Die Adria: Teil des Mittelmeeres und europäischer Sehnsuchtsort
Zusammenfassung
Seit der Antike ist die Adria viel mehr als nur ein Nebenmeer des Mittelmeeres. An ihren Ufern siedelten ganz unterschiedliche Völker, über Jahrhunderte hinweg war sie gewissermaßen der Herrschaftsraum Venedigs und wurde darüber hinaus auch zu einem Ort literarischer Verklärung. Der Beitrag geht weit in die Geschichte zurück, schildert aber auch aktuelle Probleme wie z. B. die Folgen der Umweltverschmutzung, die Mensch und Natur an der Adria bedrohen.
I.
Der Adria kann man sich gewiss auf vielerlei Wegen nähern. Poetisch und kenntnisreich hat der große kroatische Schriftsteller Predrag Matvejević der Adria als einem Teil des Mittelmeeres einige seiner schönsten Beobachtungen gewidmet. An einer Stelle bemerkt er, dass wir uns dem Meer stets mit der Erinnerung an das Meer nähern und es nicht nur für uns allein entdecken, es nicht nur mit unseren Augen betrachten, sondern es stets auch mit dem Blick jener sehen, die uns seine Bilder hinterließen, uns seine Geschichte erzählten. Unlängst hat Uwe Rada die Adria einprägsam als einen „Sehnsuchtsort“ beschrieben.1 Kulturgeschichte und Reisebeschreibung fallen in eins, wenn der Autor von Ravenna und Rimini, von Dubrovnik und Split, von Triest und Venedig erzählt und von vielen anderen Orten und Küstenabschnitten an der Adria, die er bereist hat. Es gelingt ihm, die Vielfalt und den kulturellen Reichtum dieses Raumes einzufangen, den im Laufe seiner Geschichte so viele verschiedene Mächte beherrscht haben. Behutsam werden die verschiedenen Schichten der historischen Verwerfungen freigelegt, die diesen Raum seit der Antike geprägt haben. Auch für Predrag Matvejević ist die Adria ein „Meer der intimen Nähe“.
Aus beiden gedankenreichen Büchern lässt sich viel Historisches über die Adria erfahren. In seinem Text über das Mittelmeer evoziert Matvejević, neben vielen anderen treffenden Beobachtungen und Kommentaren zu zahlreichen historischen, philosophischen, literarischen und ästhetischen Werken, die vom Mediterran inspiriert wurden, auch die nuancenreiche Farbpalette der Adria. In den Augen des Schriftstellers verleihen die verschiedenen Winde dem Meer seine Farben: von den grüngrauen Tönen bei Südwind und Wellengang, der die Adria manchmal gar wie in leichten Nebel einzuhüllen scheint, bis zu den vorherrschenden strahlenden Blautönen. Ist es tatsächlich der Nordwind, der die Adria an bestimmten Sonnentagen so glasklar und durchsichtig erscheinen lässt? Steigern starke Winde aus den Bergen noch die Klarheit des Wassers? Wer jemals auf dem Wasser der Adria an einem jener gleißend hellen Sonnentage war, nachdem sich die stürmischen Fallwinde aus dem Norden gelegt haben, weiß, dass manchmal Blicke in erstaunliche Tiefen, ja bis auf den Meeresgrund möglich sind. An solchen Tagen, an denen das Meer besonders klar und durchsichtig ist und uns seine Tiefe enthüllt, schreibt Matvejević, kann man da und dort die Umrisse seltsamer Gegenstände wie Wracks und Ruinen ausmachen. Dabei können wir uns leicht vorstellen, dass wir eine versunkene Galeere mit all ihren Schätzen entdecken, einen alten Palast oder die Reste einer antiken Stadt. Diese ungenauen Umrisse lassen sich mit Erinnerungen vergleichen, die Wracks mit der Geschichte, die Ruinen mit dem Schicksal.2
Von seinen vielen Beobachtungen sei noch die zum Nachdenken herausfordernde herausgegriffen, dass niemand alle Völker entlang der mediterranen Küsten kenne, genauso wenig wie diese sich selbst, und dass es „schwieriger als alles andere“ sei, „von den Bewohnern der Küste zu sprechen“. Matvejević zählt vergangene und heutige Küstenbewohner des Mittelmeeres auf, die, wie er formuliert, ihr Leben mit einer fast blinden Leidenschaft der Lösung der „großen Rätsel des Mediterran“ gewidmet haben. Er nennt Phönizier, Punier, Etrusker, Ägypter, Illyrer, Thraker, Albaner, Malteser, Kelten, Kelto-Iberer, Veneter, Liburner, Basken, Walachen, nicht zu vergessen die Südslawen und da besonders die Kroaten und Dalmatiner, deren Beziehung zur Adria nun schon mehr als eineinhalb Jahrtausende währt. Viele haben in der Vergangenheit die Adria befahren, viele lebten und leben an ihr und von ihr. Was für die Küsten des Mittelmeeres allgemein gilt, gilt, so scheint mir, auch für die Küsten der Adria. Auch hier scheint es „schwieriger als alles andere,“ von den Küstenbewohnern zu sprechen; so wollen wir uns hier tunlichst darauf beschränken, neben historischen Reminiszenzen und Betrachtungen nur einige Gedanken zum aktuellen Zustand der Adria zu formulieren.
