Religionsfreiheit in der Republik Armenien

Rechtliche Ausgestaltung mit problematischen Einschränkungen
aus OWEP 4/2003  •  von Otto Luchterhandt

Prof. Dr. Otto Luchterhandt ist Direktor des Seminars für Ostrechtsforschung am Fachbereich Rechtswissenschaft der Universität Hamburg.

Das armenische Volk gehört zu den ältesten Nationen der Welt, aber seine Nationalstaatlichkeit ist eine der jüngsten. Nachdem der von den Jungtürken während des Ersten Weltkrieges (1915) an ihm verübte Völkermord seine Hoffnung auf einen Nationalstaat in Ostanatolien jäh vernichtet hatte, gelang es 1918 zwar, während der Auflösung des Zarenreiches auf der Grundlage des Gouvernements Eriwan eine Republik zu gründen, aber diese fand, erobert durch die Rote Armee, schon 1921 ihr Ende. An ihre Stelle trat die Armenische Sozialistische Sowjetrepublik, die alsbald in die UdSSR eingegliedert (1923/1936) und völlig von Moskau beherrscht wurde. Das einzige institutionelle und wichtigste geistige Bindeglied der Nation blieb – wie schon seit dem Mittelalter – die Armenische Apostolische Kirche, repräsentiert durch ihr Oberhaupt, den „Katholikos Aller Armenier“ in Edžmiadzin, unweit der Hauptstadt Jerewan. Gleichwohl blieb dieser ältesten Staatskirche der Welt (seit 301) nicht das Schicksal erspart, das ausnahmslos alle Religionsgemeinschaften in der Sowjetunion unter dem militanten Atheismus des kommunistischen Regimes zu erleiden hatten: Sie wurde in mehreren Wellen der Verfolgung bis zum Ende der dreißiger Jahre als Institution fast völlig zerstört. Der Katholikos Choren I. Muradbegjan wurde 1938 vom NKWD ermordet, das Katholikat de facto geschlossen.

Der Zweite Weltkrieg brachte begrenzte Erleichterungen. Ein Katholikos konnte gewählt, Edžmiadzin mit seinem Geistlichen Seminar wieder tätig werden. Während der langen Breschnew-Ära wurden zwar auch in Armenien die Religionsgemeinschaften in der Regel nicht mehr offen verfolgt, wohl aber propagandistisch heftig bekämpft und massiv unterdrückt. Für die Annahme, die KP Armeniens habe aus Rücksicht auf die westliche Diaspora einen „nationalen“ Sonderkurs in der Religionspolitik gesteuert, gibt es keine Belege.

Religionsrechtlicher Paradigmenwechsel: Das Religionsgesetz von 1991/1997

Die durch den Kampf um Berg-Karabach (Arcach) zur beherrschenden politischen Kraft gewordene gesamtarmenische Nationalbewegung hat binnen kurzer Zeit nicht nur die Unabhängigkeitserklärung (23.08.1990) durchgesetzt, sondern auch die Religionsgemeinschaften aus der kommunistischen Gefangenschaft befreit. Die Stellung der Armenischen Apostolischen Kirche änderte sich grundlegend; sie vertauschte den status discriminationis mit einem status privilegii. In der Präambel des neuen Religionsgesetzes erkennt der Staat sie „als nationale Kirche des armenischen Volkes, als wichtigste Stütze der Schaffung des geistigen Lebens und der Bewahrung der Nation“ an!

