Perspektiven der Medienentwicklung in Mittel- und Osteuropa

aus OWEP 2/2010  •  von Sofie Jannusch

Sofie Jannusch ist Mitarbeiterin von CAMECO (Catholic Media Council), einem Beratungsbüro für Medien und Kommunikation in Afrika, Asien, Lateinamerika, Zentral- und Osteuropa, dem Nahen Osten und Ozeanien.

„Die Pressefreiheit hat uns beides gebracht, den Sauerstoff der Demokratie genauso wie das Lachgas von Infotainment und Kommerzialisierung.“1 Der polnische Medienwissenschaftler Karol Jakubowicz wird sicherlich bei vielen demokratisch gesinnten Kollegen in Mitteleuropa und im Baltikum auf zustimmendes Kopfnicken treffen, wenn sie auf die Medienlandschaft in ihren Ländern schauen. Aber allenthalben ist ein deutliches Hüsteln zu vernehmen, weil politische und wirtschaftliche Interessengruppen an den Regelungsmechanismen der Sauerstoffzufuhr drehen. Dagegen leidet der Patient Medienfreiheit in Belarus, Moldova, in Russland, aber auch in der Ukraine unter chronischen Erstickungsanfällen, während es gleichzeitig am Lachgas nicht fehlt.

Freilich ist die jeweilige Zusammensetzung dieses ätherischen Gemischs über 20 Jahre nach dem Beginn der revolutionären Umbrüche in Mittel- und Osteuropa von Land zu Land recht unterschiedlich, denn die Medien können nicht getrennt betrachtet werden von allen anderen Determinanten dieser Transformation, die nicht nur das politische Regime erfasste, sondern auch die wirtschaftlichen Strukturen und gesellschaftlichen Mentalitäten einem tiefgreifenden Wandel unterzogen. Da die Medien in vielschichtigen und wechselseitigen Abhängigkeiten von einer Vielzahl von Prozessen und Institutionen stehen – wie etwa dem Staat, politischen Bewegungen, den technologischen Entwicklungen, der Gesetzgebung, wirtschaftlichen Kräften, zivilgesellschaftlichen oder sozio-kulturellen Faktoren –, setzt ein Verständnis der spezifischen Entwicklungen der Medien die Kenntnis der generellen Prozesse der Transformation geradezu voraus.

Der Ausgangspunkt

Bekanntlich waren die Medien in den meisten Ländern Mittel- und Osteuropas bis zum Zusammenbruch des Kommunismus ganz in staatlicher Hand; die kommunistische Partei kontrollierte den gesamten Prozess von der Herstellung über die inhaltliche Ausgestaltung bis zum Vertrieb. Mit Gorbatschows Perestrojka-Politik wurden zwar die Freiheiten der Journalisten etwas gelockert, das staatliche Monopol über die Medien blieb jedoch, von wenigen Ausnahmen2 abgesehen, in der Sowjetunion ebenso wie in den Satellitenstaaten unangetastet.

In den folgenden revolutionären Umbrüchen nahmen diese von der kommunistischen Partei kontrollierten Medien unterschiedliche Rollen ein. So erlebten die Esten die Geburtsstunde der demokratischen Bewegung Rahvarinne in einer Live-Sendung des Fernsehens im April 1988, und der immer noch staatliche Fernsehsender ETV mobilisierte 1989 die Bevölkerung für die Massenproteste der drei baltischen Länder. In Rumänien besetzten Demonstranten gleich zu Beginn der Revolution das Staatsfernsehen und begleiteten die Ereignisse vom 21. (letzte Rede Nicolae Ceauşescus) bis zum 26. Dezember (Fernsehzusammenfassung seines Prozesses) fast durchgehend live, was diesem Machtwechsel auch die Bezeichnung „erste Fernsehrevolution“ eingebracht hat. Demgegenüber organisierten sich die Dissidenten in der Tschechoslowakei ausschließlich über den Samizdat, d. h. die Untergrundliteratur, und „Mundpropaganda“.

Medienpolitische Orientierungen

Der Zusammenbruch der kommunistischen Regime bzw. die Erlangung der Unabhängigkeit zwang die jungen Regierungen, schnell zu reagieren. Die unterschiedlichen Orientierungen der politischen Akteure schlagen sich nach wie vor in den medienpolitischen Diskussionen nieder. Jakubowiczs Typisierung als „idealistische, mimetische und atavistische“3 ist deshalb immer noch aktuell.

