Botschaft von Papst Franziskus zum Weltfriedenstag 2015: „Nicht mehr Knechte, sondern Brüder“ (Auszug)

aus OWEP 2/2015  •  von  OWEP-Redaktion

Den Menschenhandel als moderne Form der Sklaverei haben die Kirchen in den letzten Jahrzehnten mehrfach angeprangert. Papst Franziskus hat u. a. in einer Erklärung vom 2. Dezember 2014 zusammen mit Vertretern anderer Religionsgemeinschaften den Menschenhandel ausdrücklich verurteilt (vgl. http://www.radiovaticana.va/tedesco/tedarchi/2014/Dezember14/ted02.12.14.htm). Ausführlich äußert er sich auch in der Botschaft zum 48. Weltfriedenstag am 1. Januar 2015 unter der Überschrift „Nicht mehr Knechte, sondern Brüder“, aus der nachstehend Auszüge abgedruckt sind. (Quelle: http://w2.vatican.va/content/francesco/de/messages/peace/documents/papa-francesco_20141208_messaggio-xlviii-giornata-mondiale-pace-2015.html)

Die vielfältigen Gesichter der Sklaverei gestern und heute

3. Seit unerdenklichen Zeiten kennen die verschiedenen menschlichen Gesellschaften das Phänomen der Verknechtung des Menschen durch den Menschen. Es gab Epochen in der Geschichte der Menschheit, in denen die Einrichtung der Sklaverei allgemein akzeptiert und durch das Recht geregelt war. Dieses schrieb fest, wer frei und wer dagegen als Sklave geboren wurde und unter welchen Bedingungen ein als Freier geborener Mensch seine Freiheit verlieren bzw. wiedererwerben konnte. Mit anderen Worten, das Recht selbst ließ zu, dass einige Menschen als Eigentum eines anderen betrachtet werden konnten oder mussten, der frei über sie verfügen konnte; der Sklave konnte verkauft und gekauft, an andere abgetreten und erworben werden, als sei er eine Ware.
Heute ist infolge einer positiven Entwicklung des Bewusstseins der Menschheit die Sklaverei, ein Verbrechen gegen die Menschheit, weltweit formell abgeschafft. Das Recht eines jeden Menschen, nicht in Sklaverei oder Knechtschaft gehalten zu werden, ist im Völkerrecht als unabdingbarer Grundsatz anerkannt.
Doch obwohl die internationale Gesellschaft zahlreiche Abkommen getroffen hat mit dem Ziel, der Sklaverei in all ihren Formen ein Ende zu setzen, und verschiedene Strategien eingeleitet hat, um dieses Phänomen zu bekämpfen, werden noch heute Millionen Menschen – Kinder, Männer und Frauen jeden Alters – ihrer Freiheit beraubt und gezwungen, unter Bedingungen zu leben, die denen der Sklaverei vergleichbar sind.
Ich denke an viele – auch minderjährige – Arbeiter und Arbeiterinnen, die in den verschiedenen Bereichen sowohl auf vertraglicher Ebene als auch inoffiziell geknechtet sind – von der häuslichen bis zur landwirtschaftlichen Arbeit, vom Einsatz in der verarbeitenden Industrie bis zu dem im Bergbau, sowohl in den Ländern, in denen das Arbeitsrecht nicht mit den internationalen Minimalstandards übereinstimmt, als auch – obschon illegal – in denen, deren Gesetzgebung den Arbeiter schützt.
Ich denke auch an die Lebensbedingungen vieler Migranten, die auf ihrem dramatischen Weg Hunger leiden, ihrer Freiheit beraubt werden, die um ihr Hab und Gut gebracht oder physisch und sexuell missbraucht werden. Ich denke an diejenigen unter ihnen, die, nach schwerster, von Angst und Unsicherheit geprägter Reise ans Ziel gelangt, unter manchmal unmenschlichen Bedingungen gefangen gehalten werden. Ich denke an diejenigen unter ihnen, die durch die verschiedenen sozialen, politischen und wirtschaftlichen Umstände in die Illegalität gedrängt werden, und an diejenigen, die, um in der Legalität zu bleiben, akzeptieren, unter unwürdigen Bedingungen zu leben und zu arbeiten, besonders wenn die nationalen Gesetze eine strukturelle Abhängigkeit des Wanderarbeiters vom Arbeitgeber schaffen oder zulassen, indem sie zum Beispiel die Aufenthaltsgenehmigung vom Arbeitsvertrag abhängig machen … Ja, ich denke an „Sklavenarbeit“.
Ich denke an die Menschen, die zur Prostitution gezwungen werden, unter denen viele Minderjährige sind, und an die sexuellen Sklavinnen und Sklaven; an die Frauen, die zur Heirat genötigt werden, an diejenigen, die im Hinblick auf die Ehe verkauft werden, oder an die, welche beim Tod ihres Ehemannes als Erbe einem Familienangehörigen übergeben werden, ohne das Recht zu haben, ihr Einverständnis zu geben oder zu verweigern.
Unmöglich kann ich die Minderjährigen und Erwachsenen übergehen, die als Handelsware verschachert werden für die Explantation von Organen, um als Soldaten rekrutiert zu werden, um zu betteln, um illegale Aktivitäten wie die Herstellung oder den Verkauf von Drogen auszuüben, oder für verschleierte Formen internationaler Adoption.

