Roșia Montană – wo in Rumänien das ökologische Bewusstsein erwacht ist

aus OWEP 2/2021  •  von Daniel Diaconu

Daniel Diaconu ist Ökonom und zertifizierter Team-Trainer (nach John Maxwell) und arbeitet als Koordinator der Bildungsprogramme und des Roșia Montană-Marathons bei der Vereinigung „Pachamama Rumänien“. Er hat auch die Bilder im Beitrag zur Verfügung gestellt.

Zusammenfassung

Rumänien verfügt über zahlreiche Naturschönheiten, die jedoch häufig durch industriellen Raubbau bedroht sind. Der folgende Beitrag berichtet über eine ökologische Initiative, die der Anstoß zu weitreichenden Veränderungen werden könnte.

Bergbautradition seit der Antike

Rumänien, eines der Länder mit dem reichsten Naturkapital in Europa, von einigen Besuchern „Kleiner Kosmos“ oder „Garten der Mutter Gottes“ genannt, verfügt über einen speziellen Ort, der zum Erwachen des ökologischen Bewusstseins der Rumänen beigetragen hat – Roșia Montană.

Roșia Montană liegt mitten im Apuseni-Gebirge, dem Westteil der rumänischen Karpaten. Es ist eine alte Stadt, die schon von Herodot, Plinius und Titus Livius erwähnt worden ist. Sie gehört zu den ältesten Orten in Europa, an denen Edelmetall gewonnen wird, und zwar mittels unterirdischer Stollen, die mehr als 100 Kilometer lang sind. Die Römer haben den Ort in der Zeit der Herrschaft des Kaisers Trajan mit Hilfe von Siedlern aus Illyrien zu einer Bergbaustadt gemacht; er war als Alburnus Maior bekannt. Das erste Dokument, auf dem dieser Name genannt wird, ist ein Wachstäfelchen vom 6. Februar 131.

In den Ruinen der alten Stadt haben Archäologen Häuser, Gräber, Stollen, Abbaugeräte, viele Inschriften auf Griechisch und Latein und 50 Wachstäfelchen entdeckt. Viele dieser Funde können im Bergbaumuseum von Roșia Montană besichtigt werden.

Blick auf Roșia Montană im Apuseni-Gebirge (Foto: Daniel Diaconu)

Die natürliche Umgebung besteht aus Bergen, die von Wäldern, Weiden oder Wiesen bedeckt sind, was das spezifische Aussehen des Apuseni-Gebirges ausmacht. Ein besonderes Merkmal der Landschaft sind die zahllosen künstlichen Seen, die „tăuri“ genannt werden. Diese Seen wurden ursprünglich für den Bergbau angelegt, heute dienen sie Erholungszwecken. Es gibt als Folge der Bergbautätigkeit mehr als 105 tăuri, Seen oder Dämme, von denen die bekanntesten Tăul Mare, Tăul Anghel, Tăul Brazi, Tăul Țarina und Tăul Corna sind.

Die Gemeinde Roșia Montană ist multikulturell, im Ort gibt es fünf Kirchen der unterschiedlichen Konfessionen. Weil er fünf der sechs notwendigen Kriterien erfüllt, wurde der Ort in die vorläufige UNESCO-Welterbeliste aufgenommen.

Roșia Montană als ökologischer Brennpunkt

2013 erwachte das ökologische Bewusstsein Rumäniens wegen des Falles Roșia Montană. Hundertausende Menschen aus dem ganzen Land und der ganzen Welt (Rumänen gibt es überall auf der Welt) gingen für Monate auf die Straße, um gegen das Bergbauprojekt einer kanadischen Firma zu protestieren. Sie wollte Gold und Silber unter Einsatz von Blausäure abbauen.1 Das Projekt würde dazu führen, dass Tausende von Menschen umgesiedelt und Berge mit ihren noch aus der Römerzeit stammenden Stollen gesprengt würden.

