Ethische Probleme der Pandemie in Kroatien

Jasna Ćurković Nimac ist außerordentliche Professorin für Kommunikitionswissenschaften an der Kroatischen Katholischen Universität in Zagreb (Forschungsgebiet: Kommunikations- und Medienphilosophie sowie theologische und philosophische Ethik). Anto Čartolovni ist Dozent an der Medizinischen Fakultät der Kroatischen Katholischen Universität (Forschungsgebiet: bioethische und medizinphilosophische Fragen).

Zusammenfassung

Die Pandemie hat auch die Staaten in Südosteuropa stark getroffen, ihre Bekämpfung hat vielfach bereits vorhandene Konflikte verschärft. In der kroatischen Gesellschaft ist Misstrauen gegen die Obrigkeit weit verbreitet, was sich auch in Impfverweigerung und Skepsis gegen staatlich verordnete Schutzmaßnahmen niederschlägt.

Die doppelte Erfahrung von Pandemie und Erdbeben

Die Zeit der Covid-19-Pandemie wird sicher als große Herausforderung in Erinnerung bleiben, für die öffentliche Gesundheit, wegen der damit verbundenen globalen Neuordnung und der drastischen Veränderungen unserer Lebensweise. Auch wenn die kroatische Gesellschaft mit dem Rest der Welt dieselben oder ähnliche Probleme hinsichtlich der Pandemie teilt, so gibt es doch zwei ungünstige Umstände, die für ein tieferes Verständnis des Zustandes der Gesellschaft zu beachten sind. Der erste ist die Erfahrung des „Heimatkrieges“ (1990-1995) als kollektives Trauma, dessen Folgen in der kroatischen Gesellschaft immer noch zu spüren sind. Paradoxerweise war diese Erfahrung gleichzeitig auch positiv für die Konfrontation mit der Pandemie. Da sie als Ausnahmezustand und als eine Art „globaler Krieg“ betrachtet werden kann, war die bereits vorhandene Erfahrung mit Krisensituationen sowie einer raschen und notwendigen Anpassung an neue Lebensumstände sogar nützlich.

Die zweite Erfahrung in der Pandemie bezieht sich auf einen kleineren Teil der Bevölkerung, auf die Bewohner der Hauptstadt Zagreb und des Bezirks von Sisak-Moslavina. Sie erlebten ein Erdbeben, das Zagreb im März 2020 zum Höhepunkt der Pandemie traf und acht Monate später auch die Gebiete von Sisak und Petrinja. Danach wirkte der Anblick der Menschen im Stadtzentrum, das sonst sehr belebt ist, apokalyptisch: Menschen mit Decken in den Händen und Masken im Gesicht, die wegen des Lockdowns nicht im Freien sein durften, aber wegen des Erdbebens auch nicht in den Häusern.

Angesichts dieser ganzen Reihe von Erdbeben, die Kroatien mitten in der Pandemie erschüttert hat, ist das Gefühl von Angst und Hilflosigkeit bei den Menschen gewachsen. Das zeigen zahlreiche Untersuchungen, die sich mit der mentalen Gesundheit der Nation befassen. Im Vergleich zu der Zeit vor der Pandemie waren demnach die Kroaten nicht nur depressiver und ängstlicher, sondern ihre psychische Gesundheit war auch stärker geschädigt als bei Teilnehmern der Untersuchung aus anderen Ländern (Spanien, Schweden, Frankreich, Singapur, Portugal und Italien). Ein Drittel der Einwohner, die Pandemie und Erdbeben erlebt hatten, wies eine Verschlechterung hinsichtlich der psychischen Gesundheit auf.

