EU-Erweiterung – Sicherheit für Europa

aus OWEP 2/2006  •  von Olli Rehn

Dr. Olli Rehn ist Mitglied der Europäischen Kommission und zuständig für den Bereich der Erweiterung.

Die Erweiterungspolitik ist zweifelsohne einer der tragfähigsten Akte der Europäischen Union. Denn es war die europäische Perspektive, die in den siebziger und achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts die jungen Demokratien in Griechenland, Spanien und Portugal konsolidierte, und in jüngster Zeit hat die europäische Perspektive den kommunistischen Ostblockstaaten geholfen, sich zu offenen Gesellschaften zu entwickeln, die die Menschenrechte respektieren. Heute ist Europa ein freierer, stabilerer und sichererer Kontinent geworden.

Selbstverständlich gab es bei einem so komplexen Prozess auch Schwierigkeiten. Diese konnten nicht ausbleiben. Allerdings: Wo sind die Katastrophenszenarien geblieben, die unseren Bürgern schlaflose Nächte bereitet haben? Der spanische Maurer und der polnische Klempner, diensteifrig und billig, würden unsere Arbeitsmärkte überschwemmen; der europäische Beitragszahler würde immer mehr zahlen müssen, die europäischen Institutionen würden lahm gelegt werden. Diese Befürchtungen haben sich weitgehend als unbegründet erwiesen, und es war nicht richtig, sie mit der EU-Erweiterung zu verbinden. Nehmen wir das Beispiel der Standortverlagerung von Betrieben: Diese begann doch schon vor zwanzig Jahren mit dem Aufkommen der Globalisierung, lange vor dem Anschluss der mittel- und osteuropäischen Länder. Und was die übrigen Befürchtungen betrifft: Die Invasion von Arbeitskräften fand nicht statt, die EU-Erweiterung hat die gemeinsamen Ausgaben nicht explodieren lassen, und unsere Institutionen funktionieren mit 25 Mitgliedstaaten genauso weiter wie vorher – auch wenn es sehr wünschenswert gewesen wäre, eine Verfassung zu haben, die das Räderwerk der EU ein wenig mehr ölen und unserem gemeinsamen Projekt mehr Elan verleihen würde.

Nach dem „Nein“ in Frankreich und in den Niederlanden hat man viel spekuliert über einen „Plan B“ für die Verfassung. Wie man weiß, hat ein solcher Plan niemals existiert. Im Gegenzug hat die EU-Kommission einen „Plan K“ für die Erweiterung vorgeschlagen, „K“ wie Konsolidierung, Konditionalität und Kommunikation.1

Konsolidierung der bereits einvernehmlich beschlossenen Maßnahmen: Die Union darf ihre Verantwortlichkeiten in Europa nicht aufgeben. So wurde eine Verpflichtung gegenüber den östlichen Balkanstaaten und der Türkei eingegangen, denen eine Beitrittsperspektive eröffnet wurde. Diese Perspektive war die treibende Kraft bei deren demokratischen Reformen. Ihnen jetzt die Tür wieder zu verschließen, wäre unverantwortlich. Wie es Paddy Ashdown, der Hohe Repräsentant der EU in Bosnien ausdrückte: „Die europäische Perspektive ist der Kitt, der die Balkanstaaten zusammenhält auf dem Weg des Friedens und der Stabilität.“

Sicher, diese Länder befinden sich nicht alle auf demselben Niveau. Mit Kroatien und der Türkei wurden Beitrittsverhandlungen aufgenommen, die lang und schwierig sein werden. Am anderen Ende beginnen gerade erst die Gespräche mit Bosnien-Herzegowina und Serbien und Montenegro für ein Abkommen zur Stabilisierung und zur Assoziierung, einer ersten vertraglichen Beziehung zur Europäischen Union. Gleichzeitig muss bei der Aufnahme neuer Verpflichtungen äußerste Vorsicht walten.

Dies führt zum zweiten „K“, der strikten Konditionalität. Um Mitglied der Europäischen Union zu werden, sind zuvor bestimmte Bedingungen zu erfüllen: Demokratie, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit und Respektierung der Minderheiten müssen garantiert werden. Sodann muss eine Marktwirtschaft vorhanden sein, die die Konkurrenz der übrigen EU aushält. Schließlich müssen sämtliche Regelungen und Gesetze der Europäischen Union übernommen und in Kraft gesetzt werden.

Mehr als jemals zuvor müssen wir auf die Aufnahmekapazität der Europäischen Union achten. Der Beitritt setzt voraus und basiert auf gemeinsamen Grundwerten, einer gemeinsamen Politik und gemeinsamen Institutionen. Die Union muss sich stets vergewissern, dass ihre Handlungsfähigkeit erhalten bleibt, dass ihre finanziellen Mitteln ausreichen und dass sie ihre Politik wirksam umsetzen kann. Daher gibt es keinen Automatismus in den Beitrittsverhandlungen. Wenn die von der Europäischen Union aufgestellten Kriterien nicht vollständig erfüllt sind, wird es keinen Fortschritt in den Verhandlungen geben.

So komme ich zum dritten „K“, der Kommunikation. Die Politik der EU-Erweiterung wird immer wieder verkannt und missverstanden. Weite Kreise der Bevölkerung reagieren auf die Politik der EU-Erweiterung mit Unverständnis und Argwohn. Sie wird als Risiko dargestellt, niemals als Chance. Die Europäische Union, das heißt ihre Institutionen, aber auch die Mitgliedstaaten ihrerseits, müssten viel mutiger sein, die Karten auf den Tisch legen und den Bürgern die Ziele, aber auch die Herausforderungen unseres Handelns erklären. Sorgfältig vorbereitet bringt die Erweiterung der Union ein nicht zu leugnendes „Plus“, ein Mehr an Frieden, an Menschenrechten, an Wachstum und an Arbeitsplätzen.

Aus dem Französischen von Barbara Wolf-Dahm.


Fußnote:


  1. Im Original liegt ein Wortspiel vor. Anstelle des nicht vorhandenen Plans „B“ ist vom Plan „C“ die Rede: „C“ für consolidation, conditionnalité und communication (Anm. d. Redaktion). ↩︎