Kirche unterm Kommunismus: zwischen Heldentum und Verrat

aus OWEP 3/2007  •  von Józef Życiński

Der Verfasser, Prof. Dr. Józef Życiński, ist der römisch-katholische Erzbischof von Lublin.

Unbeugsam oder verräterisch?

Über einen langen Zeitraum standen vor allem die Kardinäle Stefan Wyszyński (zum Bischof ernannt 1946, verstorben 1981) und Karol Wojtyła (Bischofsernennung 1958) für die Haltung geistiger Unbeugsamkeit der polnischen Katholiken. Im Rückblick ist festzustellen: Die von ihnen vertretene Vision einer Kirche unter den Bedingungen begrenzter Freiheit erwies sich als theologisch begründet und seelsorgerisch erfolgreich. Die Zahl praktizierender Katholiken, die Präsenz der Kirche in den sozialen und kulturellen Transformationen, die höchste Zahl geistlicher Berufungen in Europa zeugen davon, dass in einem heroischen Glaubenszeugnis Mut und zulässiger Kompromiss optimal verbunden wurden.

Doch auch damals fehlte es nicht an radikalen Kritikern, die aus von der kommunistischen Staatsmacht unabhängigen Positionen ihre Skepsis gegenüber dem Handeln der polnischen Hierarchie bekundeten. Kritisch bewertet wurde z. B. die Übereinkunft zwischen Kirche und Staat vom 14.04.1950. In 19 Punkten beschrieb sie Prinzipien der künftigen Koexistenz.1 Obwohl die Regierungsseite gegen diese Übereinkunft verstieß und Primas Wyszyński verhaften ließ, zeugt dieses Dokument von der Offenheit und dem guten Willen der Kirche.

Radikale Vertreter des polnischen Exils betrachteten jegliche Form eines modus vivendi mit der kommunistischen Staatsmacht als Verrat. Das belegt schon der Titel eines bekannten Buches von Józef Mackiewicz: Der Vatikan im Schatten des roten Sterns. Den polnischen Episkopat des Verrats zu bezichtigen, war aber auch ein beliebter propagandistischer Kunstgriff des kommunistischen Parteiführers Gomułka in seiner Spätzeit. 1966, als das Millennium der Christianisierung Polens gefeiert wurde, wiederholte er mehrfach den an die polnischen Bischöfe gerichteten Vorwurf, sie hätten die polnische Staatsräson verraten. Diese Anklagen waren eine Reaktion auf die im Geiste der Vergebung und Versöhnung gehaltene Botschaft der polnischen Bischöfe an ihre deutschen Mitbrüder von 1965. Die darin enthaltene Formel „Wir gewähren Vergebung und bitten um Vergebung“ gilt heute als Fundament einer neuen Mentalität, welche die europäische Integration ermöglichte.

Unmittelbar nach der Veröffentlichung der Botschaft wurden die polnischen Bischöfe wegen dieser Formulierung jedoch auch von unabhängigen Gruppierungen kritisiert. Sie waren überzeugt, die deutsche Seite hätte ihre Reue über den von Deutschland ausgelösten Zweiten Weltkrieg nicht ausreichend ausgedrückt. Eben deshalb wurde die gegen die Kirche gerichtete Anklage des Verrats lange Zeit sowohl in Kreisen der Staatsmacht als auch von den Radikalen der extremen Rechten wiederholt. Das zeugt von einer ideologischen Sichtweise, bei der man kaum auf die damaligen Realitäten der Pastoral achtete; wenig berücksichtigt wurde auch, dass unvorhersehbare Schritte der Politiker zu Folgen führen konnten, die eine weitere Mission der Kirche unmöglich gemacht hätten.

