Wirksamer Friedensgarant oder passiver Beobachter?
Zusammenfassung
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) agiert heute häufig im Schatten von EU und NATO. Spätestens seit der Ukraine-Krise ist Europa mit der Realität konfrontiert, dass es eines gleichberechtigten, konsensbasierten Ost-West-Formats bedarf. Welche Rolle die OSZE in der Beilegung der Konflikte im europäischen Umfeld übernimmt, ist aber umstritten. Der folgende Beitrag beinhaltet einen Überblick über die Ziele, Institutionen und Handlungsfelder der Organisation und fragt anschließend nach der Handlungsfähigkeit der OSZE anhand ihrer Vermittlungsversuche im Bergkarabach-, Abchasien- und Südossetien-Konflikt.
Grundlagen der OSZE
Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, hervorgegangen aus der 1975 gegründeten gleichnamigen Konferenz (KSZE), verfolgt das übergeordnete Ziel der Friedenssicherung in Europa und sieht sich als Forum für politischen Dialog, Vertrauensbildung, Zusammenarbeit und Konfliktvorbeugung/Krisenbewältigung. Die Frage, ob es sich bei der OSZE um eine internationale Organisation handelt, ist unklar, weil keine Hinterlegung der Gründungsurkunde beim UN-Generalsekretär erfolgt ist. Aufgrund dessen werden die derzeit 57 Teilnehmerstaaten1 auch nicht als Mitgliedsstaaten bezeichnet. Sitz der Organisation ist Wien.
Der Weg zur heutigen OSZE begann in den 1950er Jahren mit Bemühungen insbesondere seitens der Sowjetunion, unter den Bedingungen des beginnenden Kalten Krieges ein gesamteuropäisches Forum zur Friedenssicherung einzurichten. Erst Willy Brandts „neue Ostpolitik“ ermöglichte aber die Gründung der KSZE, deren erste Runde 1973-1975 in Helsinki stattfand und trotz anhaltender ideologischer und Interessenskonflikte eine selektive Zusammenarbeit zwischen Ost und West einleitete.
Nach dem weltpolitischen Umbruch der Jahre 1989/90 sollte die KSZE auf Grundlage der so genannten „Charta von Paris“ einen Beitrag zur Gestaltung des „neuen Europa“ leisten. Dabei stand nicht mehr die Sicherheit und die Souveränität der Teilnehmerstaaten im Mittelpunkt, sondern die wirtschaftliche und politische Entwicklung auf der Grundlage von liberaler Demokratie und Marktwirtschaft. Institutionalisiert wurde diese Neuausrichtung 1994 in Budapest mit der Umbenennung in OSZE zum 1. Januar 1995.
Die ersten Jahre in dieser neuen Konstellation waren geprägt von Bemühungen im Kontext des Zerfalls Jugoslawiens und bei der postkommunistischen Transformation. Zwischen 1999 und 2010 fand allerdings kein einziges Gipfeltreffen statt; die neuen Ziele erwiesen sich als zu ambitioniert und in Teilen nicht konsensfähig. Mit der Annexion der Krim und dem Konflikt in der Ostukraine erodiert die europäische Friedensordnung in den Augen zahlreicher Beobachter dann ganz grundsätzlich. Seit Mitte 2017 findet zumindest ein hochrangiger „Strukturierter Dialog“ über drängende politisch-militärische Fragen im OSZE-Raum statt, was zusammen mit Dialogformaten in den Mittelmeerraum und nach Asien für einen gewissen Bedeutungsrückgewinn der OSZE als Dialogplattform und vertrauensbildende Instanz sprechen mag.
Institutionen und Tätigkeitsbereiche
Die OSZE verfügt über ein komplexes Institutionengefüge, bestehend aus einem rotierenden Vorsitz, der jeweils eine Troika mit dem vorherigen und dem kommenden Vorsitz bildet, Persönlichen Beauftragten des Vorsitzes, einem Generalsekretär, einem jährlich tagenden Ministerrat, einem Ständigen Rat und einer Reihe von Komitees und einer Parlamentarischen Versammlung mit ca. 300 Abgeordneten aus den Mitgliedsstaaten. Weiterhin gibt es ein Forum für Sicherheitskooperation, verschiedene „field missions“2, das aufgrund seiner Wahlbeobachtungstätigkeiten bekannte Office for Democratic Institutions and Human Rights (ODIHR), einen Hohen Kommissar für nationale Minderheiten, einen Beauftragten für die Freiheit der Medien sowie einen Antisemitismusbeauftragten.
