„Durch Corona hat sich die Armut vielfach in Elend verwandelt.“

Ein Gespräch mit Schwester Maria Christina Färber SWG
aus OWEP 3/2021  •  von Christof Dahm

Zusammenfassung

Albanien hat sich zwar seit 1990 in einem mühsamen Prozess vom „Steinzeit-Kommunismus“ des kommunistischen Staatschefs Enver Hoxhas nach und nach befreit, seine Entwicklung zu einem modernen Staat kommt jedoch nur langsam voran. Die aus Donauwörth stammende deutsche Ordensschwester Maria Christina Färber SWG* lebt seit 1999 in Albanien. Sie ist dort in einem kleinen Kloster bei Shkodra tätig, wo sie die Folgen der Corona-Krise für das leidgeprüfte Land und seine Menschen hautnah miterlebt. Das Interview mit der Projektpartnerin von Renovabis führte Christof Dahm.


*SWG steht für „Spirituelle Weggemeinschaft“, eine 1998 gegründete katholische Ordensgemeinschaft.

Über Albanien wird in Deutschland im Kontext der Corona-Krise kaum berichtet, andere Länder scheinen stärker betroffen zu sein. Wie ist dort die Lage?

Schwester Maria Christina SWG berichtet bei der Renovabis-Pfingstaktion in Köln 2017 über ihre Arbeit (Copyright: Renovabis)

Die Verschärfung der prekären Lebensverhältnisse während der Corona-Krise hat uns hier im Norden Albaniens hinsichtlich der schon vorher desolaten medizinischen Versorgung, der allgemeinen Armut und des unzulänglichen Krisenmanagements bei anderen Katastrophen nicht überrascht. Was vorher systemisch bereits desolat war, konnte sich in dieser Krise nur noch verschlechtern. Es war für uns immer klar, dass die Anforderungen jetzt immens sein werden. Offiziell wird dies aber – wie auch vorher schon – nicht wahrgenommen, aus welchen Gründen auch immer.

Auf der einen Seite wird abgeschottet und sanktioniert. Die offiziellen Maßnahmen stoßen in der Regel auf großes Misstrauen, auch wenn inzwischen mit allen möglichen Impfstoffen geimpft wird. Auf der anderen Seite gehen die Menschen erstaunlich normal mit der Pandemie um, vielfach wird sie verdrängt. Aussagen wie „Wenn wir sterben, dann sterben wir sowieso“ oder vor allem bei Jugendlichen „Feiern wir heute, denn morgen sind wir tot“ höre ich sehr oft.

Wie sieht die Situation im medizinischen Bereich aus?

Die medizinische Versorgung ist schon vor der Corona-Krise dürftig gewesen. Die Behandlung im Krankenhaus ist sehr teuer und für die meisten Menschen nicht mehr finanzierbar. Die Preise für Blutverdünner oder Vitaminpräparate sind Wucherpreise geworden. Die Angehörigen finden oft keine Pfleger, die für Infusionen oder Spritzen ins Haus kommen – aus Angst, angesteckt zu werden. Etliche Gesundheitsstationen haben aus Angst vor der Infektion schlichtweg ihren Dienst eingestellt. Dies führte dann dazu, dass wir in unserer überlasteten Ambulanz im Kloster völlig überrannt worden sind.

Trotz mancher Fortschritte in Richtung Demokratisierung und eine verbesserte Lage der Menschenrechte hört man immer wieder von Korruption und Vetternwirtschaft in Albanien – auch davon, dass es „Gewinner der Corona-Krise“ gibt. Wie schätzen Sie das ein?

In dieser Krise ist jeder Coronakranke im weit verzweigten Feld der Korruption „systemrelevant“, denn von der Not der Anderen profitieren jene, die am längeren Hebel sitzen. Die Reicheren sind noch reicher geworden, die Armen noch ärmer. Für Hausbesuche des medizinisch-pflegerischen Personals werden Unsummen verlangt. Tests in Privatlaboren kosten viel Geld, sie sind zu Goldgruben geworden. Es gab auch Labore, die ihre Klienten offen anfragten, ob sie einen negativen Test für das Ausland brauchen – und ein solcher Negativbefund ist nicht billig.

Ein gutes Beispiel ist auch die Maskenpflicht – sie wird in der Öffentlichkeit nur wenig beachtet, viele sehen sie eher als „Belustigung“. Selbst Staatsbedienste halten die Maskenpflicht nicht ein. Die Polizei ist zwar aufgerufen, die Maßnahmen streng zu kontrollieren und bei Verstößen mit hohen Strafen zu ahnden. Oft reicht jedoch das nötige Schmiergeld, um beispielsweise Lokalschließungen zu vermeiden. Das ist auch ohne Corona so. Das Motto lautet: Wer „Kohle“ hat, der kauft sich von jeder Regelung frei.

