Gespräch mit Tomáš Halík
Herr Professor Halík, wie haben Sie die Wende vor zwanzig Jahren persönlich erlebt, welche Gefühle beherrschten Sie damals?
In den Novembertagen 1989 war ich zur Heiligsprechung der Agnes von Prag in Rom. Das war das zweite Mal in zwanzig Jahren, dass ich eine Gelegenheit hatte, in den Westen zu fahren. Ein paar Tage vorher, am 7. oder 8. November, hatte ich im Vatikan meine erste persönliche Begegnung mit Papst Johannes Paul II. Während eines privaten Abendessens ergab sich die Gelegenheit, ihm die ganze Geschichte über die Untergrundkirche und die im Geheimen geweihten Priester zu erzählen. Das war genau einen Tag vor dem Fall der Berliner Mauer. Der Papst kam auch auf die Fernsehnachrichten zu sprechen und sagte, dies sei das Ende des Kommunismus. Ich sagte, dass ich das nicht glaube und dass es bei uns vielleicht eine Perestroika geben würde, vielleicht für fünf Jahre, und dass dann vielleicht noch etwas geschehen könnte. Der Papst widersprach mir. Er sagte, ich sollte mich vielmehr darauf vorbereiten, dass ich sehr bald frei sein würde.
Einen Tag nach der Kanonisation (12. November) war ich bei einer Generalaudienz in der Aula des Vatikans, an der 11.000 Wallfahrer aus der Tschechoslowakei und auch aus dem Exil teilnahmen. Dort habe ich eine halbe Stunde vor der Ankunft des Papstes eine Rede über die Situation und Bedeutung der Heiligsprechung und über die Zukunft der Kirche gehalten. Ich habe darin gesagt, dass es eine Prophezeiung aus der Barockzeit gibt, die besagt, dass ab dem Zeitpunkt der Kanonisation von Agnes gute Zeiten für die Kirche kommen würden. Die anwesende tschechoslowakische Regierungsdelegation war sehr wütend, aber die Menschen spendeten großen Applaus. Ich blieb dann noch ein paar Tage in Rom. Währenddessen habe ich erfahren, dass es am 17. November in Prag eine Demonstration geben würde. Am 19. November flog ich abends von Rom nach Prag zurück in Begleitung von Kardinal Tomášek. Wir reisten mit einem tschechoslowakischen Flugzeug und konnten deswegen tschechische Zeitungen bekommen. Dort war zu lesen, dass es in Prag einen Generalstreik und Studentenunruhen gebe. Im Flugzeug war auch der italienische Botschafter in Prag. Er sagte zum Kardinal: „Eminenz, das ist eine Revolution!“ In Prag wurde ich von meinen Studenten-Freunden erwartet, die bei diesen Demonstrationen schon aktiv waren und die mir alles erzählten. In der Nacht formulierten wir eine Erklärung der Katholiken zu dieser Situation, und am nächsten Tag war ich selber schon in der Bewegung mit aktiv und ging täglich zu den Demonstrationen. Ich wurde zu den Studentenstreiks eingeladen, die an den verschiedenen Fakultäten stattfanden. Die intellektuellen Dissidenten durften damals keine Vorlesungen an der Universität halten. Ich habe dort über Religion gesprochen. Es herrschte eine große Sympathie für die Rolle der Kirche und für den Papst. Viele Bekehrungen von Studierenden hatten ihren Ursprung in diesen dramatischen Tagen. So habe ich diese Tage erlebt.
Anschließend war ich bei Kardinal Tomášek, weil ich zu seinem offiziellen Beraterkreis gehörte. Dort bereitete ich einen Predigttext und eine Rede zur Rosenmesse vor – als Danksagung für die Kanonisation der Heiligen Agnes.
So wurde wieder einmal deutlich, dass die pure Existenz der Kirche, die Anwesenheit der Religion, an sich schon ein Politikum ist.