Am 17. August 2013, genau fünf Jahre, nachdem die Rumänin Constantina Diță den Marathonlauf bei den Olympischen Spielen in Peking gewonnen hatte, wurde der erste Wettbewerb dieser Art in Roșia Montană organisiert, um auf den ökologischen Brennpunkt in dieser Bergbauregion hinzuweisen. Die Olympiasiegerin hatte sich telefonisch aus den USA hinzugeschaltet. Seither hat es sieben Läufe gegeben, die in Roșia Montană mehr als 2.000 Menschen zusammenbringen – an einem hat auch Constantina Diță teilgenommen. Die Teilnehmer und Besucher genießen die Schönheiten der Natur, der Kultur und der Geschichte; sie werden sich dessen bewusst, dass die Natur unser Heim ist, der Ort, an dem wir den Rest unseres Lebens verbringen werden. Die Teilnehmer am Lauf waren von der einzigartigen Ausstrahlung der Landschaft fasziniert, die eine besondere Energie vermittelt – sie durchliefen die Route der drei Läufe in einer Art von Trance.

Foto: Daniel Diaconu

Anlässlich des Laufes organisierten wir, eine Gruppe von Freiwilligen, die sich zur Aktion „Pachamama Roșia Montană“2 zusammengeschlossen haben, „Grünaktionen“, bei denen wir mit Freiwilligen, Schülerinnen und Schülern der örtlichen Schulen, Hunderte von Müllbeuteln aufsammelten, die im Laufe der Zeit weggeworfen worden waren. Wir organisierten auch Videopräsentationen für Schülerinnen und Schüler, um ihnen die Wichtigkeit von Mülltrennung und unsere Verbundenheit mit der Natur zu vermitteln.

Foto: Daniel Diaconu

Aber das revolutionärste Projekt, das wir für Roșia Montană entwickelt haben, heißt „Die Rechte des Ökosystems von Roșia Montană“. Es wurde initiiert von den Anwälten Eugen Cadaru (Rumänien) und Mari Margil (USA) in Anlehnung an Modelle, die schon in Ecuador (einem Land, das die Natur in seiner Verfassung als Lebewesen anerkennt), Bolivien, der Schweiz, den USA, Indien, Australien, Neuseeland und anderen existieren. Das Projekt wird dem rumänischen Parlament zur Beratung vorgelegt werden.

Roșia Montană: ein Ökosystem als Lebewesen mit Rechten

Nach Art. 2 dieses Gesetzesprojekts ist das Ökosystem von Roșia Montană ein Lebewesen mit eigenen Rechten. Diese Ansprüche beinhalten u. a.:

  • das Recht, natürlich zu leben, zu wachsen, sich zu regenerieren und zu entwickeln;
  • das Recht auf Wiederherstellung, Erholung und Bewahrung;
  • das Recht auf eine gesunde, natürliche Umgebung;
  • das Recht, eine gesunde Biodiversität zu haben;
  • das Recht auf ein gesundes, stabiles Klimasystem;
  • das Recht auf saubere, unverschmutzte Luft:
  • das Recht auf saubere, unverschmutzte Erde;
  • das Recht auf ausreichend sauberes unverschmutztes Wasser;
  • das Recht, seine natürlichen Funktionen auszuüben, und
  • das Recht, frei von Aktivitäten zu sein, die sich mit diesen Rechten überschneiden oder sie verletzen.

Alle Bürger haben darüber hinaus das Recht auf Schutz und Bewahrung des Kulturerbes und der historischen Denkmäler und Werte von Roșia Montană, einschließlich derer, die im Antrag des rumänischen Staates für die Aufnahme in die Welterbeliste der UNESCO im Jahre 2016 für Roșia Montană ausdrücklich verzeichnet sind. Der Staat hat seinerseits durch seine zuständigen Behörden alle notwendigen Schritte zu unternehmen, um die Rechte und Vorschriften des Gesetzes durchzusetzen und zu verteidigen. Jeder Bürger kann die Rechte und Vorschriften dieses Gesetzes beim zuständigen Gericht einklagen.

