Frauenhandel und Zwangsprostitution

aus OWEP 1/2025  •  von Burkhard Haneke

Burkhard Haneke, geboren 1956 in Düsseldorf, studierte Philosophie, Slawistik, Theologie und Politikwissenschaft in Bochum und München. Er war von 2001 bis 2022 Mitarbeiter von Renovabis, seit 2004 Mitglied der Geschäftsführung und bis 2018 Mitglied der Redaktion dieser Zeitschrift. Er ist im „Aktionsbündnis gegen Frauenhandel“ engagiert und seit zwei Jahren beim Hilfswerk Solwodi.

Zusammenfassung

Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung ist eine eklatante Verletzung der Menschenwürde. Dieses Geschäft vor allem mit der „Ware Frau“ ist in Europa auch eine Folge der Armutsmigration von Ost nach West. Sie endet oft in einer „Migration in die Prostitution“. Die tausendfache Ausbeutung von Frauen auf dem deutschen „Sexmarkt“ beruht aber auf einer entsprechenden Nachfrage und der Möglichkeit, dass Freier sich Sex legal kaufen können.

Ambivalenz der offenen Grenzen

Der „Global Report“ zu Menschenhandel des Büros der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2022 bietet einen traurigen Überblick über das Ausmaß des Menschenhandels weltweit.1 Er zeigt, dass vor allem Frauen mit 60 Prozent zu Opfern werden, davon sind 18 Prozent noch Mädchen. Die Zahl der erwachsenen Männer liegt bei 23 Prozent, 17 Prozent sind Jungen. Diese Zahlen beruhen nur auf den etwa 51.700 eindeutig identifizierten Fällen von Menschenhandel, die von den UN 2020 erfasst wurden. Die Dunkelziffer liegt noch sehr viel höher.

Menschenhandel ist ein Milliardengeschäft. Beim Handel mit Frauen und Mädchen geht es überwiegend um Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung in der (Zwangs-)Prostitution. Nach dem „Global Report“ sind nahezu zwei Drittel der Opfer von sexueller Ausbeutung weltweit Frauen und Mädchen. Nur neun Prozent der Opfer sind männlich.

Im Zuge der weltweiten Globalisierungstendenzen hat der Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung deutlich zugenommen. So sehr es zu begrüßen ist, dass Grenzen vor allen in Europa wegfallen oder durchlässiger werden, haben die verstärkten Migrationsbewegungen eben auch Schattenseiten wie den organisierten Menschenhandel. Dabei macht in Europa der Handel mit der „Ware Frau“ von Ost nach West einen großen Teil aus.

Das Wohlstandsgefälle führt zu einer starken Migration, die zwar gerne als „Arbeitsmigration“ bezeichnet wird, aber häufig eine „Armutsmigration“ ist. Zahlreiche Menschen verlassen ihre Heimat, weil sie dort keine Perspektiven mehr für sich sehen. Wie „freiwillig“ eine solche Armutsmigration ist, sei dahingestellt. Häufig führt sie für osteuropäische Frauen und Mädchen in die sexuelle Ausbeutung auf den Prostitutionsmärkten der wohlhabenden europäischen Staaten – vor allem auch nach Deutschland, das wegen seiner liberalen Gesetzgebung, dem Prostitutionsgesetz aus dem Jahr 2002, gelegentlich als „Bordell Europas“ bezeichnet wird.

Migration in das Prostitutionsmilieu

Vielen jungen Frauen und Mädchen aus Osteuropa werden ursprünglich „lukrative und sichere“ Jobs in der EU versprochen, sei es als Zimmermädchen, Kellnerin, Haushaltshilfe oder Au-pair-Mädchen. Doch die Migrationswege enden oft ungewollt in der Armutsprostitution.

Manchmal wissen die jungen Frauen aber auch von Anfang an, worauf sie sich einlassen und dass es um Prostitution geht. Sie verkaufen sich, ihren Körper, weil sie nichts anderes haben oder zu haben meinen. Menschenhändler und Schlepper, Bordellbetreiber und Zuhälterringe machen sich die prekäre Situation der Frauen zunutze und beuten sie aus.

Der frühere Kriminalhauptkommissar und Buchautor Manfred Paulus war über Jahrzehnte in der Rotlichtkriminalität tätig und beschreibt den Alltag der Prostituierten in seinem Buch „Im Schatten des Rotlichts“ so: „Sie träumen von Glanz und Glamour, von Wohlstand, Reichtum und davon, begehrt zu werden und begehrt zu sein. Sie landen in Abhängigkeit, Hilflosigkeit und in der Schuldenfalle, sind Schmutz, Elend, Druck, Drohungen, Gewalt und Kriminalität ausgesetzt. Sie werden sexualisiert, zu Objekten degradiert und als Gebrauchsgegenstände misshandelt.“ Den Freiern, die sich die sexuellen Dienstleistungen dieser Frauen kauften, seien deren Schicksale gleichgültig.