Einige tiefe Ursachen der Sklaverei

4. Heute wie gestern liegt an der Wurzel der Sklaverei ein Verständnis vom Menschen, das die Möglichkeit zulässt, ihn wie einen Gegenstand zu behandeln. Wenn die Sünde das Herz des Menschen verdirbt und es von seinem Schöpfer und seinen Mitmenschen entfernt, werden Letztere nicht mehr als Wesen gleicher Würde, als Brüder und Schwestern im Menschsein wahrgenommen, sondern als Objekte betrachtet … Neben dieser ontologischen Ursache – die Ablehnung des Menschseins des anderen – tragen noch weitere Ursachen zur Erklärung der heutigen Formen von Sklaverei bei. Unter diesen denke ich vor allem an die Armut, die Unterentwicklung und die Ausschließung, besonders wenn sie sich mit einem fehlenden Zugang zur Ausbildung oder mit einer Situation verbinden, die durch spärliche, wenn nicht sogar fehlende Arbeitsmöglichkeiten gekennzeichnet ist. Nicht selten sind die Opfer des Handels und der Verknechtung Menschen, die einen Weg gesucht haben, aus einer Lage extremer Armut auszubrechen. Dabei haben sie häufig falschen Verheißungen einer Arbeit Glauben geschenkt und sind stattdessen in die Hände der kriminellen Netze gefallen, die den Menschenhandel betreiben.
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Ein gemeinsamer Einsatz, um die Sklaverei zu überwinden

5. Wenn man das Phänomen des Menschenhandels, des illegalen Transports von Migranten und anderer bekannter wie unbekannter Gesichter der Sklaverei betrachtet, hat man oft den Eindruck, dass es unter allgemeiner Gleichgültigkeit stattfindet.
Auch wenn das leider großenteils zutrifft, möchte ich doch an die enorme Arbeit erinnern, die viele – besonders weibliche – Ordensgemeinschaften seit vielen Jahren im Stillen für die Opfer vollbringen. Diese Institute wirken in schwierigen, manchmal von der Gewalt beherrschten Umfeldern und versuchen, die unsichtbaren Ketten zu sprengen, mit denen die Opfer an ihre Händler und Ausbeuter gefesselt sind – Ketten, deren Maschen aus feinen psychologischen Mechanismen bestehen, welche die Opfer von ihren Peinigern abhängig machen durch Erpressung und Drohung ihnen und ihren Lieben gegenüber, aber auch durch materielle Mittel wie die Einziehung der Ausweise und die physische Gewalt. Die Tätigkeit der Ordensgemeinschaften gliedert sich hauptsächlich um drei Einsatzbereiche: die Hilfe für die Opfer, ihre Rehabilitation unter psychologischem und formativem Gesichtspunkt sowie ihre Wiedereingliederung in die Gesellschaft ihres Ziel- oder ihres Herkunftslandes.
Diese ungeheure Arbeit, die Mut, Geduld und Ausdauer erfordert, verdient die Würdigung der ganzen Kirche und der Gesellschaft. Doch sie allein kann natürlich nicht genügen, um dem Übel der Ausbeutung des Menschen ein Ende zu setzen. Es bedarf auch eines dreifachen Einsatzes auf institutioneller Ebene in der Vorbeugung, im Schutz der Opfer und in einem gerichtlichen Vorgehen gegen die Verantwortlichen. Und wie die kriminellen Organisationen sich globaler Netze bedienen, um ihre Ziele zu erreichen, so erfordert die Aktion zur Überwindung dieses Phänomens außerdem eine gemeinsame ebenso globale Anstrengung seitens der verschiedenen Akteure, welche die Gesellschaft bilden.

In den letzten Jahren hat der Heilige Stuhl den schmerzvollen Aufschrei der Opfer des Menschenhandels und die Stimme der Ordenskongregationen, die sie in die Freiheit begleiten, aufgegriffen und seine Appelle an die internationale Gemeinschaft vervielfacht, damit die verschiedenen Akteure ihre Bemühungen miteinander verknüpfen und zusammenarbeiten, um diesem Übel ein Ende zu setzen. Außerdem wurden einige Treffen organisiert mit dem Ziel, das Phänomen des Menschenhandels ins Rampenlicht zu rücken und die Zusammenarbeit der verschiedenen Akteure – unter anderem Sachverständige aus dem Bereich der Wissenschaft und der internationalen Organisationen, Ordnungskräfte verschiedener Herkunfts-, Durchgangs- und Zielländer der Migranten und Vertreter der kirchlichen Gruppen, die sich für die Opfer einsetzen – zu erleichtern. Ich hoffe, dass dieser Einsatz in den kommenden Jahren fortgesetzt und verstärkt wird.