Junge Menschen aus sechs Ländern äußern sich zu Religion, Glaube und Kirche

aus OWEP 2/2016  •  von  OWEP-Redaktion

Zusammenfassung

Bei der Planung des vorliegenden Heftes war es der Redaktion wichtig, neben den Analysen aus einzelnen Ländern auch authentische Stimmen in das Heft aufzunehmen. Die Autoren der Länderbeiträge haben dazu einige Schüler und Studenten um Mitwirkung gebeten. Die folgenden fünfzehn Texte, die behutsam redaktionell bearbeitet worden sind, erheben nicht den Anspruch einer repräsentativen Umfrage, stehen aber durchaus für das Lebensgefühl junger Menschen in Mittel-, Ost- und Südosteuropa.

Bulgarien

Stefan Praskov (20)

Religion spielt in meinem Leben eine große Rolle, jedoch empfinde ich es gegenwärtig paradoxerweise immer schwieriger, in einem vorwiegend orthodoxen Land ein orthodoxer Christ zu sein. Ehrlich gesagt, es gibt unter Gleichaltrigen viele Missverständnisse rund um die Themen Orthodoxie und Christentum als Ganzes, was dazu führte, dass viele von ihnen (meist selbsternannte Atheisten) mich anders behandeln, wenn sie erfahren, dass ich in die Kirche gehe und wirklich an Gott glaube. Viele erklärten mir, dass ich vermutlich eine Gehirnwäsche verpasst bekommen hätte, dass ich naiv oder komplett bescheuert oder bestimmt sexistisch und sehr konservativ sei (weil sie glauben, dass die Bibel strikte patriarchale Normen bekräftige). Viele von ihnen unterstützen mehr oder weniger sogar eine spirituelle Denkweise im Sinne des New Age, die einen dazu ermutigt, den eigenen Weg zu gehen, indem man aus irgendeiner Religion oder irgendeinem esoterischen Text das jeweils Gefälligste oder Ansprechendste für sich übernimmt. Es gibt aber ebenso zahlreiche Christen in meinem Alter, die der evangelikalen und charismatischen Denkweise zugeneigt sind. Bis heute entstehen neue „Kirchen“, und alle versprechen jedem Besucher regelrechte Wunder. Verglichen damit erscheint natürlich die orthodoxe Kirche nicht annähernd so interessant. Deshalb habe ich gerade einmal zwei orthodoxe Freunde und keinen einzigen evangelikalen, da diese Gemeinschaften sehr konservativ sind und die Orthodoxie in ihren Augen ketzerisch und gefährlich ist. Zusammenfassend gesagt scheint es zwischen diesen beiden Extremen – dem evangelikalen und dem new-age-atheistischen – in Bulgarien keinen Platz für einen jungen orthodoxen Christen wie mich zu geben.

Marina Velkova (23)

Die Generation meiner Eltern tat ihr Bestes, uns jungen Menschen größtmögliche Freiheiten und Möglichkeiten zu eröffnen, die sie ihrer Meinung nach selbst nicht hatten. Dies ist meines Erachtens der Grund für das mangelnde religiöse Interesse meiner Generation. Wir wurden mit dem Bewusstsein erzogen, dass wir selbst auswählen sollen. Obwohl ich getauft wurde, führte man mich nie so in die Religion ein, dass ich sie hätte erspüren, verstehen oder Teil einer Gemeinschaft hätte sein können. Zwar wurde ich, besonders an wichtigen Feiertagen, mit der Religion konfrontiert, doch sie war nie ein Teil unseres Lebensalltags. Folglich fehlte mir der Sinn für religiöse Gemeinschaft, und meine Freunde und ich sahen keinen Grund, uns entsprechend damit zu identifizieren. Um es auf den Punkt zu bringen: Wir brauchen die Religion zwar nicht, können uns aber für sie entscheiden und uns nach ihr sehnen. Anstelle der Religion werden wir selbst zur Antwort auf unsere eigenen Fragen und nähern uns ihr zugleich voller Zweifel und Neugier. Wir entscheiden uns für sie aufgrund ihrer Antworten oder lehnen sie sogar ab, weil wir mit der Welt, die sie uns bietet, nicht zufrieden sind. Ich glaube auch, dass sowohl unsere religiöse Suche als auch unser religiöser Ansatz aufgrund unserer Wahlmöglichkeiten eher spiritueller und persönlicher Art sind und wir nicht so sehr nach einer Gemeinschaft suchen.

