Der Sommer lässt wieder auf Touristen hoffen

Wie die Reisebranche auf dem Balkan dem Coronavirus zu trotzen versucht
aus OWEP 3/2021  •  von Frank Stier

Der freie Journalist Frank Stier berichtet aus Sofia für internationale Medien über Politik und Wirtschaft in Südosteuropa. Er war nach seinem Studium der Geschichtswissenschaft und Soziologie in Berlin zunächst als Historiker und Stadtführer tätig.

Zusammenfassung

Nach dem schwierigen Coronajahr hofft die Tourismusindustrie auf dem Balkan, dass die Sommermonate wieder viele Touristen in die Region locken. Gerade in Kroatien und Bulgarien hängen daran viele Arbeitsplätze.

Es war einmal eine Zeit, da dienten Reisen vor allem dem Abenteuer oder der Entspannung. Dann ging ein Virus um die Welt. Corona machte aus dem Reisen eine Wissenschaft. Heute tun Reisende gut daran, zunächst die Einreisebestimmungen ihres Reiseziels zu studieren, bevor sie sich auf die Socken machen. Sie riskieren sonst, an der Einreise in ein Urlaubsland gehindert oder im Falle erhöhter Temperatur gar im Quarantänehotel interniert zu werden.

Auch die populären Reiseländer auf der Balkanhalbinsel hat das pandemische Coronavirus heimgesucht. Slowenien, Kroatien, Montenegro, Albanien, Griechenland, Bulgarien und die Türkei sehen sich touristisch alle in einer tiefen Krise und suchen nach ihrer individuellen Exit-Strategie. Es ist eine Quadratur des Kreises – zum einen wollen sie das Infektionsgeschehen möglichst gering halten, gleichzeitig soviele ausländische Gäste wie möglich anlocken. Das Auskommen zigtausender Beschäftigter in Hotellerie und Gastronomie sowie im Freizeitbereich hängt in Südosteuropa vom Tourismus ab.

Corona wird auch 2021 das Geschäft mit dem Urlaub erschweren. Stellt sich nur die Frage, in welchem Maße. Die Hoffnung, regulative Hygienemaßnahmen würden dabei helfen, das Aufflammen von Infektionen zu vermeiden und gleichzeitig die Einbußen von Reiseveranstaltern, Hoteliers und Gastwirten zu verringern, stirbt zuletzt.

Unangefochtene Marktführer im südosteuropäischen Tourismus sind Kroatien, Griechenland und die Türkei. Sie erreichen die mit Abstand höchsten Übernachtungszahlen. Deutlich bescheidener sind die Umsätze, die Albanien, Bulgarien, Montenegro und Slowenien erwirtschaften. Doch auch hier hat der Tourismus strukturbestimmende Bedeutung für die nationale Wertschöpfung.

Schmerzhafte Corona-Zäsur

Vor der Pandemie verhießen stetige Zuwachsraten grenzenloses Wachstum. Inzwischen ist die Zuversicht einer tiefgreifenden Verunsicherung gewichen. „Im Jahr 2019 haben 12,5 Millionen Touristen in Bulgarien Urlaub gemacht, im vergangenen sechzig Prozent weniger“, beziffert Rumen Draganov, Vorsitzender des Instituts für Analysen und Bewertungen im Tourismus in Sofia (IABT), die schmerzhafte Corona-Zäsur. „Für dieses Jahr muss es unser Ziel sein, den Rückgang gegenüber 2019 auf dreißig Prozent zu begrenzen. Das wären dann neun Millionen Touristen.“

Die Strophe eines Gedichts des Doyens der bulgarischen Literatur Ivan Vasov lautet: „Ich bin ein Bulgarenkind, liebe unsere grünen Berge.“ Jedes bulgarische Kind muss die Verse im Kindergarten oder in der Schule mehrfach aufsagen. Die meisten Bulgaren sind glühende Lokalpatrioten, wenn es um die landschaftliche Vielfalt ihrer Heimat geht – die fruchtbare Donauebene, die mehr als 380 Kilometer lange Schwarzmeerküste und die alpinen Gebirge Rhodopen, Balkan, Rila und Pirin. Den heimischen Tourismus beurteilen viele dagegen kritisch.