Grundsätzlich arbeitet die OSZE nach dem Konsensprinzip, ihre Beschlüsse haben damit keinen rechtsverbindlichen Charakter. Handlungsleitend ist vielmehr der Gedanke, durch „Brückenthemen“ trotz bestehender Interessenskonflikte gemeinsame Handlungsfelder zu eröffnen und dadurch Vertrauensaufbau zu betreiben. Unter dem übergeordneten Ziel, eine „freie, demokratische, gemeinschaftliche und unteilbare Euro-Atlantische und Eurasische Sicherheitspartnerschaft“ zu schaffen, verfolgt die OSZE drei Quasi-Programmlinien, die als Dimensionen bezeichnet werden und ihren Ursprung in den drei so genannten „Körben“ der KSZE haben.
- politisch-militärische Dimension: Rüstungskontrolle, weitere vertrauensbildende Maßnahmen, Bekämpfung gemeinsamer Herausforderungen wie Cyberangriffe oder Terrorismus,
- Wirtschafts- und Umweltdimension: verantwortungsvolle Regierungsführung, Korruptionsbekämpfung und Nachhaltigkeitsförderung,
- humanitäre und Menschenrechtsdimension: Aufbau demokratischer Institutionen, Unterstützung und Kontrolle bei der Durchführung transparenter Wahlen sowie der Einhaltung rechtsstaatlicher Prinzipien.
Feldoperationen (die o. g. field missions) führt die OSZE ausschließlich auf Einladung des Gastlandes durch; das Mandat wird im Konsens vereinbart. Gängige Ziele sind beispielsweise die Unterstützung beim Kapazitätsauf- oder -ausbau, teilweise auch die Reduzierung von Spannungen im Konfliktfall.
Fallbeispiel: Engagement der OSZE im Südkaukasus
Die Arbeit der OSZE im Südkaukasus wurde in den vergangenen Jahren wegen ihrer mangelnden Durchsetzungskraft wiederholt kritisiert; die beteiligten Akteure äußerten sich oft skeptisch bezüglich der Handlungsfähigkeit der Organisation und forderten eine Stärkung des OSZE-Instrumentariums. Um besser einschätzen zu können, wie effektiv die OSZE dort agiert, sollen im Folgenden ihre Stärken und Schwächen am Beispiel der Bearbeitung langwieriger Konflikte im Südkaukasus betrachtet werden.
Der Berg-Karabach-Konflikt
Der Berg-Karabach-Konflikt im Südkaukasus hat seinen Ursprung in sowjetischer Zeit.3 Das mehrheitlich von ethnischen Armeniern bewohnte Gebiet wurde im Jahr 1921 an die Sozialistische Sowjetrepublik Aserbaidschan angegliedert. Diese Entscheidung des Kaukasus-Büros der kommunistischen Partei erzeugte schon damals unterschiedliche Reaktionen in der Aserbaidschanischen und Armenischen SSR. Aufgrund der armenischen Bevölkerungsmehrheit in Berg-Karabach beruft sich die armenische Seite auf ihr Recht auf Selbstbestimmung, während die aserbaidschanische Seite auf territorialer Integrität besteht. Die Auseinandersetzungen verschärften sich massiv seit der Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Der internationale Charakter des Konflikts veranlasste externe Akteure dazu, eine Vermittlerrolle anzustreben. Die internationale Gemeinschaft berief 1992 eine Konferenz in Minsk ein, um über Möglichkeiten der Konfliktlösung zu verhandeln. Zu dieser Friedenskonferenz ist es allerdings nie gekommen, sie gab aber immerhin den Impuls für weitere Vermittlungsversuche. Seitdem hat sich die Minsker Gruppe4 als einziger internationaler Vermittler in diesem Konflikt etabliert. Im selben Jahr wurden die beiden Länder Mitglieder der KSZE und ließen eine Beobachtermission in Berg-Karabach zu. Jedoch erschwerten die fehlende Kompromissbereitschaft auf Seiten Armeniens und Aserbaidschans, aber auch Unstimmigkeiten zwischen den Vermittlern die Arbeit. Der Westen zögerte, die Friedensmission nur mit russischen Akteuren zu besetzen, Russland auf der anderen Seite wollte keine westliche Präsenz in seiner direkten Einflusszone dulden. Die erfolglosen Versuche, einen Waffenstillstand zu erreichen, sowie die Vermischung verschiedener nationaler Agenden im Vermittlungsprozess führten dazu, dass die Minsker Gruppe den Kreis der vermittelnden Staaten begrenzte. Heute bilden Russland, die USA und Frankreich den gemeinsamen Vorsitz der Minsker Gruppe.