II.
Die klaren prosaischen Fakten, die dieses Meer beschreiben, sind schnell und ohne Schwierigkeiten erzählt. Das Adriatische Meer, kurz auch die Adria (auf lateinisch Mare Adriaticum; italienisch Mare Adriatico; in den südslawischen Sprachen Jadransko more bzw. morje oder auch nur Jadran genannt, albanisch Deti Adriatik oder Adriatiku), wird auf den Seiten des populären Internet-Lexikons Wikipedia3 knapp und sachlich als das lang gestreckte nördliche Seitenbecken des Mittelmeeres zwischen Appenin- und Balkanhalbinsel definiert. In anderen Lexika finden wir Informationen wie die, dass es sich um ein Meer handelt, das von Nordwest bis Südost 820 bzw. nach anderer Rechnung 783 km lang und durchschnittlich 220 bzw. wieder nach anderer Messung 248,3 km breit ist. Die Länge seiner Küsten wird mit 7.867 km angegeben. Das Meer bedeckt eine Fläche von 138.595 Quadratkilometern. Hauptsächlich vor seiner Ostküste werden 66 bewohnte und 659 unbewohnte Inseln gezählt, dazu 426 Archipele und 82 Riffe. Das Nordbecken der Adria ist nur zwischen 40 und 200 Meter tief, wohingegen der südliche Teil bedeutend tiefer ist und zwischen dem albanischen Durrës und dem italienischen Bari mit 1.260 Metern sowie bei der kroatischen Insel Jabuka im „Adriatischen vulkanischen Dreieck“, dem die drei Inseln Brusnik, Jabuka und Svetac angehören, mit 1.400 m seine größte Tiefe erreicht. Den südlichen Abschluss des Meeres bildet die Straße von Otranto, wo der Abstand zwischen Italien und Albanien nur 71 km beträgt.
Dem deutschsprachigen Raum ist die Adria nicht nur geographisch nahe. Viele Deutsche und Österreicher haben ihre Küsten bereist und dort Städte, Strände oder auch die eine oder andere Insel kennengelernt. Einfach ist es heute, in den digitalen Weiten des Internet Bilder der Adria zu finden. Die Satellitenaufnahme macht auf den ersten Blick deutlich, dass es sich bei diesem Meer um einen Seitenarm des Mittelmeeres handelt.
Blick aus dem Weltraum auf die Adria (Ausschnitt aus der Blue Marble-Karte der NASA)4
III.
Seit der Spätantike trägt die Adria ihren heutigen Namen. Namensgeber war die einstige Hafenstadt Atria der Veneter und Etrusker, die in vorrömischer Zeit der wichtigste Handelsplatz für den Austausch mit den Kolonien der Griechen an den Küsten war. Die dem Meer den Namen gebende Stadt Adria selbst liegt heute 25 km weit im Landesinneren, im Norden des Po-Deltas in der italienischen Provinz Rovigo.
