Jugend in der Ukraine: Der Weg des Glaubens und die „Revolution der Würde“
Zusammenfassung
Paradigmatisch für die Jugend der Ukraine stehen die überwiegend jungen Menschen der Majdan-Proteste, deren Entstehung der Autor als eine Rückbesinnung auf die Kraft des Glaubens deutet. Das Engagement der Christen bei der Gestaltung der Zivilgesellschaft, das im Beitrag am Beispiel der Gemeinschaft „Emmaus“ deutlich wird, trägt dazu bei, dass die Ukraine einer Zukunft sowohl mit Europa als auch mit Russland entgegensehen kann.
Ein Grashalm durch den Asphalt: Das Erwachen des Glaubens und die Menschenwürde in der postatheistischen Gesellschaft
Die Ukraine erlangte 1991 die staatliche Unabhängigkeit. Die ukrainische Jugend ist genau so jung wie ihr Staat. Wie jede postsowjetische Gesellschaft setzt die Ukraine sich mit der Frage nach ihrer eigenen Identität im Verlauf der Geschichte auseinander, mit zwei Ausnahmen: der Sieg über den Nationalismus 1945 und die Überwindung des Kommunismus 1991. Diese Ausnahmen wirkten ebenso auf die Entwicklung des neuzeitlichen Europa. Trotz eines unterschiedlichen Geschichtsverlaufs erlebt die Ukraine den Weg der europäischen Identitätskrise, der mit der Einsicht verbunden ist: Sich abzuwenden allein genügt nicht, um einen guten Anfang sowohl für die Ukraine als auch für Europa zu machen.
Im Laufe der drei Monate der friedlichen Zusammenkünfte auf dem Kiewer Majdan im Winter 2013/14 wurde das Wesen dieses positiven Anfangs offenbar. Es erwies sich als mit der Frage nach dem Ursprung der Menschenwürde verbunden. Jene winterlichen Ereignisse wurden von ihren Teilnehmern als „Revolution der Würde“ bezeichnet. Der überwiegende Teil dieser Akteure waren junge Menschen unter 23 Jahren, die die UdSSR nicht mehr persönlich erlebt hatten, jedoch in Familien hineingeboren wurden und aufwuchsen, die selber in einem atheistischen, bis 1988 den Glauben bekämpfenden Staat erzogen und ausgebildet wurden. Die ukrainische Gesellschaft ist nicht nur eine postsowjetische Gesellschaft, sondern gleichzeitig auch eine postatheistische. Sie kam aus dem Staatsatheismus, ihre 25-jährige Geschichte wurde aber zur Geschichte des Erwachens des Glaubens in all seinen Dimensionen. Auf dem Majdan wurde dieses Erwachen in seiner ganzen Fülle deutlich. Bevor nun diese Glaubenserfahrung, in der die Jugend ihren Weg erkennt, beschrieben wird, lohnt es sich, die Worte eines der wichtigsten orthodoxen Theologen des 20. Jahrhunderts, Antoni Bloom, Bischof der Diözese von Surosch, in Erinnerung zu rufen, Worte über den Zusammenhang zwischen dem Glauben und der tatsächlichen Würde des Menschen nach dem Zweiten Weltkrieg:
„Zwei Gedanken sind nach dem Krieg vielleicht viel deutlicher in den Vordergrund getreten als vorher: die Vorstellung von der Würde des Menschen und seiner Wertschätzung sowohl für die anderen Menschen als auch für Gott, und zugleich jene von der Solidarität unter den Menschen.“
Die Würde des Menschen besteht darin, dass er „ein unwürdiger Sohn sein kann, ein bereuender Sohn. Unter das väterliche Dach kann er zurückkehren, aber immer als ein Sohn. Wie unwürdig der Sohn auch ist, er wird nie zu einem würdigen Knecht. Auf diese Weise schaut Gott auf den Menschen – in der Perspektive von dessen Sohnschaft, die ihm in Jesu Christi Menschwerdung verliehen wurde, die in den Akt der Schöpfung eingelegt ist, die unserer Berufung entspricht, am Göttlichen teilzuhaben (2 Petr 1,4) … Es ist unsere Berufung. Es ist das, was wir werden sollen. Auf etwas Geringeres wird Gott sich nicht einlassen.“
