Medien in Polen 2010

aus OWEP 2/2010  •  von Andrzej Kaluza

Dr. Andrzej Kaluza ist wissenschaftlicher Assistent am Deutschen Polen-Institut Darmstadt, wo er u. a. für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und das „Jahrbuch Polen“ verantwortlich ist. Er hat zahlreiche Publikationen zum deutsch-polnischen Verhältnis und zu den gegenwärtigen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen in Polen veröffentlicht.

Anspruch und Wirklichkeit

Als im Sommer 1989 die erste nichtkommunistische Regierung als Folge des Runden Tisches etabliert wurde, schickte sich die polnische Gesellschaft an, die politischen, ökonomischen und gesellschaftlichen Systeme einer grundlegenden Transformation zu unterziehen. Eines der entscheidenden Elemente des Experiments „Freiheit“ bildete die Sphäre der Medien, war doch die Losung „Die Presse lügt“ eines der wichtigsten Schlagworte für den Umbruch im Lande. Nach Jahrzehnten der Zensur und des Scheindaseins sollte die „vierte Gewalt“ ihrer Rolle in der Demokratie wieder gerecht werden. In der Zeit der Volksrepublik Polen (1944-1989) war die Gesellschaft nicht nur von der Presse belogen worden, sondern auch vom Fernsehen, vom Rundfunk, von den Verlagen, den Schulprogrammen und allen anderen Akteuren der „offiziellen“ Meinungsbildung. Deswegen stellten die Abschaffung der Zensur nach der politischen Wende (offiziell im April 1990) und die Abschaffung des staatlichen Medienmonopols die wichtigsten Zäsuren in der Entwicklung der freien Meinungsäußerung in Polen nach dem Zweiten Weltkrieg dar.

Auch wenn die Medien dem kommunistischen Staat und seiner Propaganda unterstanden und wirtschaftlich abgesichert waren, war dies tatsächlich nicht gleichbedeutend mit einem wirklichen Informations- und Meinungsmonopol der Kommunisten. Nach der Abschaffung der Meinungsfreiheit Ende der vierziger Jahre waren es zunächst ausländische Sender, „Instrumente des Kalten Krieges“, wie Radio Freies Europa, Voice of America, die BBC oder der Deutschlandfunk, die in ihren polnischsprachigen Programmen ein Gesamtspektrum polnischen Lebens im In- und Ausland ohne Zensur präsentierten. Eine besondere Rolle spielte auch die in Paris von dem Emigranten Jerzy Giedroyc herausgegebene Monatsschrift „Kultura“, die aktiv in aktuelle polnische Debatten eingriff und so einen dauerhaften Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung an der Weichsel hatte. Sie wurde nach Polen geschmuggelt und gelesen, offiziell war ihr Vertrieb im Lande natürlich verboten.

Mitte der siebziger Jahre wurden in Polen erste Untergrundverlage gegründet, die es trotz offizieller Kontrolle (z. B. der zentralen Papierzuteilung) geschafft haben, eine beachtliche Anzahl von Periodika politischer oder kultureller Art (z. B. „Biuletyn Informacyjny“, „Na Głos“) und verbotene Literaturtitel (z. B. „Die Blechtrommel“ von Günter Grass) herauszugeben. Ihre Rolle bestand hauptsächlich in der Schaffung einer unabhängigen Öffentlichkeit – kaum ein Intellektueller, auch ein linientreuer, der davon keine Kenntnis gehabt hätte. In der Zeit der Solidarność, einer Zeit der Hoffnung auf Liberalisierung und Demokratisierung, verfügte die Gewerkschaft über eigene Medien wie den „Tygodnik Solidarność“, der auch politische Themen aufgriff und nach der Verhängung des Kriegsrechts 1981 wieder verboten wurde.