Kroatien

Marko Mikulec (22)

Für mich gehört der Glaube zu den wichtigsten Dingen in meinem Leben. Ich kann meinen Glauben nicht leicht ausdrücken, aber er ist mir wie angeboren und gibt mir auf eine bestimmte Art eine Antwort auf die Frage nach dem Zweck meines Daseins. Der Glaube an Gott gibt mir Hoffnung, ermutigt mich, führt mich durch mein Leben, lässt mich nicht aufgeben und geleitet mich zum ewigen Leben. Wegen meines Glaubens habe ich noch nie in meinem Leben gedacht, dass ein Problem, auf das ich gestoßen bin, unlösbar ist. Heute gibt es viele Menschen, die ähnlich denken. Wir sind alle im Schoß der Kirche vereint, und solche Menschen geben mir die Hoffnung, dass diese Welt nicht so schlecht ist, wie man sie oft darstellt.

Katarina Perić (21)

„Auf den Jungen ruht die Welt“, das ist ein Gedanke, der für mich die Lage von jungen Katholiken in Kroatien beschreibt. Selbst wenn viele die Jugendlichen für träge und desinteressiert halten, vor allem an wichtigen gesellschaftlichen Fragen, bemerke und erlebe ich das Gegenteil. lm Bewusstsein der Mängel und der Bedürfnisse der heutigen Gesellschaft treten wir in verschiedene Vereinigungen und Gemeinschaften ein und wollen durch unser Engagement, aber auch durch das Gebet eine positive Veränderung herbeiführen. Dieser Ehrgeiz der Jugendlichen begeistert mich und regt mich an, aber mich bereichert auch das Gefühl der Gemeinschaft, das wir als Mitglieder der Kirche haben. Ich spüre, wie Christus uns junge Leute auch heute mit denselben Worten ruft, die er an Simon und Andreas gerichtet hat: „Folgt mir nach, und ich mache euch zu Menschenfischern!“ (Mk 1,17). In meinem Psychologiestudium und im Freiwilligeneinsatz bemühe ich mich, den ersten Teil des Aufrufs Jesu nicht zu vergessen und auf ihn mit Gebet und Vertrauen in seine Gegenwart im eigenen Leben zu antworten.

Polen

Karolina (27)

Als ich ein Kind war, spielte die Religion eine größere Rolle für mich. Ich glaubte an Gott, ging jeden Sonntag in die Kirche und betete zu Gott. Manchmal war ich in der Kirche nur körperlich und schwebte in den Wolken. Was der Priester gesagt hat, war für mich oft uninteressant. Nun bin ich erwachsen und meine Ansicht veränderte sich. Nicht mit allen Anschauungen, die die katholische Kirche vertrat, bin ich einverstanden. Ich glaube zwar weiter an Gott, besuche aber die Kirche selten. Ich ziehe es vor, einen langen Spaziergang zu machen und in meinen Gedanken ein Gespräch mit Gott führen, anstatt Männern in Soutane zuzuhören, die gegen Verhütung oder über das Familienleben sprechen, aber keine Ahnung davon haben.

Marta (19)

Ich bin im katholischen Glauben aufgewachsen und glaube an Gott, aber die autoritäre Einstellung von manchen Priestern zur Politik ärgert mich sehr. Außerdem gibt es viele Priester, die den Menschen viele Moralpredigten halten, sich selbst aber nicht daran halten. Ich besuche die Kirche ziemlich regelmäßig, mein Glauben hängt jedoch nicht nur von den Priestern ab.