Das zeitgenössische Judas-Drama

Aus der gegenwärtigen geschichtlichen Perspektive wird ersichtlich, dass die von manchen Kritikern als Ausdruck des Verrats angesehene pastorale Strategie sich als Zeichen eines langfristigen Realismus erwies, der recht häufig der Epoche voraus war. Nach dem Sturz des Kommunismus 1989 waren die Voraussetzungen zur Beurteilung des Verhaltens jener Geistlicher gegeben, die kompromittierende Formen des Kompromisses über die Prinzipien des Evangeliums gestellt hatten. Einzelnen Diözesanbischöfen wurden damals Namen von Geistlichen zugänglich gemacht, die in der mit den kommunistischen Behörden kollaborierenden katholisch firmierenden Organisation PAX sowie in den Strukturen der so genannten „Patriotischen Priester“ gewirkt hatten. Letztere waren willenlose Elemente der staatlichen Manipulation gewesen. Die Ortsbischöfe führten damals die notwendigen Gespräche und wendeten die unabdingbaren Mittel an, um Personen, die die Grenze des zulässigen Kompromisses überschritten hatten, ihrer Funktionen zu entheben.

Heute wirft man der kirchlichen Hierarchie vor, dass damals keine kirchliche Entsprechung zur so genannten Lustration (d. h. Überprüfung, Durchleuchtung) unter Nutzung der beim IPN2 zugänglichen Materialien durchgeführt wurde. Das Problem besteht darin, dass die Idee, die Dokumente des IPN für moralische Bewertungen der Vergangenheit zu verwenden, 1992 pervertiert wurde, als der damalige Innenminister Antoni Macierewicz auf seiner berüchtigten Liste mutmaßlicher Kollaborateure die Namen hoch angesehener, moralischer untadeliger Personen veröffentlichte, die mit der gegen die kommunistische Herrschaft gerichteten Unabhängigkeitsbewegung verbunden waren. Eine Folge des Protestes gegen dieses unverantwortliche Verhalten war der Sturz der Regierung von Ministerpräsident Jan Olszewski und die spätere Rehabilitierung jener Personen, deren Namen nur deshalb auf die Macierewicz-Liste geraten waren, weil die Geheimdienste der Volksrepublik Polen Materialien über sie gesammelt und sie in ihren Registern aufgeführt hatten.

Wenn man in der Kirche irgendwelche moralische Abrechnungen auf dem Niveau der „Lustration“ eines Antoni Macierewicz durchführen würde, so wäre das ein bedeutend größeres moralisches Übel als das Unterlassen jeder Lustration. Die aus diesem Anlass gegen die Kirche gerichteten Vorwürfe sind deshalb willkürlich, weil keine andere Institution eine Lustration durchführte, als es noch keinen leichten Zugang zu den Archiven des IPN gab. Obwohl die Vertreter akademischer Zentren unterstreichen, dass die Autonomie der Universität und der Kirche in der Unabhängigkeit dieser Institutionen von staatlichen Vorschriften, die für die übrigen Institutionen gelten, ihren Ausdruck finden müsse3, bleibt es eine bezeichnende Tatsache, dass die Bischöfe im Januar 2007 die erste gesellschaftliche Gruppe waren, die beschloss, sich der Lustration zu unterziehen, um dem Prinzip Ausdruck zu verleihen: „Die Wahrheit wird euch befreien“ (Joh 8,32).

Die schon klassisch gewordene, wertvolle Arbeit, die die moralische Sensibilität der Kirche für die Problematik einer unzulässigen Kollaboration darlegt, ist „Der Judas-Komplex“ von Andrzej Grajewski4. Grajewski zeigt die Spannung zwischen Widerstand und Verrat in Ländern Ostmitteleuropas und widmet dabei den polnischen Verhältnissen ein umfassendes Kapitel (S. 177-242). Aufgrund seiner Untersuchungen unterstellt er, dass etwa 15 Prozent der Geistlichen unzulässige Formen der Zusammenarbeit mit der kommunistischen Staatsmacht aufnahmen. Bei den zahlenmäßigen Schätzungen muss bedacht werden, dass in der Regel zum gleichen Kreis der Personen sowohl die Funktionäre von PAX oder die „Patriotischen Priester“ als auch die Geheimen Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes sowie Personen gehörten, die aufgrund moralischer Vergehen angeworben wurden.