Andererseits kommt auch die schon erwähnte kroatische Leiderfahrung zum Ausdruck, die auf eine bestimmte Widerstandsfähigkeit gegenüber Unglücksfällen hinweist. So war etwa die Mehrheit (79,6 Prozent) der Teilnehmer mit der Aussage einverstanden: „Insgesamt betrachtet, kann ich mich gut an eine andere Lebensweise anpassen.“ Das ist ein ermutigendes Ergebnis, das eine erfolgreiche Konfrontationsbewältigung und Anpassung an Veränderungen im Leben während der Pandemie erwarten lässt. Daneben gibt es zahlreiche bleibende Probleme, mit denen die kroatische Gesellschaft konfrontiert ist, etwa Arbeitslosigkeit, Abwanderung von jungen Menschen und häusliche Gewalt. Sie hängen allerdings mehr mit dem schwierigen Übergang zu einer stabilen Demokratie zusammen. Vielleicht hat die Pandemie nur deutlich auf die Bruchstellen in den institutionellen Mechanismen und im Funktionieren der kroatischen Gesellschaft auf der Makro- und der Mikroebene hingewiesen. Gemeint sind dabei Korruption, mangelnde Marktfähigkeit von Kleinunternehmern und übergroße Konzentration der Wirtschaft auf den Tourismus. Die Pandemie hat sicher auch einige neue ethische Probleme mit sich gebracht.

Für die Analyse ist es dabei wichtig, einige zentrale moralische Fragen zu beleuchten, mit denen sich die kroatische Gesellschaft beschäftigt hat und immer noch beschäftigt. Grundlage dafür sind Berichte, erste empirische Untersuchungen, Medienäußerungen von Intellektuellen, der öffentliche Diskurs und einige wissenschaftliche Arbeiten.

Ethische Bedenken gegenüber den Impfstoffen

Das Thema, das die gläubigen Kroaten wohl am meisten polarisiert hat, ist die Frage der Akzeptanz der Impfstoffe – obgleich man betonen muss, dass auch die restliche Bevölkerung hinsichtlich der Impfstoffe polarisiert ist, aber die Gründe sind nicht ethischer Natur wie bei religiösen Menschen, sondern wissenschaftlicher Natur im Sinne der Wirksamkeit der Impfstoffe. Während ein Teil der Gläubigen den Anweisungen von Papst Franziskus und früheren kirchlichen Äußerungen der Päpstlichen Akademie für das Leben (2005 und 2017) sowie der Instruktion Dignitatis Personae (2008) folgt, ist ein anderer Teil der Gläubigen auf der Seite der protestierenden US-amerikanischen Bischöfe und sieht große ethische Probleme. Sie kritisieren, dass bei dem Impfstoff AstraZeneca in der Produktion Zelllinien aus abgetriebenen Föten eingesetzt werden sollen.

Während der Papst die Impfung gegen Covid-19 generell als verantwortungsvolles Handeln, aber auch als moralische Notwendigkeit betont, gibt es in Kroatien ziemlich exklusive Haltungen zum Impfen. In einem Teil der kroatischen Medien (vor allem in den linken) werden die religiös argumentierenden Impfgegner als rückständig und wissenschaftsfeindlich betrachtet. Wer sich impfen lassen will, wird vor allem von rechten Medien als unmoralisch und manipuliert dargestellt.

Eine Kultur des Dialogs und der Toleranz gegenüber der Meinung Andersdenkender fehlt hier: einerseits gegenüber der Haltung, dass jeder das Recht hat, einen Impfstoff aus moralischen Gründen abzulehnen, andererseits gegenüber der Ansicht, anderen moralischen Überzeugungen größeres Gewicht beizumessen und sich daher impfen zu lassen. (Ein wichtiges Argument dafür wäre die Mitverantwortung für andere Menschen und der eigene Beitrag zu einer Herdenimmunität.) Auf jeden Fall muss, wie der Moraltheologie Tonči Matulić sagt, „auch dieser Impfstoff, wie auch jeder Saisonimpfstoff gegen die Grippe, ad libitum des Einzelnen sein.“1 Außer ethischen Dilemmata, die direkt mit der Struktur des Impfstoffs zusammenhängen, wird auch die Frage nach der Impfpflicht (falls es sie geben sollte) als Verstoß gegen das menschliche Grundrecht auf Entscheidungsfreiheit angesehen. Andererseits fragen manche Autoren nach dem Missverhältnis zwischen unserem Wunsch, Vorteile zu genießen, und der Weigerung, zu einer Herdenimmunität beizutragen, wenn man sich nicht impfen lässt. Auch in Kroatien wird noch nicht über eine Impfpflicht diskutiert, sondern man versucht sie durch mögliche Einschränkungen, beispielsweise die Erschwernis von Reisen, indirekt aufzuerlegen.