Ja! – Nach einer Woche feierten wir eine große Messe in der St.-Veits-Kathedrale. Diese Messe wurde in der Tschechoslowakei erstmals im Fernsehen übertragen. Für den Kardinal hatte ich die Predigt vorbereitet, in der er die historischen Worte sagte: „In dieser Stunde der Geschichte stehe ich und steht die ganze katholische Kirche auf der Seite der Freiheit und der Nation.“ Als ich dies hörte, war ich tief erschüttert. Als nach der Messe Tausende von Menschen aus der Kathedrale auf den Wenzelsplatz kamen und Václav Havel gesprochen hat und danach Václav Maly eine bewegende Rede hielt, die er mit dem Vaterunser abschloss – das war wirklich ein historisches Ereignis.
Wie war denn die Situation für Sie vor der Wende? Können Sie das aus Ihrer persönlichen Erfahrung schildern? Sie haben vorhin gesagt, dass Sie im Untergrund zum Priester geweiht worden sind. Sie haben also schon gewusst und erfahren, was es heißt, anders zu leben. Wie hat sich die Situation für Sie dargestellt?
Oh ja, das war sehr schwierig! Ich studierte Philosophie und Soziologie bei Jan Patočka, er war einer der ersten Sprecher der Charta 77, der mich intellektuell und auch moralisch sehr beeinflusst hat. Im Jahre 1978, am Vortag der Amtseinführung von Papst Johannes Paul II., wurde ich in der DDR, in Erfurt, von Bischof Hugo Aufderbeck geheim geweiht. Mein Zivilberuf war die Arbeit als Psychotherapeut mit Drogensüchtigen und Alkoholikern in Prag. Selbst meine Mutter wusste nicht, dass ich Priester war. Nur ein kleiner Kreis um Kardinal Tomášek wusste davon. Für ihn entwarf ich Reden, bereitete öffentliche Briefe an die Regierung und anderes vor. Sein Vertrauen zu einem Mann, der 50 Jahre jünger als er war, war unglaublich.
Wir hatten damals – als es in Russland schon die Perestroika gab – eine Ahnung, dass auch bei uns etwas kommen musste. Aber natürlich wussten wir nicht, dass es so bald und so radikal geschehen würde. Unser Wunsch war, dass dies nicht nur eine Änderung der ökonomischen und politischen Strukturen bedeuten würde, sondern dass Demokratie und ein Leben in Freiheit ihre Voraussetzungen in einem moralischen Klima haben sollten. Ich habe im Untergrund ein Programm geschrieben und veröffentlicht. Es war wie ein Laboratorium eines alternativen Lebensstils für das kommende Millennium des Heiligen Adalbert von Prag. Ich habe darin geschrieben, wir müssten mit allen anderen Menschen eine Koalition der Menschen guten Willens bilden, auch im Sinne der Ökumene mit den anderen Christen. Aber auch mit den Menschen, die nicht gläubig sind, aber dennoch eine Verantwortung für die moralische Gesundheit und Genesung der Gesellschaft empfinden.
Wenn wir das Millennium des Heiligen Adalbert – er war einer der ersten tschechischen Europäer! ¬– feiern, so meinte ich, dann sollten wir auch unsere europäischen Wurzeln feiern. Die Person und das Werk Adalberts wurde jedoch, um es ehrlich zu sagen, in der damaligen Gesellschaft nicht akzeptiert. Ich war der Auffassung, wir müssten uns alle zu einem Geist der Demut und Buße bekehren, dürften auf keinen Fall triumphalistisch sein. Das ganze Volk braucht Demut und Buße, auch die Kirche. Die Kirche kann nur dann zur Genesung der Gesellschaft beitragen, wenn sie sich selbst moralisch erneuert. Im Rahmen einer kritischen Selbstreflexion, so schrieb ich, sollten wir bereit sein, für die Zukunft eine grundlegende Veränderung von Kirche und Gesellschaft in Angriff zu nehmen.
Ich erlebe heute oft in den Ländern und Gesellschaften, in denen bis vor zwanzig Jahren der Kommunismus geherrscht hat, eine gewisse Enttäuschung darüber, dass das, was man sich damals erhofft hat, was in den ersten Jahren – auch kirchlich und religiös – aufgebrochen ist, sich nicht entfaltet hat und wieder in sich zusammengefallen ist. Teilen Sie diese Enttäuschung?