Im Zuge ihrer Wende zu einer Religionspolitik der Toleranz während der Perestroika hatte die UdSSR am 01.10.1990 ein liberaleres Religionsgesetz „über die Gewissenfreiheit und die religiösen Organisationen“ erlassen.1 Die RSFSR, ihre größte Gliedrepublik, verabschiedete wenige Wochen später ein eigenes, mit der Union konkurrierendes Religionsgesetz, dessen Titel „Gesetz über die Freiheit der Glaubensbekenntnisse“ ein Programm war, denn ungleich entschiedener als das Unionsgesetz gab es der persönlichen Freiheit in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht breiten Raum, baute gezielt Ansätzen zu einer Fortsetzung der administrativen Knebelung und Unterdrückung der Religionsgemeinschaften vor und betonte ihre Statusgleichheit.2 Ebenso wenig wie die RSFSR fühlte sich auch die Republik Armenien durch das Unionsrecht gebunden. Sie verabschiedete am 17.06.1991 ein Religionsgesetz und beschritt mit ihm einen Weg, der sich von den „Vorbildern“ sowohl des UdSSR- als auch des RSFSR-Gesetzes wesentlich unterschied.3 Armenien übernahm vom UdSSR-Gesetz den Titel und setzte damit – insofern ähnlich wie dieses, aber anders als das RSFSR-Gesetz – den Akzent auf die institutionelle Religionsausübung. Die individuelle Entfaltungsfreiheit auf religiösem und weltanschaulichem Gebiet tritt dahinter völlig zurück.

Schwaches Profil der individuellen Religions- und Weltanschauungsfreiheit

Religionsfreiheit ist eines der wichtigsten und fundamentalen Menschenrechte. Auch Art. 23 der Verfassung Armeniens erkennt sie als Menschenrecht an: „Jeder hat das Recht auf die Freiheit des Gedankens, des Gewissens und der Glaubensausübung.“ Obwohl nach Inkrafttreten der Verfassung (05.07.1995) überarbeitet, garantiert das Religionsgesetz die Religionsfreiheit aber nach wie vor nur als Bürgerrecht (Art. 1 Abs. 1); Ausländer und Staatenlose können sich darauf nicht berufen. Allerdings sind die in der Diaspora lebenden Angehörigen der Armenischen Apostolischen Kirche de facto von der Einschränkung gar nicht betroffen, weil sie von vornherein in die weltweit in Diözesen aufgegliederte Nationalkirche integriert sind. Die Restriktion richtet sich also offenkundig gegen die sonstigen in Armenien tätigen Religionsgemeinschaften und ihre mögliche Unterstützung aus dem Ausland.

Die Garantien der individualrechtlichen Dimension der Religionsfreiheit sind lückenhaft. Nichtgewährleistet sind die Freiheit des öffentlichen Bekenntnisses und der Verbreitung des Glaubens, die Freiheit (auch) der Weltanschauung und das Recht der Eltern zur religiösen Kindererziehung; nur angedeutet ist das Kriegsdienstverweigerungsrecht. Obwohl sich das Gesetz fast ausschließlich mit den „religiösen Organisationen“4 befasst, garantiert es nicht einmal ausdrücklich die religiöse Vereinigungsfreiheit! Mehr als das: in organisierter Form erkennt das Gesetz ausdrücklich nur religiöses Leben an, das sich „ auf irgendeine historisch kanonisierte (!) heilige Schrift (!!) gründet“ (Art. 5 Abs. 1 lit. b) und „mit seiner Glaubenslehre in das System (!) der heutigen weltweiten religiös-kirchlichen Gemeinden fällt“ (lit. c). Zugelassen sind demnach überhaupt nur Lokalgemeinden etablierter Religionsgemeinschaften und selbst von diesen – in eigenartiger Berührung mit dem Islam! – nur traditionelle „Buchreligionen“. Religiösen, weltanschaulichen Neuschöpfungen und Neuoffenbarungen wird von vornherein die staatliche Anerkennung versagt.

Die Stoßrichtung der Regelungen ist klar: Der Staat will das Eindringen von kleinen, aber in der Regel hochaktiven religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften („Sekten“) in die Republik unterbinden, die sich – meist von Nordamerika und Ostasien herkommend – im 20. Jahrhundert weltweit ausgebreitet haben. Dem dient besonders auch das noch zu behandelnde Verbot des „Proselytismus“, und aus diesem Grunde hat der Staat alle qualifizierten Formen der Religionsausübung allein den förmlich anerkannten religiösen Organisationen (Art. 7 Abs. 1) vorbehalten: Religionsunterricht jeder Art, Ausbildung geistlichen Personals, Herausgabe religiöser Schriften, Betrieb von Medien, religionswissenschaftliche, historische und kulturelle Forschungen, Vertrieb von Devotionalien, karitative Tätigkeit, Wallfahrten und sogar Gottesdienste jeder Art. Ausdrücklich heißt es, dass alle diese Rechte erst „in dem Augenblick der Registrierung der betreffenden religiösen Organisationen entstehen“ (Art. 7 Abs. 3), also vom Staat gewährt werden. Der Ansatz widerspricht der menschenrechtlichen Konzeption der Religionsfreiheit, denn ihr zufolge empfängt der Mensch seine Freiheit nicht aus der Hand des Staates, sondern der Staat hat die Menschenrechte als etwas ihm Vorgegebenes anzuerkennen und zu garantieren.

