Wem gehört der Erfinder Nikola Tesla?

aus OWEP 4/2023  •  von Thomas Bremer

Thomas Bremer, geboren 1957 in Essen, war von 1999 bis 2022 Professor für Ökumenische Theologie und Ostkirchenkunde an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Münster. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören die orthodoxen Kirchen in Ost- und Südosteuropa. Er ist Mitglied der Redaktion dieser Zeitschrift seit ihrer Gründung.

Zusammenfassung

Die Frage, welche Nationalität der berühmte Erfinder und Elektrophysiker Nikola Tesla hatte, ist Gegenstand zahlreicher Kontroversen. Er war Sohn serbischer Eltern, die in Smiljan, einem kleinen Ort im heutigen Kroatien lebten. Deshalb erheben Serbien und Kroatien Anspruch auf ihn. Dabei emigrierte Tesla bereits als junger Mann nach New York und verbrachte dort als amerikanischer Staatsbürger den größten Teil seines Lebens. Auch seine Erfindungen und Patente meldete er in den USA an. In der Erinnerung an ihn spiegeln sich wichtige Grundzüge der serbisch-kroatischen Probleme, die bis heute andauern.

Debatte bei Wikipedia

Auf dem Titelbild dieser Ausgabe von "OST-WEST. Europäische Perspektiven" ist ein Wandbild zu sehen, das den berühmten Erfinder Nikola Tesla umgeben von elektrischen Entladungen und physikalischen Phänomenen zeigt. Ein Passant geht vorbei, der mit seiner rechten Hand sein Mobiltelefon ans Ohr hält und dadurch zufällig eine ähnliche Armhaltung wie Tesla einnimmt. Rechts unten steht: NIKOLA TESLA. Die lateinischen Buchstaben zeigen, dass sich das Wandbild in Kroatien befindet. Dasselbe Bild könnte man auch in Serbien finden, allerdings stünde dann in kyrillischen Buchstaben „НИКОЛА ТЕСЛА“ darunter.

Wer auf der Suche nach der Biografie des Erfinders den deutschsprachigen Wikipedia-Eintrag liest, findet dort keine Aussage zu dessen Nationalität. Öffnet man die Diskussionsseite der Internet-Enzyklopädie, so fällt sofort ein rot eingerahmter Hinweis auf: „Die Frage der Nationalität von Tesla war schon mehrfach Gegenstand der Diskussion. Bitte erst das Archiv lesen und nur bei Vorliegen wirklich neuer Erkenntnisse oder Argumente diese Diskussion von Neuem beginnen.“ Trotz dieses Hinweises thematisieren vier der acht neueren Diskussionsbeiträge sehr wohl die Frage nach Teslas Nationalität.

Im serbischsprachigen Wikipedia-Artikel heißt es, Tesla war „ein serbischer und amerikanischer Erfinder“. In der kroatischen Version war er „ein kroatisch-amerikanischer Erfinder und Ingenieur serbischer Abstammung“. Wie kann es sein, dass es auch 80 Jahre nach dessen Tod keine Einigkeit über seine nationale Zugehörigkeit gibt?

Nikola Tesla wurde am 10. Juli 1856 im Dörfchen Smiljan geboren. Sein Vater war dort orthodoxer Priester. Smiljan ist heute ein Ortsteil der kroatischen Stadt Gospić, die sich in einer „Lika“ genannten Region befindet. Der Ort liegt im karstigen Hinterland der Adriaküste Kroatiens. Bis zum Meer sind es etwa 30 Kilometer Luftlinie, während die direkte Entfernung von Gospić bis zur Grenze zwischen den Staaten Kroatien und Bosnien und Herzegowina ungefähr 50 Kilometer beträgt. Zum Zeitpunkt von Teslas Geburt lag dort, wo heute eine Außengrenze der Europäischen Union verläuft, die Grenze zwischen der Habsburgermonarchie und dem Osmanischen (Türkischen) Reich.