Die Krise hat die ohnehin problematische Wirtschaftslage noch verschärft. Zahlreiche Arbeitsplätze im Tourismus, im Einzelhandel und Transport gingen verloren. Die Armut hat sich durch Corona vielfach in Elend verwandelt. Außerdem haben die Behandlungskosten für Covid-Kranke viele Betroffene schlichtweg ruiniert. Die Zufahrtswege ins Ausland waren gesperrt, „Nachschub“ durch Verwandte im Ausland ist ausgeblieben.

Können Sie schildern, wie sich die Corona-Krise auf die Menschen auswirkt? Wie sind die Folgen für den Einzelnen, aber auch für die Familien?

Zeichnung einer Achtjährigen: Der Corona-Wolf bedroht die Menschen (Foto: Schwester Maria Christina Färber)

Die psychischen Folgen von Distanz- und Online-Unterricht bei den Kindern und Jugendlichen werden wir wohl erst in der Zukunft erleben. Darüber hinaus hat in einer Atmosphäre von Angst, Unwissen und Unsicherheit das Misstrauen gegenüber dem Staat und den staatlichen Institutionen zugenommen. Viele Menschen mit Symptomen gehen nicht mehr zum Arzt und fürchten sich vor dem Krankenhaus. Es wurde verbreitet (und die allermeisten glauben dies auch), dass man in den Krankenhäusern die so genannte Todesspritze bekommt, wenn man dort mit Corona liegt. Covid-19 ist regelrecht mit einem Tabu belegt. Hat jemand Symptome, so wird inzwischen sehr häufig darüber geschwiegen. Die Angst, vor den anderen als „Vdekjeprurje“(,Todesbringer) zu gelten, ist groß. Covid-19 wird vielfach als „Strafe Gottes“ bezeichnet. Familien, die Angehörige mit Corona hatten, wurden isoliert und blieben unversorgt.

Außerdem werden staatlich verordnete Maßnahmen bezüglich Distanz und Beschränkung der Gruppenanzahl bei bestimmten Ereignissen nicht eingehalten. Es ist undenkbar, dass eine Beerdigung ohne Trauergemeinde oder ohne eng an Körperkontakt gebunden Trauerrituale stattfindet. Hier ist Corona weniger wichtig als die Tradition.

Es gab auch positive Auswirkungen der Krise: So war die Luft während des Fahrverbotes sauber, die großen Städte wie die Hauptstadt Tirana waren ohne Smog. Dies wurde auch in der nur wenig umweltbewussten Bevölkerung bemerkt. Am Mittelmeer tauchten in der Nähe vom Strand sogar Delfine auf, die seit Jahrzehnten nicht mehr gesichtet worden waren. Wenigstens in einzelnen Gruppen wurde die verbreitete Arbeitsmigration zum ersten Mal auch mit ihren Nachteilen offen diskutiert. Der Schmerz über die Trennung von Angehörigen durch das lange Ein- und Ausreiseverbot wurde zugelassen und damit aus einem Tabu befreit.

Wie haben die Kirchen und Religionsgemeinschaften den Menschen in der Krise beigestanden?

Die Kirche erleben wir hier nicht sehr präsent, eher in Selbstisolation. Auch die interreligiöse Zusammenarbeit ist während der Pandemie nicht wirklich relevant. In der katholischen Kirche kennen wir einige Priester, die Tag und Nacht bereit sind, zu den Coronakranken zu gehen, und selbst viel riskieren. Die Seelsorge hält sich meistens an die staatlichen Vorschriften, beispielsweise was Gottesdienstordnungen betrifft. Wirkliche koordinierte Hilfsmaßnahmen haben wir jedoch vermisst. Einige Priester und Bischöfe, die an Corona erkrankt sind, wurden nach Italien ausgeflogen.

Die Kirchen haben zwar zum Gebet in der Krise aufgerufen, aber ein vernetztes Onlineangebot für spirituelle Belange in der Corona-Krise, wie Gottesdienste, Gebetszeiten online oder Telefonseelsorge, gibt es nicht. Der Sender „Radio Maria“ ist jedoch mit Übertragungen von Messen und Sendezeiten mit spirituellen Inhalten nach wie vor präsent und abrufbar. Dies gibt den Betroffenen Trost und Halt.