Für manche Bulgaren gilt es als schick, den Sommerurlaub lieber an der griechischen Ägäis als am heimischen Schwarzen Meer zu verbringen. Die Strände dort seien sauberer, heißt es, die Atmosphäre entspannter und der Service in Hotels und Restaurants besser. Jetzt schreckt aber Griechenlands strenges Corona-Regime so manchen bulgarischen Hellas-Fan ab. Die Unlust, sich den Regeln zu unterwerfen, dürfte dazu führen, dass in diesem Sommer deutlich mehr Bulgaren in die heimischen Seebäder Albena, Goldstrand oder Sonnenstrand fahren. Vor Corona waren sie meist das Ziel ausländischer Touristen vor allem aus Deutschland, England und Russland. Aber auch Polen, Israelis und Rumänen reisten gerne dorthin.

Im Wettbewerb um die Gunst ausländischer Gäste konkurriert Bulgarien außer mit seinen direkten Nachbarn Griechenland und Türkei vor allem mit Kroatien. Auch in diesem Wettbewerb geht es nicht mehr ausschließlich darum, wer über die schönsten Strände und interessantesten kulturhistorischen Städte verfügt. Die Maßnahmen im Kampf gegen das Coronavirus, Einreiseregularien, Testanforderungen und Hygienebestimmungen bestimmen maßgeblich die Buchungsentscheidungen vieler Touristen aus West- und Osteuropa und dem Rest der Welt.

Manche schätzen strenge Vorsichtsmaßnahmen, um sich sicherer zu fühlen. Andere wollen sich im Urlaub so frei wie möglich bewegen. Viele Reisende stellen sich Fragen wie: Braucht mein Kleinkind für den Grenzübertritt einen negativen PCR-Test? Muss ich auf der Strandpromenade Maske tragen? Und was geschieht, wenn ich mich infizieren sollte? Auf solche Fragen müssen Südosteuropas Tourismusveranstalter zufriedenstellende Antworten geben.

Kroatien gehört zu den beliebten Reisezielen

„Mit Zunahme der Impfungen und der Lockerung der Reisebeschränkungen wird Kroatien auch in diesem Jahr zu den Top-Destinationen in Südosteuropa zählen“, zeigt sich Kristjan Staničić zuversichtlich. Der Direktor der Kroatischen Nationalen Tourismuskammer (CNTB) denkt mit gewisser Wehmut an 2019 zurück, mit knapp 20 Millionen Gästen das Rekordjahr des kroatischen Tourismus. Im Vergleich dazu brachen die Übernachtungen 2020 um die Hälfte ein. „Doch auch damit waren wir das erfolgreichste Reiseland am Mittelmeer“, sagt er. Jetzt hofft Staničić auf mindestens sechzig Prozent der Gästezahlen vor der Pandemie.

Das größte Kontingent an ausländischen Touristen komme aus Deutschland, Slowenien, Polen, Tschechien und Österreich, sagt Staničić. Auch die Nachbarländer Ungarn und Italien seien nicht zu vernachlässigen. Kroatiens Hauptkonkurrenten sieht er weniger in den anderen Balkanstaaten als vielmehr in Griechenland. Hellas biete gegenüber Kroatien einen etwas anderen Beherbergungsmix, aber Kroatien sei für Autoreisende aus Westeuropa besser gelegen. Viele von ihnen benötigten nur etwa fünf bis sechs Stunden Fahrzeit bis an die Küste und müssten nicht einen der durch die Coronakrise reduzierten Flüge ergattern.

„Dass wir gut vorbereitet sind, liegt vor allem auch daran, dass wir unser nationales Sicherheitszeichen ‚Safe Stay in Croatia‘ entwickelt haben. Dies bewerben wir in unseren wichtigsten Märkten“, sagt der Tourismusfachmann. Das garantiere höchste Gesundheits- und Sicherheitsstandards. „Unsere Gäste können sich sicher fühlen und ihre Ferien genießen", sagt er. Überall würden Testmöglichkeiten angeboten. „Kroatien ist eines der ersten Reiseländer, das seine im Tourismus Beschäftigten aktiv impft. Dies wird zur Unbeschwertheit unserer Urlauber beitragen.“

Die Anti-Coronamaßnahmen in Kombination mit der landschaftlichen Schönheit des Landes mit seinen tausend Inseln, seinen kulturhistorischen Dörfern und Städten und kulinarischen Köstlichkeiten sollten dazu beitragen, dass sich Kroatien als Tourismusdestination im internationalen Wettbewerb auch in dieser Saison weiter behauptet, hofft Staničić. Die Ankündigung von Fluggesellschaften, neue Non-Stop-Flüge von New York nach Dubrovnik und zwischen Russland und Kroatien aufzunehmen, sieht er als hoffnungsvolles Zeichen einer beginnenden Erholung des Flugverkehrs.