„Wir sollen vor allem mit Christus solidarisch sein, und in Ihm – mit allen Menschen … bis zum vollen Ausmaß des Lebens und Sterbens. Und nur dann, wenn wir das annehmen, können wir alle – jeder von uns und die Gemeinschaft aller Gläubigen, Gottes Volk – in das aufwachen, was in Christus und den Aposteln war, d. h. in eine Gruppe von Menschen, die über eine erhabene Sicht und einen größeren Maßstab verfügen, der größer als die Welt ist, sodass die Kirche von Anfang an alles dieses in sich beinhalten konnte: Sie konnte an allen Existenzbedingungen der Menschen Anteil nehmen und somit die Menschheit zum Heil leiten.“
Diese praktische Theologie der Würde und Solidarität wird in den auf große Krisen folgenden Anfangsphasen intensiviert. Zu dieser Krise wurde für die Ukraine der Abschied vom Atheismus. Dieser sich über 25 Jahre erstreckende Abschied ist mit der Geburt des Landes aus dem Zerfall der Sowjetunion verbunden und prägte zugleich die Tragödie der Jugend. Nach der anthropologischen Katastrophe des Kommunismus mit seinen Praktiken der Entmenschlichung sorgt der Glaube der nach neuen Wegen der Menschlichkeit suchenden Jugend für ein Staunen. Denn er ist vergleichbar damit, dass ein Grashalm durch den Asphalt bricht, und dieser Vorgang, der so oft in postkommunistischen Ländern zu sehen ist, weckt Hoffnung. Das Gespräch über Glaubenswege entsteht aus dem Staunen über ein solches Erwachen des Glaubens. „Für Menschen ist das unmöglich, aber nicht für Gott; denn für Gott ist alles möglich“ (Mk 10,27).
Emmaus: Der Beginn des Glaubensweges
Das Gespräch über das Erwachen des Glaubens im postkommunistischen Kontext soll mit der Geschichte begonnen werden, die auf dem Weg nach Emmaus stattgefunden hat. Es ist bekannt, dass es heute keine Ortschaft mit diesem Namen mehr gibt. Jetzt ist es kein Ort, sondern ein Symbol für das Ereignis, das zwei Menschen zur Umkehr bewegte, die durch den Tod Christi bedrückt waren und in Bestürzung aus Jerusalem fortgingen. Sie verließen ihr Emmaus, um Christus zu folgen, und jetzt ist für sie alles verloren. Sie ziehen zurück nach Hause, um dort die Tage zu beschließen, denn nichts soll mit ihnen mehr geschehen. Und jäh geschieht ihnen eine Begegnung, die sie wieder zum Leben erweckt. Diese Begegnung war möglich, weil Christus mit ihnen unterwegs war und an ihrem Leben teilnahm, bevor sie im Bestürzen davor wegliefen. Solche Wendepunkte geschehen plötzlich und erfordern keine Zeit. Sie können weder geplant noch vorhergesehen oder geschickt arrangiert werden. Sie geschehen aber nicht ohne unsere Anteilnahme an einer realen Situation, die von Sozialprogrammen nicht vorausgesehen werden kann.
Solche „Plötzlich-Ereignisse“ erfordern unsere Glaubenssicht und Teilnahme am Leben jener, die nach Hilfe schreien. Wenn ich an die ukrainischen Jungen und Mädchen – an die behinderten Kinder und Waisenkinder – denke, die mir diese Sichtweise beibringen, erinnere ich mich an die Worte eines italienischen Jugendlichen, der unter Panikattacken litt und sein Haus nicht verlassen konnte. Er schrieb folgende Worte an seinen Lehrer: „Ich weiß, das Problem meines Lebens ist einfach zu beschreiben: Heiligkeit oder Sterben. Ich bin nicht fähig für den Weg der Heiligkeit. Hilfe!“ Diese Worte könnten alle sprechen, die im System der postsowjetischen Kinderheime aufgewachsen sind. Zutreffend beschreiben diese Worte aber auch den Schrei des Glaubens aller jungen Menschen.
