Wohin gehört Kosova?

(Diskussion)
aus OWEP 2/2001  •  von Donika Gervalla

Donika Gervalla ist Publizistin aus Berlin.

Nach Europa, wohin sonst? Oder ist Kosova das Afrika mancher Europäer, zum Kolonisieren geeignet, da sich die Stämme dort ja selbst nicht helfen können und sich gegenseitig massakrieren? Wann lernen die Neo-Kolonialisten (darunter finden sich politische, humanitäre und intellektuelle Täter), dass nur eine europäische Lösung eine Lösung sein kann?

Kosova (serbisch: Kosovo) gehört vor allem nicht zu Serbien, schon lange nicht mehr. Innerlich hat es wohl zu keinem Zeitpunkt zu Serbien gehört. So wie viele nicht zu dem von der europäischen Linken und amerikanischen „Yugo-Fans“ (ein Wort, das von „Fanatismus“ abgeleitet ist) geliebten Jugoslawien gehören wollten, sondern sich maximal mit den keineswegs demokratischen, stark polizeistaatlich geprägten kommunistischen Strukturen der Tito-Ära arrangierten. Und das vor allem, weil Jugoslawien ein Staat war, in dem zusammengepfercht wurde, was nicht zusammen gehörte. Auf Formalia bedachten Diplomaten und passionierten Jugo-Nostalgikern sei der Hinweis gegeben, dass Kosova auch rechtlich nie zu Serbien, sondern als so genannter konstitutiver Teil lediglich zum inzwischen mehrfach auseinander gebrochenen kommunistischen Jugoslawien gehört hat. Fatalerweise blieb Kosova jedoch immer ein Ziel nationalradikaler serbischer Wunschträume und Gewaltphantasien, die schreckliche Realität wurden. Der Ausbruch dieser Gewaltphantasien hat auch etwas mit zentraleuropäischen Vorurteilen („die da unten“ – und „wir“ dann „oben“?) und den intellektuellen Verurteilungen der Menschen durch Politiker (so z.B. den ehemaligen englischen Außenminister Hurd oder den amtierenden deutschen Außenminister Fischer) und Intellektuelle (von den aktuellen ARD-Fälschern Angerer/Werth bis zum dogmenfixierten ZDF-Scholl-Latour) zu tun.

Die Internationalen können beschließen, was immer ihr kleinster Nenner ist, was immer ihnen opportun erscheint. Ein Opportunismus gegenüber der Frage Kosovas würde sich wieder rächen, so wie sich die Ignoranz des Westens gegenüber dem serbischen Expansionismus bitter gerächt hat. Hunderttausende sind unter der passiven Mittäterschaft vieler im Westen ermordet worden, und nicht erst seit Srebrenica und Recak (serbisch: Račak) oder Rahovec (Orahovac) sind die Zeichen nicht zu übersehen: Kosova ist ein Fremdkörper in Serbien, gehört nicht Serbien und nicht zu Serbien. Kosova gehört zu Europa und die Kosovaren wollten immer zu Europa gehören. Nicht nur historisch ist der Wille zu Europa zu gehören erkennbar. Auch die Vertreibung der Kosovaren aus ihrem Land trieb bis zu 25% Prozent der Bevölkerung nach Westeuropa, vor allem in den deutschsprachigen Raum (Deutschland, Schweiz); im Vergleich sehr wenige gingen in nichteuropäische Länder.

Die Apartheid-Politik Belgrads hat die Kosovaren zur eigenen Organisation gezwungen: eigene Schulen und Universitäten (mit Anerkennung der Abschlüsse in verschiedenen Ländern Europas) waren die Antwort auf die Realisierung einer serbisch-radikalen Gewaltphantasie: der Zwangsserbisierung. Der Aufbau einer nahezu kompletten Parallelstruktur zu den aufgezwungenen serbischen Strukturen war die friedliche Antwort der Kosovaren auf offene serbische Gewalt.

Die Rückkehr unter dem Schutz der Internationalen Gemeinschaft in Form der KFOR binnen weniger Tage nach dem Ende der Befreiung war die ruhige, aber entschlossene Antwort der Kosovaren auf die generalstabsmäßige Vertreibung aus ihrer Heimat. Zu den schlimmen Kapiteln gehört die Rache der gewalterfahrenen und nun auch gewaltbereiten Extremisten unter den Kosovaren an den zuvor privilegierten serbischen Bürgern Kosovas. Selbst die Differenzierung zwischen Tätern und Nichttätern unter der serbischen Minderheit erlaubt nicht die geringste Rechtfertigung eines Verhaltens, dass dem erkennbaren Willen der erdrückenden Mehrheit der Kosovaren widersprach. Und die von den Internationalen installierten Extremisten brachten ein Element der Gewalt mit, das es in diesem Ausmaß selbst in der Zeit massiver Gewalt aus Belgrad nicht gegeben hatte. So war der Widerstand zaghaft, zu zaghaft. Eine von frischer Angst und frischer Panik gezeichnete Gesellschaft sah mit an, wie sie und die ihnen anvertrauten Menschen aus den Minderheiten wieder in Angst und Schrecken versetzt wurden – um so schlimmer, dieses Mal von einer Minderheit aus den „eigenen“ Reihen. Wer nicht schwieg, wurde selbst zum Opfer. Die Liste der von den Extremisten ermordeten und verletzten albanischen Kosovaren aus dem zivilen und zivilisierten Bereich ist lang und in Zentraleuropa geflissentlich übersehen worden.

