Die harte Hand des großen Bruders

Wie Russland den postsowjetischen Raum integrieren will
aus OWEP 3/2015  •  von Susanne Spahn

Dr. phil. Susanne Spahn lebt als freie Journalistin, Historikerin und Politologin in Berlin. Sie berichtete 2010/2011 aus Moskau für die „Welt“, „ZEIT online“, „Deutsche Welle“ und andere Medien. 2011 erfolgte ihre Promotion über die Außenpolitik Russlands gegenüber der Ukraine und Belarus seit 1991.

Zusammenfassung

Das Jahr 2014 markiert eine Zäsur in der russischen Außenpolitik: Erstmals in der Geschichte seiner Unabhängigkeit seit 1991 hat Russland mit dem Anschluss der Krim fremdes Territorium annektiert. In der Ostukraine führt Russland einen nicht erklärten Krieg. Die Anwendung von Gewalt ist eine Reaktion auf das Scheitern der bisherigen Integrationspolitik im postsowjetischen Raum. Mit der Eurasischen Wirtschaftsunion will Russland seine Einflusssphäre konsolidieren und eine Assoziierung der Nachbarstaaten mit der EU verhindern.

Russland verstößt mit der militärischen Intervention in der Ukraine gegen zahlreiche Abkommen, die es unterzeichnet hat, unter anderem das Budapester Memorandum von 1994 und den ukrainisch-russischen Freundschaftsvertrag von 1997, in denen es die Unabhängigkeit der Ukraine nicht nur anerkannte, sondern ihr sogar Sicherheitsgarantien gab. Allerdings bezeichnete schon der damalige ukrainische Präsident Leonid Kutschma diese als unzureichend: „Wenn Russland morgen auf der Krim einmarschiert, wird keiner auch nur die Augenbraue heben.“ Diese Aussage Kutschmas vor 20 Jahren sollte sich als prophetisch erweisen. Es stellt sich die Frage, warum Russland die Ukraine mit Gewalt in seinem Einflussbereich halten will. Angesichts der Aktualität des Themas wird im Folgenden zunächst die Außenpolitik Russlands gegenüber der Ukraine erläutert. Daran schließen sich die Integrationsprojekte im postsowjetischen Raum an. Russland agiert dabei in Konkurrenz zur „Östlichen Partnerschaft“ der EU1. Gegenüber der EU und dem Westen betreibt Russland eine Politik der Selbstisolation.

Zum Verständnis der russischen Außenpolitik ist ein Blick auf die Geschichte notwendig. Eine Begründung für die Vereinigungsbestrebungen Russlands mit Belarus und der Ukraine ist die Idee der ostslawischen Gemeinschaft.

Was ist die ostslawische Gemeinschaft?

Das russische Verständnis von der historischen Gemeinschaft der Ostslawen bezieht sich primär auf das gemeinsame Erbe der Kiewer Rus sowie auf die gemeinsame Vergangenheit im Russischen Reich und in der Sowjetunion. Die Idee hat auch eine ethnische Komponente: Die Russen sehen Ukrainer und Belarussen als Teil ihrer eigenen Nation. Das Zusammengehörigkeitsgefühl der Russen, Ukrainer und Belarussen ist immer noch stark. Nach einer Umfrage des russischen Levada-Zentrums aus dem Мärz 2015 antworteten 52 Prozent der Befragten auf die Frage „Sind Russen und Ukrainer ein Volk?“ mit „ja“.

Die gemeinsame Geschichte wird zu Mythos in der russischen Propaganda: Die russische Führung spricht vom „einheitlichen Volk“ der Russen und Ukrainer. Präsident Wladimir Putin verweist häufig auf die Wiege Russlands in Kiew und in der Kiewer Rus. Damit folgt er alten nationalistischen Geschichtsbildern, die von der modernen Forschung widerlegt wurden. Bei der Kiewer Rus handelt es sich um ein vormodernes Vielvölkerreich, das die Wiege aller drei Nationen, also der Russen, Ukrainer und Belarussen ist.