Die katholische Kirche in Polen steht heute vor neuen ernsthaften Herausforderungen, die mit folgenden Fragen einhergehen: Wie lassen sich Wahrheitsliebe und Achtung vor der Würde des Menschen, wie Gerechtigkeit, Vergebung und Versöhnung vereinbaren? Diese Fragen wurden von der Polnischen Bischofskonferenz schon 1995 im Hirtenbrief von ihrer 278. Vollversammlung aufgegriffen. Die Oberhirten drückten damals die Hoffnung aus, dass auf dem Wege des Schuldbekenntnisses, der Wiedergutmachung und der Vergebung „ehrliche Abrechnungen mit der Geschichte möglich sind, Abrechnungen, die nicht die Ursache neuer Wunden noch eine Gelegenheit zum Hass sind, sondern dem Bau einer Zukunft auf festem Fundament der Wahrheit ohne Verfälschung und Verschweigen dienen werden“ (Wigry, 16. September 1995). Diese Aufgabe ist keineswegs leicht zu verwirklichen. Alexander Solschenizyn hat daran erinnert, als er warnend feststellte: „Man kann den Kommunismus stürzen und danach in seinen Trümmern umkommen.“

Wahrheit, Menschenwürde und Vergebung

Aus dem Gefühl heraus, dass man Verantwortung trägt für das Zeugnis der Wahrheit über die düstere Geschichte der Volksrepublik Polen, wurden in einzelnen Diözesen Polens Historische Kommissionen gegründet. Unter Nutzung der im IPN zugänglichen Materialien sollen diese deutlich machen, wie der Staatssicherheitsdienst die Kirche zu bespitzeln versuchte. Die Bischofskonferenz verabschiedete gleichzeitig eine Denkschrift, die die im gesamtpolnischen Maßstab auf diesem Gebiet akzeptierten Prinzipien des Vorgehens und der ethischen Bewertungen beschreibt. Solchen Bemühungen liegt die Auffassung zugrunde, die Benedikt XVI. bei seiner Pilgerreise nach Polen im Juni 2005 ausdrückte: „Wir brauchen eine demütige Redlichkeit, um die Sünden der Vergangenheit nicht zu negieren, aber auch nicht leichtsinnig, ohne tatsächliche Beweise, Anschuldigungen zu erheben.“ In der gegenwärtigen seelsorgerischen Praxis ist es besonders wichtig, dass die „tatsächlichen Beweise“ nicht durch Verleumdungen ersetzt werden, bei denen der wichtigste „Beweis“ für den Verrat der beschuldigten Person ist, dass sie von einem Sicherheitsfunktionär auf die Liste der Mitarbeiter gesetzt wurde.

Die Frage der Glaubwürdigkeit wurde besonders im Ergebnis einer Intrige akut, bei der ein ehemaliger Unteroffizier des Sicherheitsdienstes, Paweł Kosiba, erklärte, zum Kreis der von ihm kontrollierten Geheimen Mitarbeiter habe auch Dr. Andrzej Przewoźnik gehört. Letzterer brachte die Sache vor Gericht. Dieses stellte im Urteil vom 29.11.2005 fest, dass die Beschuldigungen grundlos und auf mangelnde Ehrlichkeit der Staatssicherheitsfunktionäre zurückzuführen seien. Nach eindringlicher Analyse der zugänglichen Dokumente stellte das Lustrationsgericht auch fest: „Darüber, ob eine Person Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes als geheimer Informant war, entscheidet weder die Tatsache noch die Form seiner Registrierung in den Unterlagen des Staatssicherheitsdienstorgans, sondern der Inhalt der diesen Organen erteilten Informationen.“

Eine ähnliche Situation ergab sich auch im Fall vom Małgorzata Niezabitowska, der Regierungssprecherin der ersten Solidarność-Regierung nach dem Sturz des Kommunismus. Zuerst wurde sie der Zusammenarbeit mit dem Staatssicherheitsdienst beschuldigt. Dann, beim Prozess vor dem Lustrationsgericht, gaben Funktionäre dieses Dienstes zu, dass ihre Registrierung als Geheime Mitarbeiterin mit dem Decknamen „Nowak“ eine Fiktion war; in die Berichte, die angebliche Meldungen Frau Niezabitowskas enthielten, schrieben die Funktionäre Informationen hinein, die sie durch Abhören ihrer Telefongespräche erhalten hatten.5 Das Gerichtsurteil stieß später auf Kritik von Gruppen der radikalen Rechten; sie bemühten sich darzulegen, dass es keinen Grund gebe, weshalb man den Funktionären des Geheimdienstes mehr glauben sollte, wenn sie vor Gericht aussagten, als zu jener Zeit, in der sie Berichte mit angeblichen Inhalten von Gesprächen verfassten, die mit Personen geführt wurden, die als Geheime Mitarbeiter registriert waren.

