Zwischen Modernität und Kulturkampf: Die katholische Kirche Sloweniens
Zusammenfassung
Zur katholischen Kirche Sloweniens bekennt sich zwar gegenwärtig immer noch die Mehrheit der Bevölkerung, jedoch sind antikirchliche Strömungen, die auch, aber nicht nur auf die Zusammenarbeit mancher Würdenträger mit dem System Tito-Jugoslawiens zurückgehen, weit verbreitet. Viele Hoffnungen, die man in der Kirche an den Aufbruch seit der Unabhängigkeit Sloweniens geknüpft hat, sind bis heute nicht in Erfüllung gegangen. Im Verhältnis zwischen Staat, Kirche und Gesellschaft zeigen sich, wie der Beitrag zeigt, viele offene Fragen, die dringend einer Lösung bedürfen.
Einführung
Die katholische Kirche in Slowenien ist seit der gesellschaftlichen Wende in den 1990er Jahren ein selbstständiges kirchenrechtliches Subjekt mit sechs Diözesen und eigener Bischofskonferenz. Die christliche Geschichte auf slowenischem Boden reicht bis in die ersten Jahrhunderte zurück. Ihre neueste Entwicklung ist stark von den Ereignissen des Zweiten Weltkriegs geprägt. Die Zeiten, in denen das slowenische Volk als christlich bezeichnet wurde, sind allerdings längst vorbei, denn die systematische Propagierung des Atheismus während des Kommunismus und der allgemeine Säkularisierungsprozess in Europa haben unauslöschliche Spuren hinterlassen.
Bei der Volkszählung im Jahr 1991, gleich nach der gesellschaftlichen Wende, gaben 71,4 Prozent der Slowenen an, katholisch zu sein, im Jahr 2002 waren es nur noch 57,8 Prozent. Der Anteil derer, die ihre Religionszugehörigkeit nicht benennen wollten, stieg von 4,2 auf 15,7 Prozent, die Zahl der Atheisten von 4,2 auf 10,1 Prozent1. Laut weiterer Meinungsumfragen nehmen 13 Prozent aller Einwohner regelmäßig an religiösen Riten teil, 11 Prozent wenigstens einmal pro Monat, 30 Prozent aber nur an hohen Feiertagen und zu besonderen Gelegenheiten. Diesen Angaben zufolge dürfte die katholische Kirche mit ungefähr 55 Prozent aller Einwohner im unmittelbaren Kontakt stehen. Dieselben Untersuchungen belegen auf der anderen Seite aber auch die Tatsache, dass das Vertrauen in den Klerus und in die Kirche in den ersten Jahren nach der Demokratisierung und Unabhängigkeit des Staates gesunken ist. Die Menschen haben das Vertrauen in alle Institutionen, insbesondere in die politischen Parteien, die Regierung und das Parlament verloren; besonders besorgniserregend ist dabei, dass dieser Umfrage zufolge viele Menschen eher der Polizei vertrauen als den Geistlichen und der Kirche. Wie die soziologischen Forschungen aus der Arbeitsgruppe um Professor Zulehner in Wien2 zeigen, stehen die Slowenen hinsichtlich der meisten Standpunkte den Bewohnern der ehemaligen DDR und Tschechiens sehr nahe und sind damit, anders als etwa die Bewohner Kroatiens, Polens oder der Slowakei, kein typisches Beispiel für ein ehemals kommunistisches Land.3
Laut statistischen Angaben der Slowenischen Bischofskonferenz für das Jahr 2016 geht die Zahl der Taufen von Neugeborenen immer mehr zurück (14 Prozent weniger als im Jahr 2006). Zudem wurden im Jahr 2015 58 Prozent aller Kinder in einer Gemeinschaft ohne institutionelle Bindung geboren. Für die Zukunft der Kirche ist aber auch entscheidend, dass in den letzten zehn Jahren mehr Priester gestorben sind als geweiht wurden. All das stellt die katholische Kirche in Slowenien vor viele Fragen.
