„Vielleicht trauen wir unseren jungen Menschen viel zu spät Verantwortung zu.“ Ein Gespräch mit Prof. Dr. Thomas Sternberg
Seit dem 20. November 2015 ist Prof. Dr. Thomas Sternberg Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK). Von 1997 bis 2013 war er kulturpolitischer Sprecher des ZdK. Der promovierte Germanist und Theologe hatte an verschiedenen Stationen seines Berufslebens intensiv mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu tun, unter anderem als Direktor der „Katholisch-Sozialen Akademie Franz Hitze Haus“ in Münster (seit 1988). Seit 2005 ist Professor Sternberg Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen und dabei auch mit bildungs- und jugendpolitischen Fragen befasst. – Das Gespräch mit ihm führte Burkhard Haneke. Das Bild wurde vom ZdK zur Verfügung gestellt (© ZdK/KNA-Bild).
Herr Professor Sternberg, als Vater von fünf Kindern haben Sie sicher einen unmittelbaren Zugang zu den Erwartungen, Wünschen, aber auch Sorgen junger Menschen. Wie wichtig sind Ihnen persönlich die Belange junger Menschen?
Zu den erfüllendsten Tätigkeiten gehören für mich die aus der Zeit als Mitarbeiter an der Theologischen Fakultät der Universität Bonn. Dort habe ich erleben dürfen, mit welchem Interesse, mit welchem Eifer und welcher kritischen Offenheit die jungen Studierenden sich mit für sie ganz fremden Inhalten befassen, wenn sie den Eindruck haben können, dass derjenige, der sie vermittelt, für diese Themen brennt. Später habe ich auch in der politischen Bildungsarbeit mit jungen Erwachsenen in der Akademie Franz Hitze Haus in Münster erfahren dürfen, wie viele wache und kritische, interessierte und intelligente jungen Menschen es gibt. Und auch bei meinen eigenen Kindern sehe ich immer wieder, dass die Rede von den so ungebildeten, uninteressierten Jugendlichen einfach nicht stimmt. Aber ihr Leben ist heute nicht einfacher als früher: alles muss selbst entschieden und bewusst gewählt – auch vor den Freunden legitimiert und vertreten werden. Und dass die Zukunftssorgen nicht geringer geworden sind, das wird wohl jeder bestätigen.
Welchen Stellenwert hat das Thema „Jugend“ für das Zentralkomitee der deutschen Katholiken?
Natürlich sind die jungen Menschen für jede Gemeinschaft besonders wichtig. Sie garantieren und gestalten ja die Zukunft des jeweiligen Verbandes, also auch des ZdK. Im Speziellen sind es die hellwachen Vertreter des Bundes der Deutschen Katholischen Jugend, des BDKJ, die sich hier mit Überzeugungen und wichtigen Beiträgen in die Debatten einbringen. 17 Jugendverbände mit rund 660.000 Mitgliedern zwischen 7 und 28 Jahren werden von diesem Dachverband repräsentiert. Nicht zuletzt über den BDKJ kommen die Perspektiven junger Menschen zu Wort. Es geht aber auch inhaltlich noch um mehr: Die jetzt Jugendlichen werden eine Kirche in der Minderheit gestalten müssen, die sich noch weniger in alten volkskirchlichen Selbstverständlichkeiten einrichten kann. Sie müssen eine Kirche gestalten, in der Priester kaum noch vorhanden sein werden und damit auch liturgische und Leitungs-Aufgaben zunehmend an „Laien“ delegiert werden müssen. Die Aussichten sind alles andere als rosig.
Was sind Ihrer Meinung besonders wichtige und drängende Aufgaben, die die (Landes- und Bundes-)Politik im Blick auf die Situation junger Menschen angehen müsste? Wie kann sich hier das Zentralkomitee der deutschen Katholiken einbringen?
Die wichtigsten Themen für junge Menschen sind die Fragen der Bildung im weitesten Sinne. Wie kann eine optimale und begabungsgerechte schulische Bildung ermöglicht werden? Wie werden wir der Falle einer allgemeinen Akademisierung entgehen? Wie werden unterschiedliche Begabungen und Qualifikationen gleich wertgeschätzt? Wie werden auch Menschen mit Beeinträchtigungen sowohl integriert wie zugleich optimal gefördert? Wie wird auch noch außerschulische Bildung als Kennzeichen unserer Jugendarbeit weiter möglich sein? Wann werden die musischen Fächer endlich wieder allgemein selbstverständlich in allen Schulstufen unterrichtet und so die kulturelle Bildung nicht in das Sonderfeld Kultur abgeschoben? Wie werden unsere Kultur, unsere Traditionen, auch unser Glaubenswissen weitergegeben? Wie erreichen wir eine optimale Förderung der Spitzenbegabungen im intellektuellen wie praktischen Bereich? Wie muss eine Universität aussehen, die sich nicht nur als Ort des Credit-Point-Sammelns versteht? Wie ist Bildung möglich, die nicht nur den optimal funktionierenden Menschen im Blick hat? – Wir als Zentralkomitee der deutschen Katholiken bringen uns zu diesen Fragen auf der Ebene der Familien-, Gesellschafts- und Bildungspolitik ein.
Dringt die Kirche heute noch in die Lebenswelten der Jugend vor? Ist sie kommunikativ und medial so aufgestellt, dass sie junge Menschen erreichen kann?
Das ist sicher nicht einfach zu beantworten. Die Formen der siebziger Jahre mit „Jazz-Messen“ und Neuem Geistlichem Lied sind es nicht mehr, womit die Jugendliche motiviert werden. Da sieht es schon anders aus mit der Übertragung von echter Verantwortung auf junge Menschen. Ich mache beste Erfahrungen mit der eigenverantwortlichen Jugendarbeit durch Jugendleiterrunden, die bestenfalls subsidiär auf Unterstützung zurückgreifen und ansonsten sich selbst rekrutierend die Arbeit eigenständig organisieren. Auffallend ist, dass jetzt, wo so viele katholische Männer und Frauen in der Flüchtlingsarbeit engagiert sind, auch Jugendliche ansprechbar sind und in vielen Gemeinden zum Mitmachen bewegt werden können. Von dort ist vielleicht auch die liturgische Selbstvergewisserung dessen, was Christen in solchem diakonischen Dienst trägt, eine Form der Gottesdienste. Vielleicht müssen junge Menschen vor allem in ihren Fähigkeiten angefragt und ernst genommen werden. Vielleicht trauen wir unseren jungen Menschen viel zu spät die Übernahme von Verantwortung zu. Was die Kommunikation und die Medien angeht, ist hier so viel im Fluss, dass leicht der Eindruck entstehen kann, man ist mit den neuen Angeboten immer wieder etwas zu spät. Auch das lässt man am besten die Jugendlichen selbst organisieren und stützt das alles nur subsidiär – ein Erfolgsrezept für viele Bereiche der Kirche.
Wir sind alle einmal jung gewesen – darum Hand aufs Herz: Was würden Sie aus Ihrem Erfahrungsschatz jungen Menschen mit auf den Weg geben?
Bleib dir selber treu – höre auf Menschen, denen du begründet vertraust – setze die Prioritäten immer bei den menschlichen Beziehungen.