung auf Zurückdrängung der muslimischen Eroberer dahinschwand, machte sich ein neuer Geist in der bulgarischen Literatur bemerkbar. Thematisch zeigte er sich in der Darstellung individuellen Widerstandes gegen islamische Assimilierungsversuche, so etwa in den in Sofia im 16. Jahrhundert entstandenen Lebensbeschreibungen dreier den Märtyrertod auf sich nehmender junger Christen, während er sich sprachlich in der sehr langsamen Durchsetzung der neubulgarischen Volkssprache in den Damaskinen kundtat, Sammelbänden unterschiedlichsten Inhalts, die auf den „Thesauros“ („Schatz“) des griechischen Geist¬lichen Damaskenos Studites (gest. 1577) zurückgingen. Auch die Folklore nahm nun eine Entwicklung, die auf die Bewahrung des am Christentum festhaltenden bulgarischen Volkstums gerichtet war. Somit kommt der bulgarischen Literatur von der zweiten Hälfte des 15. bis gegen Mitte des 18. Jahrhunderts eine gewisse Selbstständigkeit zu, die durch eine nicht unbeträchtliche katholische Literatur in Nordwestbulgarien, vor allem im 17. Jahrhundert, noch unterstrichen wird; ihr Hauptvertreter Petar Bogdan Bakschev (1601-1674) schrieb seine Werke hauptsächlich italienisch oder lateinisch.

III.

Die während der türkischen Fremdherrschaft ganz auf das nationale und persönliche Überleben gerichteten Anstrengungen riefen im bulgarischen Bewusstsein einen besonderen Sinn für das Reale hervor. So kam es, dass sich im Laufe des 18. und 19. Jahrhunderts zwei literarische Genres herausbildeten, in denen das authentische Dasein des Volkes bzw. eines seiner Angehörigen im Mittelpunkt stand: die Historiographie und die Autobiographie. Beide Genres bestimmten die weitere literarische Entwicklung so nachhaltig, dass sie bis heute zu den Hauptsäulen der bulgarischen Literatur zählen. Die „Slawobulgarische Geschichte“ (1762) des Athosmönches Paisij von Chilandar (1722-1773) stellt den Auftakt zur nationalen Wiedergeburt dar. Etwa vier Jahrzehnte später (1803) entstand das auto¬biographische Pendant zu Paisijs Geschichtswerk, das „Leben und Leiden des sündigen Sofroni“, des Bischofs von Vratza (1739-1813). Beide Werke sind in deutscher Übersetzung in der Inselbücherei erschienen.

Als dritte Hauptsäule der neueren bulgarischen Literatur ist die eigentliche Aufklärungsliteratur zu nennen, die in Bulgarien dem Aufbau eines Schulwesens und der Volkserziehung diente: Das „ABC-Buch mit verschiedenen Lernstoffen“, eine realenzyklopädische Fibel (1824) von Petar Beron (1791-1871), die nicht nur die bulgarische Volksbildung auf eine moderne Grundlage stellte, sondern auch erstmals in Bulgarien weltlichen, zumeist übersetzten Lesestoff bot. Zur bulgarischen Aufklärungsliteratur gehören ferner eine in barocke Sprachform gekleidete „Klage der armen Mutter Bulgarien“ (1845) von Neofit Bosveli (1785-1845) sovie eine Darstellung der gesamten ersten Periode der bulgarischen Aufklärung von Vasil Aprilov (1789-1847): „Morgenstern der neubulgarischen Bildung“ (1841).

Eine schöngeistige Literatur entwickelte sich etwa ab 1860 im Zeichen des Befreiungskampfes gegen die Türken. Zu ihren bis heute wegweisenden Autoren gehören Georgi Rakovski (1821-1867), der vor allem als Publizist und Historiker hervortrat, er schrieb außerdem das Versepos „Der Waldwanderer“ (1857) über einen Freischarführer gegen die türkische Herrschaft; außerdem Dobri Tschintulov (1823-1886), dessen patriotische Lieder während der friedlichen Revolution 1989/90 erneut gesungen wurden, und Petko Slavejkov (1827-1895), einer der umfassendsten Geister der bulgarischen Wieder¬geburt, dessen dichterisches und publizistisches Werk von bestimmendem Einfluss auch auf die Herausbildung der neubulgarischen Schriftsprache wurde. Während von ihm so gut wie nichts ins Deutsche übersetzt wurde, gibt es vom bulgarisc¬hen Nationaldichter Hristo Botev (1847-1876), der als Anführer einer Freischar im Kampf gegen die Türken fiel, eine Ausgabe seiner Gedichte und ausgewählter Publizistik in deutscher Sprache (Berlin 1964 und Leipzig 1976). Als Prosaautor und vor allem als Publizist trat Ljuben Karavelov (1834-1879) hervor; sein erzählerisches Hauptwerk „Bulgaren der alten Zeit“, eine Darstellung des patriarchalischen Lebens in einer bulgarischen Kleinstadt, ist auch in Deutsch erschienen.