Moralische Dilemmata
Um einige grundlegende Dilemmata zu verstehen, mit denen Slowenien heute konfrontiert ist, ist es notwendig, sich den geschichtlichen Kontext vor Augen zu führen. Der Historiker Jože Dežman hat festgestellt, dass Slowenien als einziges EU-Mitgliedsland im 20. Jahrhundert alle drei totalitären Regime als Opfer und Täter erfuhr. Vergleichbar wäre vielleicht Griechenland mit der italienischen, deutschen und bulgarischen Besatzung, auf die ein Bürgerkrieg folgte, an dessen Ende die kommunistische Seite 1949 unterlag. Im Unterschied hierzu blieb der Kommunismus in Slowenien mehr als vierzig Jahre lang an der Herrschaft. Dežman ist einer der Protagonisten, die seit Jahren auf slowenischem Gebiet die von den kommunistischen Revolutionären angelegten Massengräber identifizieren. Etwa siebenhundert solcher grauenvollen Stätten wurden bis Ende des Jahres 2016 entdeckt.
Die slowenische Bevölkerung – insbesondere die Katholiken – geriet während des Zweiten Weltkriegs in die Situation, sich entweder für eine Zusammenarbeit mit den ideologisch problematischen Kommunisten zu entscheiden, die die ganze Zeit nach dem Diktat Moskaus handelten, oder aber eine gewisse Form der Koexistenz mit den Besatzungsmächten Deutschland und Italien zu akzeptieren, was mit einer Zustimmung zum Kampf gegen den Kommunismus verbunden und somit eine Kollaboration mit den Besatzern gewesen wäre. Das moralische Dilemma war klassischerweise eine „christliche Existenz zwischen Anpassung und Widerstand“. Es galt, das geringere Übel zu wählen und Ziele, Mittel und Handlungen mit doppelter Wirkung abzuwägen.
Der 2016 verstorbene Jurist France Bučar entschied sich für die christsozialistische Variante der Zusammenarbeit mit den Kommunisten und überlegte siebzig Jahre später in seinem Buch Geburt eines Staates, ob „unsere Antwort auf die Verhältnisse, in die uns das globale Geschehen versetzte, adäquat war, wenn man die riesigen Opfer berücksichtigt, die unsere Teilnahme an diesem Geschehen forderte, und wenn man die relativ spärlichen, in großem Maße sogar negativen Resultate unmittelbar nach dem Kriegsende bedenkt … In der Tat haben wir am Ende des Krieges nichts Konkretes von dem erreicht, was wir uns versprochen hatten. Durch die kommunistische Machtübernahme entstand wesentlich mehr Negatives als Positives … In den Augen der Westmächte erlangten wir zwar den Verbündetenstatus, weil die Sowjetunion ihr Verbündeter war. Wir retteten aber nicht einmal das gesamte Nationalgebiet, worauf wir als Teilnehmer an der Seite der Sieger mit vollem Recht rechnen konnten. Außer diesem bescheidenen ‚Schadensersatz‘ (der Siegerstatus, Anm. d. Verf.) erreichten wir im Befreiungskampf auf der falschen Seite gar nichts. Weder Freiheit noch Demokratie noch soziale Gerechtigkeit, nur Gleichheit in verhältnismäßiger Armut, und wir waren grundlegender Menschenrechte beraubt, der Teilnahme am weltweiten technischen Fortschritt und Wirtschaftsaufschwung ebenfalls. Wir waren aus der Gesellschaft, in der wir ein Teil ihrer Geschichte waren, ausgeschlossen. Wir zählten nun zu den Parias Europas …“4
Bis heute polarisiert eine tiefe ideologische Spaltung zwischen der kommunistischen Ideologie und dem Christentum die slowenische Gesellschaft. Auch innerhalb der christlichen Gemeinschaft ist der Riss immer noch spürbar, zwar nicht so sehr wie während des Zweiten Weltkriegs, jedoch ausreichend, um die nötige Einheit in der Gesellschaft zu verhindern. Ein Symptom dafür ist die politische Zersplitterung der Christen in drei bis fünf verschiedene Parteien.
Hoffnung, die Enttäuschung brachte
Der Kampf um Selbstständigkeit war in Slowenien und in den anderen Teilrepubliken des ehemaligen Jugoslawiens ein Kampf um politische Emanzipation und Errichtung politischer Strukturen nach den eigenen und angemessenen Vorstellungen. In diesem Bestreben nahm die Religion bzw. die katholische Kirche die Rolle eines Förderers der demokratischen Prozesse und des Gefährten all jener Gruppen ein, die mit der Durchsetzung der slowenischen Selbstständigkeit auch die Freiheit des Menschen durchsetzen wollten. Zu keinem Zeitpunkt dieses Kampfes war aber die Religion in Slowenien ein Element mit Konfliktpotenzial! Der Kampf um die slowenische Selbstständigkeit war ein Kampf um politische Emanzipation, an dem die allermeisten Bürger mitwirkten. Bei der Volksabstimmung am 23. Dezember 1990 stimmten 90 Prozent aller Wahlberechtigten für einen selbstständigen slowenischen Staat.
