Europa 1914 – 2014. Weichen und Weichenstellungen in Polen

aus OWEP 1/2014  •  von Markus Krzoska

PD Dr. Markus Krzoska ist Privatdozent an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Übersetzer. Er ist Vorsitzender der Kommission für die Geschichte der Deutschen in Polen.

Zusammenfassung

Der Beitrag skizziert die wechselvolle Geschichte Polens im 20. Jahrhundert, die vor allem geprägt war von den beiden Weltkriegen und damit verbundenen geographischen wie demographischen Veränderungen. Erst mit dem politischen Umbruch 1989 gelingt dem Land der Schritt in eine von außen nicht mehr bedrohte staatliche Souveränität, die mit dem Beitritt Polens zur EU 2004 auch im politischen Gefüge Europas ihren Platz gefunden hat.

1918 – 1939: Polens Wiedergeburt

Am Ende ging alles ganz schnell. Am 29. Oktober 1918 meuterten die kaiserlichen Matrosen in Wilhelmshaven, als sie zur Fortführung des Seekrieges auslaufen sollten. Zwei Tage später entwaffneten polnische Freiwillige die österreichische Garnison in Krakau ohne Widerstand, der Westen des alten Kronlands Galizien ging komplett in polnische Hand über, während im Osten die aufstrebende ukrainische Nationalbewegung mehr als ein Wörtchen mitzureden hatte. Russland befand sich mitten im Bürgerkrieg und spielte in der Auseinandersetzung um die Zukunft Ostmitteleuropas einstweilen keine Rolle.

Der deutsche Diplomat Harry Graf Kessler fuhr nach Magdeburg, um im Auftrag der Regierung den seit Juli 1917 in der dortigen Festung inhaftierten polnischen Sozialistenführer Józef Piłsudski abzuholen und durch die Revolutionswirren hindurch per Zug nach Warschau zu geleiten. Dort eingetroffen wurde dem charismatischen Führer bereits am 11. November 1918 die militärische, drei Tage später auch die zivile Kontrolle über den neuen polnischen Staat übertragen, der mit dem Segen der Siegermächte des Krieges entstanden war. Alles, was über dieses konkrete Ziel der erneuten Staatsgründung hinausging, war freilich komplett unklar. Die Frage nach den künftigen Grenzen stellte dabei nur das schwerwiegendste und augenscheinlichste Problem dar. Aufgrund der Verfügungen des Versailler Vertrags, des Friedens von Riga mit Sowjetrussland und der Plebiszite entstand ein Territorium mit vier völlig unterschiedlichen Traditionen. Zu den ehemals preußisch-deutschen, österreichischen und russischen Teilungsgebieten kam ein nicht zu unterschätzender Anteil hinzu, der vor 1918 direkt zum Russischen Reich gehört hatte.

Die neue Staatsführung, die zunächst auf einem weitgehenden Kompromiss der politischen Lager basierte, stand nun vor der Notwendigkeit einer relativ raschen Vereinheitlichung aller Strukturen. Die Zeit drängte vor allem auch deswegen, weil sie sich zunächst noch in einer militärischen Konfrontation mit ukrainischen und deutschen Freischärlern sowie der Roten Armee gefangen sah.

Als eines der gravierendsten und am schwierigsten zu lösenden Probleme stellte sich die im Laufe des 19. und frühen 20. Jahrhunderts deutlich gewachsene Vernetzung der polnischen Gebiete mit den jeweiligen Teilungsmächten in nahezu allen Bereichen heraus, die nun ziemlich abrupt an ihr Ende geraten war. Die neuen Eliten, die ihre Ausbildung durchaus unterschiedlichen Traditionen in den Teilungsstaaten und darüber hinaus verdankten, waren sich auf dem Weg, der Polen zu einer dynamischen, modernen und durchaus hegemonialen Regionalmacht machen sollte, nicht immer einig. Letztlich setzte sich mit Ausnahme des polnisch gewordenen Teils Oberschlesiens, für das ein Autonomiestatut galt, eine zentralistische Herangehensweise durch. Während im Schulwesen, dem Militär oder auch der Justiz die nationale Vereinheitlichung relativ schnell vonstatten ging, waren die Übergangsschwierigkeiten im wirtschaftlichen Bereich beträchtlich. Eine grundsätzliche Entscheidung, ob man einen forcierten Ausbau der Industrie betreiben oder eher die landwirtschaftliche Grundausrichtung beibehalten sollte, wurde zunächst nicht getroffen. Allerdings erschien es vorrangig, die Transport- und Verkehrswege auszubauen. Priorität genossen hierbei die Eisenbahn- und Wasserstraßenverbindungen. Man konzentrierte sich dabei vor allem darauf, die größten Lücken zu schließen, wobei dem Straßennetz keine besondere Bedeutung beigemessen wurde – 1939 waren in Polen nur 32.000 Automobile und 8.600 Lastwagen registriert, weniger als z. B. in Ägypten oder Ceylon. Ein spezielles Eisenbahnministerium entwarf schon im Oktober 1918 einen Zehnjahresplan für die Komplettierung des Eisenbahnnetzes, aber auch eine Vereinheitlichung der Waggon- und Lokomotiventypen.