Um zu vermeiden, dass die Geheimdienstaufzeichnungen in den Rang wichtigster Wahrheitszeugnisse erhoben würden, erinnerten die Bischöfe konsequent daran, dass in der europäischen Kultur das Prinzip der Unschuldsvermutung eine grundlegende Rolle spielt. Den fundamentalen Charakter dieses Prinzips betont in konsequenter Weise die vom Erzbischof von Lublin 2005 gebildete „Arbeitsgruppe für ethische Beurteilungen: Gewissen und Erinnerung“. Unter deren zehn Mitgliedern befinden sich moralische Autoritäten, die ein weites Spektrum abdecken, einschließlich Vertreter der Linken, die wegen ihrer hohen moralischen Anforderungen geschätzt werden. Zur Arbeitsgruppe gehören u. a. Prof. Dr. Władysław Bartoszewski, Prof. Dr. Wiesław Chrzanowski, Prof. Dr. Barbara Skarga, Prof. Dr. Karol Modzelewski, Prof. Dr. Andrzej Zoll, Bischof Tadeusz Pieronek.

In ihrem Widerspruch zu dem vom Sejm vorbereiteten Lustrationsgesetz, in dem das Verantwortungsniveau zwischen den auf die Liste der Mitarbeiter des Geheimdienstes gesetzten Personen unzulässig verwischt werde, schrieben die Mitglieder der Gruppe: „Zur gleichen Kategorie der Persönlichen Informationsquellen rechnet [der Gesetzentwurf] sowohl Personen, die durch schriftliche Denunziationen ihren Nächsten schadeten, als auch Personen, deren Namen willkürlich auf die Liste der Mitarbeiter gesetzt wurden. Gewissensdramen dieser zweiten Gruppe von Personen sind bekannt, denn sie erschütterten in letzter Zeit die öffentliche Meinung. Eine solche Praxis darf man nicht fortsetzen, denn so missachtet man das Drama des unschuldigen Menschen und lässt sich von Klassifikationen des Sicherheitsdienstes leiten ... Wir werden keine Demokratie errichten, wenn wir diese elementaren Prinzipien gering schätzen, mit denen der Papst aus Polen die Grundlagen einer demokratischen Ordnung beschrieb. Eben deshalb appellieren die Mitglieder der Arbeitsgruppe an die zuständigen Behörden, sie mögen sich – entsprechend ihrer Kompetenzen – der Annahme des Gesetzes in der gegenwärtigen Form widersetzen, die die grundlegenden moralischen Differenzierungen in Bezug auf die Menschenwürde verwischt.“6

Die Behandlung der erhalten gebliebenen Berichte des Staatssicherheitsdienstes als Quelle letzter Wahrheit ist nach Meinung der Bischofskonferenz auch aus dem Grunde unzulässig, weil in den Strukturen des (für den Sicherheitsdienst zuständigen) Innenministeriums die berüchtigte „Zelle D“ wirkte. Ihr Handeln umfasste Desinformation ebenso wie Einschüchterung. Ihr bekanntester „Streich“ war die im Februar 1983 gegen Johannes Paul II. gerichtete Provokation. Der Leiter der Staatssicherheitsgruppe, Leutnant Grzegorz Piotrowski, später bekannt geworden als Mörder des Solidarność-Seelsorgers Jerzy Popiełuszko, deponierte in der Wohnung des Priesters Andrzej Bardecki, eines Redakteurs der katholischen Wochenzeitung „Tygodnik Powszechny“, eine von der „Zelle D“ präparierte Fälschung eines Tagebuchs der Irina Kinaszewska. Darin wurde ihr eine Romanze mit dem ehemaligen Krakauer Erzbischof, Kardinal Karol Wojtyła, unterstellt. Für den nächsten Tag plante man in Bardeckis Wohnung eine Hausdurchsuchung, dabei wollte man das Tagebuch finden und zur Erpressung jener Personen nutzen, die nicht wollten, dass der Name des Papstes in einem solchen Zusammenhang genannt würde. Das war die Zeit nach dem Attentat auf Johannes Paul II., als in Polen die Mannschaft der Generäle Jaruzelski und Kiszczak den Jargon des Patriotismus und der moralischen Erneuerung pflegte. Gleichzeitig versuchte man damals, die höchste Autorität der katholischen Kirche in eine skandalöse angebliche Liebschaft zu verwickeln. Die Provokation misslang, denn Offizier Piotrowski verursachte nach einem alkoholreichen Abendessen einen Autounfall. Die Haussuchung konnte nicht zum geplanten Termin durchgeführt werden, und Priester Bardecki fand und vernichtete die untergeschobene Fälschung.7

Statistik oder Drama?