Nach Erlangung der Unabhängigkeit erhoffte man sich eine neue und zeitgemäße Einordnung der Religion innerhalb der neuen staatlichen Ordnung. Leider blieben die mehrjährigen Anstrengungen in dieser Richtung mehr oder weniger erfolglos, weil die kommunistisch-liberalen politischen Strömungen, die bereits 1992 wieder an der Macht kamen, weiterhin auf dem Prinzip des Ausschlusses der Religion aus dem öffentlichen Leben beharrten. In Bezug auf die systematische Abwesenheit der Religion im Erziehungssystem und die ungeregelte Finanzierung der Kirchen und Religionsgemeinschaften stellt Slowenien in der Europäischen Union eine Art Torso dar.
Die Schulgesetze, die nach den gesellschaftlichen Veränderungen im Jahr 1996 verabschiedet wurden, hoben besonders hervor, dass anstelle des Marxismus nicht das Christentum in den Schulraum Eingang finden sollte. Eine Studie, die als Grundlage für die Schulgesetzgebung diente, kam zu dem Ergebnis, man müsse die Schule frei von jeder Ideologie halten. Begründet wurde dies mit der Tugend des rationalen kritischen Denkens, das es den Schülern ermöglichen werde, „sich den ideologischen, politischen, religiösen und anderen möglichen Bestrebungen und ähnlichem Druck zu widersetzen“. Hierbei wurden insbesondere das „frühere marxistische Weltbild“ und „Bestrebungen zur Einführung des konfessionellen Religionsunterrichts an den Schulen“ genannt.5
Der Rechtsrahmen in Slowenien ermöglicht zwar eine moderne und zeitgemäße Einbettung der Religion in die slowenische säkulare, laizistische, demokratische und pluralistische Gesellschaft – tatsächlich geht die geistige Entwicklung aber anstelle eines kulturellen und argumentativen Atheismus à la Bertrand Russell immer mehr in Richtung einer Ideologie des denunziatorischen Atheismus im Sinne der Thesen von Richard Dawkins und Christopher Hitchens. Hingegen sind Autoren wie Jürgen Habermas, Michael Walzer, Niklas Luhmann und Jacques Derrida, die aus jeweils eigenem Blickwinkel eine positive Einordnung der Religion im säkularen Kontext suchen, in Slowenien kaum bekannt und werden wenig zitiert; ganz zu schweigen vom Standpunkt eines Michael Reder, der die Rolle der Religion in einer säkularen Gesellschaft in der folgenden These auf den Punkt bringt: „Religion konstituiert auch eine soziale Praxis, die einen umfassenden Anspruch an die religiösen Menschen stellt, vielfältige Auswirkungen auf das Selbstverständnis des Menschen hat und eine Anleitung zu einer umfassenden sozialen Lebenspraxis ist. Religion prägt die gesellschaftliche Realität nicht nur im privaten, sondern auch im öffentlichen Leben.“6
Der politische Pluralismus ist an und für sich noch keine Garantie dafür, dass sich die Demokratie weiterentwickelt und zu einem dauerhaften Wert wird. Die demokratische Kultur beginnt viel früher, nämlich auf der Ebene der gegenseitigen Wertschätzung, der Achtung der Güter und des Eigentums anderer Menschen, des Respekts vor dem, was den anderen heilig ist. Sie beginnt bei einer Kultur des Herzens, die auf einer voll entfalteten Identität basiert. Diese kann sich entfalten, wenn sie weiß, woher sie kommt und wohin sie geht. Wichtig sind hierfür zwei gesellschaftliche Faktoren, wenn man die Familie überspringt, nämlich die Schule und die Medien. Beide stehen in Slowenien zumindest mit einem Fuß tief in der alten, von totalitären Mustern durchdrungenen Denkweise.
