OWEP 2/2024

OWEP 2/2024

Schwerpunkt:
Ungarn und Europa

Editorial

Alle sechs Monate wechselt turnusmäßig der Ratsvorsitz in der Europäischen Union. Ein üblicher Vorgang, der ohne große Diskussionen vonstattengeht. Doch im Fall von Ungarn, das diese Aufgabe ab dem 1. Juli 2024 von Belgien übernimmt und für ein halbes Jahr eigene Akzente setzen kann, war es anders. Das Europäische Parlament verabschiedete am 1. Juni 2023 eine Resolution, die forderte, Ungarn wegen anhaltender, rechtsstaatlicher Verfehlungen die Ratspräsidentschaft nicht zu überlassen. Alle großen Fraktionen des Parlaments brachten diesen Antrag ein, und eine große Mehrheit von 442 EU-Abgeordneten unterstützte ihn. Nur 144 stimmten dagegen. Das Votum war ein einmaliger Vorgang und ein klares Zeichen dafür, wie isoliert Ungarn und sein omnipräsenter Ministerpräsident Viktor Orbán innerhalb der EU dastehen.

Die EU-Ratspräsidentschaft ist ein guter Anlass, nach 2007 erneut ein Länderheft zu Ungarn herauszugeben. Vieles hat sich seither grundlegend verändert. Die Autorinnen und Autoren beleuchten in ihren Beiträgen eine Vielzahl von Themen: Neben der Kultur- und Medienpolitik wird die besondere Stellung der Hauptstadt Budapest als „liberale Metropole“ beschrieben. Das Selbstverständnis als „christlicher Staat“ ist für Ungarn zentral. Am Beispiel der Slowakei wird gezeigt, wie über die ungarischen Minderheiten in den angrenzenden Staaten Einfluss ausgeübt wird. Eine Sonderrolle innerhalb der EU spielt Ungarn auch mit seiner Haltung zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Ein nationales kulturelles Erbe besonderer Art sind die Huzulenpferde, die als "Ponys der Karpaten" gelten.

Schaut man auf Ungarn, kommt man an Viktor Orbán, dem „nationalistischen Gambler“, wie er in dem Porträt des Ministerpräsidenten genannt wird, nicht vorbei. Dies wird auch in den Beiträgen deutlich. Fast 200-mal fällt der Name des Premiers auf den 80 Seiten dieses Heftes. Deshalb schien es der Redaktion auch folgerichtig, dass Orbán die Titelseite dieser Ausgabe ziert.

Die Redaktion

Inhaltsverzeichnis

82
Götterdämmerung in Budapest?
Stephan Ozsváth
93
Der nationalistische Gambler
Ivo Mijnssen
100
Ungarn vor der EU-Ratspräsidentschaft
Ellen Bos
106
Ungarns Kurs im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine
Kai-Olaf Lang
118
Die staatliche Kontrolle der Kultur. Ein Gespräch mit dem ungarischen Opernregisseur Balázs Kovalik
Gemma Pörzgen
124
Die liberale Metropole Budapest
Márton Gergely
132
Populistische Medienpolitik unter Viktor Orbán
Gábor Polyák
139
Das „christliche“ Ungarn
Rita Perintfalvi
149
Ungarischer Einfluss auf die Slowakei. Ein Gespräch mit dem Schriftsteller Michal Hvorecký
Gemma Pörzgen
156
Die Ponys der Karpaten
Agnes Szabo
160
Weiterführende Lektüre
OWEP-Redaktion

Summary in English

Every six months, the Presidency of the Council of the European Union rotates. This is a normal process that takes place without much discussion. However, in the case of Hungary, which will take over this role from Belgium from 1 July 2024 and can set its own priorities for six months, things were different. On 1 June 2023, the European Parliament passed a resolution calling for Hungary not to be given the presidency of the Council of the EU due to its persistent failures to uphold the rule of law. All major political groups in the Parliament submitted this application and a large majority of 442 MEPs supported it. Only 144 voted against. The vote was a unique occurrence and a clear sign of how isolated Hungary and its omnipresent Prime Minister Viktor Orbán are within the EU.

The EU Council Presidency is a good occasion to publish another country issue on Hungary after 2007. Much has changed fundamentally since then. The authors shed light on a wide range of topics in their contributions: In addition to cultural and media policy, the special position of the capital Budapest as a „liberal metropolis“ is described. The self-image as a „Christian state“ is central to Hungary. The example of Slovakia is used to show how influence is exerted via the Hungarian minorities in neighbouring countries. Hungary also plays a special role within the EU with its stance on the Russian war of aggression against Ukraine. A special kind of national cultural heritage can be seen in the Hutsul horses, which are known as the „ponies of the Carpathians“.

If you look at Hungary, you cannot ignore Viktor Orbán, the „nationalist gambler“, as he is called in the portrait of the prime minister. This is also evident in the articles. The prime minister's name is mentioned almost 200 times in the 80 pages of this issue. It therefore seemed logical to the editors that Orbán should adorn the cover of this issue.