„Informationsisolation“ und „Fake News“

Der mediale Umgang mit der Pandemie hat zur Polarisierung der Gesellschaft in Impfbefürworter und Impfgegner beigetragen. Die „Medien-Infodemie“ hat zu einer Art von moralischer Panik maßgeblich beigetragen, welche die gesamte Nation ergriffen hat. Dafür sind auch einzelne Nutzer mitverantwortlich, die mittels der sozialen Medien falsche oder ungeprüfte Informationen verbreiten. Das sagt auch etwas über die Ethik des professionellen Journalismus in Kroatien aus sowie über gezielte Aktionen, die die kroatische Gesellschaft destabilisieren sollen.

Nach Untersuchungen des Marktforschungsinstituts Ipsos ist in Kroatien das Internet heute die führende Informationsquelle (78 Prozent der Befragten), doch Medienkompetenz und Medienkultur sind wenig entwickelt. Das bedeutet, dass viele Menschen, die als Informationsquellen die Massenmedien und das Internet nutzen, in der Praxis oft nicht zwischen wahren und unwahren Nachrichten unterscheiden können. Dabei ist es für die Bewertung der Impfstoffe auch wichtig, das Informationsverhalten zu verstehen. Die Ethik von Journalisten, die Nachrichten übermitteln, spielt dabei ebenso eine Rolle wie die Pflicht der Empfänger, diese kritisch zu reflektieren und zu filtern.

Während der Pandemie war Corona das Thema aller Themen. Deshalb muss die Frage nach der Marginalisierung anderer Medieninhalte ebenso gestellt werden wie nach dem Recht der Menschen, neben der Pandemie noch ein normales Leben zu haben. Die „Medien-Infodemie“, die sich auf das Thema der Pandemie fokussiert, führt dazu, dass die Bürger vor allem an die Pandemie denken. Die Struktur und die Regeln der Algorithmen nehmen Einfluss darauf, dass sie über die Pandemie das denken, was ihnen „von oben“ suggeriert wird. Des Weiteren gibt die „Informationsisolation“ dem öffentlichen Diskurs und der öffentlichen Meinung eine bestimmte Richtung und kann sogar zu einer Veränderung historischer Narrative führen. Gerade in der Pandemie sind richtige und genaue Informationen äußerst wichtig, denn sie geben unseren Entscheidungen über die Impfung eine Richtung und haben Einfluss auf den Grad des Impfstandes in der Gesellschaft. Studien über das Informationsverhalten in sozialen Netzwerken, wie etwa Posts auf Facebook über Covid-19, zeigen eine große Orientierungslosigkeit der Bürger. Einige Autoren betrachten daher die „Informationsisolierung“ als Gefahr für die öffentliche Gesundheit. In jedem Fall handelt es um eine ethische Frage. Die Bürger sind meistens mit dem Filtern von Informationen allein gelassen, wobei sich manche an den offiziellen Krisenstab halten und andere aus eigener Initiative selektiv nach Informationen suchen, ohne zu wissen, wie man in der Fülle von Informationen die „richtigen“ findet.

Verteilung und Auswahl des Impfstoffs

Die ethische Problematik bei der Verteilung des Impfstoffs ist auch unter dem Begriff „Impfnationalismus“ bekannt und wurde Kroatien eher von außen aufgedrängt. Es ist vor allem eine globale Diskussion über eine gerechte Verteilung und weniger ein nationales Problem. In diesem Sinne hat sich Kroatien in der Sorge von Papst Franziskus über die ungerechte Verteilung des Impfstoffs wiedergefunden. Doch vielleicht haben ausländische Politiker, wie der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz, mehr (und auf jeden Fall eher) als kroatische Politiker auf europäischer Ebene darauf hingewiesen, dass die Lage in Kroatien ungünstig sei. Im Land selbst gab es einige Fälle von Prominenten, die selbst oder deren Angehörige eine Impfung „außer der Reihe und ohne Kriterien“ erhielten. Das passt zur verbreiteten Korruption in der kroatischen Gesellschaft und ist so gesehen nichts Neues.