Der Prozess der gesellschaftlichen Aussöhnung ist in Slowenien notwendig, doch wird er durch Geschichtsinterpretationen behindert, die nicht den grundlegenden Ausgangspunkt akzeptieren, dass jedes Gesellschaftssystem totalitär ist, wenn es andersdenkende und andershandelnde Personen oder Gruppen unterdrückt. Schließlich ist auch der politische Konsens bezüglich des eigenen Staates kein ausreichend starkes Kohäsionsmittel, mit dem eine Gesellschaft langfristig überleben könnte. Jede Gesellschaft benötigt tiefere Kohäsionsbindungen, die universale Werte betreffen. Wenn der Mensch ein universaler Wert ist, dann müsste der gesellschaftliche Kompromiss auf Grundlage der Menschenrechte, basierend auf der Menschenwürde und im Hinblick auf das Überleben des Menschen und der gesamten Schöpfung erzielt werden. Auf diesem Gebiet gibt es in allen Staaten Europas noch viel zu tun, vor allem aber in den Ländern, die vom kommunistischen System beherrscht wurden, dem es gelang, die Denkweise der Menschen so zu verändern, dass es viel Zeit und positiver gesellschaftlicher Umstände braucht, um hier einen Wandel herbei zu führen.
Eine Schlüsselrolle hierbei übernimmt die Rechtsordnung, die von jenen Postulaten gereinigt wurde, mit deren Hilfe sie die vormalige Gesellschaftsordnung, nicht aber den Menschen und seine Würde schützte. In den Nürnberger Prozessen nach dem Zweiten Weltkrieg siegte die Ethik über den Rechtspositivismus, doch in Slowenien gab es einen solchen Prozess nicht und es ist fraglich, ob es ihn je geben wird.
Fünfundzwanzig Jahre nach der gesellschaftlichen Wende bildet die Entwicklung Slowenien keineswegs nur das Beispiel für eine Erfolgsstory von der erfolgreichen Integration in europäische und weltweite Organisationen, eine relativ hohe Wirtschaftsentwicklung und zweifellos höhere Standards als in der Vergangenheit. Im Gegenteil: Die Wirtschaftskraft wurde in den letzten zwei Jahrzehnten mindestens zum dritten Mal neu verteilt und das ehemalige gesellschaftliche Eigentum von einem Fass ins andere geschüttet, wobei es vorwiegend unter der Kontrolle derjenigen geblieben ist, die gesellschaftliches Eigentum befürworteten, um sich selbst daran zu bereichern.7
Staat und Kirche – ein nicht geregeltes Verhältnis
Wie wir wissen, bekam die klare Abgrenzung zwischen Glauben und Politik ihre offizielle Bestätigung erst während des Zweiten Vatikanischen Konzils, das zu einer Autonomie der irdischen Wirklichkeiten führte und das Prinzip der Religionsfreiheit postulierte. Die Vorwegnahme dieser Prinzipien seitens slowenischer Laien zur Zeit des Zweiten Weltkrieges und teilweise davor entsprach zwar der modernen Weltwahrnehmung, sie setzte sich aber in Umständen durch, die außerordentlich anspruchsvoll und schicksalhaft waren. Diejenigen, die nicht verstanden, dass man Politik auf das Gebiet der Kompetenz von Laien übertragen muss, wurden zu Opfern des Klerikalismus, was die Kommunisten im Rahmen der ideologischen Auseinandersetzung gut auszunutzen wussten. Jene aber, die dies verstanden, hatten dennoch keinen Erfolg beim Versuch, innerhalb der herrschenden kommunistischen Clique eine gewisse Autonomie für die Kirche zu sichern. Dies musste schon deshalb misslingen, weil das neue System nicht nur den Staat nach seinen Vorstellungen formen, sondern auch die totale Macht über die geistige Welt des Einzelnen übernehmen wollte, was ihm dann in besonderer Weise durch die Verwicklung von Christen in gewaltsame und revolutionäre Akte auch gelang.
Für die aktuellen Verhältnisse in Slowenien lässt sich die These aufstellen, dass die Religion während des Loslösungsprozesses vom Bundesstaat und im Unabhängigkeitskrieg eine religiöse und moralische Kraft bildete, jedoch keine politisch-klerikale Rolle spielte. Auf dem Gebiet der politischen Laizität gab es keine Versuche seitens der kirchlichen Hierarchie, irgendwelche Zuständigkeiten zu übernehmen. Als aber nach dem Umbruch diejenigen Personen, die aus der kommunistischen Tradition stammten, wieder schrittweise die Macht übernahmen, verschlechterten sich die Zusammenarbeit und das gegenseitige Einvernehmen von Kirche und Politik von Jahr zu Jahr. Ein Indikator hierfür ist das unter dem Mandat der zwischen 2004 und 2008 neu entstandenen Parteien erarbeitete und mit einer Zustimmung von 99 Prozent aller damals in Slowenien registrierten Religionsgemeinschaften verabschiedete Gesetz über die Religionsfreiheit.8 Zwei linksliberale Regierungen, die danach an die Macht kamen, versuchten, es zu verändern und für eine ideologische Polarisierung der Wählerschaft zu nutzen. Das Gesetz gewährleistet das Recht jedes Einzelnen, seine Religion frei zu wählen und sie frei zu bekennen, sowohl individuell als auch zusammen mit anderen Menschen; es regelt den Rechtsstatus der Kirchen und anderer Religionsgemeinschaften als Sonderorganisationen der Zivilgesellschaft und bestimmt die Zuständigkeiten des Amtes für Religionsgemeinschaften. Es definiert Kirchen und andere Religionsgemeinschaften als allgemein nützliche Organisationen und bestimmt, dass der Staat mit ihnen „einen offenen und ständigen Dialog führt und Formen einer dauerhaften Zusammenarbeit entwickelt“. Soweit die Theorie – in der Praxis wird das Gesetz bis heute nicht angewandt.