1999 unternahm Russland einen Versuch, die ostslawische Gemeinschaft wieder zu errichten, indem es den Unionsstaat mit Belarus gründete, der Ukraine stand der Beitritt offen. Anders als Belarus setzte sich die Ukraine aber maximal gegenüber Russland ab und ließ sich kaum in postsowjetische Integrationsprojekte einbinden. Dies geschah trotz wirtschaftlicher Notwendigkeiten, denn die Ukraine ist von russischen Energieimporten abhängig und wirtschaftlich eng mit Russland verflochten.

Die Ukraine ist auch der Eurasischen Wirtschaftsunion fern geblieben: Die Eurasische Wirtschaftsunion ist Putins geopolitisches Kernprojekt – der Versuch, eine von Russland dominierte Union als Gegengewicht zur EU zu etablieren und damit die russische Einflusssphäre im postsowjetischen Raum zu sichern. In dem gemeinsamen Binnenmarkt mit 170 Millionen Menschen soll ab 2015 Freiheit für Waren, Dienstleistungen, Kapital und Arbeit herrschen.

Warum weigert sich die Ukraine, dem Unionsstaat und der Eurasischen Wirtschaftsunion beizutreten?

Meine These lautet, dass die Idee der ostslawischen Gemeinschaft als Integrationstheorie scheiterte, weil sie die Dominanz Russlands als ostslawische Führungsnation impliziert – die von der Ukraine aber nicht mehr akzeptiert wird. Das zeigt ein kurzer Überblick über die Integrationspolitik Russlands gegenüber der Ukraine: Die Ukraine ist für Russland das wichtigste Land im postsowjetischen Raum, den Russland seit Beginn der neunziger Jahre als „nahes Ausland“ bezeichnet. Bereits die „Kosyrew-Doktrin“, benannt nach dem damaligen Außenminister Andrej Kosyrew, erhob die GUS zur „Sphäre lebenswichtiger Interessen“ der Russischen Föderation. Damit schrieb Russland seine wirtschaftliche, militärische und politische Hegemonie fest.

Die Vorstellung vom postsowjetischen Raum als russischem Einflussbereich prägt die außenpolitischen Konzeptionen bis heute. Bereits seit 1993 sieht sich Russland als Verteidiger der Rechte seiner „Landsleute“ in den GUS-Staaten. Diese Vorstellungen erlebten ihre Neuauflage in der so genannten Medvedev-Doktrin, die anlässlich des Krieges in Georgien 2008 entwickelt wurde: Demnach ist der Einsatz von Militär zum Schutz der Russen im Ausland erlaubt. Auf die Ukraine entfällt der Löwenanteil der ethnischen Russen außerhalb der Russischen Föderation: 11,4 Millionen Russen, das entspricht einem Anteil an der Gesamtbevölkerung der Republik von etwa 22 Prozent.

Bereits in den neunziger Jahren belastete der Streit um die territoriale Zugehörigkeit der Krim und den Status Sewastopols das Verhältnis zur Ukraine erheblich. Die Hafenstadt Sewastopol als Basis der Schwarzmeerflotte und die Krim haben für Russland strategische Bedeutung.2 Die russische Öffentlichkeit war schockiert, als die Ukraine und die Nato 1997 ihre „besondere Partnerschaft“ begründeten. Den entscheidenden Impuls für diesen Schritt hatten die Drohgebärden der russischen Duma gegeben, die ein Ende der Teilung der Schwarzmeerflotte gefordert hatte und auf dem russischen Status von Sewastopol beharrte. Die „besondere Partnerschaft“ mit der Nato war somit ein Hilfegesuch an den Westen angesichts andauernder – wenn auch nicht offizieller – revanchistischer Ansprüche Russlands und der Furcht, die russische Führung könne sich dem Druck der nationalpatriotischen Kräfte beugen. Dies ist sehr wichtig für das Verständnis der heutigen Situation: Die Kooperation der Ukraine mit der Nato war die Reaktion auf die andauernde Bedrohung Russlands, nicht die Nato bedrohte Russland, wie es die heutige russische Propaganda glauben machen will. Die Kooperation der Ukraine mit der Nato belastet seitdem das bilaterale Verhältnis. Der Streit kulminierte 2007/2008, als die Ukraine sich um einen Beitritt bemühte. Die Verhinderung des Beitritts hat seitdem absolute Priorität in der russischen Ukraine-Politik.