Die öffentliche Diskussion über die Verteilung des Impfstoffs drehte sich vor allem um die Frage, ob Kroatien selbst Impfstoff bestellen und dabei die entsprechenden EU-Verträge beachten sollte. Die Anweisungen des Krisentabs für Zivilschutz waren sehr logisch: Zuerst wurden das Personal und die Bewohner von Einrichtungen für ältere Menschen geimpft sowie Bewohner von Einrichtungen, die Unterkunft und Verpflegung im sozialen System anbieten. Außerdem auch das medizinische Personal. Dann folgten in einer zweiten Phase alle Personen, die älter als 65 Jahre alt waren oder chronische Erkrankungen aufwiesen, und schließlich die gesamte Bevölkerung.

Vertrauen in den Impfstoff und die Institutionen

Die Kroaten haben ein relativ geringes Vertrauen in die Impfstoffe. Ein großer Teil der Bevölkerung zögert daher, sich impfen zu lassen. Kroatien gehört deshalb zu den drei EU-Mitgliedern mit der niedrigsten Impfrate. Auch wenn die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 2019 die Zurückhaltung gegenüber Impfungen als eine der zehn gefährlichsten Bedrohungen für die Weltgesundheit deklariert hat, haben zahlreiche Umfragen in Kroatien gezeigt, dass nur ein relativ kleiner Teil der Bevölkerung sich gegen Covid-19 impfen lassen will. Das bezieht sich besonders auf den Impfstoff AstraZeneca. Um zu zeigen, dass das schlechte Image von AstraZeneca eigentlich das Ergebnis eines geostrategischen Konflikts zwischen Deutschland und Großbritannien sei, haben sich der kroatische Premierminister, der Parlamentssprecher und der Gesundheitsminister damit demonstrativ impfen lassen.

Einer der Gründe für die mangelnde Impfbereitschaft ist neben der Weltanschauung auf jeden Fall auch Misstrauen gegenüber den Institutionen, die hinter den Impfstoffen stehen (WHO, Regulierungsbehörden, medizinische Einrichtungen, politische Institutionen und Medien). Angesichts dieser verbreiteten Skepsis und eines traditionell geringen Vertrauens der Kroaten in Institutionen können Impfgegner und Anhänger verschiedener Verschwörungsmythen leicht Aufmerksamkeit gewinnen. Das heißt nicht, dass das Misstrauen gegenüber den Impfstoffen nicht auch auf wissenschaftliche Streitigkeiten bei einigen Fachleuten zurückzuführen ist.

Eine Untersuchung, die die Forscher Lauri Koralija und Vasilj 2018 in Kroatien durchgeführt haben, hat gezeigt, dass eine positive Erfahrung mit dem Impfen die größte Unterstützung für die Impfbereitschaft ist. In Kroatien gibt es noch keine Untersuchungen der Positionen gegenüber den verschiedenen Impfstoffen, aber die bisherigen Studien zeigen, dass religiöse Minderheiten, Anhänger alternativer Medizin und alternativer Lebensstile sowie Menschen, die an Verschwörungsmythen glauben, das größte Misstrauen gegenüber dem Impfstoff aufweisen.

Die Kroaten glauben Umfragen zufolge vor allem den Mitgliedern ihrer Familie, etwas weniger den Wissenschaftlern – was ein Potenzial ist, das man in einer Pandemie stärker nutzen sollte. Bei den Institutionen vertrauen die Kroaten an erster Stelle der Armee, dem Bildungssystem, der Polizei, dem Gesundheitssystem und der Kirche. Wenig Vertrauen haben sie gegenüber den Institutionen der Regierung (Legislative, Exekutive und Gerichtswesen) sowie gegenüber den politischen Parteien. Paradoxerweise war das Vertrauen der kroatischen Bürger im Laufe des Jahres 2020 gegenüber dem Krisenstab für Zivilschutz sogar etwas höher als gegenüber der Regierung und dem Parlament.