Die Verfassung der Republik Slowenien aus dem Jahr 1991 legt in Artikel 7 die Trennung des Staates und der Religionsgemeinschaften fest und fordert die Gleichberechtigung und freie Tätigkeit der Religionsgemeinschaften. Artikel 14 behandelt die Gleichheit vor dem Gesetz, Artikel 16 die Möglichkeit der Einschränkung von Rechten, Artikel 41 die Gewissensfreiheit und das Recht der Eltern, ihre Kinder zu erziehen, Artikel 56 die Rechte der Kinder und Artikel 63 das Verbot der Anstiftung zu Diskriminierung und Unduldsamkeit. Das Abkommen zwischen der Republik Slowenien und dem Heiligen Stuhl vom Mai 2004 bestimmt, dass „der Staat und die katholische Kirche, beide in eigener Ordnung, unabhängig und selbstständig sind“. Sie arbeiten beim „Fortschritt der Menschen und des Allgemeingutes“ zusammen; die katholische Kirche arbeitet im Rahmen des kanonischen Rechts und der Rechtsordnung der Republik Slowenien frei und ohne Beschränkungen. Die Republik Slowenien erkennt der katholischen Kirche und allen territorialen und personellen kirchlichen Institutionen die jeweilige Rechtspersönlichkeit an.
Dieses rechtliche Rahmenwerk ermöglicht auf dem Papier eine moderne und zeitgemäße Einbindung der Religion in die slowenische säkulare, laizistische, demokratische und pluralistische Gesellschaft. Leider sieht die Realität jedoch nicht so rosig aus. 25 Jahre nach der demokratischen Umgestaltung gibt es an den slowenischen Schulen keinen Religionsunterricht, der rechtliche Status von Laientheologen ist nicht geregelt, und Hochschulabsolventen der Theologischen Fakultät in Ljubljana haben zu einigen Berufen keinen Zugang. Zudem ist die finanzielle Lage der Kirchen und Religionsgemeinschaften nicht geregelt, was zu ständigen Einflussnahmen weltlicher Kreise führt und besonders die katholische Kirche trifft. Dies gilt auch für die in finanzielle Schieflage geratene Erzdiözese Maribor, die man nicht nur als Täter, sondern durchaus auch als Opfer ansehen kann.9
So muss man festhalten: Ein offener und ständiger Dialog zwischen Kirchen und Religionsgemeinschaften und der regierenden Politik ist eher ein Wunschdenken. Seit zwei Jahren liegt die klare Entscheidung des Obersten Gerichts vor, dass die vom Staat vorgeschriebene Schulpflicht vom Staat auch zu 100 Prozent finanziert werden muss. In diesem Fall ging es um zwei kirchliche und zwei nichtkirchliche Grundschulen. Die links-kommunistisch orientierten Koalitionspartner in der aktuellen Koalition versuchen, dies mit allen möglichen Mitteln zu verhindern. Wie sehr dabei die Ideologie eine wichtige Rolle spielt, spiegelt die Tatsache wider, dass es dabei um ungefähr 300.000 Euro jährlich geht, also eine verhältnismäßig unbedeutende Summe.