Zweifelhafte Kontinuität: „Registrierung“ religiöser Organisationen

Es ist schon erstaunlich, aber eine Tatsache: Im Prinzip nicht anders als in der UdSSR ist der Verwaltungsakt der Registrierung das bestimmende Rechtsinstitut auch im Religionsrecht der Republik Armenien. Seine politische Stoßrichtung hat sich freilich geändert. War sie früher das entscheidende administrative Instrument, um die Vorherrschaft der Weltanschauung des Marxismus-Leninismus gegenüber den Religionen durchzusetzen, so erfüllt sie heute die Funktion, den Vorrang der Nationalkirche gegenüber den sonstigen Religionsgemeinschaften sicher zu stellen und die Ausbreitung landfremder Religionslehren zu verhindern. Dem Modell des liberal-demokratischen Rechtsstaates entspricht das nicht. Dort bedeutet die Registrierung einer Organisation, dass sie den Status einer juristischen Person erhält, wodurch sie eine Reihe von Vorteilen im bürgerlichen Rechtsverkehr erlangt. Eine nur faktisch existente, aber nicht registrierte Organisation genießt die Vorteile nicht. Aber dadurch wird sie noch nicht automatisch illegal oder gar im Sinne des Strafrechts zu einer verbotenen, quasi kriminellen Vereinigung. Mit dem Menschenrecht der Religionsfreiheit wäre ein solches strenges Konzessionssystem unvereinbar. Ihm aber folgt der armenische Gesetzgeber, denn erst die vollzogene Registrierung ermöglicht den Bürgern eine legale qualifizierte Religionsausübung. Bürger werden als religiöse Organisation registriert, wenn ihr Antrag von mindestens 200 Personen (1991: 50) gestellt worden ist, sie einer bereits „historisch“ etablierten Religionsgemeinschaft angehören und Statut oder Erscheinungsbild der Gruppe nicht gegen elementare Güter der Rechtsordnung verstoßen. Das sind vor allem die öffentliche Sicherheit und Ordnung, die Sittlichkeit, die Rechte anderer. Zuständig für die Entscheidung über die Zulassung ist nicht das Justizministerium, sondern – im Prinzip nicht anders als zur Sowjetzeit – eine bei der Regierung eingerichtete Sonderbehörde für religiöse Fragen. Im Unterschied zu früher kann allerdings die Versagung der Registrierung bei Gericht angefochten werden. Das scheint ein rechtsstaatliches Verfahren zu garantieren, doch ist das nicht wirklich der Fall, weil erstens die für die Anerkennung als religiöse Organisation aufgestellten Voraussetzungen die kollektive Religionsfreiheit von vornherein stark einschränken und zweitens die vieldeutigen „Gummibegriffe“ der öffentlichen Sicherheit usw. der Religionsaufsichtsbehörde breite religionspolitische Beurteilungsspielräume eröffnen, die vom Gericht letztlich nicht kontrolliert werden können, selbst wenn es den Mut dazu besäße.