Der Soziologe Ivan Balabanić charakterisiert die niedrige Impfbereitschaft als mangelndes Vertrauen in die Institutionen und als geringe Solidarität. Seiner Meinung nach kann die Polarisierung der Positionen zur Impfung sogar zu einer wirtschaftlichen Destabilisierung führen. Ein anderer Soziologe, Aleksandar Štulhofer, versteht den Widerstand gegenüber einer Impfung als wachsenden Populismus und als Stärkung alternativer und fundamentalistischer Überzeugungen.

Was das Vertrauen in die Kirche betrifft, so ist dieses auf 38 Prozent gefallen. Es hatte 1999 noch bei 64 Prozent gelegen und 2008 bei 53 Prozent. Natürlich hat dieser Rückgang andere Gründe, aber es wäre interessant zu überprüfen, wie sich dieser Verlust der kirchlichen Autorität auf die Lage in der Pandemie ausgewirkt hat und auswirkt. Eine unter Theologen wichtige ethische Frage war das Recht der Gläubigen auf Teilnahme am Gottesdienst. In der Debatte ging es auch darum, dass die Bischöfe es versäumten, dieses Recht ihrer Gläubigen auf einen Gottesdienstbesuch ausreichend zu verteidigen oder wenigstens in die öffentliche Diskussion zu bringen. Der Philosoph Stipe Kutleša kommentierte das so: „Während es in der Welt doch Bischöfe gibt, die ‚protestieren‘, schweigt in Kroatien die kirchliche Hierarchie überwiegend, wie sie es eben gewohnt ist. Hätte sie doch wenigstens eine demokratische wissenschaftliche Fachdiskussion initiiert, in der verschiedene Meinungen aufeinandergetroffen wären! Aber nicht einmal das. Die katholischen Medien werden den so genannten Staatsmedien immer ähnlicher: Sie verschweigen, zensieren, blockieren Informationen nach demselben oder einem ähnlichen Rezept. Die kirchlichen Institutionen haben, vorsichtig ausgedrückt, versagt, ja sie haben sogar die Gläubigen verraten, indem sie ihren Kopf vor der säkularen gottlosen Regierung gebeugt haben.“2

Mit dem Argument, dass die Kirche die Menschen geschützt hat und dass gerade die Zeit der Pandemie eine Gnadenzeit sei, die man der Spiritualität widmen könne, zeigt der Dekan der Katholischen Theologischen Fakultät in Zagreb, Tonči Matulić, eine andere Haltung gegenüber der Rolle der Bischöfe: „In diesem Sinne ist die Kirche während der Corona-Pandemie keineswegs, wie einige das böswillig kommentiert haben, eine Abteilung des Krisenstabs für Zivilschutz geworden, sondern sie war eine verantwortungsvolle Religionsgemeinschaft, die sich von denen hat belehren lassen, die den Charakter der Corona-Pandemie kennen. Dann hat sie selber nüchtern und überlegt die wahren Herausforderungen und Bedrohungen bewertet und dementsprechend ihre Gläubigen über die Bedingungen für Versammlungen zu liturgischen Feiern informiert. Dabei hat die Kirche absolut nichts abgestellt oder verboten, sondern sie hat sich von einem reifen Bewusstsein von der christlichen Verantwortung für den Schutz des Lebens und der Gesundheit aller (vor allem der Verwundbarsten) leiten lassen. Damit hat sie beispielhaft mit den zuständigen weltlichen Einrichtungen zur Verhinderung der Ausbreitung der Pandemie zusammengewirkt, zur Ausrottung des Coronavirus und für die Sorge für Kranke und Sterbende. Gerade so hat die Kirche ihre Sendung ausgeübt.“3