Die idealistische Orientierung

Bei der Suche nach neuen Konzepten des Mediensystems ließ sich die Opposition in Mittel- und Osteuropa von Debatten über den freien Zugang, die breite Partizipation und die gesellschaftliche Steuerung von Medien inspirieren, wie sie auch im Westen bereits in den siebziger und achtziger Jahren geführt wurden. Journalisten sollten umfangreiche Selbstbestimmungsrechte genießen, das Publikum aktiv am öffentlichen Diskurs teilnehmen, der eine breite Vielfalt von Einstellungen widerspiegeln sollte. Neue demokratische Medien, vor allem ein neuer Rundfunk, wurden für ebenso wichtig erachtet wie ein neues Parlament, eine neue Exekutive und Judikative. Auch sollten die Unzulänglichkeiten der westlichen Mediensysteme vermieden werden.

Die Stärke und das historische Verdienst dieser idealistischen Strömungen war ihre Betonung der Freiheitsrechte generell und der Freiheit der Rede und der Presse im Besonderen. Diese Wertsetzung von Freiheitsrechten half, die Zensur zu bekämpfen und soziale und politische Kommunikation zu nutzen, um den demokratischen Widerstand zu organisieren. Ihre Schwäche jedoch bestand darin, dass dieser idealistischen Orientierung kein institutionelles Modell für die Umsetzung der Ziele gegenüber stand.

Die mimetische Orientierung

Die mimetische (nachahmende) Orientierung bezeichnet jene politischen Vertreter, die quasi eine Transplantation westeuropäischer Modelle favorisierten. Nur wenige verstanden am Beginn der Transformation, dass soziale, politische, kulturelle und auch ökonomische Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit unabhängige und unparteiische Medien angemessen funktionieren können, was sich bis heute vor allem in den Schwächen des öffentlichen Rundfunks zeigt. Vielen mittel- und osteuropäischen Autoren, die die Medienszene über die Jahre beschrieben haben, ist diese Enttäuschung über westliche Modelle und ihre Anwendbarkeit auf postkommunistische Länder anzumerken.

Atavistische Orientierungen

Schließlich gab es aber auch jene „atavistischen“, d. h. rückwärtsgewandten Kräfte, die versuchten, Elemente des alten Kommandosystems zu erhalten. Journalisten sollten kooperativ sein, von einer Verantwortung für den Prozess der Transformation geleitet und die Regierungen – als Leiter dieser Prozesse – unterstützen, statt eine unabhängige, unparteiische und kritische Wächterrolle einzunehmen. Auch Politiker, die aus dem demokratischen Untergrund kamen, waren von solchen Vorstellungen nicht frei. Es wird als „typical regional blend“ – also als typische Mischung dieser Weltregion verstanden, dass politische Eliten sich öffentlich mit mimetischen Lippenbekenntnissen präsentieren, während sie gleichzeitig atavistisch agieren. So macht beispielsweise seit ihrem Amtsantritt 2006 die slowakische Koalitionsregierung Schlagzeilen, weil sie den Medien äußerst feindselig gegenübersteht, oppositionelle Medien boykottiert und sie beschuldigt, einseitig und mit mangelnder Professionalität zu berichten.

Nachholende Entwicklungen?

Wie im politischen System und der Wirtschaft ein Umbau geleistet werden musste, der sich im Westen Europas über lange Zeitperioden hinweg herausgebildet hatte, so sahen sich die Länder in Mittel- und Osteuropa auch auf dem Gebiet der Medien einem Wandel wie im Zeitraffer ausgesetzt, bei dem sie sich nicht immer als die bestimmenden Akteure fühlten.

Entmonopolisierung und Explosion der Märkte

In allen europäischen Ländern wurde umgehend damit begonnen, das staatliche Medienmonopol aufzulösen. Die Zensur wurde abgeschafft, die Herausgabe von Zeitungen und Zeitschriften erlaubt. Staatliche Medienkonzerne wurden privatisiert, in vielen Fällen wurden ehemalige Mitarbeiter zu Anteilseignern.

