China, Russland und der Westbalkan: Impfangebote als Mittel der Einflussnahme
Zusammenfassung
In den Staaten des Westbalkans ist der Einfluss Chinas und Russlands in den letzten fünfzehn Jahren stetig gewachsen. Beide Länder nutzten die Covid-19-Krise, um ihr Image zu verbessern, aber auch, um das Ansehen des liberalen Westens zu untergraben.
China als neuer Partner auf dem Westbalkan
Obwohl alle Länder des Westbalkans1 danach streben, Mitglieder der Europäischen Union (EU) zu werden, scheinen einige Staatschefs von der zentralisierten Wirtschaftsmacht Pekings geblendet zu sein. Sie sehen in chinesischen Investitionen den Schlüssel zu regionalem Wachstum. In den vergangenen Jahren zeigte sich dies in einer politischen Rhetorik, die kritisch oder skeptisch gegenüber westlichem wirtschaftlichem Engagement und Investitionen ist – in den ersten Tagen der Covid-19-Pandemie nahm die antiwestliche Propaganda in der Region jedoch neue, dramatischere Töne an. Der serbische Präsident Aleksandar Vučić bevorzugte China offen gegenüber den Staaten des Westens, als es um Fragen der öffentlichen Gesundheitsversorgung und Information ging. Eine Reihe führender Politiker in Bosnien und Herzegowina favorisierte ebenfalls China.
Dies sollte niemanden überraschen, der die Entwicklung der Region aufmerksam verfolgt. In den vergangenen Jahren hat eine wachsende Zahl von politischen, akademischen und wirtschaftlichen Akteuren auf dem Westbalkan eine Kampagne gestartet, um China als neue globale Führungsmacht zu feiern. Ihr Ziel ist es, für China eine größere Einflusszone zu erschaffen, indem die EU und die USA zurückgedrängt werden. Beabsichtigt oder nicht folgen die Regionalmedien – selbst liberal orientierte – diesem Beispiel und bewerben nicht nur China, sondern auch andere autokratische Staaten als Alternativen zum euro-atlantischen Modell.
China ist aus mehreren Gründen zu einem wichtigen Akteur auf dem Westbalkan geworden. Entscheidend ist dabei, dass der Westen kein besonderes Interesse an Investitionen in der Region gezeigt hat. Chinas Investitionen sind dagegen nicht mit politischen Bedingungen verknüpft. In der Praxis werden Kredite schnell vergeben, und – was noch wichtiger ist – chinesische Investoren erlauben oder verlangen oft sogar eine Geheimhaltung der finanziellen Vereinbarungen, was für Partner in der Region ziemlich bequem ist. So werden beispielsweise chinesische Kredite in den serbischen Medien oft als Investitionen dargestellt. Die Warnungen einiger NGO-Beobachter („watchdogs“) und Oppositionspolitiker werden in der Regel von den Mainstream-Medien nicht einmal wahrgenommen.
Der Westbalkan als Teil der „neuen Seidenstraße“
Offiziell zielt Chinas Belt and Road Initiative (BRI) – oft als Chinas „neue Seidenstraße“ bezeichnet – darauf ab, die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ost und West zu stärken.2 Die Vorstellung, dass große, von China unterstützte Infrastrukturprojekte scheinbar ohne politische Bedingungen zustandekommen, hat führende Politiker auf dem westlichen Balkan dazu veranlasst, chinesische Vorschläge für regionale Bau-, Telekommunikations-, Industrie- und Bankenkonsortien begeistert zu unterstützen.
Chinesische Staatsunternehmen sind jedoch dafür bekannt, dass sie Investitionsprojekte schnell genehmigen, indem sie ein intransparentes Ausschreibungsverfahren anwenden und sich auf korrupte Praktiken einlassen. Das mag ihre Geschäfte für die Eliten in der Region attraktiv machen, stellt aber für den Westbalkan ein besonderes Risiko dar. Demokratische Normen sind dort noch nicht in dem Maße entwickelt, wie sie anderswo existieren. Deshalb gibt es in den EU-Mitgliedsstaaten erhebliche Bedenken gegenüber dem unheilvollen Einfluss der Pekinger Führung.