Die griechischen Geschichtsschreiber Pseudo-Skylax, Eratosthenes und Ptolemäus verwandten die Bezeichnung Adriatike Thalassa für die Adria. Herodot erwähnt den Namen Adria als erster, Strabo nutzt ihn dann in der heutigen Ausdehnung, wo die Straße von Otranto die Grenze der Adria zum Ionischen Meer markiert. Der französische Historiker Fernand Braudel hat die Adria seinerzeit in seinem berühmten Buch über das Mittelmeer und die mediterrane Welt zur Zeit Philipps II. aus dem Jahre 1949 als das Meer bezeichnet, das von allen Meeren des Südens am ehesten eine Einheit bilde. Der Blick auf obige Karte macht klar, warum das ist. Auf historischen Karten finden wir unterschiedliche Bezeichnungen für das Meer. Auf der Karte des venezianischen Kartographen und Enzyklopädisten Vincenzo Coronelli aus dem Jahr 1688 wird es bezeichnet als „Golf von Venedig einst Adria genannt“ (Golfo di Venezia olim Adriaticum). Knapp 100 Jahre später hat sich dann aber doch wieder der bereits in der Antike gebräuchliche Name „Adriatisches Meer“ durchgesetzt.
Gleich die ganze Adria als „Golf von Venedig“ zu bezeichnen, sollte den Anspruch der Lagunenstadt deutlich machen. Noch heute kann man sich die nun als „event“5 angekündigte Zeremonie in Venedig als Touristenattraktion ansehen, die auf Italienisch Cerimonia dello Sposalizio del Mare (Zeremonie der Vermählung mit dem Meer) heißt. Bei dem, was heute nachgespielt wird, handelt es sich um die historische staatliche Feier der ehemaligen Handelsgroßmacht an der Adria, der Repubik Venedig. Höhepunkt der prächtigen Zeremonie, auch Festa della Sensa genannt, war der Moment, wenn der Doge an Bord des Schiffes Bucintoro die Insel S. Elena auf der Höhe von San Pietro di Castello erreichte. Dort erwartete ihn, auf einem Schiff mit goldener Reling, bereits der Bischof, um ihn zu segnen. Der Doge besiegelte dann jedes Jahr aufs Neue den Anspruch Venedigs auf die Adria mit dem symbolischen Brauch, einen goldenen Ring ins Meer zu werfen.
Aufbruch der Schiffsprozession vom Bacino di San Marco, rechts im Hintergrund der Bucintoro (Canaletto, um 1732)6
Die Republik Venedig war zweifelsohne ein Adria- und „Meeresstaat“ (stato da mar). Als durch Reise- und Pilgerberichte Kunde von dieser jährlich stattfindenden Feier in die Gebiete nördlich der Alpen drang, wurde die Zeremonie seit dem 16. Jahrhundert als „Vermählung des Dogen mit dem Meer“ bekannt. Auf zahlreichen farbenprächtigen Bildern haben nicht nur venezianische Maler dieses Ritual verewigt, das den Herrschaftsanspruch Venedigs auf die Adria symbolisierte. Historisch gesehen sollte das Fest wohl auch an zwei Ereignisse erinnern, zum einen an den Sieg des Dogen Pietro II. Orseolo über die, wie sie in venezianischen Quellen mit unverhohlener Geringschätzung und Feindseligkeit bezeichnet wurden, dalmatinisch-kroatischen „Piraten“, die an der östlichen Adriaküste ansässig waren, wie auch an den zwischen Papst Alexander III. und Kaiser Friedrich Barbarossa 1177 in Venedig geschlossenen Frieden unter der Zeugenschaft des Dogen Sebastiano Ziani. Spätestens seit dem Jahr dieses Friedensschlusses ist auch der Satz belegt, den bei der Zeremonie der Doge zu sprechen hatte, was heute dem Bürgermeister von Venedig obliegt: Desponsamus te, mare, in signum veri perpetuique dominii („Wir heiraten dich, Meer, zum Zeichen unserer wahren und beständigen Herrschaft“).
Der Historiker Johannes Fried hat den von Venedig systematisch betriebenen und geschickt inszenierten und propagandistisch verbreiteten Herrschaftsanspruch als „Implantierung von Erinnerung“ beschrieben. Die Zeremonie selbst ist überzeugend analysiert worden im Zusammenhang mit der Herausbildung oder auch der Herstellung mentaler oder kognitiver Karten, auf denen Venedig als Beherrscherin der Adria eingezeichnet war. So genannte „mental maps“ prägten und prägen die Wahrnehmung. Sie stellen auch ein probates Mittel dar, um Geschichtspolitik zu betreiben. Den Venezianern war die Wichtigkeit des Meeres wohl bewusst. Karl-Hartmann Necker beginnt das erste Kapitel seiner Darstellung eines der berühmtesten venezianischen Dogen, Enrico Dandolo, mit dem Satz: „Von Anbeginn ergiebige und niemals versiegende Quelle der Kraft Venedigs und Grundlage seines späteren Aufstieges zur Großmacht im Mittelalter, zu Wohlstandsgewinn und schließlich unermesslichem Reichtum war das Meer, das sicherlich zunächst und in erster Linie die entscheidende Nahrungsquelle darstellte. Späthin bot es die Chance, mit Hilfe der Seefahrt Handel über weite Seestrecken zu betreiben.“7
IV.