Paulina Tyszka (26)

Ich komme aus einer katholischen Familie, in welcher in meiner Kindheit der Religion großes Gewicht beigemessen wurde. Als Kind empfand ich das als Vergnügen, wir gingen auf verschiedene Veranstaltungen für Kinder und nahmen an kirchlichen Ereignissen teil. Jeder Sonntag war etwas Besonderes, ich sprach mit meiner Mutter über das Thema der Predigt, die auch an die Kinder gerichtet war. Jede Geschichte hatte ihre Botschaft, die ich wie einen Schwamm aufsog und versuchte, auf unseren Alltag zu übertragen. Aber alles änderte sich mit Beginn der zweiten Grundschulklasse, als dieses Gebet ein Teil des Examens für die Kommunion wurde. Das Auswendiglernen von Regeln, die ich nicht verstand, machte mir kein so großes Vergnügen mehr wie das Gespräch zu Gott mit eigenen Worten. Die Religion wurde zu einer Art Zwang, was dazu führte, dass ich ab und an Fragen stellte: Warum? Wofür? Die Antworten der Eltern und der Kirche waren unbefriedigend. Ich wurde mir bewusst, dass ich, obwohl ich weiterhin an den Messen teilnahm und mein Körper auf der Bank kniete, eigentlich nicht anwesend war. Die Worte der Kirche begannen sich zu reduzieren auf die Probleme der Politik, der Abtreibung, Themen, zu denen sie sich nicht äußern sollte. Meiner Meinung nach sollte die Kirche die Menschen durch Worte der Liebe einen und nicht durch Worte des Hasses. Das führte zum Bruch mit meinem Glauben. Durch die Erweiterung meines Wissens über die Welt und mich selbst begann ich, am Ende die existentiellen Fragen zu stellen nach dem „Wer bin ich?“ Durch das Finden der Antwort auf diese Frage fand ich Gott wieder, aber in einer anderen Form. Ich bin nicht in der Lage, genau zu bekennen, ob ich religiös bin oder nicht, aber ich kann sagen, dass ich eine gläubige Person bin.

Russland

Arsenij Pilipenko (18)

Der Glaube ist für mich der Sinn des Lebens. Er ist die Motivation zu guten und die Warnung vor schlechten Taten. Er ist die Heilung in schlechten Zeiten. Mein Glaube ist für mich ein innerer Schatz, den ich nur für mich behalten kann, etwas sehr Persönliches und Unveräußerliches, das mich alleine betrifft.

Tschechien

Alžběta (21)

Der Glaube ist für mich eine tiefe und vertraute Beziehung zu Gott: die Überzeugung, dass mich Gott leitet, schützt und liebkost. Ein Beweis dafür, dass um mich herum Berge erschüttert werden können und egal, was passiert, mich das nicht beeinträchtigen wird, weil er immer zwei Schritte vor mir geht. Der Glaube ist für mich ein Geschenk, das mir Gott als Beweis seiner Liebe gibt, und ich weiß, dass ich mich jederzeit an Ihn anlehnen kann.

Alžběta Majerová (24)

Ich bin in der Familie eines Pfarrers der Tschechoslowakischen Hussitischen Kirche aufgewachsen, was mir kein bisschen außergewöhnlich vorkam. In der Tschechischen Republik gibt es aber nicht viele Christen, und so habe ich schon in der Schule meinen Mitschülern vieles erklären müssen und es war nicht immer einfach. Als ich begann, eine katholische Schule zu besuchen, befand ich mich in einer anderen und wunderschönen Umgebung und habe erkannt, dass ich nicht alleine da stehe. Vor allem jungen Menschen begegnete ich in der Kirche nicht vielen. Später reiste ich nach Taizé und habe diese Gemeinschaft kennengelernt. Und alle diese Wege brachten mich zur Erkenntnis, dass es gar nicht darum geht, aus welchen Traditionen wir stammen. Wenn jemand von der Kirche spricht, stelle ich mir nur irgendeine Institution vor, die für jeden anders sein kann, aber ich würde mir wünschen, dass die Kirche ein Begegnungsort für alle Christen wird.

Anna (15)

Der Glaube bedeutet für mich, eine Sicherheit zu haben: die Sicherheit, dass hier jemand für mich da ist, sei es Gott oder seien es Menschen, die an ihn glauben. Ich kann mich an sie jederzeit mit jeder Bitte oder Sorge wenden. Ich bin mir dessen nur nicht immer bewusst.