Diese negativen Folgen sind bereits messbar und sichtbar, da immer mehr Länder des Westbalkans gegenüber China verschuldet sind. Montenegro hat fast 40 Prozent und Nordmazedonien 20 Prozent der Staatsschulden bei China.
Instabilität als mögliche Folge der Abhängigkeit
Überall in der Region haben Analysten und Beamte darüber spekuliert, wie sich weitere chinesische Investitionen auf die Wirtschaftslage in den Westbalkanstaaten auswirken. Es stellt sich die Frage, ob diese Investitionen in einem Land wie Bosnien und Herzegowina nicht in nächster Zukunft zu weiterer wirtschaftlicher Instabilität beitragen werden. Im benachbarten Montenegro wird bereits sichtbar, dass unrealistische, vom Ausland unterstützte Infrastrukturgeschäfte negative wirtschaftliche Folgen haben. Die montenegrinischen Schulden bei chinesischen Unternehmen sind so schnell gewachsen, dass sie Entscheidungen über den Staatshaushalt beeinflussten und die Regierung zwangen, neue Sozialprogramme zu kürzen.
Die Staats- und Regierungschefs auf dem Westbalkan sollten vorsichtig sein und nicht glauben, ihre Volkswirtschaften seien gegen solche Auswirkungen immun. Chinesische Kredite sind zweifellos attraktiv für die regionalen Regierungen, die keine EU-Vorbeitrittshilfe für die Entwicklung der Infrastruktur verwenden können. Aber sie bergen mittel- und langfristige Risiken für diese Übergangsökonomien. So können irreparable Schäden auftreten, die sich durch die gesamte Gesellschaft ziehen, aber die Schwächsten am härtesten treffen werden.
Dennoch verherrlicht das vorherrschende Narrativ in den Regionalmedien den wirtschaftlichen Einfluss Pekings. Sie verschweigen die Konzentrationslager für die uigurische Minderheit in China, was übrigens den verbreiteten Wunsch regionaler Politiker und Journalisten widerspiegelt, den autoritären Charakter des Regimes zu übersehen und es vor allem als den wirtschaftlichen Retter der Region darzustellen.
Russlands undurchsichtige Rolle
Wegen seiner Wirtschaftsmacht wird China weltweit als größte Bedrohung und Hauptkonkurrent für die USA und die EU angesehen, neuerdings auch auf dem Westbalkan. Die negative Rolle Russlands wurde hingegen weitgehend ignoriert. Die politische Destabilisierung des Westbalkans ist teilweise das Ergebnis einer fehlenden Aufmerksamkeit des Westens für die Rolle Russlands bei der Förderung autoritärer Tendenzen und Regime. Dabei ist die Rolle der Moskauer Führung bei der Vernetzung rechtsextremer Gruppen und politischer Kräfte in Europa, aber auch weltweit, weit mehr als nur „störend“. Der Westbalkan kann dafür als Fallstudie dienen.
Die Unterstützung für rechtsextreme politische Kräfte und extreme Gruppen ist in den vergangenen fünfzehn Jahren gut dokumentiert. Sie erstreckt sich auf Nordmazedonien, Serbien, Montenegro sowie Bosnien und Herzegowina. In letzter Zeit hat Russland sich vor allem darum bemüht, Bosnien und Herzegowina zu destabilisieren. Der komplizierte verfassungsrechtliche Rahmen des Staates und dessen ungelöste innere Spannungen machen das Land vielleicht am anfälligsten für Russlands Einflussnahme. Prorussische politische und intellektuelle Eliten, mehrheitlich aus der Serbenrepublik („Republika Srpska“/RS), haben Moskaus Sache gedient, Russland als alternatives Entwicklungsmodell und als wichtigen Handelspartner zu propagieren. Dies hat eine euro-atlantische Integration für Bosnien und Herzegowina bisher unmöglich gemacht. Reformprozesse sind völlig blockiert, und abspalterische Rhetorik ist zum Grundmuster der Reden von Politikern der führenden Parteien in der RS geworden. Das gilt vor allem für Milorad Dodik und eskaliert ständig, seit er Mitglied der Staatspräsidiums von Bosnien und Herzegowina geworden ist.