Mag der Reichtum Venedigs, das den offiziellen Staatstitel La Serenissima Repubblica di San Marco („Die allerdurchlauchteste Republik des Heiligen Markus“) führte, zu den Glanzzeiten der Republik in den Augen vieler Zeitzeugen auch „unermesslich“ gewesen sein, das Meer, die Adria, war und ist es nicht. Sie wurde in den letzen Jahrhunderten nicht nur immer wieder vermessen und in vielerlei Hinsicht erforscht, sondern ist heute aufgrund des betriebenen Raubbaus, wegen Überfischung und Verschmutzung als Meer, welches eine große Biodiversität auszeichnete, akut ökologisch bedroht. Als kleiner Seitenarm des Mittelmeeres, dessen Buchten und Strände heute als Reiseziele so beliebt sind, wie sie in der Vergangenheit als strategisch wichtige Häfen und Seerouten umkämpft waren, ist die Adria heute als Lebensraum für die Pflanzen und Tiere in ihr wie für die Menschen an ihren Küsten in akuter Gefahr. Geht die Entwicklung so weiter wie in den letzten Jahrzehnten, dann werden die in Nachschlagewerken aufgeführten geomorphologischen und biologischen Daten bald ebenso historisch anmuten wie die wechselhafte Geschichte dieses Raums, der stets ein Begegnungsfeld von Ost und West, Orient und Okzident war.
Die Beschaffenheit des Adriatischen Meeres ist gut bekannt, und nicht nur in jedem der heutigen sechs Anrainerstaaten der Adria (Italien, Slowenien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro und Albanien) gibt es verschiedene wissenschaftliche Einrichtungen, die sich mit den unterschiedlichsten Aspekten im Zusammenhang mit der Adria befassen. In der Enzyklopädie Jugoslawiens, des Staates, der über mehrere Jahrzehnte im 20. Jahrhundert bis auf den italienischen und kleinen albanischen Küstenabschnitt den allergrößten Teil der Ostküste der Adria umfasste, ist der Eintrag „Jadransko more“ (Das Adriatische Meer) mehr als 40 Seiten lang.8 Doch wie viele der Informationen, die dort zu finden sind über die atemberaubende biologische Vielfalt dieses Meeres, sind überhaupt noch aktuell? Was hat die Herrschaft unserer Epoche über das Meer aus der Adria gemacht, welche nun ungezählte Tanker, Kreuzfahrtschiffe und sonstige Boote befahren?
Die Zeiten, als der geflügelte Löwe der Markusrepublik Venedig die Adria dominierte, sind lange vorbei, ebenso wie die Zeit der Herrschaft des habsburgischen Doppeladlers, die im 19. Jahrhundert folgte, bevor sich dann die modernen Nationalstaaten durchsetzten. Doch in keinem Jahrhundert zuvor war die Herrschaft über die Adria eine so totale wie heute in Zeiten des Massentourismus und der modernen Industriebetriebe an ihren Ufern bzw. im Einzugsgebiet der Flüsse, die sich in die Adria ergießen und deren Abwässer allesamt in der Adria landen. Überträgt man die oben geschilderte venezianische Zeremonie und ihren Herrschaftsanspruch auf die Art und Weise, wie heute mit der Adria umgegangen wird, dann kann einem schon das Gesetz in den Sinn kommen, das in Deutschland seit dem Jahr 1997 Vergewaltigung auch in der Ehe zur Straftat machte, und man wünschte sich ein solches Gesetz auch zum Schutz der Adria. Findet die „Vermählung mit dem Meer“ heute nicht tagtäglich statt durch die Einleitung tausender Tonnen ungeklärter Abwässer und Giftstoffe von Land, durch Schiffe und durch industriell betriebene Überfischung? Falls dies nicht baldmöglichst erheblich reduziert wird und falls die Initiativen fehlschlagen, welche danach streben, die Adria zu einem besonders sensiblen Seegebiet zu erklären, dann steht der Adria gewiss keine gute Zukunft bevor.