In Bulgarien waren die Serben die ersten Gäste

Galgenhumor ist in Bulgarien, wenn man trotzdem lacht. „Achtung, der Kurort-Komplex Sonnenstrand sucht dringend Touristen. Einstellung auch ohne Erfahrung möglich“, kursiert als Meme in sozialen Medien. Es ist ein sarkastischer Kommentar dazu, dass Mitte Mai auf den verwaisten Strandpromenaden in Bulgariens Tourismuskomplexen mehr Handwerker unterwegs waren als Touristen. Die meisten Hotels, Restaurants und Souvenirläden blieben noch geschlossen und sollten erst ab Juni wieder öffnen.

„Dass wir in der Frühsaison noch keine größeren Touristenankünfte aus unseren wichtigen Märkten Deutschland, Österreich und Italien erwarten konnten, war uns klar“, sagt IAGT-Direktor Draganov. Am ersten Wochenende im Mai hätten viele Serben ihre Osterfeiertage am bulgarischen Schwarzen Meer verbracht. Für Juli bis September hofft Draganov auf spürbare Belebung. Bulgarien sollte sich seiner Meinung nach in seiner Tourismuswerbung auf die Märkte mit den meisten Geimpften fokussieren: Israel, Großbritannien und Deutschland.

In den Jahren vor Corona strebte Bulgarien mit gewissem Erfolg danach, sein Image als Billigreiseziel für Strandurlaub und Alkoholtourismus abzulegen. Das Balkanland will sein Potenzial für qualitativ höherwertige Reisearten entwickeln, Erholung im Spa, Öko- und Kultur-Tourismus, und sich so als Destination für das ganze Jahr profilieren.

Sofia ist ein attraktives Ziel für Städtereisen

Lange Zeit galt Bulgariens Hauptstadt im Vergleich zu den prächtigen mitteleuropäischen Kapitalen Prag und Budapest als weniger attraktiv. Doch inzwischen hat der Boom des Billigfliegens Sofia auf der europäischen Karte für den Städtetourismus etabliert. Nun besuchen immer mehr Reisende auch aus entfernten asiatischen Ländern die Stadt am Fuße des knapp 2.300 Meter hohen Vitoschagebirges und lassen sich von den archäologischen Überresten des antiken Serdica im Stadtzentrum beeindrucken. Auch die zweitgrößte Stadt Plovdiv hatte als Europas Kulturhauptstadt 2019 stark an Popularität gewonnen. So schienen die Zeiten, in denen viele Westeuropäer Sofia mit Rumäniens Hauptstadt Bukarest verwechselten und die Seebäder am Schwarzen Meer nur als „Ballermann am Balkan“ verbucht wurden, vor Corona vorbei zu sein. Nun wird der bulgarische Tourismus erst wieder mühsam an die positive Entwicklung anknüpfen müssen.

Dabei ist die Pandemie nicht die einzige Herausforderung für die Tourismuswirtschaft des Landes. Politische Unwägbarkeiten kommen dazu. Weil die Parlamentswahlen im April 2021 zu keiner Regierungsbildung führten, wird das Balkanland von einer Übergangsregierung regiert, die vorgezogene Parlamentswahlen im Juli organisieren sollte. Dadurch blieb manches unentschieden. Mitte Mai war beispielsweise noch immer nicht klar, was mit Reisenden geschieht, die vor Ort erkranken. Die Tourismusvertreter forderten von der Regierung, Quarantäne-Hotels für sie einzurichten. Auch die Frage, ob bestimmte Einreiseregelungen wie der erforderliche negative PCR-Test im Sommer fallen, blieb zunächst ungeklärt.

„Ausgehend von den Erfahrungen im vergangenen Jahr haben wir unermüdlich an Gesundheits- und Sicherheitsmaßnahmen gearbeitet, um für unsere Gäste eine sichere Umgebung zu schaffen für ihren Aufenthalt während der Pandemie“, versichert Polina Karastajanova, Direktorin der Bulgarischen Nationalen Tourismuskammer (BNTB). Die Hotels und Restaurants in den Badeorten hätten Corona-Präventionsmaßnahmen erfolgreich umgesetzt und seien bereit, ihre Gäste für die Saison 2021 zu begrüßen. Die bulgarischen Flughäfen hielten ebenfalls höchste Sicherheitsstandards ein, Varna und Burgas am Schwarzen Meer hätten vom Weltverband Airports Council International (ACI) bereits die „Healthy Airport“-Akkreditierung erhalten.

Ob das Coronavirus dem bulgarischen Tourismus wohl gnädig gesonnen ist? Nicht nur Bulgariens Politiker und Verbandsfunktionäre hoffen inständig darauf, auch Tausende von Bulgaren, die wirtschaftlich direkt oder indirekt davon abhängig sind.