In allen Ländern führten die neuen Freiheiten zu einer explosionsartigen Ausbreitung der Printmedien. So erschienen in Estland zwischen 1988 und 1993 500 neue Titel auf dem Zeitungsmarkt. Innerhalb von 18 Monaten hat sich deren Zahl in Ungarn verdreifacht, in Rumänien stieg die Zahl der Titel von 30 vor der Revolution auf über 1.400, und selbst im kleinen Belarus waren zunächst 660 Periodika registriert. Mit diesem Prozess setzte auch eine Differenzierung und Pluralisierung der Medienlandschaft ein. Mit verschiedenen Formaten wurden unterschiedliche und spezifische Zielgruppen angesprochen, und die Zeitungen repräsentierten unterschiedliche politische Lager, aber auch wirtschaftliche Interessen.

Die Abschaffung des staatlichen Rundfunkmonopols war dagegen etwas schwieriger, weil diese ein Rundfunkgesetz erforderte, was Tschechien bereits 1991 gelang. In Ungarn wurde 1989 ein Moratorium für die Zuteilung von Rundfunkfrequenzen verhängt, das erst 1994 mit einem neuen Rundfunkgesetz aufgehoben wurde. In Bulgarien und Polen waren Piratenstationen schon auf Sendung, als über die entsprechenden Gesetze noch beraten wurde. Als in Polen das Rundfunkgesetz schließlich verabschiedet wurde, gab es weit über 100 Piratensender, darunter auch 25 private Fernsehstationen.

Aus Zeitungslesern werden Fernsehzuschauer

Schon in den neunziger Jahren zeigte sich eine dramatische Veränderung des Mediennutzungsverhaltens: In Mittel- und Osteuropa wurden aus eifrigen Zeitungslesern vorwiegend Fernsehzuschauer. Über vier Stunden verbrachten Esten (266 Minuten), Polen (254) und Rumänen (242) im Jahre 2006 täglich vor der Glotze.4 Für diesen radikalen Umschwung werden gewöhnlich die sprunghaft angestiegenen Preise für Printprodukte verantwortlich gemacht, die jetzt nicht mehr subventioniert wurden, während gleichzeitig die Kaufkraft der Bevölkerung sank, da sich die meisten Länder der Region in den ersten Jahren der Demokratisierung einem deutlichen Rückgang der wirtschaftlichen und sozialen Standards ausgesetzt sahen. Während also das Angebot an Zeitungen stieg, nahm gleichzeitig die Gesamtauflage ab. So setzten bald erneute Konzentrationsprozesse ein: Die noch steigende Zahl von einzelnen Medien gehörte immer weniger Besitzern.

Konzentrationsprozesse und ausländische Dominanz

In jenen Ländern, die sich in Richtung Demokratisierung und Marktwirtschaft orientierten, war es eine von Marktkräften gesteuerte Konzentration, wie wir sie auch vom Westen Europas kennen, während in den anderen Ländern eine Vielzahl unterschiedlicher Mechanismen eingesetzt wurde und wird, um die staatliche Kontrolle über die Medien zu erhalten oder wiederzuerlangen. Gemeinsam ist den Ländern jedoch – wenn auch in unterschiedlichem Maße – eine Kommerzialisierung der Medienlandschaft und eine „Vermarktlichung“ des Mediensystems, das von einem steigenden Anteil unterhaltender Formate und der Boulevardisierung von politischen Inhalten gekennzeichnet ist.

In den neuen Beitrittsländern zur EU zeigen sich mit dem Aufbau marktwirtschaftlicher Ökonomien die bekannten Marktmechanismen der Medienkonzentration, in denen sich bestehende Mediengesellschaften zusammenschlossen oder Anteile an unterschiedlichen Medien übernahmen. Die Kleinheit der Medienmärkte in postkommunistischen Ländern, mit dünnen finanziellen Ressourcen ausgestattet, erlaubte es den Investoren, mit bescheidenen Mitteln relativ große Marktanteile aufzukaufen.