Sexuelle Ausbeutung geschieht mitten in unserer Gesellschaft, weil es eine starke Nachfrage nach diesen „Dienstleistungen“ gibt. Dabei spielen häufig Strukturen organisierter Kriminalität und grenzüberschreitende Händlerringe eine große Rolle. Die meisten Frauen und Mädchen, manchmal auch Jungen, auf dem deutschen Prostitutionsmarkt kommen nach Angaben des Statistischen Bundesamts derzeit aus dem Ausland, hauptsächlich aus osteuropäischen Ländern wie Rumänien und Bulgarien, aber auch aus der Ukraine, aus Moldawien oder aus Ungarn. Sie werden von Schleppern systematisch über die offenen Grenzen gelockt und gelotst. Ihre Armut wird dabei schamlos ausgenutzt.

Die „Anwerbemethoden“ sind vielfältig, aber der Anteil gewaltsamer Entführungen scheint nach Expertenmeinung dabei eher gering zu sein. Vielmehr wird relativ offen, beispielsweise in gedruckten und digitalen Medien, mit lukrativen Jobs im Westen geworben.

Daneben gibt es aber auch subtilere Methoden, bei denen Bekannte oder sogar Familienmitglieder Frauen dazu bewegen, sich auf zweifelhafte Angebote aus dem Ausland einzulassen. Eine besonders perfide Methode ist die „Loverboy-Masche“, die sich in den letzten Jahren stärker durchsetzt. Dabei täuschen Männer die „große Liebe“ vor, um Frauen gefügig und abhängig zu machen und in die Prostitution zu drängen. Auch junge deutsche Frauen geraten dadurch leicht auf den heimischen Prostitutionsmarkt. Ende 2023 waren in Deutschland rund 30.600 Prostituierte gemeldet. Experten schätzen die tatsächliche Zahl um ein Vielfaches höher, teilweise bis deutlich mehr als 300.000 Personen. Es ist ein Milliardengeschäft – in Bordellen, Bars und Clubs, Wohnungen und auf dem Straßenstrich. In Freier-Foren im Internet wird das Geschehen vor allem „ökonomisch“ interpretiert und als Segen für die „Sexarbeiterinnen“ eingestuft. Dort finden sich Zitate wie: „Da können die Mädchen doch wenigstens mal ordentlich Geld verdienen!“ Wie es den jungen Frauen in der Elends- und Armutsprostitution wirklich geht, ist allerdings weniger eine Frage der Ökonomie, sondern der Menschenwürde.

Erkenntnisse über die Freier

Im November 2022 erschien die Studie „Männer in Deutschland, die für Sex zahlen“, verfasst von der US-amerikanischen klinischen Psychologin und Aktivistin gegen Prostitution Melissa Farley und fünf weiteren Autorinnen. Das vergleichende Forschungsprojekt widmete sich neben der Lage in Deutschland auch den USA, England, Schottland, Indien und Kambodscha. Befragt wurden dabei in ausführlichen, persönlichen Interviews 763 Sexkäufer aus diesen Ländern.

Die Studie zeigte, dass viele der Sexkäufer über die Gewaltzusammenhänge von Prostitution, Zuhälterei und Menschenhandel gut informiert waren. Ein Freier brachte es so auf den Punkt: „Die Prostituierte steht unter der Fuchtel des Zuhälters. Sie ist sein Eigentum.“ Nach Schätzungen des pensionierten Kriminalhauptkommissar Paulus stehen mehr als 90 Prozent der Prostituierten in Deutschland unter dem Zwang von Zuhältern, Menschenhändlern und Organisierter Kriminalität.

Den Sexkäufern ist laut der Studie offenbar sehr bewusst, dass die Prostituierten, zu denen sie gehen, körperlich und seelisch leiden. Oder wie es ein Freier in einem der Interviews formulierte: „Das hat langfristige Folgen. Wenn man ein paar Jahre lang der Prostitution nachgeht, fühlt man sich wie ein Stück Fleisch.“ Ein anderer Freier sagte: „Man merkt manchmal, dass sie es nicht freiwillig tun, sie wirken abwesend.“ Auch aus der Traumatherapie ist bekannt, dass Prostituierte häufig nicht nur unter Depressionen und geringem Selbstwertgefühl leiden, sondern auch unter posttraumatischen Belastungsstörungen oder dissoziativen Störungen.