Nach vielen erfolglosen Versuchen gelang es der KSZE, unter besonderer Vermittlung Russlands 1994 eine Einigung über einen Waffenstillstand zu erreichen. Mit der Unterzeichnung des Abkommens hat sich die Situation vor Ort relativ stabilisiert, die massiven kriegerischen Handlungen konnten beendet werden, allerdings wurde die Vereinbarung über den Waffenstillstand immer wieder verletzt. Mit anhaltenden Unruhen, die durchschnittlich 25 bis 30 Tote pro Jahr fordern, fällt der Konflikt unter den Begriff eines aktiven bewaffneten Konflikts.
Die Kapazitäten der OSZE in Berg-Karabach waren von Anfang an äußerst eingeschränkt. Das Monitoring ist in den meisten Fällen nur unter vorheriger Ankündigung möglich. Dies unterminiert die Aufgabe der Beobachtermission und beraubt sie ihrer eigentlichen Funktion. So wurde in den lokalen Medien die Arbeit der Minsker Gruppe vor Ort als „touristische Ausflüge“ bezeichnet. Ein anderer Faktor, der die Effektivität der OSZE untergräbt, ist ihre organisatorische Verfassung. Aufgrund des Einstimmigkeitsprinzips hat jeder Staat einschließlich der Konfliktparteien ein Vetorecht. Davon hat Baku Gebrauch gemacht, als Aserbaidschan 2017 gegen eine Verlängerung des OSZE-Mandats in Jerewan stimmte. Mit der Schließung des Büros in Armenien hat die OSZE ihren letzten Sitz im Südkaukasus verloren. Außerdem verfügt die OSZE im Fall einer Verletzung des Waffenstillstands über keine Mittel, um Druck auf die Parteien auszuüben oder eine eigene Fact-Finding-Mission einzusetzen. Die Friedensleistung der OSZE beschränkt sich auf die Mediation zwischen den Regierungsvertretern hinter verschlossenen Türen, die (Zivil-) Gesellschaft der beteiligten Staaten wird nicht am Friedensprozess beteiligt. Hinzu kommen die nationalen Interessen der Vermittler: Frankreich wurde von Baku für seine proarmenische Haltung kritisiert; Russland gilt als der wichtigste Waffenlieferant, sowohl für Armenien als auch für Aserbaidschan und hat demnach nur ein geringes Interesse, ein Waffenembargo als Druckmittel einzusetzen; die Politik der USA ist vor allem von geoökonomischen Interessen geprägt. Der ehemalige armenische Präsident Levon Ter-Petrosjan fasste die Arbeit der OSZE in Berg-Karabach dahingehend zusammen, dass die Teilnehmerstaaten mehr mit der Interessenkonkurrenz untereinander als mit der eigentlichen Konfliktlösung beschäftigt gewesen seien.
Zu den großen Erfolgen der Minsker Gruppe zählt dennoch die Beendigung des offenen Kriegs mit dem Waffenstillstandsabkommen 1994. Trotz der ständigen Verletzung der Vereinbarung hat die Vermittlung der OSZE-Länder dazu beigetragen, dass weitere militärische Auseinandersetzungen gehemmt wurden. Die OSZE als Plattform hat eine Möglichkeit geschaffen, vom Kriegs- auf ein Verhandlungsregime umzuschalten und den Dialog zwischen den Konfliktparteien zu ermöglichen. Auch wenn diese Versuche nicht immer erfolgreich endeten, gibt die OSZE konsequent weitere Impulse für friedensorientierte Gespräche. Das Scheitern von Vermittlungsversuchen ist teilweise in internen Unstimmigkeiten, aber vor allem in dem über die Jahre akkumulierten Misstrauen zwischen Armenien und Aserbaidschan und der fehlenden Bereitschaft zur Unterstützung der OSZE-Friedensaktivitäten in der Region begründet.