Indem die Registrierung den Charakter der Rechtsverleihung hat, ist ihre Versagung gleichbedeutend mit der Feststellung der Illegalität. Angehörige von Religionsgemeinschaften, die trotz fehlender Zulassung die den religiösen Organisationen vorbehaltenen Rechte ausüben wollen, machen sich strafbar und setzen sich der Gefahr der Verfolgung aus. Die wichtigste davon betroffene Gemeinschaft sind die Zeugen Jehovas, deren Registrierung die Behörde im Frühjahr 2000 abgelehnt hat.5 Hauptgrund dafür ist auch in Armenien ihr Pazifismus, ihre entschiedene Ablehnung jeder Form von Wehr- und Waffendienst. Wegen ihrer Unbeugsamkeit werden die Zeugen Jehovas in den Medien des Landes als „totalitäre Sekte“ angegriffen.

2002 waren bei der Religionsaufsichtsbehörde 51 religiöse Organisationen registriert.6 Wie viele davon kirchliche Sondereinrichtungen (Klöster, Lehranstalten, Verlage usw.) sind, ließ sich nicht feststellen. Die nach der Armenischen Apostolischen Kirche zweitstärkste Religionsgemeinschaft sind die Katholiken, d. h. die Römisch-katholische Kirche und die mit Rom unierten Mechitharisten (ca. 180.000), gefolgt von den Yeziden, bei denen es sich durchweg um Kurden handelt (ca. 25.000), ferner der Russisch-orthodoxen Kirche (ca. 10.000), den Assyrern (ca. 9.000), der Evangelisch-lutherischen Kirche (ca. 5.000), den Molokanen (ca. 4.000) und Baptisten (ca. 2.000) sowie kleinere christliche, meist charismatische Gemeinden.7 Muslime sind nach den wechselseitigen Vertreibungen – Aseris aus Armenien, Armenier aus Aserbaidschan – nur noch vereinzelt aufgrund von Mischehen im Lande verblieben. Zwar gibt es in Jerewan die aus persischer Herrschaftszeit (18. Jh.) stammende Gai-Moschee, die restauriert und jüngst wieder ihrer Bestimmung übergeben worden ist; sie steht jedoch nur der kleinen Kolonie von persischen, zeitweilig in Jerewan lebenden Schiiten zur Verfügung.

Hierarchische Stufung der Religionsgemeinschaften

Religionsrecht und Rechtspraxis haben in der Republik Armenien eine hierarchische Abstufung des Status der im Lande wirkenden Religionsgemeinschaften geschaffen: 1. An der Spitze steht die Armenische Apostolische Kirche. 2. Den zweiten Platz nehmen kraft ihrer privilegierten Stellung im Registrierverfahren die Religionsgemeinschaften der staatlich anerkannten nationalen Minderheiten ein. 3. An dritter Stelle folgen die keiner bestimmten Nation verbundenen Religionsgemeinschaften, etwa die Baptisten. Ebenso wie für die zweite gilt auch für diese Gruppe eine einschneidende Beschränkung: sie dürfen nicht missionieren, sondern nur „im Kreise ihrer gläubigen Mitglieder tätig sein“ (Art. 6; Art. 7 Abs. 1 lit. a). 4. In einer Grauzone rechtlicher Ungewissheit befinden sich „religiöse Gruppen“ (Art. 5), deren Registrierung lediglich aus quantitativen Gründen, nämlich an der Hürde von 200 Antragstellern, scheitert. 5. An letzter Stelle stehen die Religionsgemeinschaften, denen die Anerkennung förmlich versagt wurde, die daher als verboten gelten und unterdrückt werden.

Die Armenische Apostolische Kirche genießt als „Nationalkirche“, wie es ausdrücklich heißt, „Privilegien“ (Art. 17 Abs. 2), deren Ausübung der Staat nichts in den Weg legen darf. Es handelt sich um

  • Wiederherstellung des Lebens in den traditionellen Organisationsformen der Kirche,
  • Neubau von Gotteshäusern und sakrale Wiedernutzung von Baudenkmälern,
  • Religionsunterricht in staatlichen Bildungseinrichtungen,
  • Förderung der „moralischen Vervollkommnung“ des Volkes,
  • Beschäftigung mit karitativer Tätigkeit
  • und das Recht, „auf dem ganzen Territorium der Republik Armenien ihren Glauben frei zu predigen und zu verbreiten“.