Sobald die Kosovaren die Chance dazu erhielten, haben sie den Gewalttätern und deren politischen Repräsentanten eine klare Abfuhr erteilt: Rugova statt Thaci, ziviler Weg statt militanter Zusammenhänge, das war nur für die außenstehenden Beobachter eine Sensation. Die Menschen meines Landes haben nur darauf gewartet endlich in sicherer Weise, in einer geheimen Wahl ihrem wirklichen Willen Ausdruck zu geben. Was die Extremisten jetzt an den Grenzen Kosovas, in Südserbien und in Mazedonien versuchen, ist die Rückkehr zur alten Strategie: mit Gewalt provozieren, um Aufmerksamkeit und Anerkennung zu erzeugen. Hoffentlich fällt Europa auf diese Strategie nicht herein. Hoffentlich erkennt Europa das Potenzial der Kosovaren gegen diese Strategie vorzugehen. Hoffentlich lässt Europa die erdrückende Mehrheit der zivilen und zivilisierten Kosovaren gegenüber diesen Barbaren nicht ein zweites Mal im Stich – ein solcher Fehler der Diplomaten könnte ein fataler für Europa werden.

Kosova gehört zu Europa. Und Kosova gehört den Kosovaren, nicht den Funktionären, Diplomaten und Gewinnlern der UNMIK. Die Kosovaren wissen sehr genau zu unterscheiden zwischen der KFOR, die existenzielle Beiträge leistet, und den oft arroganten, noch häufiger ignoranten Vertretern der UN-Verwaltung. Während die KFOR praktische Hilfe leistet, schützt und ordnet, hat sich die UN-Verwaltung, wie fast überall auf diesem Globus, stark darauf fixiert sich selbst und die damit zu verdienenden exorbitanten Gehälter mit einer angeblichen Unfähigkeit der Einheimischen (aus dem Mund der Diplomaten klingt das dann auch schon mal wie „Eingeborene“) zu rechtfertigen, sich eigenverantwortlich zu organisieren. Sobald Kosova den zivilen Kosovaren wieder zurückgegeben sein wird – und dazu braucht es nur freie Wahlen, damit die Mehrheit in Kosova nach ihrem erkennbaren Willen entscheiden kann -, kann es eine stabile Entwicklung für Kosova und seine Nachbarn geben.

„Es kann der Beste nicht in Frieden leben, wenn es dem Nachbarn nicht gefällt“ – ein solches Sprichwort gibt es im Deutschen. Als friedlicher Nachbar kann Kosova dann agieren, wenn die Extremisten, die Gewalttäter und Kriegsprofiteure in die Schranken gewiesen werden. Wer gekämpft hat, um die Familie zu retten, der ist meist wieder zurück im zivilen Beruf. Wer mental bewaffnet bleibt, wer Unschuldige ermordet, gewaltsame Zwischenfälle provoziert und dabei auf Eskalation hofft, muss zum Verlierer gemacht werden. Das können die Kosovaren nicht allein, dazu brauchen wir internationale Hilfe; dabei können wir auf die UN-möglichen Aktionen der UN eher verzichten, auf den konkreten Stabilitätsbeitrag von KFOR (NATO) und EU weniger.

Die Kosovaren sind – völlig im Gegensatz zu manchen Klischees im Westen, die überwiegend von Belgrader Propaganda geprägt sind – die am stärksten von Europa berührte Bevölkerung auf dem Balkan: die Vertreibung hat unsere Menschen nach Zentraleuropa gebracht, und sie bauen und leben zu Hause nach Möglichkeit nach diesem Vorbild weiter. Dieses Kapital wird ein wesentlicher Baustein für den Bau eines unabhängigen Kosova, das im Haus Europa nicht nur eine Bereicherung bedeuten wird. Es wird in diesem Haus das immer vom Zusammenbruch bedrohte Zimmer Balkan durch einen stabilen Pfeiler wieder in Ordnung bringen helfen. So wird ein unabhängiges Kosova neben den Nachbarn Serbien, Makedonien, Albanien und Montenegro ein hilfreiches Stück Europa werden und zu dem Frieden beitragen, den diese für Europa lange so schwierige Region so gut gebrauchen kann.