1527 hatten die Osmanen Gospić und seine Umgebung erobert, und sie beherrschten die gesamte Lika bis 1689. Als die Österreicher die Herrschaft über das karge und bevölkerungsarme Land wieder erlangten, führten sie dort die „Militärgrenze“ ein, wie sie auch andernorts in der Monarchie schon existierte. Dieser Begriff bezeichnet einen Streifen an der Grenze zum Osmanischen Reich, der nicht zu Kroatien oder Ungarn gehörte, sondern vom Wiener Kriegsministerium beziehungsweise seiner Vorgängerorganisation, dem Hofkriegsrat, direkt verwaltet wurde. Hier wurden seit dem späten 17. Jahrhundert zumeist orthodoxe Flüchtlinge aus den türkisch beherrschten Gebieten angesiedelt, die auf österreichisches Gebiet geflohen waren.

Die Siedler bekamen Privilegien zugesagt: Sie konnten ihre orthodoxe Glaubenszugehörigkeit behalten und eine Kirchenstruktur unter ihrem Patriarchen aufbauen. Sie genossen Steuerprivilegien, doch mussten sie im Kriegsfall Truppen stellen, die im Verbund mit Österreich gegen die Osmanen kämpfen sollten. So kam es, dass auf der österreichischen Seite der Grenze zum Osmanenreich, also entlang der heutigen Grenze zwischen Kroatien und Bosnien und Herzegowina, eine Bevölkerung mit mehrheitlich orthodoxem Glauben siedelte. Das blieb bis zum Ende des 20. Jahrhunderts so und endete erst, als im Verlauf der jugoslawischen Zerfallkriege die an der ehemaligen Militärgrenze in Kroatien lebenden Serben zunächst eigene Staatsgebilde ausriefen und nach deren Zusammenbruch Kroatien größtenteils verließen. Bis heute ist zwischen beiden Seiten umstritten, ob es sich dabei um eine Flucht handelte oder um eine Vertreibung durch die kroatische Armee.

Fragen nach der Zugehörigkeit

Die Familie Tesla gehörte also zu jener Bevölkerungsgruppe, die damals an der Militärgrenze lebte – erst 1886 wurde sie aufgelöst, nachdem Österreich Bosnien und die Herzegowina 1878 besetzt hatte und keine Kriegsgefahr mehr bestand. Seither gehörte die Region zu Kroatien, das damals Teil des Königreichs Ungarn in der Doppelmonarchie war.

Der Ort Smiljan hat im 20. Jahrhundert, lange nach Teslas Emigration in die USA, noch ein trauriges Schicksal erlitten. Er war in der Mitte des 19. Jahrhunderts ein relativ großes Dorf mit mehr als 2.000 Bewohnern, die in verschiedenen Ortsteilen lebten. Die meisten von ihnen waren katholisch, eine Minderheit von gut einem Viertel war orthodox. Bis zum frühen 20. Jahrhundert halbierte sich die Einwohnerzahl. Das jugoslawische Königreich der Zwischenkriegszeit war ein Staat, in dem die Serben eine dominante Position innehatten. Als 1941 in Kroatien das Ustascha-Regime an die Macht kam, fanden in Smiljan Massaker an der serbischen Bevölkerung statt, die einige hundert Menschen das Leben kosteten. Auch der Nachfolger von Teslas Vater im Amt des orthodoxen Ortspriesters wurde ermordet, die Kirche und das Pfarrhaus wurden schwer beschädigt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte Smiljan nur noch knapp 750 Einwohner. Der Anteil der serbischen Bevölkerung lag nun bei weniger als zehn Prozent. Die Zahl stieg langsam wieder auf 835 Personen an, um dann aufgrund der schlechten Wirtschaftslage erneut abzusinken. Bei der letzten Volkszählung 2021 lebten in Smiljan nur noch 392 Menschen.

Der andauernde Streit über Teslas Nationalität hat also seine Grundlage darin, dass er in einem Dorf geboren wurde, das (heute) zu Kroatien gehört, dass er aber Abkömmling einer orthodoxen und damit serbischen Familie war, die aufgrund der geschilderten Umstände dort lebte. Auch der Zusammenhang zwischen der serbischen Identität und dem orthodoxen Glauben ist umstritten: Hatten die orthodoxen Siedler im 17. Jahrhundert ein serbischen Nationalitätsbewusstsein, oder hat sich das Serbisch-Sein aus der Zugehörigkeit zur Orthodoxie entwickelt? Diese und ähnliche Fragen werden mit großer Verve weiter diskutiert.