Das von Art. 8 des Gesetzes verhängte Verbot der Proselytenmacherei gilt für die Kirche also nicht. Sie hat ein Missionsprivileg! Die praktische Durchsetzung der Vorrechte ist allerdings besonders dort, wo es um Fragen des Eigentums geht und der Staat finanzielle Belastungen befürchtet, doch auf Hindernisse und Widerstände gestoßen. Erst im Vorfeld der 1700-Jahr-Feier konnten sich beide Seiten am 17.03.2000 auf ein Memorandum einigen, das die Restitution von Eigentum, Steuerbefreiungen, die Militär- und Anstaltsseelsorge, die kirchliche Präsenz in den elektronischen Medien sowie die Zusammenarbeit mit dem Staat im Erziehungs-, Sozial- und Gesundheitswesen betrifft.8

Ferner hat der Staat die Nationalkirche bei ihren Auslandsaktivitäten besonders zu unterstützen (Art. 17 Abs. 3). Die zum Katholikos gewählte Person erhält kraft Gesetzes (Art. 22) die armenische Staatsangehörigkeit. Bedeutung hat die Bestimmung erlangt, als im April 1995 die Nationale Kirchenversammlung zum Nachfolger des im August 1994 verstorbenen Vazgen I. Palčjan einen Diaspora-Armenier wählte: Katholikos Karekin I.

Die Anerkennung und Förderung der Nationalkirche wurde naturgemäß besonders stark im Jubiläumsjahr 2001 sichtbar, als Staat und Kirche mit vielen offiziellen Veranstaltungen die Erhebung des Christentums zur Staatsreligion feierten und aus diesem Anlass auf einem Hügel im Zentrum von Jerewan eine gewaltige, Gregor dem Erleuchter geweihte Kathedrale errichtet wurde.

Schlussbemerkung

Die Stellung der Armenischen Apostolischen Kirche und die Ausnahmeregelung im Registrierverfahren zugunsten der nationalreligiösen Minderheiten sind Ausdruck eines Prinzips, welches das Religionsrecht der Republik Armenien prägt: die Überformung des der Universalität verpflichteten Menschenrechts der Religionsfreiheit durch das mit Vorrang versehene partikulare Prinzip nationalreligiöser Organisationsbildung und Religionsausübung. Gewiss ist der Ansatz nicht von außen wie etwas Fremdes der religionsrechtlichen Ordnung des Landes übergestülpt worden; vielmehr knüpft er an die geschichtlich verwurzelten Strukturen Armeniens an. Aber gerade darin liegt aus menschenrechtlicher Sicht das Problem: Das rechtliche Festschreiben faktisch bestehender nationalreligiöser Verhältnisse stellt seiner Natur nach eine Beschränkung der Religionsfreiheit9 dar, die vom Völkerrecht in dieser Weise nicht gedeckt ist. Denn die von ihm allein legitimierten Gründe, auf die sich der nationale Gesetzgeber bei beabsichtigten Beschränkungen der Religionsfreiheit berufen darf – Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, der Gesundheit, Moral, der Rechte und Freiheiten anderer Personen – rechtfertigen eine Differenzierung des Status der Religionsgemeinschaften nach dem Kriterium der nationalen Verankerung nicht.

Sicherlich ist das grundsätzliche Anliegen verständlich, der großen nationalen, geistigen, kulturellen und sozialen Bedeutung der Armenischen Apostolischen Kirche besonders Rechnung zu tragen, aber dies auf Kosten der völkerrechtlichen bzw. menschenrechtlichen Verpflichtungen des Landes zu verwirklichen, ist sehr bedenklich. Ein vergleichender Blick auf Regelungen des Status der Religionsgemeinschaften in anderen Mitgliedsstaaten des Europarates zeigt vielmehr, dass eine wirksame Garantie der Religions- und Weltanschauungsfreiheit durchaus damit einhergehen kann, dass der einst herrschenden Staatskirche der Nation eine gewisse Sonderstellung zuerkannt wird, die die Freiheit der anderen Religionsgemeinschaften nicht schmälert. Ein Beispiel dafür ist Polen, wo nach dem Sturz des kommunistischen Regimes eine Lösung gefunden wurde, die die in einem Spannungsverhältnis befindlichen Interessen und Prinzipien zu einem aus der Sicht der Menschenrechte vertretbaren Ausgleich brachte.