Vašek (19)

Ohne den Glauben würde ich mich wahrscheinlich umbringen. Die Vorstellung, dass ich mein Leben nur so vor mich hin lebe, macht mir Angst. Wozu wäre das alles gut? Ich hätte wahrscheinlich keinen Grund, mich um etwas zu bemühen. Ich würde mich wahrscheinlich irgendwo am Abgrund der Gesellschaft bewegen, denn warum sollte ich mich bemühen, wenn ich nur zu Staub zurückkehre? Der Glaube ist für mich die Grundlage für alles.

Tomáš Zavadil (22)

Was bedeutet Glaube für mich? Ich bin als der zweitälteste von vier Brüdern in einer katholischen Familie in Prag aufgewachsen. Unsere Eltern haben uns zum Glauben an Jesus Christus auf sanfte und natürliche Weise herangeführt und dabei von früher Kindheit an unsere Individualität respektiert. Als ich etwa sechzehn Jahre alt war, wurde ich mir meiner Beziehung zu Gott bewusst, zu deren Vertiefung mir die Vorbereitung auf meine Firmung geholfen hat. Am katholischen Glauben finde ich wunderschön, dass es möglich ist, die Gottesdienste überall auf der Welt zu erleben – in jeder katholischen Kirche kann ich mich zu Hause fühlen. Neben den Gebeten, die ich in einer Gruppe erlebe, haben auch solche Momente für mich eine hohe Bedeutung, die ich mit Gott alleine verbringen kann. Vor allem in der Natur, sei es im Wald oder in den Bergen, habe ich häufig das Gefühl, dass ich beinahe die göttliche Macht und Güte berühren kann.

Ukraine

Aljona Fedtschischina (22)

Das, was ich als Leben bezeichne, begann mit Glauben. Und zu leben begann ich vor vier Jahren. Als ich eine Studentin an einer Fakultät war, an der ich nicht studieren wollte, und in einer fremden Stadt wohnte, in der ich nur mit meinem Vater Kontakt hatte und völlig desorientiert im Leben war, besuchte ich nach der Scheidung meiner Eltern zum ersten Mal einen Gottesdienst. Damals schenkte Gott mir das Wertvollste – eine neue Sicht auf das um mich Geschehende. Ich fing an, in allem seinen Plan für mein Leben zu erkennen: ich war ihm dankbar. Kurz nach meinem Gottesdienstbesuch lernte ich zwei wunderbare Menschen kennen, die später auf mein Leben eine starke Wirkung hatten: einen Priester und einen neuen Dozenten an der Universität, die mich in die Welt des christlichen Denkens einführten. Somit entdeckte ich, was ich wirklich studieren wollte. Achtsamkeit dem Nächsten gegenüber half mir letztendlich, für meine Mutter zu beten und nach einem halben Jahr Unterbrechung den Kontakt mit ihr wieder aufzunehmen. So begann mein geistiges Leben mit allen Prüfungen und Lichtblicken: Ich wurde zu einer Christin.

Anna Strelowa (21)

„Jesus sagte: Ein Geldverleiher hatte zwei Schuldner; der eine war ihm fünfhundert Denare schuldig, der andere fünfzig. Als sie ihre Schulden nicht bezahlen konnten, erließ er sie beiden. Wer von ihnen wird ihn nun mehr lieben? Simon antwortete: Ich nehme an, der, dem er mehr erlassen hat. Jesus sagte zu ihm: Du hast recht“ (Lk 7,41-43). Diese Stelle aus der Schrift beschreibt mein Leben. Auf der einen Seite war ich vor meiner Umkehr zwanzig Jahre lang ein „braves“ Mädchen, auf der anderen Seite spürte ich beständige Leere. Seitdem ich gläubige Protestanten in einem von der anglikanischen Kirche organisierten Sommerlager kennen gelernt habe, begann ich immer mehr, an Gott zu denken. Der Weg der Umkehr dauerte ein ganzes Jahr voller Mühen und Prüfungen, denn Gott zeigte mir meine Verfehlungen auf. Mir fiel es sehr schwer, mich gegen meine alten Gewohnheiten zu richten. Genau zu jenem Zeitpunkt, als ich schon dachte, Gott wird mir nie vergeben, hat er es getan. So wirkt Gott in meinem Leben, und der Wunsch, ihm zu dienen, wird immer stärker.