IV.

Nach der Befreiung von der Türkenherrschaft (1878) überwog zunächst eine von patrio¬tischem Pathos getragene Literatur. Sachari Stojanov (1850-1889) beschrieb den Befreiungskampf seiner Landsleute in dem großen erzählerischen Werk „Aufzeichnungen über die bulgarischen Aufstände“, das in Deutsch 1976 unter dem Titel „Der Aufbruch der fliegenden Schar“ erschien. Ivan Vasov (1850-1921) schilderte in dem Gedichtzyklus „Epopöe der Vergessenen“ (eine deutsche Übertragung kam 1976 in Sofia heraus) die Helden der bulgarischen Wiedergeburt und in dem in alle Weltsprachen übersetzten Roman „Unter dem Joch“ den Aprilaufstand 1876 (es gibt davon mehrere deutsche Ausgaben). Vasovs Roman „Ein neues Land“, der die ersten Jahre des nach 1878 neu auf den Plan tretenden Landes mit großer Meisterschaft gestaltet, ist in deutscher Übersetzung leider noch nicht zugänglich. Mit seinem lyrischen Werk wurde Vasov zum eigentlichen Schöpfer der bulgarischen Verskunst. Unter dem Titel „Die brennenden Garben“ ist 1978 in der Inselbücherei eine Auswahl seiner Erzählungen erschienen. Großes Verdienst kommt Vasov auch als Schilderer der heimatlichen Natur zu. Ein Band mit der Beschreibung seiner „Wanderungen durch Bulgarien“ ist 1982 unter dem Titel „Im Schoße der Rhodopen“ in ausgezeichneter deutscher Übersetzung erschienen.

Die sich um die von dem Kritiker Dr. K. Krystev (1866-1919) gegründete Zeitschrift „Gedanke“ („Missal“, 1890-1907) scharenden Autoren Pentscho Slavejkov (1866-1912), Pejo Javorov (1878-1914) und Petko Todorov (1879-1916) leiteten mit ihren Werken, in denen sie moderne Ideen des europäischen Geisteslebens aufgriffen, einen neuen Abschnitt in der bulgarischen Literatur ein, in dem Symbolismus und Neoromantik in den Vordergrund rückten. Von Slavejkov kam in deutscher Übersetzung 1919 eine Sammlung bulgarischer Volkslieder heraus, beglei¬tet von einem großen Essay über dieses Thema. Eines der originellsten Gedichtwerke der europäischen Literatur ist sein Band „Auf der Insel der Seligen“ (1910), dessen etwa 90 Gedichte 17 fiktiven Dichtern und 2 fiktiven Dichterinnen in den Mund gelegt sind, hinter denen sich der Dichter und seine Lebensgefährtin Mara Beltscheva (1868-1937) verbergen. Der Band zeigt die Variationsbreite von Slavejkovs poetischem Ausdrucksvermögen. Von Javorov, einem der formal gewandtesten bulgarischen Dichter, erschien 1999 in Leverkusen sein dichterisches Hauptwerk „Den Schatten der Wolken nach“ in deutscher Übersetzung, angefertigt von namhaften deutschen Lyrikern. Außerdem enthält der 1974 in Berlin erschienene Sammelband „Bulgarische Dramen“ Javorovs Schauspiel „Am Fuße des Witoscha“ (1911), das erste psychologisch-soziale Zeitstück der bulgarischen Bühnenliteratur. Es wurde 1973 mit großem Erfolg am seinerzeit führenden ostdeutschen Theater in Senftenberg aufgeführt. Die beiden nach Vasov bedeutendsten Prosaautoren, Elin Pelin (1877-1949) und Jordan Jovkov (1880-1937), sind jeweils mit einigen Erzählbänden bzw. Romanen in deutscher Übersetzung zugänglich. Eine große, zweibändige Werkausgabe von Elin Pelin liegt in deutscher Sprache druckfertig vor, hat bisher aber keinen Verlag gefunden.