Literaturhinweise:

  • Goltz, Hermann: Zum Tode von Karekin I., in: Armenisch-Deutsche Korrespondenz, Jg. 1999, H. 2, S. 28 f.

  • Kolarz, Walter: Die Religionen in der Sowjetunion, Freiburg/Breisgau (u. a.) 1962, S. 150-175.

  • Luchterhandt, Otto: Einführung in die Verfassung der Republik Armenien, in: Georg Brunner (Hrsg.): Verfassungs- und Verwaltungsrecht der Staaten Osteuropas (VSO), Grundwerk (Loseblattsammlung), Berlin 1995, Band IV. GUS-Staaten: Armenien (1999).

  • Ormanian, Malacha: The Church of Armenia, her history, doctrine, rule discipline, liturgy, literature, and existing condition (1910). 2. Aufl. London 1955.

  • Spuler, Bertold: Gegenwartslage der Ostkirchen. 2. Aufl., Frankfurt/Main 1968, S. 287-300.


Fußnoten:


  1. Otto Luchterhandt, Das sowjetische Religionsgesetz vom 1. Oktober 1990, in: Österreichisches Archiv für Kirchenrecht 39 (1990), H. 3/ 4, S. 309-341 (mit Übersetzung des Gesetzestextes). ↩︎

  2. Übersetzung in: Die Neuordnung des Verhältnisses von Staat und Kirche in Mittel- und Osteuropa. (Essener Gespräche zum Thema Staat und Kirche, Bd. 29). Münster 1995, S. 257-266. ↩︎

  3. Gesetz vom 17.06.1991 über die Gewissensfreiheit und die religiösen Organisationen. Text: Vedomosti Verchovnogo Soveta Respubliki Armenija 1991, Nr. 12, Pos. 245 (Novellierungen am 19.09.1997 und 03.04.2001). ↩︎

  4. Einseitig an den Verhältnissen der Nationalkirche orientiert, definiert Art. 4 Abs. 2: „Religiöse Organisationen sind die kirchlichen und religiösen Gemeinden, Eparchien, Klöster, religiösen Kongregationen, ihre Bildungs- und Verlagseinrichtungen und andere religiös-kirchliche Institutionen.“ ↩︎

  5. Art. 244 Abs. 1 Strafgesetzbuch in der Fassung vom 08.10.1997 stellt die Organisierung einer religiösen Vereinigung, deren Registrierung abgelehnt worden ist und die versucht, Minderjährige zu bekehren, Bürgerrechte zu verletzen und zur Wehrdienstverweigerung anzustiften, unter Strafe. Vgl. Strafgesetzbuch der Republik Armenien vom 07.03.1961 in der Fassung vom 20.01.1998, Jerewan 1998. – Die Angaben zur Stärke der Gemeinschaft schwanken zwischen ca. 550 und 17.000. Vgl. Report der International Helsinki Federation for Human Rights für 2001, Wien 2002. ↩︎

  6. Armenpress vom 30.07.2002; vgl. ferner US State Department: International Religious Freedom Report: Armenia. Washington D.C. 2001. ↩︎

  7. Die Yeziden bilden eine Glaubensgemeinschaft in Vorderasien, deren Religion Elemente des Zoroastrismus mit christlichen, islamischen und anderen Vorstellungen verbindet. Die Molokanen sind eine im 18. Jahrhundert in Russland entstandene orthodoxe Sekte (Anm. d. Redaktion). ↩︎

  8. Armenisch-Deutsche Korrespondenz, Jg. 2000, H. 1, S. 30. ↩︎

  9. Vgl. die in dem vorliegenden Punkte wörtlich übereinstimmenden Art. 18 Abs. 3 des Internationalen Paktes der Vereinten Nationen über bürgerliche und politische Rechte vom 16.12.1966 bzw. Art. 9 Abs. 2 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950. Beide Konventionen sind für die Republik Armenien verbindlich. ↩︎