Russland gründete 2003 den Einheitlichen Wirtschaftsraum (EWR) mit dem Ziel eines gemeinsamen Binnenmarktes, um die Ukraine einzubinden. Dennoch scheiterte der EWR: Die Ukraine war nur zur Schaffung einer Freihandelszone bereit, eine Zollunion wurde abgelehnt. Russland forderte politische Zugeständnisse, zu denen die Ukraine nicht bereit war. Das Projekt stagnierte schon 2004 und war auch in seiner Neuauflage 2012 für die ukrainische Führung unter dem damaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch nicht attraktiv.

Der Einsatz von Gewalt seit 2014 ist die Reaktion auf das Scheitern der bisherigen Integrationspolitik: Die außenpolitischen Instrumente – wirtschaftliche Druckmittel und Subventionen – sind nicht zukunftsfähig. Russland verfügt über kein attraktives Integrationsmodell, das der Konkurrenz mit der EU standhalten könnte. Russland ist autoritär und wirtschaftlich rückständig. Für die Ukraine ist die Kooperation eine Zwangsjacke, aus der sie sich befreit, sobald sie dazu wirtschaftlich in der Lage ist. Die Integration mit dem autoritären Russland ist nur nach dem Modell der Wiederherstellung der Hegemonie Russlands und der Rolle des „jüngeren Bruders“ für die Ukraine möglich. Diese Machtkonstellation hatte bis zum Zerfall der Sowjetunion 1991 Bestand. Dieses Modell ist hinfällig, da die Ukraine die russische Dominanz nicht mehr akzeptiert. Die Versuche Russlands, die ostslawische Gemeinschaft zu bewahren, sind gescheitert. Dennoch hält Russland am Unionsstaat und der Eurasischen Wirtschaftsunion fest und will sich nicht von seiner Rolle als ostslawische Führungsnation verabschieden. Dies ist jedoch mehr Anspruch als Realität. Seit Anfang 2014 will Russland diesen Anspruch mit Gewalt durchsetzen. 2014 ist deshalb eine Zäsur in der russischen Außenpolitik: Sie kennzeichnet den Übergang von einer hegemonialen zu einer imperialen Außenpolitik, die die Souveränität und territoriale Integrität der Ukraine nicht mehr anerkennt.

Welche Ziele verfolgt Russland gegenüber der Ukraine?

Außenpolitisch ist die Intervention eine Reaktion auf das Scheitern der bisherigen Integrationspolitik. Wenn eine Integration in die russisch dominierten Projekte nicht erreicht werden kann, so soll doch die Westbindung der Ukraine verhindert werden. Innenpolitisch ist die Außenpolitik die zentrale Legitimationsquelle des Regimes Putin, nachdem der wirtschaftliche Modernisierungskurs gescheitert ist. 70 Prozent der Bevölkerung unterstützt nach Umfragen des russischen Levada-Zentrums vom April 2015 die Annexion der Krim. Das oberste Ziel der russischen Führung ist der Machterhalt: Eine Demokratisierung des autoritären Regimes muss verhindert werden. Eine wirtschaftlich starke und demokratische Ukraine ist eine Gefahr für die russische Führung, die einen spill over-Effekt (Übertragungseffekt) fürchtet.

