Umwelt- und Klimaschutz im Südkaukasus – Kampf gegen Großprojekte als Heimatschutz
Zusammenfassung
In den drei Staaten des Südkaukasus Georgien, Armenien und Aserbaidschan gehören der Umweltschutz und die Bekämpfung des Klimawandels zu den größten Herausforderungen neben der Lösungssuche für die schwierigen Territorialkonflikte. Umweltbewegungen sind in der Region schon früh entstanden. Sie finden vor allem dort Unterstützung, wo Anwohner durch Großprojekte ihre Lebensgrundlagen gefährdet sehen.
Schneebedeckte Hochgebirgsgipfel, subtropisches Klima am Schwarzen Meer, üppige Wälder, halbwüsten- und wüstenartige Landschaft – der Südkaukasus bietet auf einer Fläche etwa halb so groß wie Deutschland eine klimatische Vielfalt wie kaum eine andere Region.
Kaukasus-Landschaft in Georgien: Kirche zur Heiligen Dreifaltigkeit in Gergeti (14. Jahrhundert) mit Blick auf den schneebedeckten Kasbek (5.033 Meter) an der Grenze zwischen Georgien und Russland1
Doch wer durch die drei Staaten Georgien, Armenien und Aserbaidschan reist, erlebt auch winterlichen Smog in der georgischen Hauptstadt Tbilissi, Industrieruinen in Armenien und im Sommer trockenfallende Flussarme im Süden Aserbaidschans. Hinzu kommen kriegszerstörte sowie minen- und munitionsverseuchte Gebiete in den Konfliktregionen. Das betrifft vor allem Bergkarabach, um das Armenien und Aserbaidschan erst im Herbst 2020 wieder einen Krieg ausgetragen haben.
Befürchtungen vor größeren Umweltkatastrophen infolge gegenseitiger Angriffe auf Staudämme in Aserbaidschan oder das Atomkraftwerk Metsamor in Armenien haben sich jedoch nie bewahrheitet. Im Gegenteil: Ein Wasserkraftwerk zur Energiegewinnung am Fluss Inguri zwischen Georgien und dem abtrünnigen Abchasien betreiben beide Konfliktparteien seit Jahrzehnten gemeinsam.
Spannungen in der gesamten Region verzögern allerdings vielerorts eine gemeinsame Suche nach Lösungen für Umwelt- und Klimaschutzprobleme, die grenzüberschreitend sind oder auf ähnliche Weise alle drei Länder betreffen. Langfristige Folgen des Klimawandels wie ein zunehmender Wassermangel erleben alle drei Südkaukasus-Staaten. Sie sind teilweise auch Folge einer verfehlten Umweltpolitik in der Türkei, Russland und im Iran.
Die Mehrheit der Menschen in der Region sieht Umweltschäden und Klimawandel angesichts anderer Sorgen nicht als vorrangige Themen an. Bei regelmäßigen Umfragen des grenzübergreifenden Netzwerkes „Caucasus Research Resource Center“ (CRRC) in Kooperation mit internationalen Organisationen in Georgien und Armenien werden seit Jahren Themen wie Arbeit, Armut, Inflation, erschwingliche Gesundheitsversorgung und die Sicherheit des Landes als Hauptprobleme genannt. Es wächst jedoch das Bewusstsein dafür, dass Umweltprobleme und Klimawandel soziale und wirtschaftliche Probleme in der Bevölkerung verschärfen, beispielsweise durch Krankheiten infolge von Smog oder durch Ernteausfälle in der Landwirtschaft, zumal in allen drei Ländern ein hoher Teil der nichtstädtischen Bevölkerung von der eigenen Bedarfswirtschaft lebt.
Gegen Großprojekte wehrten sich in den vergangenen Jahren vor allem Betroffene. In den Hauptstädten Tbilissi, Jerewan und Baku organisierten Anwohner Proteste, wenn Grünanlagen Bauprojekten weichen sollten. Solchen Widerständen auf dem Land und in den Städten ist gemeinsam, dass sie sich gegen private Interessen zur Wehr setzen, die versuchen, mithilfe von Korruption und Vetternwirtschaft öffentliche Interessen zu untergraben. Es mangelt bei den Regierenden an politischem Willen, sich für nachhaltige Stadt- und Wirtschaftsentwicklung und die Bewahrung der Heimat einzusetzen.
Umweltproteste und Nationalismus
Schon zu Zeiten der Sowjetunion regte sich Widerstand, wenn die Ausbeutung von Ressourcen und der Betrieb von Industrieanlagen zu Umweltschäden führten, während bestimmte Produkte in andere Sowjetrepubliken exportiert wurden.