Ja, teilweise schon! Ich muss eingestehen, dass ich die Möglichkeiten der Kirche überschätzt habe. Ich bewegte mich damals in einem engen Kreis von Menschen, die eine große Lebenserfahrung und teilweise viele Jahre im Gefängnis verbracht hatten. Sie waren immer intellektuell tätig und in einem Austausch mit den Besten, sie hatten Zugriff auf die neueste Literatur, sie trugen den Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils in sich. Ich hatte die Vorstellung, dass der Klerus und die Kirche so auszusehen hätten. Aber nach der Wende war es für mich eine Überraschung, dass der durchschnittliche Klerus durch den Kommunismus ziemlich zerstört war und sehr viele Priester distanziert von der Entwicklung der Theologie, Kultur und Philosophie waren, sozusagen in einem Mikroklima, und nur in der Liturgie lebten.
Praktizierende Katholiken waren bei uns immer in der Minderheit. Aber in jenen Jahren waren sie wegen verschiedener mutiger Tätigkeiten der Kirche Gegenstand großer Sympathie und großer Erwartungen. Kardinal Tomášek war in den letzten Jahren des Kommunismus wirklich ein Symbol für einen geistlichen Widerstand, auch für die Nichtgläubigen und Dissidenten. Die Kirche war praktisch die einzige Alternative zum Kommunismus. Für viele Leute, für die jungen Intellektuellen, die Studenten, die Künstler war die Kirche eine Art „Insel der geistigen Freiheit“ und ein Signal der Hoffnung. Es gab viele Kreise von Sympathisanten mit der Kirche. Bis heute ist mein Hauptakzent, mit diesen Sympathisanten zu arbeiten und auch diesen Leuten etwas anzubieten. Die Kirche muss offene Arme haben auch für Menschen, die sich nicht hundertprozentig mit ihr identifizieren wollen oder können.
Welche Rolle spielt die Kirche heute?
Teils, teils. Meine persönlichen Erfahrungen im Präsidium der Tschechischen Christlichen Akademie sind gut. Die Akademie hat jetzt in 72 Städten Zweigstellen und strahlt auch auf die nichtkirchliche Umgebung aus. Dann habe ich hier in Prag die akademische Pfarrei, die wirklich immer voll ist. Ich habe jedes Jahr mehr und mehr Katechumenen, Menschen also, die sich sozusagen um den Eintritt in die Kirche bewerben. Dieses Jahr sind es 60, und das bei zwei Jahren Vorbereitungszeit. Auch meine Bücher sind überregional verbreitet und erscheinen sogar in nichtkirchlichen Verlagen. In den letzten sieben Jahren ist jedes meiner sieben Bücher in über 30.000 Exemplaren verkauft worden.
Sie setzen also mehr auf die persönliche Vermittlung als auf die institutionelle Konfrontation?
Ja. Es muss einen Dialog mit den Menschen geben. Eine monologische Evangelisierung ist und bleibt wirkungslos. Die Leute sind seit der Zeit des Kommunismus allergisch gegen ideologische Indoktrination. Und wenn dann diese aggressive Evangelisation im amerikanischen Stil kommt, verschließen sich die Menschen völlig.
Glauben Sie – um die Zeit vor und nach der Wende in einer Frage zusammenzufassen –, dass der real existierende Kapitalismus, manche nennen ihn auch Turbo-Kapitalismus, so wie wir ihn gegenwärtig gerade wieder einmal in den „schönsten“ Ausprägungen erleben, die Alternative ist, die sich die Menschen im ehemals kommunistischen Machtbereich gewünscht oder ersehnt haben?