Der Konflikt in Südossetien und Abchasien
Anfang der 1990er Jahre brachen auf dem Gebiet Georgiens Sezessionskonflikte in Abchasien und Südossetien aus. Die separatistischen Bewegungen wurden von Russland unterstützt, die Regierung in Tbilisi weigerte sich, den Abchasen und Osseten Autonomie einzuräumen. Die Kriege kosteten mehr als 11.000 Menschen das Leben, 250.000 ethnische Georgier mussten aus ihren Wohngebieten flüchten. Beide Auseinandersetzungen wurden durch Waffenstillstandsabkommen unter Vermittlung Moskaus beendet.5 Die russische Föderation unterstützte die Separatisten, gleichzeitig unterstrich sie aber die territoriale Integrität Georgiens. Somit war Moskau sowohl Verbündeter der separatistischen Bewegungen als auch einziger Vermittler und Friedensgarant.
1992 wurde Georgien Mitglied der KSZE und bat die Organisation, eine Beobachtermission an die südossetische Grenze zu schicken. Damit verfolgte Georgien das Ziel, die Konflikte zu internationalisieren und die bestehende Joint Peacekeeping Force (JPKF) zu ersetzen. Der Grund dafür war, dass die JPKF aus russischen, süd- und nordossetischen sowie georgischen Streitkräften bestand – die Regierung zweifelte an der Neutralität der Friedensmission, da Tbilisi sowohl Südossetien als auch Russland als Konfliktparteien ansah. Die KSZE sandte eine kleine Beobachtermission in den Südkaukasus, um eine Aussöhnung zwischen den Konfliktparteien zu erreichen, die Situation vor Ort zu stabilisieren und Georgien in seiner Entwicklung zu Demokratie und Rechtsstaatlichkeit zu unterstützen. Am Anfang ihrer Tätigkeit war es der OSZE gelungen, einige kleine Fortschritte zu erreichen. Die Konfliktparteien waren einverstanden, sich unter ihrer Vermittlung an einen Tisch zu setzen. In den folgenden Jahren wurde allerdings klar, dass die beteiligten Akteure ganz unterschiedliche Ziele verfolgten und teilweise gar nicht daran interessiert waren, den Konflikt zu beenden. Die georgische Regierung versuchte nach wie vor, Südossetien und Abchasien zurückzugewinnen. Abchasien strebte die Unabhängigkeit an, Südossetien sprach sich für eine Angliederung an Russland aus – dieses wiederum nutzte die Konflikte, um den eigenen Einfluss in Georgien zu wahren.
Trotz der Misserfolge in der Konfliktlösung blieb die OSZE-Mission für die georgische Seite ein äußerst wichtiger Faktor, um gegen die russischen Narrative anzukämpfen, denn durch ihre Berichte gelang es der OSZE-Mission, zahlreiche Fehlinformationen der russischen Seite zu widerlegen. Insgesamt beschrieb der ehemalige Staatsminister Temur Jakobaschwili die Arbeit der OSZE in Georgien als in der Rückschau erfolgreich.
Die OSZE-Mission sorgte zwar dafür, dass die internationale Gemeinschaft über die Geschehnisse vor Ort informiert war, erwies sich jedoch in ihrem tatsächlichen Einfluss als machtlos. So sprach der OSZE-Experte Victor Yves Ghebali über die Unfähigkeit der Organisation, Russland dazu aufzufordern, die Vereinbarung bezüglich des Rückzugs der russischen Truppen aus georgischem Staatsgebiet zu erfüllen.6 Später, im Jahr 2002, als der russische Präsident Wladimir Putin damit drohte, „Russlands legitimes Recht auf Selbstverteidigung“ auf georgischem Gebiet anzuwenden, kritisierte Ghebali die fehlende Reaktion auf mögliche Eskalationsrisiken. Aus dieser Perspektive waren es die USA, die Russland davon abgehalten hatten, in Georgen einzumarschieren – die OSZE hätte nichts dagegen tun können. Tbilisi empfand die russische Dominanz in der Organisation als problematisch. Die Effizienz der OSZE-Mission in Georgien hing maßgeblich vom russischen Willen ab; durch sein Veto-Recht blockierte der Kreml allerdings alle Initiativen, die seine Machtpolitik gefährdeten. Anderen OSZE-Staaten fehlte es entweder an Überzeugung oder an Bereitschaft, die russische Dominanz auszubalancieren.
