„Wasser ist Leben.“
Valentyn Bebik stammt aus dem Osten der Ukraine und floh von dort, als der Krieg ausbrach. Er ist als Mitarbeiter der griechisch-katholischen Caritas im Bereich der Wasserversorgung tätig. – Die Fragen stellte Michael Albus.
Was machen Sie beruflich, Herr Bebik?
Ich begann im Jahre 2014, bei der Caritas zu arbeiten. Geboren bin ich in Donezk und habe lange dort gelebt und gearbeitet. Jetzt steht dieses Territorium nicht mehr unter der Kontrolle der ukrainischen Regierung. Ich war Augenzeuge, wie dort der Krieg begonnen hat, und habe in dieser Zeit mit anderen Menschen zusammen den Opfern geholfen. Im Mai 2014 habe ich verschiedene sehr gefährliche Situationen erleben müssen. Nach einer Dienstreise in den Westen des Landes habe ich dann die Entscheidung getroffen, nicht mehr in mein Heimatgebiet zurückzukehren.
In Donezk arbeitete ich früher als Leiter eines Designstudios. Kurz nachdem der Konflikt ausgebrochen war, kam eines Tages eine Gruppe von 30 Leuten und nahm alles aus meinem Büro mit, was nicht niet- und nagelfest war.
Was waren das für Leute?
Es waren Zivilisten mit Waffen, also prorussische Terroristen. In jener Zeit haben die meisten Menschen dort auch ihre Arbeit verloren. Angst herrschte überall.
Anfangs habe ich noch nicht bei der Caritas gearbeitet. Ich gehörte noch einer Gruppe von Volontären beim Kiewer Patriarchat an. Wir halfen Menschen, die durch den Krieg in große Not gekommen waren. Im Sommer 2014 kam ich dann zur Caritas Ukraine. Zusammen mit Kollegen bin ich in den Osten gefahren und habe dort viele Besuche gemacht. Durch den direkten Kontakt mit den Menschen lernten wir die Situation ganz konkret und hautnah kennen. Wir wussten danach, worauf es ankam.
Und dann haben Sie mit einer ganz bestimmten Arbeit in der Konfliktzone begonnen: Sie haben sich dort um die Wasserversorgung gekümmert. Eine ganz wichtige Arbeit, denn Wasser bedeutet Leben. Wie sah die Arbeit aus?
Zuerst haben wir den Kontakt mit den Mitarbeitern der Caritas in Slowjansk, einer Stadt im Osten, gesucht und mit ihnen zusammengearbeitet. Wir haben erst einmal 150 Wohnungen und andere Gebäude renoviert. Dann haben wir den Menschen Lebensmittel und Medikamente gebracht und dafür gesorgt, dass sie psychologische Unterstützung bekamen. – Das waren die ersten Schritte, die ersten Probleme, die wir dort vorfanden und wo wir konkret helfen konnten.
Schließlich ging es dann um die Wasserversorgung im Kriegsgebiet. Da war vieles, was notwendig war für das tägliche Leben, durch den dauernden Beschuss unbrauchbar geworden. Ohne eine ausreichende Versorgung mit sauberem Wasser kann kein Mensch leben oder überleben. Vor allem in den beiden Kriegsstädten Donezk und Luhansk war das der Fall. Sie waren schon vorher ziemlich heruntergekommen, was die Wasserversorgung betrifft. Große chemische Werke waren dort, die Erde war vergiftet, verseucht und ausgetrocknet. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, den Menschen baldmöglichst wieder sauberes Trinkwasser zu liefern, außerdem sauberes Gebrauchswasser.
Im Dorf Myrne, was aus dem Ukrainischen übersetzt „Frieden“ heißt, haben wir eine Quelle gebohrt. Das Wasser wurde zuerst in einem Behälter gesammelt. Dann stieg es langsam nach oben. Dort haben wir Filter eingebaut. Erst nach der Filterung konnten die Menschen das Wasser bedenkenlos trinken. Unser vorrangigstes Ziel war es, den Menschen einen freien Zugang zum Trinkwasser zu erschließen.
Wie tief mussten Sie bohren?
In Myrne waren es 42 Meter. Aber an anderen Ort mussten wir bis zu 60 Meter tief gehen. Zum Teil war das Wasser sehr nitrithaltig. Schließlich versorgte diese Quelle drei Dörfer in der Umgebung mit sauberem Wasser. Diese drei Dörfer hatten vorher zu der offiziellen kommunalen oder staatlichen Wasserversorgung keinen Zugang.
Valentyn, Sie kommen aus dem Donezkbecken. Sie haben den ganzen Niedergang dieser Gegend durch den Krieg miterlebt. Sie kennen sich dort aus. Wie sieht denn aus Ihrer Sicht die Zukunft dort aus? Wird der Krieg bald zu Ende sein oder geht er noch lange weiter?
Die Frage kann niemand sicher und realistisch beantworten. Der Krieg kann noch lange dauern, meine ich. Für mich ist es nur wichtig, dass in jedem Fall die Menschen, die dort leben müssen, schlicht und einfach sauberes Wasser haben. Wasser ist Leben.
Sie rechnen also realistisch damit, dass der Krieg sich noch hinzieht?
Wenn wir uns das ideale Szenario einmal vorstellen und von der idealistischen Annahme ausgehen, dass der Konflikt nicht mehr lange dauert und der Krieg bald zu Ende ist, dann wird einfach festzustellen sein: Das Territorium und die Industrie dort sind völlig zerstört. Es gibt keine Stahlindustrie und keine Kohleförderung mehr. Alles ist kaputt. Im Moment funktionieren bestenfalls noch fünf Prozent der gesamten Industrie im Kriegsgebiet gerade so. Die Menschen dort sind arbeitslos. Und niemand kann schnell wieder alles aufbauen oder renovieren. Es ist ja auch die Frage, ob man alles wiederaufbauen oder reparieren soll – ist das überhaupt sinnvoll? Der Bedarf an Kohle geht immer weiter zurück. Deshalb ist auch zu fragen, ob man nicht an etwas ganz Neues denken muss.
Eine letzte persönliche Frage noch: Was sind Sie eigentlich von Beruf? Was haben Sie gelernt?
Ich habe zwei Ausbildungen, eine als Lehrer und eine als Ingenieur. Ich muss noch hinzufügen, dass ich mich tendenziell mehr und mehr in meinem Beruf als Lehrer betätige. Die Entwicklung kann ganz verschieden sein. Wir wissen es nicht. Aber wir müssen gerade jetzt die Menschen, die dort in den Gemeinden und Gemeinschaften leben, lehren, wie sie sich selbst helfen und wie sie auf demokratische Weise einen Ausweg aus ihren schwierigen Situationen finden können. Es gibt viele kleine Dörfer in der Ukraine. Dort leben Menschen, denen neue, ungewohnte, aber notwendige Wege bislang völlig unbekannt sind. Ich will ihnen dabei helfen, den Mut zu haben und die nötige Ausdauer zu entwickeln, diese neuen Wege gehen zu lernen und dann auch tatsächlich zu gehen.