Sicher nicht! Ich meine, dass viele Leute – vielleicht sogar die Mehrheit – nicht die Erwartung hatten, dass der Kommunismus und der ganze Sozialismus sobald enden würden. Es gab so etwas, was ich einen geheimen Pakt zwischen der Bevölkerung und der kommunistischen Regierung nenne: Wenn die Mehrheit der Leute aktiv wird, dann wird die kommunistische Regierung viel tolerieren. Dieser geheime Pakt zwischen dem Volk und der Regierung war das Geheimnis des Überlebens während des Kommunismus. Niemand wusste, dass das so bald enden würde, und in der Perestroika-Zeit hatten viele vielleicht die Erwartung, dass etwas wie 1968 wieder kommt: ein Sozialismus der menschlichen Art, mehr Demokratie und vielleicht ein bisschen Liberalisierung in der Ökonomie. Aber niemand hat noch in den Novembertagen 1989 gedacht, dass sich alles ändern würde. Die große Mehrheit erwartete einen reformierten Sozialismus. Aber dann kam gleich die radikale Wende, und die Mehrheit der Leute war darauf nicht vorbereitet. Dazu kam noch etwas, das bis heute ein Problem darstellt: Die letzten Kommunisten waren die ersten Kapitalisten. Es gab eine Elite des politischen Regimes und Leute, die mit der Geheimpolizei, den ökonomischen Subjekten und dem totalitären System paktierten. Diese hatten Kapital und Informationen. Sie wurden dann die ersten Kapitalisten und hatten ein Talent für das Geschäft. In der kommunistischen Zeit hatten sie keine Möglichkeit, dies auszuleben, und bewegten sich deshalb auf dem schwarzen Markt. Sie sind sehr talentiert für das Geschäftemachen, haben aber keinerlei Sinn für die Rechtskultur.
In jenen Jahren hat der Wiener Kardinal König einen bemerkenswerten Satz gesagt, den ich bis heute nicht vergessen habe: „Der staatlich verordnete Kapitalismus des Ostens ist eine ebenso große Bedrohung für den Glauben und die Kirche wie der praktizierte Materialismus des Westens“. Darin liegt ein Grundproblem verborgen: Der Materialismus verträgt sich nicht mit dem Christentum. Es ging im Übrigen alles auch viel zu schnell, der Wechsel ließ keine Zeit, war zu rasant.
Ja, genau.
Wenn Sie heute auf das Ganze zurückblicken: Was, glauben Sie, ist denn von dem, was damals vorgegeben wurde, noch nicht geleistet oder was ist sogar vergessen worden zu leisten?
Ich meine, es war ein großes Pech für die Kirche, dass das erwähnte Programm der geistlichen Erneuerung des Volkes und der Nation im Andenken an den Heiligen Adalbert nicht verwirklicht worden ist. Die Kirche hatte damals in einer Zeit, in der alles offen und neu war, in der alle neuen Gruppierungen und Parteien versuchten, eine Konzeption, eine Vision zu entwickeln, auch eine Vision. Dieses Programm – „Zurück nach Europa!“ – war sehr aktuell. Das moralische, geistige und gesellschaftliche Klima als eine Voraussetzung für die Änderungen in den Strukturen, dazu der ökumenische Akzent, der in den Vordergrund des kirchlichen Blickfeldes trat, waren eine große Chance, die die Kirche nicht genutzt hat. Es gab eine ganze Reihe von Wallfahrten und Feierlichkeiten, aber die tiefere Dimension dieses Programms wurde vom Klerus und der Kirche nicht akzeptiert. Ich hatte damals gleich in der Woche nach der Wende eine erste Begegnung mit allen Priestern der Erzdiözese. Dort waren zum ersten Mal auch die im Geheimen wirkenden Priester dabei, dort habe ich zum ersten Mal öffentlich gesagt, dass ich schon seit elf Jahren Priester war.
Ich hatte damals eine Vision, ein Programm mit elf Punkten. Es umfasste unter anderem das Angebot einer Vision für die Zukunft, dann ökumenische Kontakte und Erziehung der Laien und des Klerus. Auch warnte ich davor, die positive Einstellung des Volkes zu überschätzen, weil sie sehr bald umschlagen und sich ins Gegenteil verkehren könnte, wenn sich der alte Klerikalismus wieder zeigte. Und schließlich wies ich besonders auf die Frage des kirchlichen Besitzes als ein „heißes Eisen“ hin. Meine Vorstellung war, dass wir Schritt für Schritt den Dialog mit anderen finden müssten. Das wurde ignoriert. Besonders die Frage des kirchlichen Besitzes war und ist heute so politisiert, dass die Leute bei uns, wenn sie etwas über Kirche, Religion und über Gott hören, als erste Assoziation sofort die Frage des kirchlichen Besitzes damit verbinden.