Die Ansprüche der Medienzunft an der Schwelle zur Demokratie waren bescheiden und sind doch bis heute aktuell geblieben: der Gesellschaft durch „die Wahrheit zu dienen“. In Zeiten der Diktatur, Zensur und Lüge waren die Fronten klar definiert, aber allein die Abschaffung widriger Umstände ist noch lange keine Garantie dafür, dass sich Qualitätsmedien in der Demokratie unter Marktbedingungen gegenüber anderen auf Dauer durchsetzen können. Diese Erfahrung macht die polnische Medienlandschaft auch im Jahre 2010, doch nun unter anderen Vorzeichen.

Presselandschaft

Die Bahnhofskioske, in denen es seit 1989 Hunderte von Titeln zu kaufen gibt, täuschten darüber hinweg, dass der polnische Zeitungsmarkt lange Zeit von nur wenigen Akteuren dominiert wurde: der „Gazeta Wyborcza“, der „Rzeczpospolita“ und einigen regionalen Titeln. Symbol des demokratischen Ethos und des wirtschaftlichen Erfolgs wurde die im Mai 1989 gegründete „Gazeta Wyborcza“ („Wahlzeitung“), die zunächst nur ein Gegengewicht zu den staatlichen Medien vor den ersten halbfreien Wahlen bilden sollte. Nach dem politischen Umbruch, an dem u. a. ihr Chefredakteur Adam Michnik selbst aktiv beteiligt war, gruppierten sich um sie herum schnell Galionsfiguren der Oppositionsbewegung aus dem linksliberalen und eher laizistischen Lager. Die „Gazeta Wyborcza“ wurde zum Paradebeispiel der neuen Wirklichkeit. Von den Machern selbst in eine Aktiengesellschaft geführt, hatte sie lange Zeit eine herausragende meinungsbildende und wirtschaftliche Stellung (Auflage: ca. 400.000). Dabei bleibt die Zeitung bis heute ein Medium mit dem starken Sendungsbewusstsein, ihre Leserschaft zum aufgeklärten und selbstbewussten Umgang mit der Geschichte und Gegenwart des Landes heranzuführen. Das Gegengewicht bildete lange Zeit die z. T. dem Staat gehörende Zeitung „Rzeczpospolita“, die seriös und neutral schrieb, bis sie nach dem Wechsel des Chefredakteurs 2005 ihren Kurs änderte und aktiv die damalige konservative Regierungskoalition unterstützte. Die „Rzepa“ ist heute weiterhin ein Sprachrohr der „IV. Republik“ und hat viele konservative Beobachter und Journalisten um sich gruppiert.

Die regionalen Zeitungen machten von sich reden, als ein bedeutender Teil von ihnen von der bayerischen Verlagsgruppe „Passauer Neue Presse“ (PNP) aufgekauft wurde. Die „deutsche Expansion“ hatte ökonomischen Charakter und zielte darauf, durch attraktive regionale Medien das Anzeigengeschäft anzukurbeln und den Warschauer Branchengrößen Konkurrenz zu machen. Viel diskutiert wurde damals jedoch die Frage der Unabhängigkeit der einzelnen Redaktionen gegenüber dem ausländischen Eigentümer, die konsequent gewahrt wurde. Es sind keine Fälle einer „nationalistischen“ Einmischung in der Zeit vor dem polnischen EU-Beitritt bekannt geworden, als die deutsch-polnischen Beziehungen zunehmend Spannungen ausgesetzt waren. Das Konzept der PNP ging allerdings nicht ganz auf; 2009 trennte sich der Konzern von einem Großteil seiner polnischen Beteiligungen.