Wenn man die bekannten Provokationen berücksichtigt, dann kann man die vom Staatssicherheitsdienst angelegten Materialien nicht als Hauptquelle der Wahrheit ansehen. Denn diese Materialien wurden nach zentral erlassenen Instruktionen verfasst, in denen sowohl die Pathologie des damaligen Systems als auch die Symptome des von oben befohlenen Planens deutlich werden. Aus Arbeiten der Historischen Kommission in der Erzdiözese Lublin erfahren wir z. B., dass in den Plänen zur Anwerbung von Geheimen Mitarbeitern (GM) für 1986 in der Wojwodschaft Lublin die Gewinnung von 347 neuen Mitarbeitern beabsichtigt war. Im Jahresbericht wurde mit Genugtuung die „Planübererfüllung“ vermerkt, denn die Werbung erbrachte 353 Personen. Trotz optimistischer Anmerkungen über die „bedeutende Intensivierung der Arbeit auf diesem Felde“ bekennt der Verfasser des Berichts, dass Lublin noch unter dem gesamtpolnischen Durchschnitt liege: Während 1986 im Landesmittel 9,1 GM auf einen hauptamtlichen Funktionär kamen, lag die Zahl im Lubliner Gebiet nur bei 8,8. In den Plänen für 1987 postulierte man in der Rhetorik der späten Volksrepublik Polen, dass „Handlungen zur weiteren Aktivierung der operativen Arbeit auf dem Gebiet der Gewinnung hochqualitativer personaler Informationsquellen zu dynamisieren“ seien. Konkret forderte man für die Wojwodschaft Lublin die Gewinnung von 354 Zuträgern und 9 „Konsultanten“.

Ein solcher Jargon könnte belustigend wirken, wenn man nicht die Tatsache berücksichtigt, dass infolgedessen unschuldige Personen nur als GM registriert wurden, um die Statistik aufzubessern. In der Akte von Priester Dr. Romuald Weksler-Waszkinel, den man ohne sein Einverständnis auf die Agentenliste setzte, blieb die Anmerkung erhalten: „Eine Verpflichtung wurde vom GM nicht eingeholt. Das Pseudonym ‚Philosoph‘ gab ich ihm ohne sein Wissen. Die mit der Einholung einer Verpflichtung zusammenhängenden Schritte hätten seine Haltung negativ beeinflussen, letztlich hätte er die Zusammenarbeit verweigern können.“ In der Akte eines anderen als „Redakteur“ registrierten Geistlichen lesen wir in der Rubrik „Form der Gewinnung für die Zusammenarbeit“: „Ich nahm davon Abstand, eine formale Verpflichtung einzuholen, denn dies hätte zum völligen Abbruch der Kontakte führen können.“

Manche Informationen über die Schein-Anwerbung von Mitarbeitern vereinigen in sich Drama und Groteske. Das Drama resultiert daraus, dass die historischen, sich von der heutigen Wirklichkeit total unterscheidenden Realitäten ignoriert werden. Ein Priester aus der Erzdiözese Lublin erzählte mir von seinem Sicherheitsdienst-Patron, der den Bau der Kirche kontrollierte. Eines Tages verhielt er sich so ganz anders als gewöhnlich. Statt der typischen Vorwürfe machte er bei einem Besuch den überraschenden Vorschlag: „Ich werde Ihnen keine Schwierigkeiten machen, dafür werden Sie, Hochwürden, Ihrerseits eine stille, kleine Pfarrei finden, wo mein Töchterchen zur Erstkommunion gehen könnte.“ Natürlich erfüllte der Priester diese Bitte. Es ist nicht auszuschließen, dass ihr ein Wunsch der Ehefrau des Funktionärs zugrunde lag.