Aber ist legale Prostitution wie in Deutschland nicht besser als ihre Verdrängung in die Illegalität? Auch darauf ging die Studie ein: Die Gespräche mit den Freiern hätten klar erwiesen, dass legale Prostitution diese nicht sicherer mache, schrieben die Autorinnen. „Im Vergleich zu westlichen rechtlichen Ansätzen, in denen Prostitution illegal ist, gab es im Umfeld der legalen Prostitution in Deutschland mehr Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung, und die Legalität verringerte nicht die Gewalt gegen Frauen“, lautete das Fazit. Die in der Studie protokollierten Beobachtungen der Sexkäufer hätten darüber hinaus Expertenberichte bestätigt, dass das legale Geschäft mit dem Sex weitgehend von bandenmäßiger und organisierter Kriminalität bestimmt wird. Dennoch sei es bei deutschen Freiern unwahrscheinlicher, dass sie eine Anzeige wegen Menschenhandel erstatten würden als in Ländern, wo Prostitution verboten sei. Als eine Begründung wird zitiert: „Sexkäufer in Deutschland legitimierten sexuelle Übergriffe auf Frauen in der Prostitution mit dem gefährlichen Mythos, Prostitution verhindere Vergewaltigung.“

Seit 2002 hat Deutschland eines der liberalsten Prostitutionsgesetze weltweit. Die Bundesregierung legalisierte sexuelle Dienstleistungen mit der Absicht, die Rechte von Prostituierten zu stärken. In Wirklichkeit wurde seither das Geschäft mit der „Ware Frau“ gefördert und Deutschland zu einer Drehscheibe für Zwangsprostitution und Menschenhandel. Immerhin wurde durch das Prostituiertenschutzgesetz von 2017 ein Versuch unternommen, einzelne Schutzmechanismen und Regeln zu etablieren wie eine Anmeldepflicht und Gesundheitsberatung für Prostituierte, Erlaubnispflicht für Prostitutionsgewerbe und Kondompflicht für Freier. Dennoch üben die meisten Prostituierten in Deutschland ihre Arbeit nach wie vor weder selbstbestimmt noch freiwillig aus. Eine Evaluation des Prostituiertenschutzgesetzes ist für 2025 angekündigt.

Europäische Initiativen

Auf europäischer Ebene gibt es deutlich weitergehende Initiativen. So gab es bereits im Januar 2014 eine bahnbrechende Entschließung des Europaparlaments mit der Forderung, Prostitution als Verletzung der Menschenrechte von Frauen einzustufen. Dieses Votum hat wesentlich dazu beigetragen, dass über den Zusammenhang von Prostitution und Menschenhandel stärker diskutiert wird. Das Parlament wendete sich gegen die Banalisierung des Kaufs und Verkaufs sexueller Dienstleistungen. Wo so getan werde, als ob der Kauf von Sex und Prostitution eine „normale Arbeit“ sei, da werde Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung geradezu gefördert, hieß es in der Entschließung. Sie kam zu dem Ergebnis, dass „die wirksamste Methode, den Handel mit Frauen und Mädchen zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung zu bekämpfen und die Geschlechtergleichstellung zu verbessern“, das „Nordische Modell“ sei. Es wurde in Schweden 1999, in Island 2009, in Norwegen 2009 umgesetzt und stellt den Kauf von sexuellen Dienstleistungen unter Strafe, während die Prostituierten sich nicht strafbar machen. Inzwischen wurde in fünf weiteren Ländern ein Sexkauf-Verbot eingeführt: in Kanada 2014, in Nordirland 2015, in Frankreich 2016, in Irland 2017 und in Israel 2018.

Im September 2023 rief das Europaparlament alle Mitgliedsstaaten dazu auf, Prostitution im Sinne eines Sexkauf-Verbots einheitlich zu regulieren. Bisher ist offen, ob und wann die Politik in Deutschland sich in diese Richtung bewegt. Im September 2024 kündigte die inzwischen gescheiterte Ampel-Regierung zumindest einen „Nationalen Aktionsplan gegen Menschenhandel“ an. Er soll „besonders die spezifische Vulnerabilität von Frauen und Mädchen für sexuelle Ausbeutungsformen wie auch von Jugendlichen und Kindern“ in den Blick nehmen. Ein Thema, dem sich die nächste Bundesregierung dringend widmen sollte.


Fußnote: