Die „Gesandtschaft Gottes“ – eine umstrittene Pfingstgemeinde in der Ukraine
Zusammenfassung
Die heutige Ukraine bietet in religiöser Hinsicht ein äußerst buntes Bild. Neben den traditionellen Religionsgemeinschaften haben sich im letzten Vierteljahrhundert neue Gruppierungen gebildet, meist mit ausländischen Wurzeln. Der Beitrag skizziert deren Stellung in der Gesellschaft am Beispiel einer kleinen pfingstkirchlichen Gemeinschaft.
Die Ukraine als „religiöser Markt“
Betrachtet man heute, also 24 Jahre nach der staatlichen Unabhängigkeit, das religiöse Leben in der Ukraine, so führt dies zu der interessanten und bemerkenswerten Tatsache, dass es extrem vielfältig ist und in Europa den lebendigsten „religiösen Markt“ darstellt, der sich zudem immer noch weiter entwickelt. Das Jahr 1991 war kennzeichnend für die Wiedergeburt vieler traditioneller christlicher Konfessionen (sowohl orthodox, römisch- und griechisch-katholisch als auch protestantisch), des Islam und des Judentums und deren Weg aus dem Untergrund; wichtig wurde dieses Jahr außerdem für die Entstehung verschiedener neuer religiöser Bewegungen unterschiedlichster Herkunft.
Dem Religionssoziologen José Casanova zufolge ähneln die religiösen Gegebenheiten in der Ukraine in mehrfacher Hinsicht der religiösen Vielfalt in den USA. Vor solch einem vielfarbigen Hintergrund könnte man sich vorstellen, dass die von dem nigerianischen Pastor Sunday Adelaja gegründete charismatische Pfingstkirche „Gesandtschaft des gesegneten Gottesreichs für alle Nationen“ (bekannter in der Kurzform „Gesandtschaft Gottes“) eigentlich unter einem Stapel verschiedenster Informationen verborgen und den meisten Ukrainern unbekannt sein sollte. Das Gegenteil ist der Fall: Diese religiöse Organisation ist vielen Ukrainern sehr wohl ein Begriff, verknüpft jedoch mit negativen Konnotationen in Bezug auf ihre kirchliche Aktivität. Ihr Geschäftsgebaren und ihre Einflussnahme auf die Politik sind nur einige Bereiche, die man mit den seit über 20 Jahren in der Ukraine währenden Aktivitäten der „Gesandtschaft Gottes“ verbindet. Fast immer wird in den Massenmedien oder in wissenschaftlichen Artikeln, die sich mit den Ursprüngen und Aktivitäten dieser kirchlichen Organisation befassen, von einer „nationalen Bedrohung“ gesprochen. Hier sei jedoch angemerkt, dass in der Ukraine im Allgemeinen alle religiösen Organisationen, ähnlich wie prominente Persönlichkeiten oder Politiker, bei der Entstehung von Schlagzeilen eine aktive Rolle spielen, um sich in der Öffentlichkeit in Szene zu setzen. Dieses Phänomen lässt sich aus dem sehr großen Vertrauen der Gesellschaft gegenüber der Kirche als soziale Institution ableiten, das offenkundig stärker ist als gegenüber der Polizei, dem Bankensystem, dem Präsidenten oder dem Parlament.
Meines Erachtens ist das zwanzigjährige Bestehen der „Gesandtschaft Gottes“ in der Ukraine ein markantes Beispiel für die extreme Kurzzeitgeschichte der Popularität einer religiösen Organisation und ihren raschen Rückgang, die vor dem Hintergrund eines regelrechten Wettbewerbs zwischen den Konfessionen zu sehen ist, bei dem es um die Gunst und Zahl der Anhänger geht. Die „Gesandtschaft Gottes“ bildet nur ein besonderes Fallbeispiel im Rahmen der verschiedenen charismatischen pfingstkirchlichen Bewegungen in der Ukraine; sie repräsentiert keineswegs die gesamte charismatische Bewegung innerhalb des Landes. An ihr lässt sich allerdings sehr gut aufzeigen, wie verschiedene religiöse Ideen exportiert und importiert und die Wurzeln dieser Ideen in andere Länder verpflanzt werden. Schuf Sunday Adelaja gezielt etwas Einzigartiges?