Was durch diese durchaus beachtenswerten Modernisierungsmaßnahmen allerdings nicht beseitigt werden konnte, waren die verbreiteten Konflikte zwischen den Nationalitäten, deren Loyalität dem polnischen Staat gegenüber durchaus unterschiedlich ausgeprägt war. Viele der im Land verbliebenen Deutschen konnten sich mit ihrer neuen Rolle als Minderheit nicht abfinden und hofften auf eine rasche Änderung der politischen Grenzen; viele Ukrainer wehrten sich gegen die massiven Polonisierungsmaßnahmen in ihren Siedlungsgebieten, mitunter auch mit den Mitteln des Terrorismus.

Immerhin schien sich Mitte der 1930er Jahre eine gewisse Stabilisierung der innenpolitischen Verhältnisse abzuzeichnen, unter anderem auch deswegen, weil im Zuge des immer autoritärer werdenden politischen Systems die demokratischen Grundrechte der Bürger beschnitten wurden.

Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen

Das Gefühl einer außenpolitischen Bedrohung konnten auch Bündnis- und Nichtangriffsverträge mit einer Reihe europäischer Staaten nicht entscheidend beseitigen. Nachdem Hitler und Stalin im August 1939 beschlossen hatten, Osteuropa, darunter auch Polen, unter sich aufzuteilen, vergingen nur wenige Tage, bis das Schicksal des souveränen polnischen Staates besiegelt war. Den militärischen Angriffen zunächst Deutschlands, dann der Sowjetunion konnte Polen trotz heldenhaften Kampfes vor allem gegen die deutschen Invasoren nur wenig entgegensetzen, zumal die erhoffte konkrete Hilfe Großbritanniens und Frankreichs ausblieb.

Die deutsche Besatzungspolitik in Polen hatte mit der im Westen des Kontinents nur wenig gemeinsam. Im rassistischen Verständnis der NS-Ideologie waren alle Slawen Untermenschen, die es kurzfristig zu beherrschen und auszubeuten, mittelfristig aber zu vertreiben galt. Den als besonders gefährlich erachteten Eliten in der Verwaltung, dem Militär und der katholischen Priesterschaft, drohte oftmals die konkrete physische Vernichtung. Sämtliche höheren Bildungseinrichtungen wurden geschlossen, Millionen von Menschen innerhalb Polens deportiert, inhaftiert oder als Zwangsarbeiter ins „Altreich“ geschafft. Die Vernichtung der europäischen Juden fand zu einem hohen Anteil in deutschen Lagern auf polnischem Boden statt. Auch im sowjetisch besetzten Teil Polens wurden 1,5 Millionen Menschen deportiert, hier nach Osten, und der Bevölkerung bis Juni 1941, als das Deutsche Reich die Sowjetunion überfiel, das kommunistische System aufgezwungen.