Wirklich „aufgemischt“ wurde der Pressemarkt dagegen tatsächlich von einem anderen deutschen Akteur – dem Axel Springer-Verlag, der 2005 gleich mit mehreren Titeln die polnische Presselandschaft veränderte und bis heute wesentlich prägt. Zunächst kam „Fakt“, eine Art polnische „Bild“-Zeitung, die nicht nur die Boulevard-Presse durcheinanderwirbelte (seit Markteinführung der meist verkaufte Titel mit ca. 500.000 Exemplaren Auflage), sondern selbst die branchenspezifischen Spielregeln neu bestimmte. Die polnischen Boulevardblätter, allen voran „Super-Express“ (Auflage: 200.000 Exemplare), fristeten bis dahin ein eher bescheidenes Dasein, aber nun schickten sich gleich mehrere Titel an, die journalistischen Standards und die Empfindlichkeitsgrenzen der Polen in ihrem Kampf um die Schlagzeilen dramatisch herunter zu setzen. Viele Polen stellen sich heute wieder einmal die Frage nach der „Wahrheit“ in den Medien, die nun nicht mehr politisch gegeißelt werden, sondern von einer niveaulosen Schlammschlacht geprägt sind. Seriöses Gegengewicht zu „Fakt“ aus dem Hause Springer und erklärte Konkurrenz für die führenden Meinungsblätter sollte „Dziennik“ („Tageblatt“) sein, eine Art polnische „Die Welt“ mit eher rechtsliberaler und konservativer Ausrichtung (Auflage 250.000 Exemplare). Das Experiment misslang: Ende 2009 gab der Verlag auf, die Zeitung fusionierte mit der wirtschaftsorientierten „Gazeta Prawna“ („Recht-Zeitung“).

Unter den Wochenmagazinen konnte das ehemalige liberale Parteiblatt „Polityka“ seine führende Rolle behaupten. Mit ca. 150.000 Exemplaren bietet es dem polnischen Leser ein breites Spektrum an solide recherchierten Analysen. Auf Platz zwei rangierte lange Zeit entweder das im Springer-Verlag erscheinende „Newsweek Polska“ (Auflage: 125.000 Exemplare) oder das durch seine provozierenden Artikel und Covers bekannte „Wprost“ („Direkt“, Auflage: 105.000 Exemplare). In letzter Zeit wurden beide Titel vom katholischen „Gość Niedzielny“ („Sonntagsgast“, Auflage: 132.000 Exemplare) überflügelt, das durch sein ansprechendes Layout eine neue Leserschaft fand. Einen großen Teil des Marktes für Frauenzeitschriften und Magazine beherrschen viele ausländische Unternehmen, die bereits seit langem auf dem polnischen Markt präsent sind wie Bauer, Marquardt oder Edipresse. Dagegen werden viele qualitativ wertvolle Kultur- und Literaturzeitschriften aus den Mitteln des Kulturministeriums („Lampa“) oder aus Woiwodschaftsmitteln in vielen Großstädten herausgegeben („Odra“ in Breslau/Wrocław).

Fernsehen

„Das Fernsehen lügt“ war ein anderes Stichwort der Opposition der achtziger Jahre; allerdings wurde dann durch die unkontrollierte Verbreitung von Satellitenantennen das Informationsmonopol des Staates in diesem Bereich kampflos aufgegeben. Nach 1989 wurden nur wenige linientreue TV-Leute entlassen; die meisten Journalisten waren hochqualifizierte Experten, die die Zukunft des nunmehr öffentlich-rechtlichen Fernsehens TVP bestimmen sollten. Die elektronische Medienlandschaft – Rundfunk und Fernsehen – wurde im demokratischen Polen neu bestimmt, vor allem durch das Mediengesetz von 1993 und die Einberufung des Fernseh- und Rundfunkrates, der u. a. für die Vergabe von Sendefrequenzen und die rechtliche und technische Kontrolle der vielen Privatsender zuständig ist. Die Funktion dieses Gremiums und die Ernennung seiner Mitglieder durch die jeweils regierenden Parteien gaben immer wieder Anlass zur Kritik am öffentlich-rechtlichen Auftrag des Rates.

