Der Überlebenskampf der Slowakei

Prof. Dr. Stanislav J. Kirschbaum ist Professor für Internationale Studien und Politische Wissenschaften an der York University/Glendon College in Toronto, Kanada.

Die Slowakei wurde zum zweiten Mal in ihrer modernen Geschichte am 1. Januar 1993 ein unabhängiger Staat. Dies war das Ergebnis einer Abstimmung in der tschechoslowakischen Föderalversammlung vom 25. November 1992, die die Auflösung der Tschechischen und Slowakischen Föderativen Republik beschloss. Die Revolution vom November 1989, die das kommunistische Regime ablöste, ist wegen ihrer Gewaltlosigkeit und friedlichen Umsetzung bekannt als die „samtene Revolution“ (in der Slowakei „freundliche Revolution“). In Analogie dazu wurde die Trennung als „samtene Trennung“ (entsprechend „freundliche Trennung“) bezeichnet. Damit wurde das endgültige Ende des jahrhundertelangen slowakischen Überlebenskampfes markiert.

Geographische und ethnische Grundlagen

Die Slowakei bedeckt eine Fläche von 49.035 km² und liegt im Herzen Europas. Sie wird gelegentlich wegen ihrer Gebirgsketten, bekannt als die Tatra (Hohe und Niedere Tatra), die den nördlichen Teil des großen Karpatenbogens ausmachen und etwa 30 Prozent des Territoriums bedecken, als die Schweiz Zentraleuropas bezeichnet. Berge und Flüsse bilden die Grenzen zu den Nachbarstaaten: die March und die weißen Karpaten zur Tschechischen Republik im Westen, die Tatra zu Polen im Norden und die Donau zu Österreich und Ungarn im Südwesten, die Theiss und Uh (Už) zu Ungarn und zur Ukraine im Osten.

Die Mehrheit der slowakischen Bevölkerung bilden die Slowaken, die eine westslawische, zur indoeuropäischen Sprachfamilie gehörendeSprache sprechen. Nach der letzten Bevölkerungszählung bilden die Slowaken 85,8 Prozent der gesamten Bevölkerung von 5,4 Millionen Einwohnern. Es gibt also auch nationale Minderheiten. Die größte ist die der Ungarn (Magyaren), die 9,7 Prozent der Bevölkerung ausmachen und besonders im Südwesten und Südosten in Dörfern und kleinen Städten entlang der ungarischen Grenze wohnen. Die verbleibenden 4,5 Prozent teilen sich u. a. auf in Roma, Tschechen, Ukrainer, Deutsche und Polen.1

Skizzen zur frühen und mittelalterlichen Geschichte

Die heutigen Slowaken sind Abkömmlinge der Slawen, die aus dem Nordosten kommend im 6. Jahrhundert unserer Zeitrechnung in das Gebiet der heutigen Slowakei eingewandert sind.2 Obwohl es die Erwähnung eines fränkischen Kriegsherrn namens Samo im 7. Jahrhundert gibt, der die Slawenstämme einte, beginnt die slowakische Geschichte als solche mit dem Großmährischen Reich unter Fürst Mojmír von Mähren, der Fürst Pribina von Nitra (Neutra) vertrieb und Mähren und Nitra um 833 zusammenschloss. Es erhielt seinen Namen vom byzantinischen Kaiser Konstantin VII. Porphyrogenetes, der dies in seinem Werk De administrando imperio erwähnt. Zur gleichen Zeit waren die Slawen dem Druck des Ostfränkischen Reiches ausgesetzt, das sich auch zur Missionierung dieses Raumes anschickte. Die Missionsarbeit stieß jedoch auf Widerstand seitens der Slawen, da sich mit der Kirche zusammen auch eine politische Vorherrschaft des Ostfränkischen Reiches abzeichnete. 861 ersuchte Fürst Rastislaw Papst Nikolaus I. um Lehrer, die mit der slawischen Sprache vertraut waren. Da er keine Antwort erhielt, wandte er sich mit derselben Bitte an den byzantinischen Kaiser Michael III. und bat auch um einen Bischof. Der Kaiser stimmte zu und entsandte 863 die griechischen Brüder Konstantin (Cyrill) und Methodios. Als Ergebnis ihrer Bemühungen begann die Christianisierung der Slawen.

Der bedeutendste der großmährischen Herrscher war Svatopluk, der nicht nur die Franken in Schach hielt, sondern darüber hinaus seinen Herrschaftsbereich erheblich erweiterte. Seine Eroberungen schlossen Territorien im heutigen Polen, den größten Teil des heutigen Tschechiens und Teile Ungarns ein. Es gelang ihm zusätzlich, päpstlichen Schutz zu erhalten (Bulle Industria tuae von Papst Johannes VIII., 880). Als er 894 starb, fielen die eroberten Gebiete rasch wieder ab. Sein Sohn und Nachfolger Mojmír II. war unfähig, den vereinten Angriffen der Deutschen und Magyaren zu widerstehen. Nach 906 kamen die Slowaken unter die Herrschaft der magyarischen Stämme, die sich nach der verlorenen Schlacht auf dem Lechfeld bei Augsburg (955) in der Donauebene niederließen und dort zu Beginn des zweiten Jahrtausends ein neues Königreich, Ungarn, begründeten. Die Vorfahren der heutigen Slowaken erhielten bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts keine Gelegenheit mehr, einen eigenen Staat zu schaffen. Die großmährische Episode hinterließ den Slowaken ein bedeutendes Erbe, nämlich das Christentum. Es repräsentiert eines der beiden Themen, die die slowakische Geschichte durch alle Zeitalter hindurch beherrschten, das andere ist der Kampf ums Überleben.

In den nächsten 500 Jahren waren die Beziehungen zwischen Slawen und Magyaren zwar nicht immer harmonisch, dennoch ohne größere Konflikte. Die Magyaren konsolidierten ihren Staat, Christentum und Erziehungswesen breiteten sich aus, verschiedene Orden ließen sich im Lande nieder und gründeten Klöster und Schulen auf slowakischem Territorium. Das Königreich selbst organisierte sich auf der Grundlage von Grafschaften, deren jede von einem Administrator (župan) geleitet wurde. Bis in die Neuzeit hinein nahmen die Einwohner der Slowakei an der sozialen, politischen und ökonomischen Entwicklung des ungarischen Königreiches teil, und sie waren ebenso den Folgen der Mongoleninvasion im 13. Jahrhundert wie der Ausbreitung des Hussitentums in den Jahren nach 1440 ausgesetzt.

Herausragend an dieser ungarischen Periode der slowakischen Geschichte ist der slowakische Anteil an der europäischen Kultur. Hervorragende gotische Kathedralen und Kirchen findet man in der gesamten Slowakei, aber kein anderes Kunstwerk aus der gotischen Epoche ist so künstlerisch bedeutend und reich ausgeschmückt wie der 1517 von „Majster Pavol“3 vollendete Altar in der Kirche St. Jakob in Levoča. Während der Herrschaft von König Matthias Corvinus (regierte 1458-1490) wurde in Bratislava 1465 auch eine Universität, die „Academia Istropolitana“ gegründet. Sie überlebte allerdings ihren Gründer nicht und wurde 1490 geschlossen.

Die neuzeitliche Entwicklung

Mit der osmanischen Besetzung Ungarns nach der Schlacht von Mohács (1526) entwickelte sich das Gebiet der heutigen Slowakei zu dem, was die Historiker das „königliche Ungarn“ (auch „Oberungarn“) nennen, de facto mit Bratislava (damals auf Slowakisch Prešporok genannt, lateinisch Istropolis oder Posonium, ungarisch Pozsony und deutsch Pressburg) als Hauptstadt. Die südslowakischen Städte und Dörfer blieben allerdings von häufigen türkischen Überfällen während der 150 Jahre, als das Osmanische Reich den Rest Ungarns kontrollierte, nicht verschont. Zu erwähnen sind außerdem Reformation, Gegenreformation und sechs ungarische Aufstände gegen die habsburgischen Herrscher mit ihren Auswirkungen auf das slowakische Gebiet. Die Wirtschaft der Region, die sich während des Mittelalters hervorragend – besonders im Bergbau – entwickelt hatte, verfiel infolge der Verlagerung der europäischen Handelsströme nach Westeuropa.

Die Slowaken wurden, nachdem die Jesuiten 1635 die Universität Trnava und 1657 eine weitere Universität in Košice gegründet hatten, stark durch die Gegenreformation geprägt. Vorher war die Reformation in den slowakischen Städten auf fruchtbaren Boden gestoßen, besonders in den Bergbaustädten, in denen es einen bedeutenden deutschen Bevölkerungsanteil gab. Auf der Synode von Žilina bildete sich 1610 die slowakische lutherische Kirche. Die Herausgabe der Cithara Sanctorum, eines lutherischen Gesangbuches, durch Juraj Tranovský 1636 in Levoča und des Cantus Catholici, eines katholischen Gesangbuches, von Benedikt Söllöši 1655 in Trnava bezeugen den „Wettkampf“ um die Seelen der Menschen auf slowakischem Territorium. Beide Publikationen sind Zeugnisse für die Entwicklung des slowakischen Selbstbewusstseins, denn beide Bücher wurden teils in Latein, teils in Slowakisch geschrieben. Bis Ende des 17. Jahrhunderts, als Ungarn von der Herrschaft der Osmanen befreit war, hat sich dann die Gegenreformation in der Slowakei durchgesetzt; besonders erwähnt werden sollte das Wirken von Peter Kardinal Pazmaň SJ, Erzbischof von Ostrihom4.

Im 18. Jahrhundert entwickelten sich die habsburgischen Länder, zu denen mit Ungarn auch das slowakische Territorium gehörte, zu einem absolutistischen Staat mit zeitgemäßen modernen Tendenzen in Politik und Verwaltung. Diese wirkten sich allerdings nicht unbedingt positiv auf die Slowaken aus. So wurde etwa 1777 die Universität von Trnava nach Buda verlegt. Eine Herausforderung anderer Art bildete die Veränderung des nationalen Gleichgewichts im Königreich Ungarn, als neue Siedler eingeladen wurden, sich in den von den Osmanen verwüsteten Landstrichen niederzulassen. Am Ende der Regierung von Kaiserin Maria Theresia (1780) zählten die Magyaren ungefähr 3,25 Millionen Menschen und repräsentierten nur 35 Prozent der gesamten Bevölkerung.5 Im Königreich Ungarn waren die Slowaken die größte Minderheit mit ungefähr 1,25 Millionen Menschen. Hier liegt der Ursprung für die Konflikte zwischen Magyaren und Slowaken im 19. und 20. Jahrhundert.

Ursachen und Verlauf des slowakisch-ungarischen Konflikts

Das erste Zeichen für diesen Konflikt setzte im Jahr 1722 Michal Benčik, ungarischer Professor für Staatsrecht an der Universität Trnava, mit der Behauptung, die slowakischen Adligen von Trenčín seien Nachkommen der Untertanen Svatopluks, der angeblich sein Land für ein weißes Pferd an die Magyaren verkauft hätte. Er erntete Widerspruch z. B. von Ján Balthazár Magin, Samuel Timon und Matej Bel, die sich auf ältere Historiker und deren Arbeiten über die Slawen in Ungarn beriefen (z. B. Peter Rivai und Jakob Jakobeus). Die Slowaken sollten, so meinten sie, nicht ihre Geschichte oder ihr Recht darauf verleugnen. Genau dieses Recht wurde jedoch nun immer stärker herausgefordert, und diese Herausforderung war ein Teil des Überlebenskampfs, in dem sich die Slowaken gegenüber den Ungarn befanden – ein Prozess, der darauf abzielte, den multinationalen ungarischen Staat in einen magyarischen Einheitsstaat zu verwandeln. Um dies zu erreichen, betrieben die Ungarn einen Assimilierungsprozess, bekannt als Magyarisierung.

Die Sprache wurde eines der wichtigsten Werkzeuge im slowakischen Überlebenskampf. Die slowakische Sprache benötigte eine eigene Verschriftung, da ein starker Druck vonseiten der älteren tschechischen Literatursprache herrschte, diese als Verschriftung des Slowakischen anzuerkennen; hierfür traten besonders die slowakischen Lutheraner ein. Die damit verbundenen Auseinandersetzungen beherrschten die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts und wiesen auf kommende Konflikte hin. Kurz gefasst ging es darum, das Tschechische völlig zu übernehmen und damit zugleich zu behaupten, das Slowakische sei keine eigene Sprache, sondern nur ein Dialekt des Tschechischen. Anton Bernolák veröffentlichte 1790 die erste Darlegung der slowakischen Schriftsprache, die auf der Sprache beruhte, die besonders unter den katholischen Slowaken in der Westslowakei, teilweise aber auch unter den lutherischen Slowaken im Gebrauch war. Bernoláks Festlegungen wurden jedoch nicht von allen Slowaken akzeptiert und daher Mitte des 19. Jahrhunderts durch die Kodifizierung Ľudovít Štúrs ersetzt, der mittelslowakische Dialekte als Grundlage für die Schriftsprache ansetzte.

Die Französische Revolution hatte nur geringes Echo in den habsburgischen Ländern; immerhin aber führte sie zur Verschwörung von Ignác Martinovič (1795 hingerichtet), der die Bildung einer autonomen Slowakei innerhalb Ungarns vorschlug. Weniger die Revolution von 1848/49 war es, die die Slowaken zum Handeln zwang – vielmehr war es der Druck der Ungarn, die die Assimilation der Slowaken vorantreiben wollten. Die slowakischen Führer Ľudovít Štúr, Jozef Miloslav Hurban und Michal Miloslav Hodža riefen im September 1848 einen slowakischen Nationalrat zusammen, der die politische Unabhängigkeit von Ungarn erklärte und einen bewaffneten Aufstand ausrief. Schlecht organisiert und schlecht geführt, schlug diese Rebellion 1848/49 fehl; als Zäsur ist sie jedoch von grundlegender Bedeutung, denn von nun an nahmen die Slowaken endgültig ihr Schicksal in ihre eigenen Hände. Die Forderungen der slowakischen Nation vom Mai 1848 sind das erste entsprechende Dokument. Die eigentliche Herausforderung lag allerdings darin, die Wege und Mittel zur Erreichung slowakischer Ziele zu finden.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und den ersten beiden Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts ging der slowakische Überlebenskampf an zwei Fronten weiter: der politischen und der kulturellen. An der politischen Front versuchten die slowakischen Führer 1861 mit dem Memorandum der slowakischen Nation, ihre Situation darzulegen und sich der Magyarisierung zu widersetzen, wiederum ohne Erfolg. Dennoch bildeten sich gegen Ende der Monarchie politische Parteien in der Slowakei. Auf der kulturellen Seite gab es einigen Erfolg bei der Errichtung der „Matica Slovenska“ (Slowakisches Kulturinstitut) 1863 und der Eröffnung von drei slowakischen Gymnasien. Als Folge des österreichisch-ungarischen Ausgleichs von 1867 wurden jedoch das slowakische Kulturinstitut und die drei Gymnasien 1875 geschlossen. Dennoch wuchs und entwickelte sich das slowakische Kulturleben weiter. Die slowakische Literatur blühte mit Romanen, Gedichten und Erzählungen von Pavol Országh Hviezdoslav, Martin Kukočín und Svetozár Hurban Vajanski auf; ähnliches gilt für Musik und Historiographie. Ungarn entwickelte sich industriell und gesellschaftlich, ebenso – wenn auch in geringerem Umfang, die Slowakei. Den Ausschlag für die weitere Entwicklung brachten dann internationale Ereignisse. Der Erste Weltkrieg eröffnete den Slowaken eine andere Option als den Verbleib im ungarischen Königreich. Die politische Union mit den Tschechen tat sich als der gangbarste Weg auf, und am Ende des Krieges (Treffen in Turčiansky Svätý Martin, Oktober 1918) wurde in der Erklärung der slowakischen Nation diese Union von allen politischen Gruppierungen der Slowakei anerkannt.