Zum Hintergrund der „Gesandtschaft Gottes“
Betrachtet man die Geschichte der Religionsgemeinschaften in der Ukraine, so ist das Werk Adelajas überhaupt nicht einmalig, da er nur die Tradition jener Pfingstkirchenführer weiterführt, die die pfingstkirchlichen Traditionen am Ende des 19. Jahrhunderts in einer Vielzahl von Ausprägungen aus den USA in unterschiedliche Regionen der Ukraine brachten. Heute ist die „Gesandtschaft des gesegneten Gottesreichs für alle Nationen“ eine der größten charismatischen Kirchen der Pfingstkirchenbewegung innerhalb der Ukraine. Vom Standpunkt der Religionssoziologie aus betrachtet hat sie alle Entwicklungsstufen von der Sekte hin zu einer Kirche durchlaufen. Wie viele Tausende andere kam Sunday Adelaja 1986 als nigerianischer Student zum Studium in die ehemalige UdSSR. In Bezug auf das religiöse Leben lagen zwischen Nigeria und der UdSSR damals Welten – während die UdSSR bis zu ihrem Ende ein atheistisches Land mit antireligiösen Grundsätzen war, das lediglich der Russischen Orthodoxen Kirche ein wenig Eigenleben gewährte, war und ist Nigeria ein multireligiöses Land, in dem muslimische und christliche Gläubige die Wahl zwischen unterschiedlichen Riten hatten und haben.
Es sei erwähnt, dass die drittgrößte Gruppe der nigerianischen Christen nach Anglikanern und Katholiken die verschiedenen pfingstkirchlichen Gruppen ausmachen. In den Jahren zwischen 1960 und 1970 brachte eine Expansionswelle der Pfingstkirchen auch viele neue Kirchen in Nigeria hervor. Einer der Anführer war Benson Idahosa, einer der einflussreichsten pfingstkirchlichen Prediger Afrikas. Idahosa gründete 1972 die „Kirche der Internationalen Gottesmission“ und 1974 die pfingstkirchliche Dachorganisation „Gnade Gottes“ im Osten Nigerias. Die 1975 gegründete „Bibel-Kirche tieferen Lebens“ entwickelte sich schnell zur größten neu-pfingstlichen Kirche Nigerias und zählte bis 1993 geschätzte 350.000 Mitglieder. 1986 etablierte David Oyedepo die Gemeinschaft „Lebendiger Glaube weltweit“ und eröffnete 1999 am Stadtrand von Lagos einen „Tabernakel des Glaubens“ mit Raum für 50.000 Menschen.
Dieser kleine Überblick zur charismatischen Geschichte Nigerias zeigt die Logik der nächsten Schritte Adelajas in Richtung der UdSSR und, daran anknüpfend, der Ukraine: Er übernahm die Erfahrungen seiner Vorgänger und passte sie einem Land an, dem die Formenvielfalt spirituellen Lebens fehlte und in dem es möglich war, entsprechende Aktivitäten ohne das Risiko von Sanktionen, wie sie in der UdSSR drohten, zu entfalten.
Rituale und Strukturen
Wie man in der Kirchengeschichte Sunday Adelajas nachlesen kann, die auf der Website der „Gesandtschaft des gesegneten Gottesreichs für alle Nationen“1 nachzulesen ist, drohte man ihm für seine religiösen Aktivitäten die Abschiebung aus der UdSSR an. Dies ist einer der entscheidenden Punkte, um die gegenwärtige Selbstdarstellung Adelajas als eine Art religiöser Dissident und mögliches Opfer gegenwärtiger und ehemaliger politischer Regime zu verstehen. 1994 gründete er die kleine charismatische Kirche „Welt des Glaubens“. Als Anhänger der Pfingstkirchenbewegung setzte Pastor Adelaja in seiner Kirche ganz bestimmte Glaubensakzente und wählte einzelne kultische Elemente aus, wie beispielsweise die besondere Rolle des Heiligen Geistes und die Betonung geistlicher Geschenke für jeden Gläubigen, aber auch die Lehre der göttlichen Heilung und die Bedeutung prophetischer Ämter für jene Menschen, die auf direktem Wege mit Gott kommunizieren. In Sunday Adelajas Kirche finden sich die charakteristischen Elemente jeder charismatischen Bewegung, wie beispielsweise ausdrucksstarke und extreme Begeisterung während des Gebets, das von der „Taufe des Heiligen Geistes“ und von „Zungenreden“ begleitet wird. „Heiliger Zorn“, „heiliges Lachen“ oder „spirituelle Geburt“ gehören in verschiedenen charismatischen Kirchen zur üblichen Praxis. Innerhalb dieses Systems herrscht eine spezielle Beziehung zur physischen Gesundheit als Beleg für die Herrschaft des Heiligen Geistes im Gläubigen vor. Dieses Konzept betrifft alle Bereiche des menschlichen Lebens, einschließlich des Materiellen, und mündet in die so genannte „Theologie des Wohlstands“: Der Heilige Geist muss jeden Gläubigen zu materiellem Erfolg, Wohlstand und sozialem Aufstieg führen. Dies erklärt auch, warum Sunday Adelaja der Rehabilitation alkohol- und drogenabhängiger Menschen und der Prophezeiung von Gesundheit und Wohlstand eine enorme Aufmerksamkeit schenkt. Aufgrund dieser Methoden und seiner nigerianischen Herkunft wird er in der Ukraine weniger als christlicher Priester, sondern eher als ein afrikanischer Schamane oder sogar Hexer bezeichnet. Letztlich ermöglichen ihm diese Rituale, Mitglieder der „Gesandtschaft Gottes“ zu manipulieren.