Die russische Außenpolitik bedient sich seit Anfang 2014 einer Kombination von Instrumenten. Vorrangig sind militärische Mittel: die Unterstützung der prorussischen Kräfte in der Ostukraine mit Waffen und Soldaten. Trotz der beiden Minsker Abkommen, bei denen eine Waffenruhe vereinbart wurde, destabilisiert Russland weiter den Donbass. Auf internationaler Ebene wird Dialogbereitschaft vorgetäuscht, gleichzeitig werden militärische Tatsachen geschaffen. Soldaten und Militärfahrzeuge werden ohne Hoheitszeichen eingesetzt, der Krieg nicht offiziell erklärt. Dabei kommen auch wirtschaftliche Druckmittel zum Einsatz: Russland verhängt Einfuhrverbote für zahlreiche ukrainische Lebensmittel und droht mit Importzöllen, sollte das Freihandelsabkommen mit der EU in Kraft treten. Begleitet werden diese Maßnahmen mit einer internationalen Propagandakampagne. Dies sind die Elemente eines hybriden Krieges, der bereits Anfang 2013 vom russischen Generalstab konzeptionell entwickelt worden war – also ein Jahr vor der Intervention in der Ukraine.

Der Machtwechsel in Kiew im Februar 2014 war Auslöser, nicht Ursache dieses Krieges. Der Krieg richtet sich nicht nur gegen die demokratische Führung der Ukraine, sondern auch gegen Nato und EU, die als geopolitische Gegner Russlands im postsowjetischen Raum wahrgenommen werden. Russland führt über die Separatisten in der Ostukraine einen Stellvertreterkrieg gegen den Westen, der als Drahtzieher des Machtwechsels in der Ukraine gilt. Ursache des Krieges ist, dass Russland weder eine Demokratisierung noch eine Westbindung der postsowjetischen Staaten duldet. Russland wird den Konflikt im Donbass militärisch und propagandistisch befeuern, bis es seine Ziele erreicht hat. Da eine Integration der Ukraine in die Eurasische Wirtschaftsunion derzeit nicht realistisch ist, soll zumindest eine Annäherung an den Westen verhindert werden. Ein erster Teilerfolg wurde bereits erzielt: Die Gründung der Freihandelszone mit der EU wurde auf Anfang 2016 verschoben. Über den Krieg im Donbass kann Russland ähnlich den eingefrorenen Konflikten in Moldau und Georgien seinen Einfluss in der Ukraine wahren und das Land dauerhaft destabilisieren. Das mögliche Kalkül ist dabei, die Zeit für sich arbeiten zu lassen, bis die Ukraine als Staat scheitert und der Regimewechsel rückgängig gemacht werden kann – mit einer neuen russlandfreundlichen Regierung.

Während die Ukraine, Moldau und Georgien das Ausscheren aus der russischen Hemisphäre mit der Besetzung von Teilen ihres Landes bezahlen, wählen andere Staaten wie Kasachstan und Belarus den Weg der Kooperation mit Russland, vor allem innerhalb der Eurasischen Wirtschaftsunion. Geostrategische Interessen gaben den Ausschlag bei dieser Initiative, Putin führte dazu in einem Beitrag in der Zeitung Iswestija aus: „Wir schlagen das Modell einer starken supranationalen Vereinigung vor, die fähig ist, einen der Pole der heutigen Welt zu bilden.“3 Wenn es der russischen Führung gelingt, Russland als bedeutendes Machtzentrum in einer multipolaren Weltordnung zu verankern, dient dies auch ihrem eigenen Machterhalt.

Das wirtschaftliche Interesse Russlands am gemeinsamen Binnenmarkt spielt eine untergeordnete Rolle, denn nur ein geringer Teil des russischen Außenhandelsvolumens entfällt auf Belarus und Kasachstan. Umgekehrt ist Russland für Belarus der mit Abstand wichtigste Handelspartner, Kasachstan wickelt etwa ein Sechstel seines Handels mit Russland ab.