Wie eigentlich immer seit den drei Teilungen des alten Polen-Litauen Ende des 18. Jahrhunderts waren die Vorstellungen der Großmächte von Lage und Grenzen des polnischen Staates extrem unterschiedlich. Diese Unterschiede existierten aber auch in Polen selbst, wo in den Jahren vor 1939 das Schwergewicht der Innenpolitik auf den östlichen Gebieten, den kresy, lag, in denen der polnische Bevölkerungsanteil gegenüber dem ukrainischen, weißrussischen, litauischen und vor allem jüdischen nicht in der Mehrheit war und eine Reihe von Polonisierungsmaßnahmen eingesetzt wurde, die ähnlich kolonialen Charakter hatten wie zum Beispiel im Osten des Deutschen Kaiserreichs vor 1918 oder des Russischen Reichs vor 1917. Waren die Grenzen Polens nach dem Ersten Weltkrieg schon umstritten gewesen, so erwies sich die Situation während des Zweiten Weltkriegs als noch komplizierter, je mehr sich ein Sieg der Alliierten, auf deren Seite Polen ja mit eigenen Soldaten kämpfte, abzeichnete. Dem Willen Stalins stellte sich zumindest in diesem Teil Europas im Grunde niemand entgegen. Die von den Großmächten auf den Konferenzen von Teheran und Jalta beschlossene und gegen dessen erklärten Willen durchgeführte Westverschiebung Polens hatte durchaus traumatischen Charakter. Die Mehrheit der nichtkommunistischen Polen empfand sie ganz zu Recht als Verrat an einem Bündnispartner, der einen hohen Blutzoll bei der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus geleistet hatte. Nur mit Hilfe der Roten Armee, die Polen zugleich befreit und besetzt hatte, ihrer polnischen Hilfstruppen und des sowjetischen Geheimdienstes war es zudem möglich, eine neue gesellschaftliche Ordnung zu schaffen, die für vierzig Jahre auf einer Handlangerrolle für Moskau basierte.

Auf die hohen Kriegsverluste sollten im Jahrfünft nach 1945 gewaltige demographische Umwälzungen folgen, die die Landkarte und Wahrnehmung Polens massiv veränderten. Die Mehrheit der polnischen Gesellschaft war unabhängig von Weltanschauungen bei Kriegsende der festen Überzeugung, dass das neue Polen ein Staat ohne nennenswerte nationale Minderheiten sein sollte. Da die meisten polnischen Juden von den Deutschen umgebracht worden waren und nur wenige Überlebende sich vorstellen konnten, „im Schatten der Gasöfen“ weiterzuleben, betraf dies vor allem Ukrainer und Deutsche. Staatliche Verträge regelten die Umsiedlungen von insgesamt etwa 1,1 Millionen östlich der neuen Staatsgrenze mit der Sowjetunion am Bug lebenden Polen nach Westen einerseits sowie diejenigen von Ukrainern (480.000), Weißrussen (36.000) und einigen Litauern nach Osten andererseits. Es wäre hier verfehlt, von freiwilligen Ausreisen zu sprechen, zumal gerade auf sowjetischer Seite der Druck auf die dort lebenden Polen massiv war. Um die weiterhin in Polen lebenden Ukrainer zu schwächen, wurden 140.000 von ihnen in der so genannten „Aktion Weichsel“ zwischen April und Juli 1947 innerhalb Polens zwangsumgesiedelt. Sie fanden ihre neue Heimat – die sie lange nicht als solche empfinden konnten – ebenso wie viele polnische Umsiedler aus dem Osten in den neuen polnischen Westgebieten. Voraussetzung hierfür war die Flucht, Vertreibung und Zwangsaussiedlung der Millionen bisher dort lebenden Deutschen, die in verschiedenen Phasen bis 1950 erfolgte, von den Alliierten abgesegnet war, aber von polnischen Behörden vorangetrieben wurde.

Polen als Volksrepublik

Die neue Staatsräson der Volksrepublik Polen stützte sich zwar teilweise auch auf die marxistisch-leninistische Ideologie. Mit Ausnahme der Hochzeit des Stalinismus zwischen 1949 und 1956 war diese aber immer von einer nationalkommunistischen Grundhaltung überlagert, die die Grenzen des Landes mit der Bezugnahme auf das Mittelalter und den „tausendjährigen Kampf gegen das Deutschtum“ zu rechtfertigen suchte. Diese nach dem ersten polnischen Herrschergeschlecht so genannte „piastische Idee“ wirkte und wirkt sich insbesondere in den ehemaligen deutschen Ostgebieten durch eine Vielzahl von Denkmälern, Straßen- und Siedlungsnamen sowie verbreiteten historischen Mythen aus. Trotz der Tatsache, dass für viele der neuen Bewohner diese Argumentation nicht in aller Schärfe überzeugend war und in den Jahrzehnten nach 1945 eher die nicht ausgepackten Koffer sprichwörtlich für die Probleme einer Identifikation mit der neuen Heimat standen, hinterließ sie durch ihren massiven Einsatz in den Medien und im Bildungswesen zweifellos tiefe Spuren im polnischen Geschichtsbild, wohingegen der eigenen verlorenen Ostgebiete bis 1989 offiziell nicht gedacht werden durfte.