Ich erzähle eine Geschichte: 2011 rief Wassili Sidin mich an und stellte eine Frage, auf die er selber keine Antwort hatte. Das Schicksal dieses Menschen ist unglaublich. Vor vierzig Jahren, in den grauen 1970er Jahren in Charkiw, gründete er die Theatergruppe „Timur“ für „schwierige“ Kinder – in der richtigen Annahme, dass es begabte Menschen sind, die zu Hooligans werden, deren Begabung aber gemeingefährliche Ergebnisse hervorbrachte. Indem er Kindertalente und ihre Welt vor sozialen Katastrophen schützte, zog er mehrere Generationen von Charkiws Bürgern ins Theaterleben hinein und rief mit seinen Aufführungen und Meisterklassen, Sommerlagern und wohltätigen Weihnachtsfesten, sozialen Festspielen und Erziehungsveranstaltungen mit Eltern ein ganzes Land der Kindheit ins Leben. Unter seinen Zöglingen waren Kinder mit zerebraler Kinderlähmung aus Wohnheimen. In den früheren neunziger Jahren bekehrte er sich dank einer Fernbekanntschaft mit Alexander Men zum Christentum. Dieser wahre christliche Tugendtäter, der für viele zum Lehrer der christlichen Barmherzlichkeit und zum Jugenderzieher auf den Ruinen des sowjetischen Systems wurde, rief mich an, um mit mir wie mit anderen Freunden ein ungelöstes und bis zum Absurden unerträgliches Problem eines Menschen zu teilen.
Im Theater spielte Lena Kuz, ein 18-jähriges Mädchen mit körperlicher Behinderung. Sie litt an einer genetisch bedingten Nagelerkrankung und hatte nur einen Arm. Ihre Eltern sagten sich nach der Geburt von ihr los. Sie ging auf eine Internatsschule, verbrachte aber monatelang im Krankenhaus. Die Ärzte wollten ihre Beine verlängern, damit sie gehen konnte. Im letzten Schuljahr teilte die Direktion der Internatsschule Sidin mit, dass für Lena ein guter Platz für die Zeit nach der Schule gefunden wäre, in einem Altersheim, in dem alte Menschen ihre letzten Tage verleben. Das staatliche Sozialamt gewährt solche Häuser als einzige Möglichkeit für Kinder mit Behinderungen, die, wie vorausgesetzt wird, nicht imstande sind, selbstständig zu leben. Gedanklich ist diese Perspektive entsetzlich. Im Falle von Lena war sie noch absurder, denn alle kannten sie als eine willensstarke und klar denkende Person, die immer wieder Jungen und Mädchen im Wohnheim in schwerer Zeit unterstützte.
Glaubensnot kommt mit Fragen: „Gibt es in unserer Gesellschaft, in unserem Leben, in unseren Herzen eine Alternative, die tiefer als ‚Rationalität‘ ist?“ oder: „Existiert eine andere Größe in der Welt, die unserem Verstand unbekannt ist, die aber eine Alternative eines anderen Lebens aufzeigt, und wie kann eine solche Gewissheit an Unsichtbarem erlangt werden?“ Die Antworten können weder nur theoretische Erwägungen über den Glauben noch präzise Ideen sein, hier ist der Weg des Glaubens selbst angefragt. Ein Weg voller Risiko und Verantwortung, weshalb niemand von den Erwachsenen, an die sich die Fragen über Lena richteten, eine klare und endgültige Antwort hatte. Aber wir schlugen zusammen mit Freunden der Direktion der Internatsschule vor, bis zum Ende der Schule – zwei Monate lang – Lena Nachhilfeunterricht in Mathematik und Literatur zu geben. Somit würde sie eine Chance bekommen, ihr Leben zu ändern und eventuell eine Ausbildung anzufangen. Tatsächlich waren Lenas Schulkenntnisse in diesen Fächern schwach. Kein Wunder – über die Hälfte ihres Lebens hatte sie in Krankenhäusern verbracht. Ihr Wille und ihre Zielstrebigkeit waren aber ungeheuer groß. Sie ging nicht nur in eine Berufschule und beschloss ihre Ausbildung in zwei Jahren mit Auszeichnung, sie bereitete sich auch auf die Aufnahmeprüfungen für ein Universitätsstudium vor und studiert heute schon im dritten Jahr Philosophie.