Perspektiven der Eurasischen Wirtschaftsunion

Der Vertrag zur Eurasischen Wirtschaftsunion trat Anfang 2015 in Kraft, ohne dass die ihr vorausgehende Integrationsstufe der 2010 beschlossenen Zollunion erreicht worden wäre. Die Partner der Zollunion sind von einer gemeinsamen Handelspolitik gegenüber Drittstaaten weit entfernt, wie der Konflikt um die Ukraine zeigte. So droht Russland, Importzölle auf ukrainische Waren zu erheben, wenn das Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Ukraine in Kraft treten sollte. Zwar wurde die Implementierung des wirtschaftlichen Teils des Assoziierungsabkommens auf 2016 verschoben, aber die russische Regierung erließ bereits vorsorglich eine entsprechende Verfügung. Die Drohkulisse Russlands erhält jedoch Risse, weil sich ausgerechnet die Bündnispartner Belarus und Kasachstan widersetzen. Beide Staaten haben eine Resolution beim Rat der Eurasischen Wirtschaftskommission über ein neues Handelsregime mit der Ukraine abgelehnt. Nun kann Russland immer noch im Alleingang handeln. Aber die Handelsbarrieren können umgangen werden, indem ukrainische Exporteure ihre Waren über Belarus auf den russischen Markt bringen.

Aber es ist nicht nur die fehlende Einigkeit in der Handelspolitik, auch untereinander leidet der Handel: „Bis zu einem gemeinsamen Markt ist es noch weit. Es gibt noch nicht einmal den absolut freien Warenverkehr“, kritisierte der Moskauer Wirtschaftswissenschaftler Aleksandr Knobel vom Gajdar-Institut für Wirtschaftspolitik im Gespräch mit der Autorin.

Ob die Eurasische Wirtschaftsunion das Wirtschaftswachstum der Mitgliedsstaaten fördert, wird die Zukunft zeigen. Wissenschaftler bezweifeln jedoch, dass der Zusammenschluss dreier Staaten mit ineffizienten wirtschaftlichen Strukturen die Modernisierung vorantreiben und die internationale Wettbewerbsfähigkeit stärken wird. Zwei der Partner, Russland und Kasachstan, weisen eine starke Rohstoffabhängigkeit auf, ihr Anteil von Öl und Gas am Export beträgt etwa drei Viertel. Wichtiger – aus der Perspektive Russlands – ist die politische Funktion der Union: Die Eurasische Wirtschaftsunion soll Russlands Dominanz im postsowjetischen Raum zementieren. Denn die Mitgliedsstaaten sind nur auf den ersten Blick gleichberechtigt: Die Räte sind paritätisch besetzt und entscheiden im Konsens. Umgesetzt werden die Beschlüsse von der Kommission, deren Zusammensetzung sich nach dem bisherigen Zollaufkommen richtet. So sind 84 Prozent der mehr als 1.000 Beamten in dem Gremium mit Sitz in Moskau Russen, Kasachstan stellt zehn Prozent und Belarus sechs Prozent der Mitarbeiter. Obwohl Putin Wert darauf legt, die Eurasische Wirtschaftsunion nicht als Konkurrenzunternehmen zur EU darzustellen und sie als „integralen Bestandteil eines größeren Europa“ bezeichnet, steht sie de facto im Gegensatz zur EU. Denn die Union verhindert, dass europäische Strukturen und Normen auf den postsowjetischen Raum ausgedehnt werden. Eine Mitgliedschaft in der Zollunion schließt den Freihandel mit der EU aus; so wird verhindert, dass die Adressaten der Östlichen Partnerschaft der EU Assoziierungsabkommen mit „tief greifendem und umfassendem Freihandel“ abschließen.

