Mein Leben in Serbien

aus OWEP 1/2005  •  von Violeta Nikolić

Violeta Nikolić stammt aus Serbien und studiert in Münster/Westfalen Sozialpädagogik.

Ich wuchs in einem kommunistischen Land auf, wo die Folgen des Systems nach dessen Sturz noch lange zu spüren waren. In einer solchen Umwelt konnte man nicht viel über Dinge, die „verboten“ waren, in Erfahrung bringen! Aber ich kann sagen, dass Tradition und Glaube in meiner Familie immer präsent waren. Außerhalb des Kreises der Familie, in der Gesellschaft, waren sie hingegen mehr oder weniger unwichtig.

Die Grundsätze und Fundamente, die für das Leben wichtig sind, legten meine Eltern still und vorsichtig. Es blieb noch ein Teil übrig, den ich alleine erkennen und erfahren musste – im Laufe meiner ganzen Ausbildung, so wie viele kleine Flüsse, die mit der Zeit einen großen Strom gebildet haben.

Irgendwie hat mich schon immer die Pädagogik interessiert. Ich habe zuerst die Hochschule für die Ausbildung als Erzieher absolviert, aber am Ende dieses Studium war ich sicher, dass ich nicht an diesem Punkt aufhören würde; ebenso war klar, dass ich mich mit Kindern beschäftigen würde. Diesem Horizont all meiner Interessen wollte ich einen Sinn und einen Wert geben. Nach weiterem Nachdenken wandte ich mich dem Theologischen Institut in Belgrad zu. Das war für meine Umgebung ziemlich überraschend, da sich zu dieser Zeit Frauen dort nur selten immatrikulierten. Damals habe ich mir ständig Fragen über mich selber gestellt: Wer bin ich, wohin gehe ich? Und wie könnte ich eine angemessene Ausbildung erhalten, um morgen in der Lage zu sein, einem kleinen Wesen die lebensnotwendigen Impulse zu geben? Diese sollen kräftig und stabil sein, aber zärtlich gelegt!

Die Kinder sind die Perlen jeder Gesellschaft, jeder Kirche! Sie sind unsere nahe Zukunft! In ihnen werden wir die Ergebnisse unserer Mühe sehen, als Eltern, als Erzieher, als Lehrer, als Professoren. Kinder sind sehr sensibel und haben sehr empfindliche Sinne. In dieser frühen Lebenszeit legen wir (die Erwachsenen) bewusst oder unbewusst den Samen aus, aus dem sich das neue Leben entwickeln wird. Aber wir müssen uns bewusst sein, dass genau das kommen wird, was wir gesät haben. Wenn die Kinder später unempfindlich oder unsozial sein werden, dann wird ein großer Teil der Verantwortung dafür bei uns Erwachsenen liegen.

Mit dem Ziel, in Serbien ein entsprechendes Programm für Kinder aufzubauen, kam ich nach Deutschland. Die Studien an der Katholischen Fachhochschule, wo ich Sozialpädagogik studiere, sind für mich sehr wertvoll. Dort lernt man viel Praktisches, z. B. die Verbindung zwischen Kirche und Kindergarten sowie die allgemeine Struktur verschiedener kirchlicher Institutionen. Entsprechende Kenntnisse sind für uns notwendig. Mein Wunsch ist es, dass wir in Serbien Kindergärten mit religiösem Hintergrund aufbauen, wobei dies natürlich in erster Linie durch das Spiel vermittelt wird. All das kann ich hier erlernen, ohne dass dabei mein Glaube beeinträchtigt wird.

Man muss natürlich sehr behutsam mit den Kindern umgehen; alles soll für sie verständlich sein, gleichzeitig soll aber auch ihr Interesse geweckt werden. Dies muss alles sorgfältig vorbereitet werden.

Ein anderer Aspekt ist natürlich die Jugend. In den letzten Jahren habe ich die Beobachtung gemacht, dass die jungen Leute keine richtige Orientierung in Bezug auf die Fragen ihres eigenen Lebens haben. Irgendwie ist alles für sie sinnlos geworden. Die Schwierigkeiten und alles, was in den letzten fünfzehn Jahren auf dem Balkan geschehen ist, haben kaum positive Eindrücke hinterlassen. Die jungen Leute träumen ständig davon, ins Ausland zu gehen, ohne dass sie wüssten, was sie dort erwartet. Und sie wissen auch nicht, dass sie vor sich selber nicht davon laufen können, dass sie vielmehr alle ihre Illusionen, Probleme, Unsicherheiten mitnehmen und die Antworten auf ihre Fragen bei sich selber finden müssen. Aber man muss ihnen natürlich eine Hilfe und ein Gefühl von Sicherheit geben. In diesem Kontext sollte die Kirche alle ihre Türen noch weiter öffnen! Sie sollte ein Zufluchtsort für alle jungen Leute sein, die einen solchen brauchen.