Der Kaukasusexperte Vicken Cheterian beschreibt in seinem 2009 erschienenen Buch „War and Peace in the Caucasus“, wie aus Umweltbewegungen in den drei Ländern zu Zeiten der UdSSR Vorläufer nationalistischer Bewegungen wurden – wobei Engagement für die Umwelt in der Sowjetunion als angeblich unpolitisch galt und weitgehend toleriert wurde. Jedenfalls begannen 1988 in Jerewan Demonstrationen gegen die Luftverschmutzung, das Atomkraftwerk Metsamor, die Chemiefabrik Nairit und die Zerstörung des größten Süßwassersee des Kaukasus, des Sevan-Sees. Doch mischten sich in die Umweltslogans bald Rufe wie „Bergkarabach gehört historisch zu Armenien“. Schließlich dominierten solche Forderungen nach der Unabhängigkeit Bergkarabachs von Aserbaidschan, und Hunderttausende folgten den Demonstrationsaufrufen.
Auf der gegnerischen Seite in der aserbaidschanischen Hauptstadt Baku entlud sich im November 1988 die Wut nach Berichten, die Armenier hätten 300 Jahre alte Bäume in der Region um die Stadt Schuscha in Bergkarabach gefällt. Dies wurde als Angriff auf die Identität und Seele der Aserbaidschaner interpretiert, denn Schuscha galt als kulturelles Zentrum und Wirkungsstätte aserbaidschanischer Künstler und Intellektueller. Der Vorwurf, die Armenier würden aserbaidschanische Ressourcen ausbeuten und aserbaidschanisches Land zerstören, ist bis heute präsent. Auf der anderen Seite halten die Armenier an ihrem Anspruch fest, Bergkarabach gehöre historisch zu Armenien und dessen überwiegend armenische Bewohner hätten ein Recht auf Selbstbestimmung.
Konflikte um Wasserkraftwerke
Auch in Georgien entstand bereits während der Reformphase am Ende der Sowjetunion eine Umweltbewegung. Aktivisten thematisierten die Verschmutzung der Natur und den technokratischen Umgang mit der Nutzung natürlicher Ressourcen. Im Gegensatz zu großflächigen Infrastrukturprojekten sprachen sie sich für die Entwicklung und den Einsatz umweltfreundlicher Technologien aus.
Ab 1992 gingen Mitglieder der Umweltbewegung auch in die Politik und gründeten die Partei „Grüne Bewegung“ und schon bald danach eine Abspaltung „Grüne Partei“. In den folgenden Jahren zogen einige Politiker mit grünen Themen in den Wahlkampf. Aber Umweltthemen erhielten trotz erheblicher Schwierigkeiten bei der Stromversorgung keine höchste Priorität, weil andere Probleme noch drängender schienen. Georgien galt außerdem vor der „Rosenrevolution“ 2003 als gescheiterter Staat. Nach der Machtübernahme durch Michail Saakaschwilis Partei „Vereinte Nationale Bewegung“ stand die Modernisierung des Landes im Mittelpunkt, zu der umfangreiche Infrastrukturprojekte wie Straßenausbau und Projekte zum Bau von Wasserkraftwerken zählten. Eine gemeinsame Studie der Weltbank und der Regierung sah damals vor, dass der Bau einer Kaskade von Wasserkraftwerken am Fluss Inguri in der nordwestlich gelegenen Bergregion Swaneti die Energieversorgung des Landes sicherstellen und Exportkapazitäten schaffen könnte. Dies würde die Abhängigkeit von problematischen Energielieferanten – insbesondere Russland und Aserbaidschan – verringern, lautete die Empfehlung.
Derzeit werden in Georgien 35 Prozent der Energie aus überwiegend importierten fossilen Brennstoffen und 65 Prozent aus Wasserkraftwerken gewonnen, wobei der Energiebedarf kontinuierlich wächst. Die Internationale Energieagentur verwies darauf, dass Subventionen für Gas letztlich zu niedrigen Endverbrauchertarifen führten und dies das Energiesparen nicht fördere. Relativ niedrige Strompreise hätten zudem zu einem Boom des „Kryptomining“ geführt, dem Ausrechnen von Zahlencodes für Kryptowährungen wie Bitcoin per Computer, das zu einem enormen Stromverbrauch führt. Im abtrünnigen und von Russland kontrollierten Abchasien wird „Kryptomining“ in solchem Umfang betrieben, dass es immer wieder zu Versorgungsengpässen kommt.