Solche Informationen stören die schlichte Einteilung in „Helden“ und „Verräter“, weil sie die grundlegende Frage nach dem moralischen Rubikon ins Spiel bringen, den man auf der Suche nach einem Kompromiss nicht überschreiten durfte. Es ist zu bedenken, dass der Staatssicherheits-Offizier, der zur Routinekontrolle über den Fortschritt des Kirchenbaus in die Pfarrei kam, damals Herr über Leben und Tod war. Immerhin war es praktisch unmöglich, in Einklang mit dem Gesetz Zement, Ziegel oder Bretter zu erstehen. Viele solcher Kontrolleure verhehlten deshalb nicht, dass ihnen für ihr Wegschauen ein finanzieller Ausgleich – ein Schmiergeld – zustünde. Zahlreiche Geistliche betrachteten dieses als Standard-Lösegeld, das den Fortgang des Baus ermöglichte.

Ohne die Berücksichtigung solcher Realitäten lässt sich die dramatische Einsamkeit der gehetzten und gejagten Priester nicht verstehen. Sie widmeten ihr ganzes Leben dem Bau neuer Kirchen und der Seelsorgstätigkeit. Vor Jahren hatten sie den organisierten Machtapparat gegen sich, der diese Arbeit erschwerte. Heute, an der Schwelle des Grabes, bekommen sie von sensationshungrigen Kreisen formulierte Anklagen zu hören. Sie fühlen sich wehrlos und einsam wie damals, als sie keinen Einfluss auf den Inhalt der Niederschriften hatten, die in den sie betreffenden Dokumenten ein Funktionär verfasste, der den Befehl hatte, den Bau der Kirche zu erschweren.

Solche Pathologien kann man erst unter Berücksichtigung ihres historischen Zusammenhangs verstehen. So geht z. B. aus im IPN erhaltenen Dokumenten Folgendes hervor: Als der Dichter Czesław Miłosz 1980 den Nobelpreis erhielt und zur Katholischen Universität Lublin kam, um den Ehrendoktor zu empfangen, musste das Rektorat der Hochschule den damaligen Wojwoden von Lublin bitten, den Ankauf von 60 kg Wurstwaren besserer Qualität und Fleisch für die Herstellung eines festlichen Mittagessens zu ermöglichen. So sahen die organisatorischen Notwendigkeiten in der Periode der so genannten sozialistischen Ökonomie aus. Die Behörden ließen solche Entscheidungen keineswegs in der Kompetenz des zuständigen Wojwoden, sondern gaben sie an den Staatssicherheitsdienst weiter. Jene, die vor Jahren die polnische Quadratur des Kreises lösen und sich zugleich um ein pragmatisches Handeln bemühen mussten, werden heute an den Pranger gestellt. Wer leichtfertige Verdächtigungen ausspricht, dem mangelt es an grundlegendem Wissen über die Realitäten jener Zeit. Die wichtige Aufgabe der Kirche drückt sich darin aus, im Zeugnis der Wahrheit nicht die damaligen Pathologien als Zeugnisse für die Moral einer Generation zu behandeln, die zur Pathologie verurteilt war.

Einheit schaffen in der Wahrheit

In der neuesten polnischen Geschichte lebten Haltungen des Heldentums und des Verrats nebeneinander. Deshalb widersetzt sich die Kirche dem Versuch, wesentliche Unterschiede zu verwischen, die ihre Entsprechungen bereits im Kreis der Apostel hatten. Etwas anderes war der Verrat des Judas, wieder etwas anderes die Selbstverleugnung des Simon Petrus, noch etwas anderes der Schlaf der Apostel am Ölberg oder ihre Flucht bei Jesu Gefangennahme. Diese wesentlichen Unterschiede darf man nicht verwischen, denn die Halbwahrheit wird uns nicht befreien.