Dass sich die kommunistische Führung spätestens seit 1956 eine gewisse gesellschaftliche Zustimmung für ihre Herrschaft durch die Propagierung nationaler Geschichtsbilder erkaufte, hatte dennoch Grenzen. Natürlich durfte die Rolle der Sowjetunion nicht hinterfragt werden, etwa Stalins Täterschaft bei der planmäßigen Ermordung von etwa 25.000 polnischen Offizieren und Zivilisten bei Katyń und anderen Orten im Jahre 1940. Außerdem entwickelte sich eine heftige Auseinandersetzung um die „Herrschaft über die Seelen“ mit der katholischen Kirche, der einzig verbliebenen nichtkommunistischen Massenorganisation. Besonders sichtbar wurde dies in den 1960er Jahren anlässlich der Tausendjahrfeiern von polnischem Staat und Christentum. Beide Seiten mobilisierten ihre Anhänger, und man kann hier nicht von Siegern und Verlierern sprechen. Verglichen mit den Jahren vor 1939 gelang es der Kirche trotz aller Verfolgungen, ihren gesamtgesellschaftlichen Einfluss sogar auszudehnen. Dieser Prozess verstärkte sich nach 1989 noch deutlich, hatte allerdings zur Folge, dass sich Polen in mancherlei Hinsicht von Entwicklungen in der westlichen Welt abzukoppeln begann, etwa im Bereich der Sexualmoral.

Polens Weg seit 1989

Selbstverständlich bedeutete das Jahr 1989 auch für Polen eine entscheidende Weichenstellung im 20. Jahrhundert. Die Gespräche am „Runden Tisch“ stellten den letztlich gelungenen Versuch einer friedlichen Machtübergabe der kommunistischen Herrscher dar. Vielleicht noch einschneidender waren hier letztlich aber die radikalen Wirtschaftsreformen, die das Land auf Betreiben seines neuen Finanzministers Leszek Balcerowicz durchführte und die bei allen massiven sozialen Härten die Basis für die positive gesamtökonomische Entwicklung schufen. Die Unterstützung, zumindest aber Duldung Moskaus für diesen Systemwandel war entscheidend. Dennoch gilt es hier zu betonen, dass der eigentliche Wendepunkt bereits in der Existenz der unabhängigen Gewerkschaft „Solidarność“ in den Jahren 1980/81 zu suchen ist. Schon damals war das kommunistische System an sein eigentliches Ende gelangt. Trotz der Rückschläge des Kriegszustandes (seit 13. Dezember 1981) und der wirtschaftlichen Krisen der folgenden Jahre konnte ideell und konkret an diese kurze Phase weitgehender gesellschaftlicher Freiheit angeknüpft werden, die anfangs von den meisten westeuropäischen Regierungen sehr skeptisch betrachtet worden war.

Dieser Erfolg ebnete den Weg zu einer stark emotional verstandenen „Rückkehr nach Europa“. Polnische Intellektuelle hatten seit Mitte der 1970er Jahre versucht, gegen die politischen Realitäten einerseits und die verkürzte Wahrnehmung im Westen andererseits, das Land sei nur ein Vasallenstaat Moskaus, anzuschreiben. Im konkreten Sinn konnte jene Rückkehr erst nach 1989 in die Tat umgesetzt werden. Sie hatte nicht allein eine ideelle Bedeutung, sondern auch eine ganz praktische. Der Beitritt Polens zur NATO im März 1999 schuf die lang vermisste militärische Sicherheit, vor allem vor dem nach wie vor als Bedrohung empfundenen Russland. Die 2004 erlangte EU-Mitgliedschaft stellte einen weiteren, rechtlich wie praktisch wohl bedeutsameren Schritt in diese Richtung dar.