Von der Tschechoslowakei zur unabhängigen Slowakei

Obwohl es die einzige realistische Lösung war, gab es bei der tschechisch-slowakischen Option eine dünne Verbindungslinie zur Vergangenheit, sowohl mit Blick auf politische Alternativen als auch mit Blick auf die Geschichte der beiden Nationen. Nichtsdestoweniger behauptete die tschechoslowakische Historiographie später, dass die Tschechen und Slowaken bereits zur Zeit des Großmährischen Reiches im frühen Mittelalter einen gemeinsamen Staat gebildet und darüber hinaus jahrhundertelange Verbindungen bestanden hätten, etwa durch die Hussiten in der Slowakei. Der frühere Gebrauch des Tschechischen als Schriftsprache durch die Slowaken und einer veralteten Fassung durch die slowakischen Lutheraner noch bis ins 19. Jahrhundert wurden als weiterer Beweis für die Notwendigkeit und Unausweichlichkeit der Union zwischen beiden Nationen angesehen.

Noch vor der Schaffung der tschechoslowakischen Republik 1918 hatten tschechische und slowakische Organisationen in den USA während des Ersten Weltkriegs zwei Übereinkommen unterzeichnet, die eine politische Union zwischen den beiden Nationen in einem gemeinsamen Staat umrissen. Das „Cleveland Agreement“ (1915) schlug eine Konföderation zwischen der Slowakei und den tschechischen Landesteilen (Böhmen, Mähren, Österreichisch-Schlesien) vor. Weil dies im Hinblick auf die tschechische politische Führung problematisch war, wurden die Slowaken gebeten, den „Pittsburgh Pact“ von 1918 zu unterzeichnen, der der Slowakei ein gewisses Maß an Autonomie in einem Zentralstaat zusicherte. Die Notwendigkeit, einen solchen Staat zu schaffen, wurde gerechtfertigt durch die besonderen Herausforderungen der mitteleuropäischen Nachkriegspolitik. Die politische Führung in Prag erklärte dann, diese Union aus Tschechen und Slowaken hätte eine tschechoslowakische Nation geschaffen, in der die Slowaken ein Zweig derselben seien und ihre Sprache ein Dialekt des Tschechischen. Der „Tschechoslowakismus“ bildete die offizielle Regierungspolitik in Richtung der Slowaken. Einmal mehr sahen sich die Slowaken zu einem Kampf ums nationale Überleben gezwungen.

Die erste tschechoslowakische Republik, die am 28. Oktober 1918 das Licht der Welt erblickte, war ein zentralistisch ausgerichteter demokratischer Staat, der ordnungsgemäß verlaufende Wahlen abhielt, auf rechtsstaatlichen Prinzipien beruhte und seinen Bürgern alle Rechte und Privilegien, die in einer Demokratie üblich sind, gewährleistete. Die Tschechoslowakei war der einzige Staat dieses Typs im Mitteleuropa der Zwischenkriegszeit. Die Slowakei und die Slowaken gewannen sehr viel aus ihrer Union mit den Tschechen: Das slowakische Erziehungswesen, die Künste und Kultur blühten, die Spuren der feudalen Vergangenheit wurden beseitigt – kurz: Der Staat und die Gesellschaft entwickelten sich stetig in Richtung Moderne. Die slowakische industrielle Entwicklung war jedoch wesentlich niedriger als in den tschechischen Landesteilen. Aus dem „Tschechoslowakismus“ heraus verstand sich die Tschechoslowakei immer stärker als ein tschechischer ethnischer Nationalstaat – und dies bildete die Hauptherausforderung für die Demokratie. Die größte politische Partei, in der sich die slowakische Opposition zu Wort meldete – ohne jedoch den Staat zerstören zu wollen, – war die Slowakische Volkspartei unter Führung von Andrej Hlinka (1864-1938), einem der bedeutendsten slowakischen Politiker des 20. Jahrhunderts. In den Wahlen von 1925, 1929 und 1935 gewann diese Partei die größte Anzahl von Sitzen in der Slowakei. Ihr Programm basierte auf den Grundsätzen des „Pittsburgh Pact“ – das Zugeständnis der Autonomie für die Slowakei – und auf der Verteidigung der nationalen, politischen, sozialen und ökonomischen Interessen der slowakischen Bevölkerung, die im Gegensatz zu den Tschechen in ihrer religiösen Zuordnung ganz überwiegend katholisch geprägt war. Die übrigen politischen Parteien in der Slowakei standen als Ableger tschechischer Parteien den Autonomiewünschen der Slowakei reserviert gegenüber.