Nikola Tesla besuchte die Grundschule in seinem Heimatort und anschließend das Gymnasium in Karlovac. Darauf folgten Studien und Tätigkeiten in Graz, Maribor, Prag, Budapest und Paris. Tesla schloss keinen Studiengang ab, konnte aber in technischen Berufen Anstellungen erlangen. Im Jahr 1884 wanderte er im Alter von 27 Jahren nach New York aus. Dank einer Empfehlung konnte er anfangen, bei dem Elektroingenieur Thomas A. Edison zu arbeiten. Allerdings überwarf sich Tesla mit ihm schon nach einigen Monaten wegen Geldangelegenheiten, und zwischen den beiden Erfindern blieb seither ein Rivalitätsverhältnis bestehen. Tesla gewann aber in den USA rasch an Ansehen. Seine Idee eines Wechselstromsystems machte es möglich, dass das 1896 fertiggestellte Wasserkraftwerk an den Niagarafällen über Hochspannungsleitungen auch die mehrere hundert Kilometer entfernte Stadt New York versorgte. Wechselstrom ermöglichte es, elektrische Energie auch über weitere Entfernungen zu transportieren.

Teslas Leben in den USA war von Erfolgen, aber auch immer wieder von Rückschlägen gezeichnet. So sprangen Geldgeber ab, weil er im Umgang mit Geld nicht sehr geschickt war. Mehrfach brannten seine Labore ab, und seine wissenschaftlichen Interessen (vor allem die drahtlose Energieübertragung) entsprachen nicht notwendig denen seiner Sponsoren, für die im Vordergrund stand, dass die Anwendung wirtschaftlich rentabel war. Geldsorgen bedrückten den Erfinder immer wieder. Dazu trug auch sein extravaganter Lebensstil bei. Tesla wohnte mit Vorliebe im Hotel statt in einem eigenen Haushalt. Zugleich erhielt er zahlreiche Ehrungen, vor allem Ehrendoktorate (insgesamt elf) für seine bahnbrechenden Erfindungen, darunter den Drehstrommotor oder den Vakuumkondensator. 1937 wurde er für den Physik-Nobelpreis nominiert, den er allerdings nicht erhielt. Im Januar 1943 starb Tesla in seinem New Yorker Hotelzimmer im Alter von 86 Jahren.

Konkurrierende Erinnerungen

Tesla war 1891, nur wenige Jahre nach seiner Ankunft in New York, amerikanischer Staatsbürger geworden. Da er alle seine bedeutenden Erfindungen und Entdeckungen in den USA gemacht hat und dort auch die meisten seiner Patente angemeldet sind, ist es tatsächlich angemessen, ihn als US-amerikanischen Erfinder zu bezeichnen. Doch das Dilemma um seine nationale Zugehörigkeit ist damit nicht gelöst. Denn nach dem Tod des Erfinders erbte ein Neffe den gesamten Nachlass und übereignete diesen 1951 dem jungen sozialistischen Staat Jugoslawien. Ein Jahr später wurde in der Hauptstadt Belgrad ein Tesla-Museum eröffnet, in dem die Asche des Erfinders in einer kugelförmigen Urne aus Metall ausgestellt wurde (und bis heute ausgestellt ist).

Tesla war zwar Serbe aus Kroatien, hatte aber eigentlich mit Serbien nichts zu tun. Er war nur ein einziges Mal im Juni 1892 für knapp drei Tage in Belgrad. Dort wurde seine Aufnahme in die Serbische Akademie der Wissenschaften zunächst abgelehnt. Erst zwei Jahre später wurde er korrespondierendes und sogar erst 1937 ordentliches Mitglied. Dennoch wurde an ihn in jugoslawischen Zusammenhängen erinnert. So gab es mehrere Banknoten des sozialistischen Jugoslawiens, die Tesla zeigten.

Nach dem Zerfall Jugoslawiens änderte sich das jedoch, und an Tesla konnte nicht mehr als „Jugoslawe“ erinnert werden. Mit den Balkan-Kriegen der 1990er-Jahre trennten sich die Erinnerungslinien an ihn. Im unabhängigen Kroatien wurde 2006 sein Geburtshaus in Smiljan (das ehemalige orthodoxe Pfarrhaus) als Museum zu seinen Ehren neu eröffnet – ein Museum war hier schon 1956 entstanden, zum 100. Geburtstag von Tesla. Ebenfalls im Jahr 2006 wurde in Belgrad der größte serbische Flughafen in „Nikola-Tesla-Flughafen“ umbenannt. 2015 erhielt das Technische Museum in der kroatischen Hauptstadt Zagreb, das schon seit einigen Jahrzehnten existierte, den offiziellen Namen „Technisches Museum Nikola Tesla“.