Die Langfristigkeit historischer Prozesse gilt es gleichwohl nicht zu unterschätzen. Nicht wenige Polen vor allem der mittleren und älteren Generation verklären nach wie vor die „goldenen 1970er Jahre“ unter dem damaligen Parteichef Edward Gierek, als es „alles zu kaufen gab“. Dass dies bei den Konsumgütern auf Pump erfolgte und im Chaos am Ende dieses Jahrzehnts zum Zusammenbruch der gesamten Wirtschaft führte, wird gerne vergessen. Man kann aber sogar noch weiter zurückgehen. Vergleicht man die Ergebnisse der polnischen Parlamentswahlen von 2005 mit den Grenzen der Teilungsgebiete Polens von vor 1918, so entdeckt man erstaunliche Kongruenzen im Wählerverhalten. Die liberalkonservative „Bürgerplattform“ des heutigen Ministerpräsidenten Donald Tusk siegte in den beinahe kompletten ehemaligen deutschen Ostgebieten, während sein Rivale Jarosław Kaczyński von der nationalkonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ im ehemaligen russischen und österreichischen Teilungsgebiet gewann. Bestimmt also doch die geographische Lage das politische Bewusstsein entscheidend mit?

Im zweiten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts eine genaue Standortbestimmung Polens in Europa treffen zu wollen, ist nicht leicht. Fragen der Geopolitik, die die innenpolitische Debatte seit Wiedererlangung der Unabhängigkeit 1918 entscheidend bestimmten, haben sicherlich an Bedeutung verloren. Die Selbstwahrnehmung als durch den katholischen Glauben geprägter, national homogener Staat kann sicherlich weiterhin als dominant bezeichnet werden. Allerdings zeichnen sich hier gewisse Erosionsprozesse ab, die vor allem das kirchliche Alltagsleben betreffen. Die Themen „Einwanderung“ und „nationale Minderheiten“ spielen dagegen in der Öffentlichkeit so gut wie keine Rolle.

Das Land hat in manchen Bereichen in den letzten 25 Jahren einen dynamischen Modernisierungsschub erlebt, der mit kaum einem anderen Staat der EU – mit Ausnahme der neuen Bundesländer Deutschlands – vergleichbar ist. Dies ist besonders in den Großstädten zu beobachten. Gleichzeitig führten die massenhaften Pendelmigrationsbewegungen zu einer stärkeren Verbindung zur Außenwelt, die auch und gerade in den Dörfern spürbar ist. Trotz dieser Fortschritte und der massiven finanziellen Unterstützung der EU, etwa im Bereich der Subventionsleistungen für die Landwirtschaft, kommen die realen und mentalen Veränderungen vor allem im Osten Polens nur schrittweise voran. Ob die politischen und gesellschaftlichen Strukturen tatsächlich so stabil sind, wie es derzeit scheint, wird sich erst in Krisenzeiten wirklich herausstellen. Wie in der gesamten EU ist eine stärkere Rückbesinnung auf „nationale“ Werte und Identitäten nicht auszuschließen. Erst dann wird sich zeigen, ob die Bevölkerung tatsächlich in der Lage ist, populistischen „Rattenfängern“ zu widerstehen.

Zusammenfassung

Der polnische Staat entstand 1918 infolge des Zusammenbruchs aller drei bisherigen Teilungsmächte wieder und wurde 1939 erneut aufgeteilt. Die Folgen des Zweiten Weltkriegs und die Westverschiebung des Staates veränderten in Verbindung mit der aufgezwungenen kommunistischen Herrschaft die Eigen- und Fremdwahrnehmung des Landes massiv. Erst die kurzzeitige Erfolgsgeschichte der Solidarność 1980/81 sowie die allgemeine Wende in Mittel- und Osteuropa im Jahre 1989 ebneten Polen den Weg „zurück nach Europa“, der durch den NATO- und EU-Beitritt (1999 und 2004) zementiert wurde. Heute ist Polen eines der am dynamischsten wachsenden Länder Europas, das aber zugleich seine historischen Traditionen deutlich spürbar weiterpflegt.