Es gibt einen geringen Prozentsatz junger Leute, die trotz all des Unglücks und der Probleme unserer Zeit herangereift und zu starken und positiven Persönlichkeiten herangewachsen sind. Diese Leute können in die Arbeit besagter Institutionen integriert werden. Man könnte ein Büro für den Kontakt mit ausländischen Institutionen einrichten und nach ihrem Vorbild die Arbeit planen. Es wäre möglich, junge Mitarbeiter aus diesem Büro auf verschiedene Kongresse zu schicken oder ihnen die Teilnahme an verschiedenen Projekten zu ermöglichen. Auf diese Weise könnte man neue Kontakte herstellen und eine neue Sicht von Zusammenarbeit in der Welt verwirklichen. Andere Konfessionen würden die Möglichkeit haben, die orthodoxe Kirche Serbiens kennen zu lernen, und unsere Jugend könnte wertvolle Erfahrungen sammeln, die sie auf die Verhältnisse bei uns übertragen könnte. Ein Beispiel: Vor ein paar Jahren war ich Teilnehmerin am „Friedensgrund“ – es war ein schönes Erlebnis1. Wir waren über hundert Teilnehmer aus verschiedenen Konfessionen, arbeiteten dennoch zusammen, beteten zusammen, hatten zusammen Spaß und am Ende nahmen wir schöne Erinnerungen mit, die auch heute noch ihren Wert haben.

Man müsste der Jugend die Möglichkeit geben, sich gegenseitig kennen zu lernen, frei und ohne jegliche Vorurteile. Einer der wichtigen Aspekte der Arbeit des besagten Büros läge deshalb darin, für die Jugend die Möglichkeit zu schaffen, im Ausland zu studieren. Auf diese Art würde sie ihr Wissen und ihre Erfahrung in bereits organisierte Strukturen mitbringen; als Stipendiatin von Renovabis ist mir die Wichtigkeit dieser Form des Erwerbs von Erfahrung und des Schaffens von Kontakten bewusst. Zu Beginn meines Studiums war es für mich unbegreiflich, dass es Institutionen gibt, die den Studenten bei der Gestaltung ihres Studiums helfen. Im Grunde haben all diese Organisationen ihre Wurzeln in der Kirche, und gleichzeitig verzweigen sie sich durch die ganze Universität und durch die übrigen Einrichtungen. Zuerst wunderte ich mich, dann war ich begeistert. Jetzt möchte ich nur, dass ich all das noch besser kennen lerne, z. B. die Einrichtungen, die sich mit Problemen wie Drogen, AIDS, Kriminalität und entsprechender Prävention beschäftigen.

In der ganzen Welt und bei uns auch ist die Familie (als Form) in der Krise. Mein Interesse liegt darin, wie man den Menschen die Schönheit der christlichen Ehe und Familie verdeutlichen kann. Die Ehe ist ein Segen! Viele haben ihre wirkliche Bedeutung vergessen.

Ich muss noch einmal die Kinder erwähnen. Auch in den serbischen Kindergärten sollen die Kinder eine erste religiöse Unterweisung erhalten. Sie sollen wissen, wer sie sind, aber ebenso sollen sie lernen, dass es auch noch andere gibt. Mein Ansatzpunkt ist der, dass die Mehrheit der Missverständnisse – angefangen von kleinen Anlässen bis hin zu größeren Ereignissen – ihren Ausgangspunkt in Unwissenheit, d. h. in Unkenntnis, hat. Und alles, was wir nicht kennen, macht uns Angst. Aus dieser Angst heraus aktivieren die Menschen bewusst oder unbewusst ihr Abwehrsystem.

Man sollte für die Annäherung der Menschen und für die Überwindung von Unkenntnis arbeiten, die Ausgangspunkt von vielen Missverständnissen ist. Man sollte die Kinder lehren, dass es andere Kulturen und andere Traditionen gibt. Aber am wichtigsten ist es, dass sie den Unterschied zwischen Gut und Böse kennen! Bereits vor langer Zeit hat die große Reformpädagogin Maria Montessori über die kosmische Erziehung der Kinder gesprochen, mit dem Ziel der Verhinderung des Beginns von Missverständnissen, die ja bis hin zu Kriegen führen können.

Meine Hoffnungen sind auf die Schaffung solcher Einrichtungen gerichtet. Nach dem Abschluss des Studiums oder – genauer gesagt – meiner Spezialisierung möchte ich in meine Heimat zurück kehren, um dort zu versuchen, all das mit aufzubauen. All das ist unglaublich viel, aber ich werde glücklich und zufrieden sein, wenn sich ein kleiner Teil davon verwirklichen lässt. Ich bin mir bewusst, dass ich das nicht alleine schaffen werde. Die Mitarbeit von anderen Menschen ist dazu nötig, und ich denke, dass es viele gibt, die dazu bereit sind. Auch die Zusammenarbeit mit Organisationen im Ausland ist dazu nötig.

Wie ,,ein großer Fluss nicht allein aus sich selbst entsteht, sondern viele kleine Flüsse zusammenfließen müssen, um ihn zu schaffen“, brauchen wir eine Mitwirkung von allen, wenn wir versuchen wollen, die Probleme und Schwierigkeiten, die wir täglich haben, zu überwinden. Genau das wünsche ich mir.


Fußnote:


  1. „Friedensgrund“ ist eine im Jahre 1990 im Bistum Hildesheim entstandene Initiative, die junge Europäer jährlich an verschiedenen Orten zusammenführt, z. B. 2001 in Novi Sad (Serbien). Weitere Information unter www.friedensgrund.de (Anm. d. Redaktion). ↩︎