Als in Kroatien zu Beginn des Jahres 2023 der Euro neu eingeführt wurde, kam es zu einer Verstimmung mit Serbien, weil auf den kroatischen Münzen zu 10, 20 und 50 Cent jeweils Nikola Tesla abgebildet wurde. Diese Auswahl war nach einer Befragung der Bevölkerung so zustande gekommen. Die serbische Nationalbank warf nun Kroatien vor, sich durch diese Motivwahl das kulturelle und wissenschaftliche Erbe Serbiens aneignen zu wollen. Kroatische Politiker verwiesen jedoch darauf, dass es eine Entscheidung der kroatischen Bevölkerung gewesen sei. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić kritisierte, dass man das Genie Tesla, das der ganzen Menschheit gehöre, nur auf kleinen Münzen abgebildet habe. Seitdem der Euro offizielles Zahlungsmittel in Kroatien ist, kann man den Erfinder jedenfalls auf der Rückseite der kroatischen Messingmünzen sehen.

In Serbien gibt es zahlreiche Institutionen, die nach Tesla benannt sind, und ebenfalls viele Denkmäler zu seinen Ehren. Sein Geburtstag am 10. Juli gilt in Serbien seit 2010 als „Tag der Wissenschaft in Serbien“. 2014 wurde ein Abkommen zwischen der Serbischen Orthodoxen Kirche und der Regierung geschlossen, wonach die Urne mit Teslas Asche im Eingangsbereich der neuerbauten Kirche des Hl. Sava beigesetzt werden sollte – was nie umgesetzt wurde. Wohl aber finden sich in anderen serbischen Kirchen Fresken, auf denen Tesla wie ein Heiliger dargestellt wird, wenn auch ohne Heiligenschein.

Ganz anders verhält es sich mit der Erinnerung an Tesla in der restlichen Welt. 1960 erfuhr der Erfinder die größte Ehre, die einem Physiker wohl zuteilwerden kann. Es wurde eine Einheit nach ihm benannt, nämlich die für die magnetische Flussdichte. Ein T entspricht 10.000 G (für Gauss).

Streit um Firmennamen Tesla

Außerdem wurde 1946 in der damaligen Tschechoslowakei ein Elektronikunternehmen namens Tesla gegründet, dessen Produkte vor allem im Ostblock wegen ihrer Qualität einen guten Ruf genossen. 2003 wurde die US-Autofirma Tesla gegründet, die auf Elektroautos spezialisiert und unter ihrem Firmenchef Elon Musk weltweit erfolgreich ist. Im ersten Quartal 2023 war ein Tesla das weltweit meistverkaufte Auto. Die Gigafactory Berlin-Brandenburg in der Nähe der Hauptstadt ist der erste Tesla-Produktionsstandort in Europa und soll nach Fertigstellung hunderttausende Model Y und Millionen von Batteriezellen produzieren. Schon 2010 wurde ein Streit mit dem tschechischen Unternehmen Tesla um die Verwendung des Namens beigelegt.

Und was sagte Tesla selbst zur Frage, welcher Nationalität er sich nun zugehörig fühlte? Von ihm sind einige Aussagen bekannt, die nahelegen, dass er sich der Problematik bewusst war und seine serbische Nationalität ebenso geschätzt hat wie seine kroatische Heimat. In einem Telegramm an den kroatischen Politiker Vladko Maček (1879-1964), in dem er sich für dessen Glückwünsche bedankte, schrieb Tesla 1936: „Ich bin gleichermaßen stolz auf meine serbische Abstammung wie auf meine kroatische Heimat. Es leben alle Jugoslawen!“

Auch andere Äußerungen Teslas gehen in diese Richtung. Es scheint, als habe er die Vorstellung gehabt, dass ein jugoslawischer Staat, in dem Serben und Kroaten gleichberechtigt miteinander leben könnten, viele Probleme lösen würde – doch hat es einen solchen Staat nie gegeben. Auf jeden Fall hat Tesla keinen Anlass gegeben, ihn eindeutig nur einer der beiden nationalen Erinnerungskulturen zuzuschreiben.