V.

Das durch die zwei Balkankriege, den Ersten Weltkrieg und seine sozialrevolutionären Folgen bis in die Grundfesten erschütterte Leben brachte auch in Bulgarien ein neues Realitätsbewusstsein hervor, das nach neuen literarischen Gestaltungsmitteln verlangte. Als Vertreter des von Deutschland ausgehenden literarischen Expressionismus trat Geo Milev hervor. Ein Band mit seinen Gedichten kam in deutscher Übersetzung 1975 unter der Überschrift „Tag des Zorns“ heraus. Neue Gestaltungsmittel in der Prosa waren oftmals die Groteske wie etwa bei Svetoslav Minkov (1902-1966). Von ihm liegt ein Band Erzählungen in deutscher Übersetzung vor, „Die Dame mit den Röntgen¬augen“ (1959). Eine bisweilen hinter der Maske von Verträumtheit versteckte, zunehmend jedoch illusionslose Realistik herrscht in den Erzählungen und Novellen von Angel Karalijtschev (1902-1972), Georgi Raitschev (1882-1947), vor allem aber dann bei Georgi Karaslavov (1904-1980). Historische Romane schrieben Stojan Sagortschinov (1889-1969) und Konstantin Petkanov (1891-1952). Von allen diesen Autoren gibt es zahlreiche deutsche Übersetzungen. In der Lyrik verlieh Hristo Smirnenski (1898-1923) der Nachkriegssituation mit oftmals revolutionären Gedichten Ausdruck, die sich indes vorwiegend symbolistischer Stilmittel bedienten. Ein Band seiner Gedichte und Prosa kam in deutscher Übersetzung 1976 unter dem Titel „Feuriger Weg“ heraus. Als einer der größten bulgarischen Dichter des 20. Jahrhunderts machte Atanas Daltschev (1904-1978) in seinen Gedichten die scharfen Konturen der Alltagswelt und ihren verborgenen Sinngehalt sichtbar. Seine „Gedichte“ erschienen in deutscher Übersetzung 1975 in der Inselbücherei; Daltschevs Prosa-„Fragmente“, 1980 in Reclams Universalbibliothek erschienen, offenbaren den Autor als Moralisten, zugleich aber auch als Künstler, der sich der Wahrheit verpflichtet fühlt. Als bedeutende Lyriker der Zwischen¬kriegszeit sind außerdem Elisaveta Bagrjana (1893-1991), Nikola Vapzarov (1909-1942) und Alexander Vutimski (1919-1943) zu nennen. Von Vapzarov gibt es einen Band ins Deutsche übersetzter „Gedichte“ (1952) sowie ein Bändchen (Nr. 185) in der Berliner Reihe „Poesiealbum“ (1983). Der Kritiker Vladimir Vasilev (1883-1963) sammelte um seine Zeitschrift „Füllhorn“ („Zlatorog“, 1920-1944) die meisten bedeutenden literarischen Potenzen der Zwischenkriegszeit.

VI.