Um eine ausgeglichene und nachhaltige Wirtschaft in der Region von Roșia Montană zu unterstützen, wird der Staat durch seine Agentur für Klein- und Mittelbetriebe ein lokales Büro eröffnen, das durch Beratung und gezielte Förderung die Bewohner und Initiativen dabei unterstützt, neue und nachhaltige Wirtschaftsaktivitäten zu entfalten oder die Ansiedlung entsprechender Betriebe durch steuerliche Vorteile zu begünstigen. Solche Aktivitäten dürfen aber keine Art von Bergbau oder andere Formen von Montanindustrie beinhalten.

Bewahrung eines natürlichen Kleinods für die kommenden Generationen

Die Natur ist eine Gabe Gottes an uns Menschen, um uns in unserem Leben zu unterstützen. Unsere Antwort auf diese Gabe sollte unendliche Dankbarkeit für den Überfluss an Ressourcen sein, die uns zugestanden worden sind, und nicht ihre Zerstörung durch unbewusste Aktionen, die einer falschen Mentalität und unkontrolliertem Konsum zuzuschreiben sind.

Jede und jeder von uns hat eine Rolle in diesem Paradigmenwechsel, der unser Leben verändern soll. Das wurde auf dem Symposium „Den Träumer wecken, den Traum verändern“ verdeutlicht, das von der Pachamama-Allianz veranstaltet wurde. Bevor wir uns fragen, was wir tun können, müssen wir zuerst fragen, wer wir sein müssen. Wir müssen solche Menschen sein, die wissen, dass die Beschlüsse und Entscheidungen, die sie treffen, Folgen für die nächsten hundert Jahre haben.

Jeder muss dabei seine Rolle spielen. Es gibt keine kleinen oder großen Rollen, sondern jeder hat seine eigene Rolle. Und wenn man diese Rolle ausfüllt, dann wird das eigene Leben wirklich den Zweck haben, von dem man geträumt hat. Diese Rollen sind die Talente, die uns von Gott gegeben wurden. Wir haben die Verantwortung, sie der Gemeinschaft und der Welt zur Verfügung zu stellen, in der wir leben, um unsere Sendung zu erfüllen. Es ist wunderbar, dass wir dadurch, dass wir unsere Talente leben, die höchste Form der Erfüllung und des Glücks im menschlichen Dasein erlangen können.

Die wahre Freude im Leben besteht für jeden darin, einen Sinn und Zweck zu finden und zu versuchen, das Leben danach auszurichten. Unser Leben gehört der ganzen Gemeinschaft, und solange wir leben, soll es nach den Worten von George Bernard Shaw unser Privileg sein, alles für sie zu tun, was wir können. Wir sollen also nicht die Besten der Welt werden, aber die Besten für die Welt, indem wir die Rolle unseres Lebens annehmen und leben!

Aus dem Englischen übersetzt von Thomas Bremer.


Fußnoten:


  1. Der Streit um die Ausweitung des Bergbaus in der Region ist allerdings bis heute nicht gelöst. Die Ausweisung von Roșia Montană als UNESCO-Weltkulturerbe hat zwar das kanadische Großprojekt gestoppt, im Gegenzug hat die Firma jedoch den rumänischen Staat verklagt und verlangt Entschädigung in Milliardenhöhe. Vgl. dazu z. B. https://www.deutschlandfunkkultur.de/europas-groesste-goldmine-in-rumaenien-graben-oder nicht.979.de.html?dram:article_id=473772 (Beitrag vom 02.04.2020). ↩︎

  2. Diese Aktion ist Teil der „Pachamama Allianz“, einer international tätigen Vereinigung zum Schutz der Natur unter besonderer Berufung auf „Pachamama“ („Mutter Erde“). Im Mittelpunkt ihrer Aktivitäten stehen Bildungsprogramme zur Entwicklung eines ökologischen Bewusstseins. Weiterführende Hinweise unter https://www.pachamama.org/↩︎