In der jüdisch-christlichen Kulturtradition geht die Sorge um Wahrheit und Gerechtigkeit mit dem solidarischen Mitgefühl für den Sünder Hand in Hand. Eine ähnliche Ethik lehrt uns Christus z. B. bei der Begegnung mit der Frau, die Radikale steinigen wollten. Jesus bagatellisiert keineswegs die Sünde. Er fordert eine radikale Veränderung des Lebens, wenn er sagt: Ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr (Joh 8,11). Dort, wo eine sensationshungrige Menge das unheilverkündende Pfeifen der geworfenen Steine erwartet, bringt Jesus die Kategorien der Barmherzigkeit, der Vergebung, der Versöhnung ins Spiel. Nicht weniger deutlich zeichnet im Alten Testament die Geschichte König Davids eine Gestalt menschlicher Dramatik (2 Sam, Kap. 11 und 12).

Das Problem vieler zeitgenössischer „Davids“, die in den Listen Geheimer Mitarbeiter auftauchen, offenbart sich darin, dass sie nicht imstande sind, über ihre Schuld zu sprechen, und ihnen der Mut fehlt, ihr persönliches Handeln moralisch zu bewerten, in dem Symptome nicht so sehr des Verrates als des Konformismus sichtbar werden. Die Kirche betont die Notwendigkeit, zwischen unterschiedlichen Graden der Verantwortlichkeit zu differenzieren. Man darf nicht jemanden, der Karriere machte und deshalb systematisch Spitzelberichte über ihm nahestehende Personen schrieb, auf eine Stufe stellen mit dem, der – geschockt vom Kriegszustand – eine Loyalitätserklärung unterschrieb, später aber nicht den Mut hatte, gegen die Perspektive einer ihm aufgezwungenen Begegnung mit dem „Betreuer“ des Staatssicherheitsdienstes zu protestieren.

Weil „der Mensch der Weg der Kirche ist“, erinnern die polnischen Bischöfe an die Wahrheit der menschlichen Würde und widersetzen sich dem Versuch, ein Klima zu schaffen, in dem Sensationshascherei wichtiger ist als Reflexion über die moralische Dimension menschlicher Dramen. Das ist eine gesellschaftlich bedeutsame Erscheinung, denn zum Ende der Volksrepublik Polen erreichte die Zahl der GM 90.000; ihnen müssen wir als Mitbetroffene die nächsten Familienangehörigen und Nachfahren hinzufügen, die heute auf die Welt kommen. Es ist notwendig, Bedingungen für Versöhnung und Vergebung zu schaffen. Unter den gleichen Bedingungen des Sterbens auf Golgotha spottete ein Verbrecher über Jesus, der andere aber bat ihn um sein barmherziges Gedenken. Dieser andere wird in der Tradition der Kirche als Heiliger verehrt. Die paradoxe Bezeichnung „der heilige gute Verbrecher“ lässt sich nicht nur auf die Beteiligten am Drama auf Golgotha beziehen, sondern auch auf jene Personen, die in die neuesten polnischen Dramen verwickelt sind. Auch wenn man einen Wert von 100 Prozent Bekehrungen nicht erwarten kann, muss man den Verlorenen die Chance erleichtern, sich mit dem eigenen Gewissen, mit dem Nächsten und mit Gott zu versöhnen.

Aus dem Polnischen übersetzt von Wolfgang Grycz.


Fußnoten:


  1. Vgl. Antoni Dudek/Ryszard Gryz: Komuniści i Kościół w Polsce (1945-1989). Kraków 2003, S. 54 ff. ↩︎

  2. IPN - Instytut Pamięci Narodowej (Institut der nationalen Erinnerung), eine Einrichtung, bei der die von den Kommunisten nicht rechtzeitig beseitigten Materialien u. a. über Geheime Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes gesammelt und ausgewertet werden. Mit der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR kann sie allerdings nur bedingt verglichen werden. ↩︎

  3. Henryk Samsonowicz: Uniwersytety zawsze zagrożone, „Gazeta Wyborcza“ (Festtagsbeilage), 07.04.2007, S. 23. ↩︎

  4. Andrzej Grajewski: Kompleks Judasza. Kościół zraniony, Einführung: Mechanizmy zdrady – Józef Życiński, W drodze. Poznań 1999. ↩︎

  5. Małgorzata Niezabitowska: Prawdy jak chleba. Warszawa 2007. ↩︎

  6. Erklärung vom 25.10.2006. ↩︎

  7. Vgl. Einzelheiten im Buch von Marek Lasota: Donos na Wojtyłę. Kraków 2006. ↩︎