Nach dem Zweiten Weltkrieg schränkte das kommunistische totalitäre System die künstlerische Freiheit zwar empfindlich ein, dennoch konnten sich zahlreiche Autoren trotz des amtlich verordneten „sozialistischen Realismus“ mit hervorragenden Werken in Prosa, Lyrik und Drama durchsetzen und behaupten. Zu nennen sind in erster Linie die auch bereits vor dem Kriege hervortretenden Romanciers Dimiter Talev (1898-1966), Dimiter Dimov (1909-1966) und Emilijan Stanev (1907-1979). Talev mit einer Romantetralogie über die bulgarische Wiedergeburt in Makedonien, von der die ersten drei Bände, „Der eiserne Leuchter“, „Der Eliastag“, und „Die Glocken von Prespa“ in deutscher Übersetzung herauskamen, während der vierte Band, „Ich höre eure Stimmen“ (1966), in der DDR nicht erscheinen durfte. Von Dimovs großem Gesellschaftsroman „Tabak“ (1951), den der Autor im Sinne des „sozialistischen Realismus“ umschreiben musste, durfte in der DDR nur die zweite, umgearbeitete Fassung übersetzt werden. Von Stanev erschienen in deutscher Übersetzung zahlreiche Erzählbände, vornehmlich mit Tier- und Jagdgeschichten, in denen sich der Autor als ausgezeichneter Beobachter erweist, für den die Natur ihren eigenen Gesetzen jenseits menschlicher Moralvorstellungen gehorcht. Psychologische Meisterschaft verrät seine in der Inselbücherei erschienene Novelle „Der Pfirsichdieb“. Sein historischer Roman „Der Antichrist“ (1970, deutsch 1974) ist eine in mittelalterlichem Gewand daherkommende Kritik an den politischen Zuständen seiner Zeit und seiner Umwelt. Als einer der hervorragendsten bulgarischen Prosa¬autoren ist Ivajlo Petrov (1923-2005) zu nennen. Mit seinem die tragische Dimension des Menschen sowohl in sozialer als auch in individueller Hinsicht ausleuchtenden Roman „Wolfsjagd“ (1986, deutsch 1989) hat er eines der wichtigsten bulgarischen Prosawerke der Nachkriegszeit geschaffen. Auch Nikolai Chajtov (1919-2002), Blaga Dimitrova (1922-2003), Jordan Vyltschev (1924-1998), Vera Mutaftschieva (1929-2009) und Jordan Raditschkov (1929-2004) haben bemerkenswerte Romane und Novellen vorgelegt, von denen sehr viele auch ins Deutsche übersetzt wurden. Konstantin Konstantinov (1890-1970) schuf mit seinem Erinnerungsbuch „Der Weg durch die Jahre“ (1959) ein beeindruckendes Gegenbild zu seiner sozialistischen Umwelt, das in der DDR nicht übersetzt werden durfte. Das Interesse in der Bundesrepublik Deutschland an Bulgarien war seinerzeit relativ gering.

Die jüngste Prosa ist vor allem durch die Namen Vladimir Sarev (geb. 1947), Ivajlo Ditschev (geb. 1955), Dejan Enev (geb. 1960), Alek Popov (geb. 1966) und Georgi Gospodinov (geb. 1968) gekennzeichnet. Von ihnen allen sind in den letzten Jahren Romane bzw. Novellen ins Deutsche übersetzt worden. Der aus vielen Dutzenden Fragmenten zusammengesetzte autobiographische Roman „Die Welt um mich herum“ (2007) von Marijana Fyrkova (geb. 1962) ist eine formal und inhaltlich überzeugende Darstellung der conditio humana nach dem Zusammenbruch des totalitären Systems in Bulgarien und während des unendlich zögerlichen Übergangs zu einer normalen Gesellschaft. 2003 erschien in Wien die große Familiensaga „Engelszungen“ des seit einigen Jahren deutsch schreibenden Dimitri Dinev (geb. 1968).

Die Lyrik wurde von Alexander Gerov (1919-1997), Valeri Petrov (geb. 1920), Radoi Ralin (1923-2004), Konstantin Pavlov (1933-2008), Ljubomir Levtschev (geb. 1935), Nikolai Kyntschev (1936-2006), Boris Christov (geb. 1945) und Mirela Ivanova (geb. 1962) um wesentliche Werke mit höchst unterschiedlicher Handschrift bereichert. Eigene Gedichtbände in deutscher Übersetzung konnten bisher nur von Gerov, dem bedeutendsten dieser Dichter, von Levtschev, Kyntschev und Ivanova herauskommen. Gerov schrieb außerdem zwei „Phantastische Novellen“, die 1968 allerdings nur in Sofia in Deutsch erscheinen durften. Sie behandeln die durch den stalinistischen Terror bewirkte psychische Erkrankung des Dichters. In der Dramatik haben Valeri Petrov, Nikolai Chaitov und Jordan Raditschkov Beachtliches geleistet. Eine große zweisprachige Lyrikanthologie der jüngsten Dichtergeneration kam 2003 unter dem Titel „Eurydike singt“ in Köln heraus. Der Literaturkritiker Boris Deltschev (1910-1987) hat mit seinem umfangreichen, seinerzeit „für die Schublade“ geschriebenen „Tagebuch“ ein ungeschminktes Bild der bulgarischen Kulturszene während der Nachkriegszeit entworfen.