Konzentrationsprozesse in den Medienmärkten beinhalten die grundsätzliche Gefahr, dass der öffentliche Diskurs von wenigen Eignern dominiert wird und die Pluralität gesellschaftlicher Meinungen und Interessen zugunsten einer Ausrichtung auf massenattraktive Produkte verringert wird. Äußerst kritisch beurteilt wurde und wird auch das Interesse wirtschaftlicher Akteure, ihre Interessen durch den Aufbau eigener Medien in der Öffentlichkeit stärker zu repräsentieren, wie dies etwa einer Reihe russischer Oligarchen unterstellt wurde und neuerdings auch in Tschechien und im Baltikum befürchtet wird. In den noch jungen, um ihre Identität ringenden Ländern war es jedoch vor allem die Marktdominanz ausländischer Investoren, die für Aufsehen sorgte. Ausländische Anteilseigner würden, wie viele Beobachter befürchten, Konflikte mit den jeweiligen Regierungen scheuen, die Zeitungen deshalb ihre Rolle als „Wachhund“ der Demokratie nicht ausfüllen und zu geringe Sensibilität für lokale Themen und Interessen zeigen. Allerdings fehlt es bisher an Studien, die entsprechende Annahmen belegen könnten, und die Beispiele direkter politischer Einflussnahme sind bisher nur vereinzelt aufgetreten.

Belegt ist jedenfalls, dass 2006 vier deutsche Medienkonzerne (Bauer Verlagsgruppe, Axel Springer AG, Gruner+Jahr AG, Bertelsmann AG) über eine Vielzahl von Verflechtungen die höchsten Publikumsreichweiten in den zehn neuen Beitrittsländern zur EU erlangten. Die „Passauer Neue Presse“ hat in Tschechien, Polen und der Slowakei vor allem die regionale Presse übernommen. Mitte der neunziger Jahre besaß das Unternehmen neben zwei national erscheinenden Zeitungen sämtliche regionalen Zeitungen in Tschechien. Auch die „Westdeutsche Allgemeine Zeitung“ (WAZ) hatte sich mit mehr als 130 Zeitungen bereits 2003 ein Presseimperium in Mittel- und Osteuropa aufgebaut. Das Schweizer Ringier-Verlagshaus besitzt mehr als 20 Zeitungen und Magazine in Rumänien, der Slowakei, in Tschechien und Ungarn, darunter die auflagenstärksten Zeitungen in der Slowakei und die drei größten Zeitungen in Rumänien. Im März 2010 kündigten Springer und Ringier an, dass sie ihre osteuropäischen Aktivitäten in einem Unternehmen zusammenführen wollen. Dieses wird dann mehr als 100 Titel kontrollieren, darunter 34 Tageszeitungen, von denen eine ganze Reihe bedeutende Marktanteile in mehreren Ländern besitzen.

Während auf dem Pressemarkt die Hauptinvestoren aus Deutschland, Skandinavien und der Schweiz kommen, stiegen US-amerikanische Konzerne vor allem im Bereich elektronischer Medien ein. Zu den größten zählen „Viacom“ mit „MTV“, die „Walt Disney Company“, „AOL Time Warner“ und die US-amerikanische „Central European Media Enterprises Ltd.“, die Anteile an mehreren kommerziellen TV-Stationen in Mittel- und Osteuropa kontrolliert, darunter „Markíza TV“ und „Kanal A“ in der Slowakei, „Pop TV“ in Slowenien und „Pro TV“ in Rumänien.

Public Service-Rundfunk als Testfall für die Demokratisierung

Nach wie vor bestimmen zwei scheinbar widersprüchliche Entwicklungen die Medienlandschaften in Mittel- und Osteuropa: eine stetige Kommerzialisierung von Inhalten und eine „Kolonisierung“ des öffentlichen Lebens durch die politischen Parteien. Beredte Beispiele liefert hier der Rundfunk, wo ein „public service“-Modell5 als Korrektiv für die Schwächen des Marktes fungieren sollte, das der gesellschaftlichen Pluralität Raum gibt, Minderheiten berücksichtigt, umfassende und unabhängige Informationen und Bildungsangebote bereitstellt und zum Schutz der lokalen Kultur beiträgt.

Die meisten Länder entschieden sich nach der Aufgabe des staatlichen Monopols zunächst für ein Zwei-Säulen-Modell, d. h. neben den staatlichen Stationen wurden rasch die Lizenzen für kommerzielle private Anbieter freigegeben. Die Frage der Demokratisierung wurde also zunächst auf die Frage der Zulassung privater Anbieter reduziert. Einige Länder wie Kroatien, Ungarn und Polen sehen jedoch auch eine dritte Säule in ihrem Rundfunksystem vor, in dem nicht-profitorientierte Anbieter geringere Gebühren für ihre Übertragungsrechte zahlen und ihnen im Gegenzug unterschiedliche Auflagen für die Aufnahme von Werbung ins Programm gemacht werden. Der polnischen Kirche wurde es zudem erlaubt, eigene Stationen mit solchen „Bürgerlizenzen“ zu eröffnen.