Protestbewegung überdauert Machtwechsel
Bereits 1979 war mit dem Bau der Khudoni-Talsperre am Fluss Inguri begonnen worden. Er wurde aber 1989 angesichts von Protesten gegen drohende Umweltschäden, der geplanten Umsiedlung von Anwohnern und der Erdbebengefahr in der Region eingestellt. Als die Regierung Saakaschwili 2005 das Projekt wieder aufnahm, lebte auch die Protestbewegung wieder auf. Diese blieb nach 2012 aktiv, als nach einem weiteren Machtwechsel die neue Regierungspartei „Georgischer Traum“ an dem Projekt festhielt. Die Gegner beklagen, dass die Politik die Bevölkerung unter Druck setze, statt die Anwohner einzubeziehen und durch mehr Kommunikation Vertrauen zu schaffen. Wem die beteiligten Firmen gehörten, sei unklar, lautet die Kritik. Georgien werde kaum profitieren.
Während die Nutzung von Wasserkraft zur Energiegewinnung in Georgien international befürwortet und gefördert wird, stößt die Umsetzung der nach Angaben der Internationalen Energieagentur derzeit etwa 150 Projekte vielerorts auf Widerstand. Im April 2019 löste die Polizei im mehrheitlich von Tschetschenen bewohnten Pankisi-Tal eine Demonstration gewaltsam auf, die sich gegen das Projekt „Khadori-3“ und den Bau mehrerer kleinerer Kraftwerke richtete. Den Anwohnern war es fast ein Jahr lang gelungen, die Bauarbeiten aufzuhalten. Sie befürchteten Engpässe bei der Wasserversorgung infolge des Projekts.
Ende Februar 2021 kam es in der Stadt Kutaissi zu einer Massendemonstration mit tausenden Menschen. Ihr Protest richtete sich gegen den Bau des Namakhvani-Wasserkraftwerks am Fluss Rioni in Zentralgeorgien. Einer der Anführer des Protestes, der 28-jährige Varlam Goletiani, warf der Regierung vor, einen illegalen Vertrag mit der beauftragten türkischen Firma „Enka Renewables“ geschlossen zu haben. Die Anwohner des Rioni wüssten nichts davon, dass das „kollektive Eigentum“ des Flusses einem ausländischen Investor überlassen worden sei. Dies rechtfertige die Gegenwehr der Bevölkerung. Die Aktivistin Irma Zoidze aus der Schwarzmeer-Stadt Batumi nahe der türkischen Grenze verwies auf negative Erfahrungen mit anderen Investitionsprojekten, die aus dem Ausland finanziert und mit staatlichem Druck durchgesetzt worden seien. In Batumi seien öffentliche Gebäude wie Schulen und Kindergärten an Investoren gegeben worden: „Das System ist gegen das Volk“, so Zoidze.
Die Internationale Energieagentur empfiehlt angesichts des großen Widerstands in der Bevölkerung gegen Wasserkraftwerke in Georgien, „mit angemessenen Maßnahmen“ für höchste technische, ökologische und soziale Qualitätsstandards zu sorgen sowie strenge Sicherheitsmaßstäbe für den Bau solcher Kraftwerke festzulegen und durchzusetzen. Dies könne die Öffentlichkeit dafür sensibilisieren, dass es notwendig sei, den wachsenden Energiebedarf auf klimafreundliche Weise zu decken.
Widerstand gegen Bergbau
Aus der Vielzahl von Umweltproblemen sticht in Armenien der Abbau von Rohstoffen wie Kupfer, Gold und Molybdän heraus, gegen den sich an mehreren Standorten im Land eine starke Umweltbewegung etabliert hat. Schon seit Jahrzehnten beklagen die Anwohner eines Tagebaus bei Kadscharan in der südostarmenischen Provinz Sjunik die Folgen des Abbaus von Kupfer und Molybdän. Regelmäßig erschüttern Sprengungen die Region. Umweltaktivisten beschuldigen die Betreibergesellschaft, an der die deutsche Firma Cronimet aus Karlsruhe beteiligt ist, dass die Rückstände aus dem Abbau in den Boden und die Flüsse gelangten und der Gesundheit der Anwohner schadeten. Am sichtbarsten werde dies an einem Teich mit Schlammrückständen, der eine milchig-türkise Farbe hat. Cronimet wies derlei Vorwürfe in Gesprächen mit deutschen Journalisten zurück: Der Abbau sei ungefährlich für die Menschen und die Gesetze würden eingehalten. Die Firma engagiert sich mit sozialen Projekten in der Region. Der Tagebau gibt 3.000 Menschen Arbeit, die Betreibergesellschaft zählt zu den größten Arbeitgebern in Armenien.