Die internationale Situation in Mitteleuropa nach dem Ersten Weltkrieg war bestimmt vom allmählichen Wiedererstarken der deutschen Machtstellung und damit zusammen von der Revision des Vertragssystems von Versailles. Die Tschechoslowakei wurde eines der Opfer der deutschen Expansion, zunächst mit dem Münchener Abkommen (1938), demzufolge das Sudetenland an Deutschland abgetreten wurde, und dem Ersten Wiener Schiedsspruch (1938), wonach Teile der Slowakei an Ungarn fielen. Schließlich erfolgte unter deutschem Einfluss die Erklärung der Unabhängigkeit der Slowakei am 14. März 1939, wodurch die erste Slowakische Republik entstand. Während des Zweiten Weltkriegs war die Slowakei ein Verbündeter Deutschlands und nahm auch an der Vernichtung der europäischen Juden teil; zwei Drittel der jüdischen Vorkriegsbevölkerung wurden nach Deutschland und Polen deportiert, wo der größte Teil ermordet wurde. In den sechs Jahren ihres Bestehens (1939-1945) gab die Slowakische Republik den Slowaken auch die Möglichkeit, Erfahrungen mit der Selbstregierung zu sammeln. Dennoch sollte der erste moderne slowakische Staat nicht das Ende dieser Geschichtsphase überleben. Im August 1944 brach ein bewaffneter Aufstand aus, der die Rückkehr der Slowakei in die Tschechoslowakei einleitete.

In der Nachkriegsära befand sich die Slowakei erneut in einem Kampf ums Überleben, besonders nachdem das kommunistische Regime im Februar 1948 an die Macht gekommen war. Obwohl nun das Konzept der zwei Nationen akzeptiert wurde, setzte sich der „Tschechoslowakismus“ latent fort, wobei der Slowakei ein gewisses Maß an Autonomie zugestanden wurde. Attackiert wurden besonders die Religiosität und Anhänglichkeit der Slowaken an die katholische Kirche. Der Kampf scheiterte aber an beiden Fronten: 1968 wurde, als der „Prager Frühling“ sich um die Schaffung eines „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ bemühte, unter der Führung eines Slowaken, Alexander Dubček, der Staat in eine Föderation aus der Tschechischen Sozialistischen Republik und Slowakischen Sozialistischen Republik umgewandelt. In den achtziger Jahren nutzten die Slowaken jährliche Wallfahrten zu verschiedenen Wallfahrtsorten, um auf ihre Art politischen und nationalen Widerstand zu demonstrieren. Als das kommunistische System im November 1989 zusammenbrach, wurde nicht nur die religiöse Freiheit wieder hergestellt, sondern die politischen Führer in der Slowakei suchten nun auch eine Lösung die für tschechoslowakischen Beziehungsprobleme zu finden, und zwar so, dass beide als gleichberechtigte Partner in der Tschechoslowakei verbleiben konnten. Trotz intensiver Verhandlungen und vieler Vorschläge verliefen die Bemühungen erfolglos, sodass der gemeinsame Staat der Tschechen und Slowaken am 31. Dezember 1992 zu existieren aufhörte.