Die Begrenzung bürgerlicher Freiheiten

Wie jede Krisensituation, so hat auch diese Pandemie zahlreiche Menschenrechtsfragen an die Oberfläche gebracht und die menschlichen Fähigkeiten zu (Selbst-)Disziplinierung auf die Probe gestellt. Auch hier scheint die Feststellung des französischen Philosophen Blaise Pascal richtig zu sein, dass „das gesamte Unglück des Menschen aus seiner Unfähigkeit kommt, allein in einem Raum zu sein“. Der Kampf gegen die Pandemie wurde nicht nur in Krankenhäusern geführt, sondern vor allem auf den Straßen und im öffentlichen Raum. Es ging dabei auch um die Frage nach der Einschränkung der Bewegungsfreiheit. Damit verbunden sind rechtliche Aspekte, aber auch die psychologische Ausdauer und die Fähigkeit der Menschen, den Aufenthalt in einem geschlossenen Raum und isoliert von der Gesellschaft mit Sinn zu füllen.

Die Kroaten haben individuelle Verantwortung und moralische Reife gegenüber den repressiven Mechanismen von Freiheitseinschränkungen betont. Sie waren sich dessen bewusst, wie sehr die digitale Technologie es ermöglichte, in der Zeit der Pandemie weiter zu funktionieren. Andererseits wurde durch die Entwicklung von Corona-Apps das Recht auf Privatsphäre teilweise infrage gestellt. In Kroatien wurde das Gesetz zur elektronischen Kommunikation geändert, damit die Bewegungen von Bürger verfolgt werden können, die gegen die Regeln zur Selbstisolation verstoßen. Der Vorschlag zur Ergänzung dieses Gesetzes hat lautes Echo in der Öffentlichkeit sowie Kritik der Opposition und von NGOs hervorgerufen.

Außer der juristisch-moralischen Ebene, auf der über die Maßnahmen gegen die Krankheit und über die Einschränkungen der Freiheiten diskutiert wurde, haben einige Theologen dieses Problem auch als Phänomen einer gefühlten moralischen Überlegenheit gedeutet. Dabei ging es um diejenigen, die sich diszipliniert an die vorgeschriebenen Maßnahmen hielten, gegenüber denen, die das nicht taten. Damit entstünden neue moralische Klassen von Menschen und neue Kriterien von Moralität.

Eine weitere Frage ist die der Generationengerechtigkeit, ob die Einschränkungen für junge Menschen zum Schutze der älteren Generation moralisch vertretbar sind. Der katholische Sozialphilosoph Ivan Illich hat schon in seinem Buch Medical Nemesis: The Expropriation of Health darauf hingewiesen, dass das medizinische System beginnt, die Gesundheit zu bedrohen und Ärzte das Maß der bürgerlichen Freiheiten bestimmen. Diese Kritik erklingt auch jetzt angesichts des divergierenden Diskurses über die Wirksamkeit von Maßnahmen und das größere oder kleinere Ausmaß psychologischer und wirtschaftlicher Schäden für die Gesellschaft. Die Pandemie wird als Symptom anderer und tieferer gesellschaftlicher Erkrankungen unserer Zivilisation gedeutet. Eines dieser Symptome ist, wie einige Philosophen sagen, „die Rückkehr des Staates“, der Rückgang an Demokratie und die Angst, dass „kurzfristige Maßnahmen zu einer neuen festen Struktur unseres Lebens werden“.4

Aus dem Kroatischen übersetzt von Thomas Bremer.


Fußnoten:


  1. Tonči Matulić: Činjenice i izazovi pandemije SARS-CoV-2. In: Bogoslovska smotra 90 (2020) 4, S. 743 -755, hier S. 748. ↩︎

  2. Stipe Kutleša: Covid cijepljenje i katolici. In: Hrvatski list 865/22.04.2021, S. 45. ↩︎

  3. Matulić, Činjenice (wie Anm. 1, oben S. 194), hier S. 754. ↩︎

  4. https://www.glasistre.hr/pula/sociolog-aleksandar-stulhofer-otpor-cijeljenju-kao-odraz-vremena-zbog-porasti-populizma-gubljenje-povjerenja-u-institucije-i-pojave-novih-vjernika-574101 ↩︎