Dass die Eurasische Wirtschaftsunion ein wenig demokratisches Gebilde ist, verdeutlicht auch die Tatsache, dass zwei Staaten nicht ganz freiwillig beitraten. Belarus stand 2010/2011 kurz vor dem Staatsbankrott, als es der Zollunion beitrat und auch die zweite Hälfte des Aktienpakets an dem Gasverteiler Beltransgas an den russischen Konzern Gazprom verkaufte. Das politische Wohlverhalten belohnte Moskau mit wirtschaftlichen Präferenzen in Form von niedrigen Energiepreisen und Krediten. Ähnlich ging Russland auch bei Armenien vor, das auf die ursprünglich geplante Unterzeichnung des Assoziierungsabkommens mit der EU verzichtete und Anfang 2015 der Eurasischen Wirtschaftsunion beitrat. Hier waren vor allem sicherheitspolitische Argumente ausschlaggebend, denn Russland unterstützt Armenien im Konflikt mit Aserbaidschan um Berg-Karabach. Auch Armenien erhielt einen günstigen Gaspreis und trat den letzten Anteil an dem Pipelinenetz Armrosgas an Gazprom ab. Diese Politik aus wirtschaftlichem Druck und der Nutzung eingefrorener Konflikte wendet Russland auch bei Georgien und der Republik Moldau an – die bislang dem Druck standhielten. Hier übt Moskau Einfluss über die abtrünnigen Provinzen Abchasien, Südossetien und Transnistrien aus. Zu den wirtschaftlichen Druckmitteln gehören Energielieferungen und Importverbote für georgische und moldauische Lebensmittel. Wenig erfolgreich war die Mischung aus wirtschaftlichem und militärischem Druck bislang auch im Fall der Ukraine. Allerdings wird die Ukraine möglicherweise für ihren Widerstand den Preis eines weiteren Transnistriens im Osten des Landes zahlen müssen.

Mit Blick auf die Verhinderung einer EU-Assoziierung war Russland hinsichtlich Belarus und Armeniens erfolgreich, bei der Ukraine, der Republik Moldau und Georgien nicht. Aserbaidschan als sechstes Land der Östlichen Partnerschaft ist derzeit weder an einer Integration in die EU noch in die Eurasische Wirtschaftsunion interessiert.

Literaturhinweise:

  • Hannes Adomeit: Die Eurasische Union: Reintegration des postsowjetischen Raums oder Teil einer Gemeinschaft von Lissabon bis Wladiwostok? In: Eckart D. Stratenschulte (Hrsg.): Heilsame Vielfalt? Integrationsstrukturen in Europa. Baden-Baden 2014, S. 229-278.

  • Canan Atilgan (u. a.): Die Eurasische Union. Ein Integrationsprojekt auf dem Prüfstand. (KAS Auslandsinformationen 2/2014)

  • Susanne Spahn: Warum die ostslawische Gemeinschaft der Russen, Belarussen und Ukrainer gescheitert ist. In: Agnieszka Gasior, Lars Karl, Stefan Troebst (Hrsg.): Post-Panslavismus. Slavizität, Slavische Idee und Antislavismus im 20. und 21. Jahrhundert. (Moderne europäische Geschichte, Bd. 9). Göttingen 2014, S. 258-273.

  • Susanne Spahn: Staatliche Unabhängigkeit – das Ende der ostslawischen Gemeinschaft? Die Außenpolitik Russlands gegenüber der Ukraine und Belarus seit 1991. (Hamburger Beiträge zur Geschichte des östlichen Europa, Bd. 19). Hamburg 2011.


Fußnoten:


  1. Dieses Programm wurde 2009 in Prag beschlossen und soll dazu dienen, die gesellschaftliche Transformation in der Ukraine, in Weißrussland, der Republik Moldau, Armenien, Georgien und Aserbaidschan zu unterstützen und diese Länder letztlich näher an die Europäische Union heran zu führen. (Anmerkung d. Redaktion) ↩︎

  2. Vgl. dazu auch die Hinweise im Kurzbeitrag (Textkasten) von Christof Dahm: Krim – Zankapfel zwischen der Ukraine und Russland. In: OST-WEST. Europäische Perspektiven 15 (2014), H. 4, S. 243 (der gedruckten Ausgabe). ↩︎

  3. Erschienen am 03.10.2011 (http://izvestia.ru/news/502761). Vgl. zum Kontext auch http://www.bpb.de/internationales/europa/russland/192845/analyse-wiedervereinigt-wider-willen↩︎