Wir nehmen in Deutschland in einer breiteren Öffentlichkeit vielfach die Kirche in Tschechien so wahr, als ob es ihr fast nur darum gehe, ihre Besitztümer zurück zu erhalten. Das hängt natürlich auch mit der Struktur der medialen Berichterstattung zusammen.
Eine letzte Frage: Ich begegne immer mehr vor allem jungen Menschen, auch an den Universitäten, die gar nicht mehr wissen, was vor zwanzig Jahren geschehen ist. Was sagen Sie diesen jungen Menschen heute? Worauf kommt es nach Ihrer Meinung und nach Ihrer persönlichen Erfahrung im persönlichen und öffentlichen Leben an?
Ich würde vor zu großem Optimismus und vor überzogenen Visionen warnen. Alles wird anders, als es die Leute erwarten. Die Alternative zu einem naiven Optimismus ist nicht Resignation, Pragmatismus oder Zynismus, sondern Hoffnung. Das schreibe ich auch in meinen Büchern. Es gibt die Anekdote, wonach ein Optimist ein Mann ohne Information ist. Ich sage immer: Die richtige Hoffnung ist auch eine Tugend und vermittelt Stärke, um auch nicht so positive Entwicklungen zu ertragen. Also: nicht nur das Beste zu erwarten, vielmehr auch in schwierigen Lagen durchzuhalten. Ich meine, dass es zum Glauben entscheidend gehört, mit Mut und Hoffnung auch Phasen der Resignation zu akzeptieren. Wir hatten damals, Gott sei Dank, aus der Gnade Gottes heraus die Kraft, auch in einem totalitären System sinnvoll zu leben. Jetzt brauchen wir diese Kraft, um ebenso in der pluralistischen und sehr komplizierten Wirklichkeit zu leben.
Aber wir brauchen eine andere Strategie. Damals war es eine Strategie des totalen Kampfes gegen einen Feind – der war das totalitäre Regime des Kommunismus. Es ist tragisch, dass viele Leute in der Kirche nicht im Stande sind, ohne einen Feind zu leben. Sie haben jetzt dieselbe Strategie gegen den Westen, den Pluralismus, den Liberalismus wie damals gegen den Kommunismus.
Aber heute befinden wir uns in einer ganz anderen Situation. Jetzt brauchen wir nicht nur den Mut zum Kampf, sondern wir brauchen auch Intelligenz zur Unterscheidung der Geister und Kreativität. Nicht um sich gegen einen anderen zu wehren, sondern um einen neuen Partner zu finden, neue Koalitionen zu bilden und unsere Botschaft im dialogischen Stil anzubieten und wahrhaftig zu wirken.
Ich verwende immer ein bestimmtes Bild aus dem Neuen Testament. Als ich vor etwa zehn Jahren in das Tschechische Parlament eingeladen wurde, um in der Vorweihnachtszeit eine Meditation für die Senatoren und Abgeordneten vorzutragen, erzählte ich die Geschichte vom Zöllner Zachäus aus dem 19. Kapitel des Lukasevangeliums. Damals habe ich gesagt, dass nach der Wende, als es der Kirche zum ersten Mal möglich war, auf die Straßen zu gehen, uns viele Menschen zustimmten und applaudierten. Einige waren aber auch gegen uns. Aber die Kirche hat nicht bemerkt, dass die Bäume voller Menschen waren, die Distanz brauchten und sich einen Überblick verschaffen wollten. Sie waren sicher nicht alle einfach „dagegen“, sondern hatten großes Interesse. Einige hatten vielleicht auch ein schlechtes Gewissen und versteckten sich deshalb im Baum. Jesus hat Zachäus beim Namen gerufen und gesagt: „Ich möchte bei Dir in Deinem Haus sein.“ Ich habe damals gesagt, dass ich meine persönliche Berufung darin sehe, nicht nur für die Schafe in der kirchlichen Herde da zu sein, sondern auch alle, die sich wie Zachäus verhalten, beim Namen anzusprechen und in ihre Häuser zu kommen. Meine Bücher sind solche „Zachäusse“, ja, und ich bin auch ein Zachäus!