Die Umgestaltung des staatlichen in einen „public service“-Rundfunk erfolgte zwar bewusst, doch nicht immer ganz freiwillig, denn sie gehörte zum Forderungskatalog, um der Europäischen Union beizutreten. Außer in Russland und der Ukraine sind aus den staatlichen Rundfunkanstalten inzwischen solche „public service“-Stationen geworden. Allerdings sicherten sich die politischen Parteien in fast allen Ländern direkten Einfluss auf die Besetzung der Aufsichtsorgane, die wiederum die Leitungspositionen in den Sendern bestimmen. Die Mitglieder dieser Aufsichtsgremien werden in fast allen Ländern vornehmlich von der Exekutive oder der Legislative bzw. von beiden ernannt. Der schnelle Wechsel der Direktoren legt ein Zeugnis davon ab, wie stark der Druck der politischen Gruppierungen war und ist. Den traurigen Rekord dürfte das Bulgarische Nationale Fernsehen halten, wo zwischen 1989 und 2004 – also in 15 Jahren – 14 neue Direktoren ernannt wurden.

Eine weitere Einflugschneise zur politischen Kontrolle bieten die Finanzierungsmechanismen. So werden die öffentlichen Stationen in Bulgarien ganz, in Litauen, Rumänien und der Slowakei teilweise aus dem Staatsbudget subventioniert. Wo Rundfunkgebühren eingeführt wurden, werden diese entweder als zu gering erachtet oder die Stationen leiden unter der schlechten Zahlungsmoral der Bürger.

Man sollte annehmen, dass die Bedeutung, die die politischen Parteien den „public service“-Stationen beimessen, sich auch in einer entsprechenden Ressourcenausstattung niederschlagen würde. Aber noch 2008 bezeichnet ein Bericht „eine Überschuldung, zu geringe finanzielle Ressourcen und Selbstzweifel“6 als Schlüsseltrends. In den meisten Ländern haben die „public-service“-Fernsehstationen ihre Marktführerschaft an private Anbieter abgeben müssen. In Rumänien und Polen konnten die öffentlichen Stationen zwar ihre starke Machtposition erhalten. Sie werden jedoch von der Mehrheit der Bevölkerung nach wie vor als „Staatsfernsehen“ wahrgenommen, sodass deren Glaubwürdigkeit infrage steht.

Bei der Suche nach einem angemessenen Platz auf der Weltkarte „scheinen postkommunistische Länder im Mittelmeerraum angesiedelt“7 zu sein. Auch dort ist der öffentliche Rundfunk vornehmlich auf die Regierungs- und Parlamentsstrukturen ausgerichtet, das journalistische Niveau der Journalisten wird als eher gering bezeichnet, der politische Journalismus kann nur schwerlich von politischem Aktivismus getrennt werden, und der Staat spielt nach wie vor eine starke Rolle als Besitzer, Regulator und Finanzier der Medien.

Das Rollenverständnis der Journalisten

An mittel- und osteuropäischen Ausbildungsstätten wird das Ideal eines liberalen angelsächsischen Journalismus vermittelt. Danach sollen die Medien als Transformator die Kommunikation zwischen Regierung und Bürgern gewährleisten und die Bürger mit „objektiven“, ausgewogenen Informationen versorgen, die als Grundlage politischer Entscheidungen notwendig sind. Sie sollen sowohl die öffentliche Meinung formen als auch die Handlungen von Politikern und herrschenden Eliten überprüfen und kritisieren. Um dieses zu tun, erhalten sie vom Staat bestimmte Schutzrechte wie den Zugang zu Informationen, den Schutz der Meinungsäußerung oder eine unabhängige Rechtssprechung. Im Gegenzug sollen die Medien ihren Einfluss verantwortungsvoll wahrnehmen und Institutionen der Selbst-Regulierung etablieren. Meist wird dieses Modell mit journalistischer „Professionalität“ gleichgesetzt.