Nach dem Fall mit Lena haben wir verstanden, dass ihre Freunde aus der Internatsschule das gleiche Problem haben: Ihre Schulkenntnisse sind so schwach, dass nicht nur ihre Behinderung, sondern auch ihr Bildungsniveau sie daran hindert, eine Ausbildung nach der Schule anzufangen, und somit ihre Lebensqualität enorm einschränkt. Es ist unzureichend, diesen Kindern während des letzten Jahres vor dem Schulabschluss Nachhilfeunterricht zu geben, denn die ganze Einstellung zu ihrer Bildung müsste verändert werden. Das ist aber unmöglich, ohne sich vorher mit ihren Schicksalen zu beschäftigen. Eine viel größere Entdeckung bestand jedoch darin, dass dieses Aufmerksamwerden auf das jeweilige Schicksal nur als Glaubensweg möglich ist. Aus diesem Blickwinkel heraus haben wir 2011 eine gesellschaftliche Organisation namens „Emmaus“ gegründet, um Jungen und Mädchen nicht nur in ihrem schwierigsten Lebensjahr vor dem Schulabschluss zu begleiten, wenn sie große Angst vor der Ungewissheit des Lebens haben, sondern sie durch alle Jahre ihres Heranwachsens hindurch zu unterstützen und ihnen dabei zu helfen, den eigenen Lebensweg zu finden. Was konnten wir außer unseren Fachkenntnissen mitgeben? Nur zwei Dinge – Freundschaft und eine neue Haltung der Bildung gegenüber, nicht in Angst, sondern im Staunen über den Glauben.
„Revolution der Würde“: Glauben und die Geburt der Hoffnung
Unser „Emmaus“ wurde ins Leben gerufen, als eine unüberwindliche Verzagtheit in der Luft der ukrainischen Gesellschaft lag. Nach der „Orangenen Revolution“ im Jahr 2004 und der darauffolgenden Enttäuschung über ihren Misserfolg machte sich Niedergeschlagenheit und Resignation breit. Politische Ereignisse, die die Menschen zu größeren Zusammenkünften hätten bewegen können, waren unmöglich und wurden eigentlich sogar unvorstellbar. Die von der Politik verfolgte „Stabilität“ wurde allmählich zu einem Synonym gesellschaftlicher Lähmung oder Verschlossenheit. Wir kehrten zur nicht überwundenen Landschaft der kommunistischen Ruinen zurück und es erschien so, als ob Widerstand nie wieder möglich sein würde. Ende November 2013 verweigerte unser Präsident die Unterschrift unter das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union – und dies rief nur geringen Protest in Kiew hervor, der dazu bestimmt war, sich in einer depressiven Atmosphäre zu zerstreuen. Damals kamen etwa 1.000 Menschen zusammen. Plötzlich entschied der Kiewer Bürgermeister, einen Weihnachtsbaum auf dem Hauptplatz des Landes zu errichten, und schickte dazu Milizeinheiten, die auf brutale Art junge, von einer europäischen Zukunft ihres Landes träumende Menschen zusammenschlugen. Dieser unbegreifliche Akt der Gewalt hatte eine unvorhersehbare Folge: Tausende Menschen kamen zusammen, die vorher zu keiner politischen Handlung fähig waren. Jedoch waren sie nicht damit einverstanden, dass im Herzen ihrer Stadt ihre Kinder geschlagen wurden. Wie in Charkiw, im Osten des Landes, konnte sich unser Blick nicht von den Menschen abwenden, die auf den Majdan kamen und blieben, um ihre und unsere Freiheit zu verteidigen. Dort, in unserem Land, an einem Ort, der uns eher anonym vorkam, haben wir tausende Brüder und Schwestern vorgefunden, die nicht nur friedlich protestierten, sondern uns nach der Würde des Menschen fragten. Genau diese Frage wurde zu jenem Archimedischen Punkt, dank dem die Welt der Unmenschlichkeit ins Wanken geriet und die Ereignisse auf dem Majdan zu einer „Revolution der Würde“ wurden.1
Andere Majdan-Proteste ereigneten sich landesweit, und das erste, was die dort stehenden Menschen in sich spürten, war die Befreiung von der Angst. Ohne sie war es nicht möglich, das Verlangen nach der Menschenwürde direkt zu erkennen und die drei frostigen Monate in Frieden durchzuhalten. Mit der Bewunderung für die Menschen, die diesem Verlangen bis zum Äußersten folgten, kam auch die Frage nach der Quelle ihres Mutes auf. Was hat aus Schwachen Tapfere gemacht? Mit jedem Tag der Versammlungen auf dem Majdan wurde die Antwort klarer: Im Zentrum des Majdan-Platzes stand eine Kirche und Priester aller Konfessionen munterten auf, beschützten, nahmen die Beichte ab, spendeten die Kommunion, hin und wieder tauften sie Menschen, die ihre Angst überwunden hatten. Mit einem Wort: Der Glauben befreite. In einer auf der Praxis der Angstausübung aufgebauten Gesellschaft wurden das von Angst befreiende Gebet und der Aufruf zur Besinnung auf die Glaubenserfahrung zur effektivsten politischen Widerstandquelle. Es stellte sich heraus: Um Unabhängigkeit, Würde und Frieden in der aus dem kommunistischen Alptraum erwachten Ukraine zu praktizieren, sollte man ein Christ sein. Wir hatten uns von dem Gedanken entwöhnt, dass man, um heute ein Europäer sein zu können, mutig sein müsse. Es schien, als ob Courage eine Eigenschaft der Radikalen und Extremisten sei. Nun aber war es die Courage des friedlichen Protests, die Befreiung und vor allem die Befreiung von der Angst brachte, die in ihrem Ursprung christlich war. Die Welt des Majdans erwies sich als ein Verlangen nach der Welt Christi. Im Osten Europas wurde die Wiederentdeckung der Werte des Westens zu einem christlichen Ereignis.