Die serbischen Sezessionisten wurden schon immer von Russland unterstützt und angestachelt. Jüngstes Beispiel war die Ernennung des früheren Bundeslandwirtschaftsministers Christian Schmidt (CSU) zum neuen Hohen Repräsentanten von Bosnien und Herzegowina: Als einziger Staat im Lenkungsausschuss des Friedensimplementierungsrates widersetzte sich Russland dieser Kandidatur mit der leicht durchschaubaren Absicht, eine weitere politische und diplomatische Krise im Land anzuzetteln.
Auswirkungen der Covid-19-Krise auf dem Westbalkan
Es gibt viele Beispiele dafür, wie der Westen den Einfluss Chinas und Russlands unterschätzt hat. Die Covid-19-Krise zeigte, wie sehr es an geopolitischen Taktiken fehlt.
Die EU hat es versäumt, Solidarität unter ihren eigenen Mitgliedern, aber auch mit den Westbalkanstaaten zu beweisen. Serbien kaufte frühzeitig russische und chinesische Impfstoffe oder bekam sie gespendet – und ist damit das einzige Land in der Region, das bei der Impfkampagne erfolgreich war. Seit Beginn der Pandemie führen Russland und China einen intensiven Kampf um die „Herzen und Köpfe“ der Menschen auf dem Westbalkan durch medizinische Hilfe und eine regelrechte Impfstoffdiplomatie.
Es ist schwer, den Menschen auf dem Westbalkan zu erklären, warum Russland und China mehr internationale Solidarität leisten als die liberalen Demokratien. Leider werden sie sich vor allem an das derzeit vorherrschende Narrativ erinnern, nach dem die Regierungen Chinas und Russlands ihr Leben mehr wertschätzen als die Nato-Verbündeten. Solche historischen Momente bleiben in Erinnerung. Es ist bedauerlich, dass der Westen die Gunst der Stunde nicht für sich zu nutzen wusste.
Russland und China haben den Westbalkan als eine der Regionen erkannt, in denen sie versuchen, das Narrativ von der Überlegenheit autoritärer Regierungsmodelle zu „verkaufen“. Der Westen hat immer noch die Chance, diesem Erzählmuster durch konkrete Aktionen entgegenzutreten – insbesondere in Bosnien und Herzegowina.
Denn Symbolik spielt in der Diplomatie eine wichtige Rolle. Bosnien und Herzegowina hat als Symbol eine wichtige Bedeutung für die Stärkung des Nato-Bündnisses nach der Intervention 1995. Dies ist der Grund, warum Russland in Bosnien so präsent und aktiv ist. Da die Quint-Staaten3 in der Vergangenheit oft gezeigt haben, was sie erreichen können, wenn sie an einem Strang ziehen, ist es jetzt wichtig, den Einfluss Russlands auf die Region und auf Bosnien und Herzegowina im Besonderen nicht zu unterschätzen. Ein Zurückdrängen des russischen Einflusses könnte das Nato-Bündnis weiter stärken und als Beispiel für andere Staaten dienen.
Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Hartl.
Fußnoten:
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Der Begriff „Westbalkan“ ist seit 1998 gebräuchlich und bezeichnete zunächst alle Nachfolgestaaten Jugoslawiens und Albanien. Seit dem EU-Beitritt von Slowenien (2004) und Kroatien (2013) werden diese Länder nicht mehr dazu gerechnet. Wenn heute der Begriff fällt, sind also folgende Staaten gemeint: Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kosovo, Montenegro, Nordmazedonien und Serbien. (Anmerkung der Redaktion) ↩︎
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Vgl. zur „neuen Seidenstraße“ auch Birgit Wetzel: Eine Region im Aufbruch: Die neue Seidenstraße in Zentralasien. In: OST-WEST. Europäische Perspektiven 21 (2020), H. 4, S. 270 - 277, bes. S. 275 f. (der gedruckten Ausgabe). ↩︎
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„Quint-Staaten“ ist der Sammelbegriff für eine informelle Koordinierungsgruppe, der die USA sowie die vier wichtigsten Staaten Westeuropas (Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Italien) angehören. ↩︎