Optionen für die Zukunft

Der slowakische Überlebenskampf, wie er definiert wurde und sich in der Vergangenheit abgespielt hat, ist nun vorbei. Die Slowakei und die Slowaken sind nun in der postkommunistischen Ära mit wirtschaftlichen und politischen Transformationsproblemen konfrontiert.6 Nach der Unabhängigkeitserklärung bestand die größte Herausforderung in der Schaffung neuer staatlicher Institutionen. Die zweite Slowakische Republik bemühte sich – ebenso wie die Tschechische Republik – sofort um internationale Anerkennung und wurde bereits am 19. Januar 1993 Mitglied der UNO und anderer internationaler Körperschaften. Die Innenpolitik litt jedoch besonders während der Regierung von Vladimír Mečiar (1994-1998) unter vielen Brüchen und hatte erhebliche Probleme bei der Aufarbeitung der kommunistischen Vergangenheit. Dies führte dazu, dass die Slowakei von der ersten Osterweiterung der NATO 1997 ausgeschlossen blieb.

Auf der anderen Seite war die wirtschaftliche Transformation erfolgreicher, besonders nachdem Mikuláš Dzurinda im September 1998 eine Koalition gebildet hatte, die die Slowakei auf einen demokratischeren Weg zurückbrachte. Die Slowakei wurde im November 2002 in die NATO und im Mai 2004 in die EU aufgenommen. Die Parlamentswahlen im Juni 2006 führten zur Bildung einer Koalitionsregierung unter Robert Fico, die seither einige innenpolitische Maßnahmen der Vorgängerregierung auf Druck der EU revidiert hat. Im Ergebnis sieht sich die neue Regierung vor die Aufgabe gestellt, einerseits den Reformprozess fortzuführen, andererseits die Reformen sozial verträglicher zu gestalten. Vielleicht liegt hierin der neue slowakische Überlebenskampf: die Verteidigung der wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Integrität der Slowakei bei gleichzeitiger Teilnahme am EU-Entwicklungsprozess.

Aus dem Englischen übersetzt von Christof Dahm.


Literaturhinweise:

  • Stanislav J. Kirschbaum: A History of Slovakia. The Struggle for Survival. 2. Aufl. New York: Palgrave Macmillan, 2005.

  • Roland Schönfeld: Slowakei. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart. (Ost- und Südosteuropa. Geschichte der Länder und Völker). Regensburg: Pustet, 2000.

  • Tatjana Tönsmeyer: Das Dritte Reich und die Slowakei, 1939-1945. Politischer Alltag zwischen Kooperation und Eigensinn. (Sammlung Schöningh zur Geschichte und Gegenwart). Paderborn: Ferdinand Schöningh, 2003.


Fußnoten:


  1. Vgl. dazu auch die Länderinformation zur Slowakei unten und auf S. 313 f der gedruckten Ausgabe. ↩︎

  2. Eine frühere Einwanderung (5. Jahrhundert) wird heute kaum mehr angenommen. Die Urheimat der Slawen lag vermutlich im Nordwesten der heutigen Ukraine, in Weißrussland und Nordostpolen. ↩︎

  3. „Majster Pavol“, zu deutsch „Meister Paul“. Sein Werk in Levoča (Leutschau) zählt zu den bedeutendsten Arbeiten der europäischen Spätgotik und steht auf einer Stufe mit Arbeiten von Tilman Riemenschneider und Veit Stoß. Bildmaterial ist u. a. unter http://www.spis.sk/regiony/levoca/de.html (letzter Zugriff: 11. Oktober 2013) einsehbar (Anm. d. Redaktion). ↩︎

  4. Bekannter unter dem ungarischen Namen Peter Kardinal Pázmány SJ (1570-1637). Ostrihom ist der slowakische Name für Esztergom (deutsch: Gran), Sitz des Primas von Ungarn. ↩︎

  5. Nicht berücksichtigt wird hier Kroatien, das seit dem 11. Jahrhundert mit der ungarischen Krone verbunden war, jedoch immer einen gewissen Sonderstatus wahrte. ↩︎

  6. Vgl. dazu auch die Beiträge von Jaroslav Daniška und Peter Rival in vorliegendem Heft (Anm. d. Redaktion). ↩︎