Auch deutsche Medien berichteten schon über Buchten an der südlichen Adria, die von Massen von Plastikmüll, Tierkadavern und Unrat bedeckt waren, der in den letzten Jahren regelmäßig nach den Winterstürmen an den Stränden und Klippen der südlichen Adria anlandete. Kommunale Dienste und freiwillige Umweltschützer aus ganz Kroatien klauben zwar alljährlich vor dem Beginn der Touristensaison hunderte Tonnen an Abfall zusammen, der dann auf Deponien landet, aber eine wirkungsvolle Eindämmung der Müllplage ist nicht in Sicht. Die zunehmenden Mengen von Müll, von medizinischem Abfall, Hausmüll oder kommunalem Müll, die alljährlich angeschwemmt werden, stellen nur die Spitze des Berges von Unrat dar, der jeden Tag in der Adria landet. Es wird davon ausgegangen, dass nur neun Prozent des Abfalls sichtbar an der Oberfläche treiben.9 Es braucht mehr als Hoffnung, dass sich nicht die Überschrift aus dem Artikel in der „ZEIT“ vom Juli 1990 bewahrheitet, in dem seinerzeit über die Plage des „grünlichgelb glibbernde(n) Algenschleims auf den sanften Wellen des flachen Meeres“ berichtet wurde, der in jenem Jahr zum ersten Mal auf dem Meer vor Rimini und Riccione, vor Cervia und Cattolica auftauchte (wobei sich dieses durch den Menschen verursachte Phänomen der Algenwucherung in der Adria später an verschiedenen Stellen wiederholte). Die Überschrift lautete damals „Das Meer ist tot, es lebe das Mehr“.10
Ebenso stellt die geplante Ausweitung der Öl- und Gasförderung in der Adria ein hohes Risiko dar, wie Umweltinitiativen warnen. Aktivisten in ganz Europa wehren sich dagegen, dass nun auch in der kroatischen Adria großflächig Öl gefördert werden soll. Der Mindestabstand von Plattformen zur Küste wurde in Kroatien auf gerade einmal 10 km bzw. auf 6 km von der Außenlinie der Inseln festgelegt. Es wird darauf hingewiesen, dass eine Katastrophe wie 2010 im Golf von Mexiko, der zwölfmal größer ist als die Adria, das Ökosystem der relativ kleinen umschlossenen Adria zerstören würde. Eine Ölpest hätte schlimme wirtschaftliche Folgen nicht nur in Kroatien, sondern auch in Italien, Slowenien, Montenegro und gegebenenfalls auch in anderen Anrainerstaaten des Mittelmeeres.11 In die Adriahäfen in Italien (Triest, Venedig, Chioggia, Ravenna, Ancona, Pescara, Ortona, Bari, Brindisi), Slowenien (Koper), Kroatien (Pula, Rijeka, Ploče, Zadar, Split, Dubrovnik), Bosnien und Herzegowina (Neum), Montenegro (Kotor, Bar) und Albanien (Vlora, Durrës) laufen jährlich wohl an die zehntausend Kreuzfahrtschiffe, Tanker und Yachten ein. Es wird von mehr als 70 Millionen Tonnen Rohöl ausgegangen, das jährlich in Tankern über die Adria transportiert wird. Mehr als 10 Millionen Tonnen Ballastwasser aus anderen Meeren wird aus den Tankern jährlich in die Adria gepumpt. Von Ölteppichen wird berichtet, die auf dem offenen Meer schwimmen, die jetzt schon die Größe von Inseln haben.
Mit dem Ballastwasser ist auch die Algenart Caulerpa taxifolia in die Adria gekommen und heimisch geworden, die dort, wo sie sich ansiedelt, alles übrige Leben im Meer erstickt. Werden es die von der EU angestoßenen Konventionen zum Schutz des Mittelmeeres (wie z. B. die 1976 in Barcelona beschlossene) und die Aktionen gegen den immer mehr zunehmenden Plastikmüll schaffen, eine Änderung herbeizuführen? Mittlerweile hat das Bewusstsein auch über die Gefahren zugenommen, die von der mit dem bloßen Auge nicht sichtbaren Mikroplastik drohen, die kleiner als 5 mm ist und zunehmend in die Nahrungskette gelangt. Die Zeit wird erweisen, ob sich die unheilvolle Entwicklung, die das bestehende Ökosystem Adria unwiderruflich zu zerstören droht, noch wird aufhalten lassen.