Das Polnische Fernsehen TVP ist mit dem landesweiten Ersten und Zweiten Programm der populärste Sender, hinzu kommen noch 12 Regionalstudios und mehrere Spartenkanäle wie der Auslandssender „TV Polonia“, „TV Kultura“, „TVP Info“ und „TV Historia“. Insgesamt kommt TVP auf einen Marktanteil von ca. 45 Prozent. TVP ist eine Aktiengesellschaft, die dem Staat gehört und gewinnbringend arbeitet. Kritiker bemängeln die endlosen Werbefenster ohne jegliche Einschränkung und den Qualitätsverfall der Sendungen. Viele Intellektuelle kritisieren die Nähe des TVP zur Politik und die oft wechselnden Intendanten. Auf den nächsten Plätzen liegen private Fernsehstationen wie „Polsat“ (17,5 Prozent) und „TVN“ (16,5 Prozent), eine private Senderfamilie, die auch den Nachrichtenkanal TVN24 und viele Spartenkanäle anbietet. Beide Sender betreiben auch qualitativ erstklassigen Fernsehjournalismus und leisten mit ihren Diskussionen und Dokumentationen einen wichtigen öffentlichen Beitrag. Darüber hinaus gibt es im polnischen Kabelfernsehen eine große Anzahl (über 250) an Nischen- und Spartenkanälen, wie „Telewizja Trwam“ (katholisch, mit „Radio Maryja“ verbunden) und Ableger internationaler Anbieter (HBO, MTV, Discovery Channel).

Rundfunk

Eine ähnliche Transformation wie das Fernsehen durchlief der polnische Rundfunkbereich. Die ordnungspolitische Funktion übt auch hier der bereits erwähnte Rundfunk- und Fernsehrat aus. Er leistete seinen Beitrag zur Brechung des Staatsmonopols und zur Einführung und Überwachung von Marktmechanismen. Vor der Wende gab es in Polen vier landesweite Programme des staatlichen Rundfunksenders „Polskie Radio PR“, die – abgesehen von reinen Informationssendungen mit Propagandaauftrag – eine respektable journalistische Qualität boten und dadurch eine authentische Popularität genossen. Das Polnische Radio, nach der Wende in eine Aktiengesellschaft umgewandelt, kann auch heute den größten Marktanteil für sich verbuchen, die vier Hauptprogramme sind nach wie vor ein Renner (22 Prozent). Der größte private Rundfunkanbieter „Radio RMF“ (21 Prozent) konzentriert sich mehr auf populäre Musik als auf qualitative Informationsangebote, bietet aber auch anspruchsvolle Spartenprogramme an (z. B. RMF Klassik). Zu den populären Privatsendern gehören neben dem drittgrößten „Radio Zet“ auch „Radio Eska“ und „Tok Fm“. Eine gewisse Popularität in westlichen wie heimischen Medien erreichte der Sender des Redemptoristenpaters Tadeusz Rydzyk, „Radio Maryja“. Auch wenn er nur etwa 2,5 Prozent des Marktanteils innehat, sorgt der Chefredakteur mit seinen umstrittenen gesellschaftspolitischen Äußerungen immer wieder für Aufsehen. Die Amtskirche geht offiziell auf Distanz zu dem Sender, es ist aber kein Geheimnis, dass ein Großteil des Klerus die Ideen des Senders unterstützt.

Internet

Die Entwicklung des polnischsprachigen Internetangebots kam verspätet, dafür aber mit voller Wucht. Wie in vielen Gesellschaften, so auch in Polen verläuft die Nutzungsgrenze bei den neuen Medien etwa an der Altersgrenze von 55 Jahren. Junge Leute können sich ein Leben ohne neue Medien wie mp3, DVD, Handy und Internet nicht vorstellen. Kaum verwunderlich, dass hinter den größten polnischen Internetportalen große Medienkonzerne wie „Agora RMF“ und „ITI“ stehen. Das meistbesuchte Portal in Polen ist onet.pl. Es liefert aktuelle Informationen zu Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport und Unterhaltung, bietet populäre Blogs, Chaträume und Diskussionsforen sowie kostenlose Mailkontos. Eine beispiellose landes-, ja europaweite Karriere machte nasza-klasa.pl, ein genuin polnisches soziales Netzwerk, das ehemaligen Schulfreunden Kontakte vermittelt. Im Zuge der europaweiten Migration von jungen Polen ist das Portal nun auch im Ausland bekannt; in Irland seht es auf Platz 10 der beliebtesten Portale und damit noch vor der irischen Ausgabe von eBay.