Wie entsteht diese Hoffnung, ohne die kein Mensch in Christi Welt bestehen kann, ohne die das großartigste Ereignis in die Vergessenheit historischer Chroniken gerät? Wie wird die Hoffnung geboren, die uns heute nicht mehr an das mehr als drei Monate währende winterliche Protestieren denken lässt, sondern an die Welt Christi? Wir können diesen Weg der Hoffnung in dem Weg erkennen, den der Apostel Paulus im Römerbrief beschreibt: „… wir rühmen uns ebenso unserer Bedrängnis; denn wir wissen: Die Bedrängnis bewirkt Geduld, Geduld aber Bewährung, Bewährung Hoffnung. Die Hoffnung aber lässt nicht zugrunde gehen; denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ist“ (Röm 5,3-5). Wie befremdlich klingt für einen Menschen von heute, der es gewohnt ist, Hoffnung eher als Passivität oder Verzicht auf eine Handlung aufzufassen, eine solche Begründung für Hoffnung! Die christliche Geduld entsteht letztlich aus der von Gewalt und Krieg ausgelösten Trauer, die zu einem Frieden führt, der sich keineswegs als Stillstand, sondern vielmehr als die Welt Christi erweist. Genau dieser Akt der Geduld ermöglichte es der Ukraine, den Weg jener Hoffnung zu gehen, die die Angst überwindet, und der Zukunft nicht nur mit Europa, sondern auch mit Russland entgegenzuschauen.
Einige Male während meiner Vorträge vor christlichen Studierenden lud ich Teilnehmer ein sich vorzustellen, dass sie einmal gebeten werden könnten, vor Menschen, die wenig mit der christlichen Tradition vertraut sind, einen Vortrag über ein Thema wie beispielsweise Glaube, Hoffnung oder Liebe zu halten. Und ich fragte sogleich, welches Thema für ein solches pädagogisches Experiment am wenigsten kompliziert sei. Die Antworten glichen sich auffallend: Die Mehrheit bevorzugte, von der Liebe zu sprechen, eine wesentlich kleinere Gruppe sprach sich für die Hoffnung aus, und nur Einzelne wollten über den Glauben sprechen. Das sei doch wohl verständlich, sagten sie mir, denn von der Notwendigkeit der Liebe wisse jeder, über die Bedeutung der Hoffnung ahnten viele etwas, glauben täten aber nur die Gläubigen, das heißt nicht alle. Diese Argumentation widerspricht dennoch dem christlichen Weg. Auf der Schwelle des Lebens mit Gott liegt der Glaube in allen Variationen: Glaube daran, dass es Gott, Vertrauen auf ihn und Treue gibt. Im Glauben fußt die Hoffnung, und aus der Hoffnung erschließt sich die Liebe. Ohne Glauben werden sie nicht begriffen, deshalb sollte man mit dem Glauben beginnen. Die Entdeckung dieser einfachen Quelle, die nicht nur den Christen, sondern jedem Menschenherz verständlich ist, wurde zum roten Faden jenes Weges, den die ukrainische Jugend mit dem Heranwachsen der Ukraine selber zurücklegen wird.
Aus dem Russischen übersetzt von Alena Kharko.
Fußnote:
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Vgl. zum Folgenden auch die Beiträge des Heftes „Ukraine? – Ukraine!“ (= OST-WEST. Europäische Perspektiven 4/2014). ↩︎