Schlussbemerkung
Für die Situation der Katholiken und der katholischen Kirche in Slowenien könnte man sagen, dass es auf dem Papier und in den Gesetzen um freie Christen in einem freien Staat geht, jedoch nicht im konkreten gesellschaftlichen Leben. Stark geprägt durch die Geschichte und ideologische Vorurteile, leidet die slowenische Gesellschaft unter einem Kulturkampf, der sich aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bis in die neueste Zeit durchzieht. Die gesellschaftliche und politische Polarisierung wird besonders stark für politische Zwecke ausgenutzt. Das bedeutet konsequenterweise, dass alles, wirklich alles, durch die politische Brille zu sehen und zu beurteilen ist. Der offene Dialog zwischen verschiedenen weltanschaulichen Gruppen in den ersten zehn Jahren nach der „Wende“ ist nach und nach verstummt.
Das Fehlen einer klaren und gesetzlich gesicherten Position der Kirche in der Gesellschaft hat auch innerkirchliche Konsequenzen: einerseits die nicht geregelte Finanzierung, anderseits verschiedene innerkirchliche Wege, um für die eigene Existenz zu sorgen. Dieser Umstand, sich zwischen Geregeltem und nicht Geregeltem zu befinden, hat einzelnen Leuten ermöglicht, Wege zu beschreiten, die der Kirche nicht geholfen, sondern ihr vielmehr Schaden zugefügt haben. In einem ideologisch so stark durchtränkten politisch-gesellschaftlichen Umfeld wird jeder Fehler seitens der Kirche umso mehr hervorgehoben und auch missbraucht. Selbst die kirchliche Führung war in einer solch delikaten Situation nicht gut aufgestellt, um sich selbst und die Kirche als Institution angemessen darzustellen, was die vielen Wechsel an der Spitze der Diözesen nur noch verstärkten. Leider hatte auch die Politik des Vatikans die Besonderheiten der Transformationsländer nicht ausreichend im Blick und die Kirche in Slowenien nicht entsprechend unterstützt.
Fußnoten:
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Urška Prepeluh, Lovro Šturm: Pregled veljavne slovenske prave ureditve. In: Lovro Šturm (u. a.) (Hrsg.): Sveto in svetno. Pravi vidiki verske svobode. Ljubljana 2004, S. 119 f. ↩︎
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Gemeint ist die breit angelegte Studie „Gott nach dem Kommunismus: Aufbruch 1 + 2“ (1997 bzw. 2007); Hinweise unter http://www.zulehner.org/site/forschung/osteuropa?SWS=8c0873a25821b3a95e990a77a1356547 (Link mittlerweile inaktiv!). Zu Slowenien vgl. Vinko Potočnik: Sprava v zavesti slovenskih kristjanov. Pastoralno sociološka raziskava: In: Zakrament sprave v novi luči. Zbornik predavanj s pastoralnega tečaja. Ljubljana 1999, S. 3-30. ↩︎
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Vgl. Vinko Potočnik: Religion und Kirche im Wandel der slowenischen Reformgesellschaft: In: Johann Marte (u. a.) (Hrsg.): Religion und Wende in Ostmittel- und Südosteuropa 1989-2009. Innsbruck/Wien 2010, S. 149-164. ↩︎
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France Bučar: Rojstvo države. Radovljica 2007. (Zitate: S. 46, 50 f.) ↩︎
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Janez Štuhec: Verski pouk kot kulturno politični problem v Sloveniji. In: Globokar Roman (Hrsg.): Verski pouk v slovenskih šolah. Ovrednotenje in perspektive. Ljubljana 2010, S. 13-19, hier S. 14. ↩︎
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Michael Reder: Religion in säkularer Gesellschaft. München 2013, bes. S. 388-412. ↩︎
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Vgl. zum Hintergrund dieser Einschätzung auch die Ausführungen im Beitrag von Reinhard Neck in vorliegendem Heft, besonders S.100-102 (der gedruckten Ausgabe). ↩︎
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Zur rechtlichen Stellung der Religionen in Slowenien vgl. auch die Hinweise von Aleš Črnič: Religiöser Pluralismus in Slowenien. In: OST-WEST. Europäische Perspektiven 16 (2015), H. 4, S. 297-301, bes. 298 f. (der gedruckten Ausgabe). ↩︎
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Gemeint sind damit einige riskante finanzielle Aktivitäten seitens der Erzdiözese Maribor in den Jahren nach der Unabhängigkeit Sloweniens, die den Haushalt der Erzdiözese erheblich belasteten und den Vatikan zum Eingreifen veranlassten. Im Gefolge der Krise traten sowohl Erzbischof Marjan Turnšek (Maribor) als auch Erzbischof Anton Stres (Ljubljana) am 31. Juli 2013 zurück. (Anmerkung d. Redaktion) ↩︎