Sunday Adelaja beansprucht für sich die Position des Pastors einer Mega-Kirche mit über 25.000 Mitgliedern und beinahe 70 Kirchen in der Ukraine, in Russland, Weißrussland, Georgien, der Republik Moldau, in den USA, in Indien und in den Vereinigten Arabischen Emiraten. Die Mitgliederzahl der Ukrainischen Baptistenvereinigung beläuft sich vergleichsweise auf fast 300.000 Mitglieder, die sich auf 2.800 Kirchen verteilen. Warum entsteht so viel Lärm um nichts, wenn man nach der „Gesandtschaft Gottes“ fragt? Die Schlüssel zu faktischem Einfluss und sozialer Macht liegen in der Kombination von Religion und Politik, und Pastor Adelaja ist innerhalb der Religionsgeschichte nicht der erste Prediger, der die Kanzel als Werkzeug zur Selbstbereicherung missbraucht hat.
Verstrickung in dubiose Machenschaften
In der Zeit vor 2005 hatte die „Gesandtschaft Gottes“ Probleme mit den ukrainischen Staatsbehörden wegen ihrer angeblichen „heilsamen“ Tätigkeiten. Nach 2005 konnte Pastor Adelaja eine Gruppe einflussreicher Politiker für sich einnehmen, zu denen u. a. Kiews Bürgermeister Leonid Chernoveckiy und der ehemalige Bürgermeister Olexandr Omelchenko zählten. Die Auslegung des Evangeliums innerhalb der „Gesandtschaft Gottes“ veränderte sich hin zur Prophezeiung unterschiedlichster Finanz- und Investmenttransaktionen. So eröffnete Pastor Adelaja 2008 den Club der „1.000 Millionäre“ mit dem Ziel, eine neue Generation von Geschäftsleute zu fördern. Solche und ähnliche Initiativen dienten dazu, von den Mitgliedern der Gemeinschaft Geld einzutreiben. Der aufsehenerregendste Fall ereignete sich 2008 mit dem Zusammenbruch der King’s Capital Investing Foundation, eines klassischen Finanzpyramidensystems, dessen Träger insgesamt rund 62,5 Millionen US-Dollar eingezahlt hatten. Gegen Pastor Adelaja als einen der Organisatoren des Systems wurde Strafanzeige erhoben – zu einer Verurteilung kam es jedoch aufgrund seiner guten Verbindungen zu Kiews Bürgermeister Leonid Chernoveckiy und zur „Partei der Regionen“ des damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch nicht.
Niedergang der Gemeinschaft seit der „Revolution der Würde“
Die Geschehnisse im Zusammenhang mit der „Revolution der Würde“ im Winter 2013/2014 hatten starke Auswirkungen sowohl auf die ukrainische Gesellschaft als auch auf die verschiedenen religiösen Gemeinschaften. Viele protestantische und evangelikale Kirchen in der Ukraine zeigten sich bis zu diesem Zeitpunkt gegenüber staatspolitischen Fragen und Überlegungen zu ihrem Status innerhalb der Gesellschaft ziemlich indifferent.
Welche Rolle nahm nun die „Gesandtschaft Gottes“ innerhalb dieser tragischen Revolutionsgeschehnisse ein? Tatsache ist, dass nicht alle religiösen Gemeinschaften die Ukrainer in ihrem Protest gegen das Regime Janukowitschs, das das Land ohne jegliche öffentliche Diskussion weg von der Europäischen Union in Richtung Russland steuern wollte, unterstützt haben. Janukowitschs Kurs wurde nicht nur von der Ukrainischen Orthodoxen Kirche des Moskauer Patriarchats, sondern auch von Sunday Adelaja und seiner Kirche unterstützt. Viele Anhänger der „Revolution der Würde“ können bezeugen, dass er im Rahmen von Veranstaltungen in Kiew, die während der Ereignisse im Winter 2013/2014 stattfanden, ehemalige Drogen- und Alkoholabhängige, die eigentlich Hilfe in den Rehabilitationszentren der „Gesandtschaft Gottes“ suchten, zur Teilnahme an Demonstrationen zugunsten Janukowitschs missbrauchte. Dies belegen auch Unterlagen der Staatsanwaltschaft über Misshandlungs- und Todesfälle, die sich während des Revolutionsgeschehens ereigneten. Die „Gesandtschaft Gottes“ existiert nach wie vor in Kiew und der Ukraine, büßt jedoch ohne Unterstützung von Politikern des ehemaligen ukrainischen Regimes und aufgrund des großen und aggressiven Wettbewerbs unter den verschiedenen pfingstkirchlichen und charismatischen Bewegungen zunehmend ihren Einfluss und ihren Glanz ein.
Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Hartl.