In der kroatischen Stadt Split an der Adria war 2018 die 31. Kunstausstellung „Adria Art Annale“ dem Thema „Müll“ gewidmet. Künstler aus der Region haben mittels zahlreicher Kunstwerke und Erklärungen darauf hingewiesen, dass der Müll ihrer Meinung nach in diesem Augenblick im wörtlichen wie übertragenen Sinne das aktuellste Problem der Menschheit darstellt. Die Medien übermittelten die Worte des Künstlers Antej Jelenić aus Split: „Der Müll ist proportional zur Konzentration der Macht. Alle Lebewesen, die im Sinne der Politik als 'überflüssig' und 'unwichtig' erklärt werden, alles was ruhiggestellt und getötet wurde, kehrt als Müll-Tsunami zurück und organisiert sich selbst zu einem schwimmenden stinkenden Kontinent, der in die Gehirnwindungen eindringt wie intelligente Mikroplastik. Müll ist das neue Medium, die Forensik des Mülls wird zur Wissenschaft der getöteten Ideen, die es ablehnen zu sterben. Christus ist Müll, der Kommunismus ist Müll, der Liberalismus ist Müll, die Techno-Wissenschaft wird langsam zu Müll, unsere Träume sind schon lange zu Müll geworden. Der Müll ist das, was die Menschen einigen und was alle Grenzen auflösen wird.“12
Die Adria (abgeleitet von der in der Antike bedeutenden Siedlung Atria/Adria) oder das „Adriatische Meer“ (lateinisch „Mare Adriaticum“, italienisch „Mare Adriatico“, in den südslawischen Sprachen „Jadransko more“ bzw. „morje“ oder kurz „Jadran“) ist ca. 800 km lang (von Nordwest nach Südost) und durchschnittlich ca. 240 km breit; sie umfasst eine Fläche von knapp 140.000 km². Zahlreiche Inseln liegen vor allem an Ost- und Südostküste. Beherrscherin der Adria war über Jahrhunderte Venedig (daher auch die Bezeichnung „Golf von Venedig“). Die Adria und ihre Anrainerstaaten bilden heute eine touristische Kernregion in Südosteuropa, der allerdings durch Umweltverschmutzung Gefahr droht.
Die Redaktion
Fußnoten:
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Uwe Rada: Die Adria. Wiederentdeckung eines Sehnsuchtsortes. München 2014. ↩︎
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Predrag Matvejević: Der Mediterran. Raum und Zeit. Vorwort von Claudio Magris. Aus dem Kroatischen übersetzt von Katja Sturm-Schnabl. Zürich 1993, hier S. 42, 59, 62, 109 und 141. ↩︎
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Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Bm_adria.jpg ↩︎
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https://events.veneziaunica.it/it/festa-sensa-venezia-2018 (letzter Zugriff: 22.01.2019) ↩︎
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Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Festa_della_Sensa#/media/File:Canaletto,_The_Bucintoro_at_the_Molo_on_Ascension_Day,_c._1732.jpg. – Das Ölgemälde befindet sich heute im Buckingham Palace in London. ↩︎
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Karl-Hartmann Necker: Dandolo. Venedigs kühnster Doge. Wien/Köln/ Weimar 1999, S. 17. ↩︎
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Vgl. Enciklopedija Jugoslavije. Bd. 5: Hrv-Janj. Jugoslavenski leksikografski zavod „Miroslav Krleža“. 2. Aufl. Zagreb 1988, S. 705-746. ↩︎
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https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.plastikabfall-an-er-kroatischen-kueste-muell-aus-dem-meer.d394c896-7bab-446a-8082-c95478e5b9f3.html (letzter Zugriff:22.01.2019) ↩︎
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https://www.zeit.de/1990/30/das-meer-ist-tot-es-lebe-das-mehr/komplettansicht (letzter Zugriff: 22.01.2019) ↩︎
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https://www.delphinschutz.org/projekte/kroatien/oel-und-gasfoerderung/ (letzter Zugriff: 22.01.2019) ↩︎
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Vgl. Provokativan koncept. Adria Art Annale u znaku smeća. In: Slobodna Dalmacija. 22.11.2018, S. 25. ↩︎