Um die Entstehung eines weiteren Tagebaus in einem Umfang wie in Kadscharan zu verhindern, entwickelte sich gegen die Teghut-Mine in der nördlichen Region Lori eine starke Umweltbewegung, die in den vergangenen Jahren einige Erfolge verzeichnen konnte. So musste die Betreiberfirma „Vallex Group“ Umweltverschmutzung eingestehen. Investoren zogen sich zurück, 2018 stellte das Unternehmen den Bergbau ein.
Eine über die sozialen Medien verbundene Bewegung von Aktivisten engagierte sich in den 2010er Jahren mit weiteren Protestaktionen. Ein Teil von ihnen entschied sich dafür, in die Politik zu gehen, und gründete die Partei „Zivilvertrag“ mit dem Politiker Nikol Paschinjan. 2018 trugen sie mit ihren Protesterfahrungen zu einem friedlichen Machtwechsel in Armenien bei. Doch bereits 2020 gingen Umweltaktivisten gegen Paschinjan auf die Straße. Anlass war die geplante Inbetriebnahme einer Goldmine nahe des Kurortes Dschermuk am Berg Amulsar. Sie forderten von Paschinjan, der Bergbaufirma „Lydian International“ die Lizenz zu entziehen, die ihr die Vorgängerregierung erteilt hatte. Der Premierminister sah sich aber auch unter Druck, internationalen Unternehmen gute Bedingungen zu gewährleisten, damit sie mit Investitionen die schwache Wirtschaft des Landes ankurbelten. Ein Medienbericht zitierte einen internen Report der EU-Delegation in Armenien, wonach auch die Botschaften der USA und Großbritanniens die Regierung unter Druck gesetzt hätten. Derzeit wird der Konflikt vor Gericht ausgetragen.
Bäume gegen den Klimawandel
Im autoritär regierten Aserbaidschan entwickelte sich keine Umweltbewegung mit einem vergleichbaren gesellschaftlichen und politischen Einfluss wie in den anderen Südkaukasus-Staaten. Experten sehen im schwachen Umweltbewusstsein und der fehlenden Infrastruktur – zum Beispiel in der Müllentsorgung – die wichtigsten Risikofaktoren für die Umwelt. Dabei bestehen große Herausforderungen für die langfristige Klimaentwicklung bei der Förderung von Öl und Gas im Kaspischen Meer. Korruption und Vetternwirtschaft erleichtern den Raubbau an der Natur.
Dagegen regt sich jedoch zunehmend Widerstand. Die Organisation Eco-Front organisiert Kampagnen gegen die Abholzung von Wäldern und die Tötung von Rehwild. Hinzu kamen Aktionen zur Müllentsorgung an Seen. Die Bewegung „Green Baku“ organisiert seit 2010 freiwillige Aktionen zur Säuberung der Strände am Kaspischen Meer und zur Stärkung des Umweltbewusstseins, die auch von der EU unterstützt werden. Die Regierung von Präsident Ilham Alijew ließ Raum für solchen Aktivismus und organisierte in letzter Zeit selbst Maßnahmen, die international für Aufmerksamkeit sorgen sollten, wie zum Beispiel die Pflanzung von 650.000 Bäumen, um den Klimawandel zu bekämpfen.
Massive ökologische Probleme wie die Verschmutzung des Kaspischen Meeres infolge der Öl- und Gasgewinnung erfordern zwischenstaatliche Lösungen der Anrainerstaaten, zu denen neben Aserbaidschan auch der Iran, Turkmenistan und Kasachstan sowie Russland zählen. Einer aktuellen Studie der Universität Bremen zufolge könnte der Klimawandel zu einer erheblichen Absenkung des Meeresspiegels führen, wobei der größte Wassereintrag in das Meer aus Russland kommt. Einer der Zuflüsse aus Aserbaidschan, der Fluss Kura, führte im Sommer 2020 so wenig Wasser, das Salzwasser aus dem Kaspischen Meer in die Mündung des Flusses eindrang. Da der Fluss in der Türkei entspringt und durch Georgien nach Aserbaidschan fließt, sind auch hier grenzüberschreitende Maßnahmen gefragt.
Solche Kooperationen fördern vor allem internationale Geldgeber wie die EU oder die grünennahe Heinrich-Böll-Stiftung, die jährlich eine Sommerakademie zu ökologischen Themen organisiert. Nach dem Krieg um Bergkarabach im Herbst 2020 muss allerdings erst wieder grundlegend neues Vertrauen in der Region aufgebaut werden.
Fußnote:
-
Quelle: File:Gergeti Trinity Church and Mt. Kazbeg 02.jpg - Wikimedia Commons (Aufnahme vom 22.08.2016; Autor: braveheart) ↩︎