Im Gegensatz dazu wollten viele mittel- und osteuropäische Journalisten gerade aufgrund der historischen Erfahrungen keine reinen Wächter einer Demokratie sein, sondern Akteure, die eine führende Rolle in der Neugestaltung ihrer Gesellschaften einnehmen. Das boulevardeske Gegenstück journalistischer Praxis wären die „Jagdhunde“, die jeden Tag eine schockierende Enthüllung publizieren und schlecht recherchierte Geschichten als Aufdeckungsjournalismus verkaufen. Auch dieses Phänomen wird in der Region häufig beklagt. Aber gleichzeitig gibt es auch qualitativ hochwertigen Journalismus. Das Beispiel des kleinen Estlands, das in vielerlei Hinsicht eine positive Ausnahmeerscheinung darstellt, scheint nahezulegen, dass ein Generationenwechsel in den Redaktionen zu einer allgemeinen Akzeptanz journalistischer Qualitätsstandards führt.

Die neuen Medien und die Zukunft

Während die Medienschaffenden in Mittel- und Osteuropa noch ihren Platz auf der Landkarte Europas suchen, sind sie erneut mit revolutionären Umbrüchen konfrontiert, die sich aus technischen Neuerungen ergeben. Neben dem Aufkommen so genannter sozialer Plattformen (Blogging, Twitter usw.) und einer fortschreitenden Medienkonvergenz, also der Bereitstellung der Inhalte über mehrere Plattformen, trägt auch die Digitalisierung des terrestrischen Empfangs (von der EU bis 2012 vorgeschrieben) und die Bereitstellung der Inhalte über Breitbandkabelnetze zu einer Zunahme der Programmangebote und damit einhergehend einer weiteren Fragmentierung des Publikums bei. Bereits in den letzten Jahren haben die traditionellen Marktführer im Bereich Fernsehen vor allem jüngere Zuschauer an das Internet verloren.

War die Transformation der Medienlandschaften in Mittel- und Osteuropa schon aufgrund des politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umbaus in den vergangenen 20 Jahren von einer dramatischen Dynamik gekennzeichnet, so wird sich diese also aufgrund der technologischen Entwicklungen erneut beschleunigen. Es bleibt abzuwarten, ob sich dabei auch „typische“ regionale Muster im Geflecht der vielfältigen Interdependenzen zeigen, in das die Medien eingebettet sind.


Fußnoten:


  1. Karol Jakubowicz: Post-Communist Media Development in Perspective. In: Internationale Politikanalyse der Friedrich-Ebert-Stiftung. (Europäische Politik/Politikinformationen Osteuropa, 122). Bonn 2004; Electronic Edition Bonn 2005: http://library.fes.de/pdf-files/id/02841.pdf (letzter Zugriff: 04.03.2015), Zitat S. 1. – Alle englischen Zitate wurden im folgenden Text von der Verfasserin übersetzt. ↩︎

  2. Eine frühe Ausnahme bildet Polen, wo die Kirche bis 1956 das Recht hatte, eigene Publikationen herauszugeben und (mit Unterbrechungen) die katholische Wochenzeitung „Tygodnik Powszechny“ bis zum demokratischen Umbruch erschien. Vgl. auch die Hinweise im Beitrag von Joanna Bątkiewicz-Brożek und Maciej Müller in diesem Heft, besonders S. 115 f. (der gedruckten Ausgabe). ↩︎

  3. Karol Jakubowicz: Finding the Right Place on the Map. Prospects for Public Service Broadcasting in Post-Communist Countries. In: ders./Miklos Sükösd (Hrsg): Finding the Right Place on the Map. Central and Eastern European Media Change in a Global Perspective. Bristol, Chicago 2008, S. 17 ff. ↩︎

  4. Vgl. Open Society Institute (Hrsg.): Television Across Europe. More Channels, Less Independence. Follow-up Report 2008. Budapest, New York 2008, S. 24. ↩︎

  5. Es sei hier gestattet, die englischen Begrifflichkeiten zu übernehmen, da „public service broadcasting“ zwar in der Rollenzuschreibung, nicht jedoch in der besonderen Struktur und Verankerung dem deutschen „öffentlich-rechtlichen“ Rundfunk gleicht. ↩︎

  6. Open Society Institute (wie Anm. 4), S. 19. ↩︎

  7. Jakubowicz, Finding the Right Place (wie Anm. 3), S. 118. ↩︎