Die Arbeit der OSZE stieß während des Krieges zwischen Russland und Georgien in Südossetien 2008 an ihre Grenzen. Die OSZE arbeitete zwar in Kooperation mit der JPKF, allerdings mit dem Unterschied, dass die OSZE-Beobachter nicht im Norden Zchinwalis sowie zum Roki-Tunnel zugelassen wurden. In Zusammenarbeit mit dem russischen Kommandeur Marat Kulachmetov gelang es lediglich, humanitäre Korridore zu errichten und einen Gefangenenaustausch zu organisieren. Die Mediationskapazitäten der Organisation wurden jedoch während des Krieges und besonders danach noch mehr eingeschränkt. Sie wurde in Südossetien einer pro-georgischen Haltung beschuldigt, und Russland zeigte sich unzufrieden wegen ihrer Aktivitäten vor Ort. Im Jahr 2009 erzwang der Kreml auf einer Sondersitzung in Wien durch sein Vetorecht die Beendigung der Beobachtermission in Georgien. Im selben Jahr beendete die Organisation ihre Tätigkeiten im Land.
Das 26. Ministertreffen der OSZE im Dezember 2019 erbrachte erneut keine Ergebnisse für die Stabilisierung der Konflikte in Abchasien und Südossetien. In einer gemeinsamen Erklärung forderten die westlichen Staaten Russland erneut dazu auf, dem Waffenstillstandsabkommen vom 12. August 2008 nachzukommen und seine Streitkräfte aus georgischem Staatsgebiet zurückzuziehen. Außerdem kritisierte die Delegation die weitere Ausdehnung des besetzten Gebiets, die Zunahme militärischer Übungen russischer Streitkräfte in den abtrünnigen Regionen, Entführungen und Morde an georgischen Staatsbürgern und die Hinderung der EUMM-Mission7 an der Ausübung ihrer Tätigkeit. Nötig sei eine stärkere OSZE-Präsenz bzw. die Wiedereinsetzung der Mission in Georgien. Greifbare Fortschritte konnten zunächst nicht erzielt werden.
Ernüchterndes Fazit
Als im Jahre 1975 in Helsinki die Schlussakte der KSZE unterschrieben wurde, waren die versammelten Staats- und Regierungschefs davon überzeugt, dass Frieden in Europa durch Zusammenarbeit erreichbar war. Die KSZE hat über Jahre erfolgreich dazu beigetragen, den Ost-West-Konflikt abzumildern und beiderseitige Profite zu erzielen. Mit dem Zusammenbruch der Sowjetunion war die internationale Gemeinschaft allerdings mit einer anderen Realität konfrontiert – neue Krisen benötigten neue Stabilitätsstrategien. Mit der Institutionalisierung der OSZE 1995 wollten die Staaten nicht mehr nur Entspannungspolitik betreiben, sondern u. a. einen tatsächlichen Beitrag zur Beilegung bestehender Konflikte leisten. Die OSZE-Beobachtermissionen in den Konfliktzonen waren somit mit großen Erwartungen verbunden. Diesem Optimismus folgte bald Enttäuschung. Mangelnde Kompromissbereitschaft der Konfliktparteien und ihr Misstrauen gegenüber den Vermittlungsversuchen, aber auch innere Unstimmigkeiten innerhalb der OSZE führten dazu, dass bis heute keine angemessene Strategie zur Konfliktlösung gefunden wurde.
Nichtdestotrotz bleibt die OSZE ein wichtiger Faktor für die Stabilität und demokratische Entwicklung der betroffenen Länder. Die regelmäßige Wahlbeobachtung hilft den Ländern bei der Stärkung ihrer demokratischen Strukturen und sorgt für eine Annäherung an europäische Werte. Ist die OSZE – so die Titelfrage – also nur ein passiver Beobachter oder geht ihre Funktion darüber hinaus und kann sie tatsächlich Frieden in der Region schaffen? Aus den Fällen Berg-Karabach, Südossetien und Abchasien lässt sich ableiten, dass die Organisation zwar dazu beitragen kann, eine weitere Verschlechterung der Situation zu verhindern. Allerdings ist sie mit ihrem aktuellen Instrumentarium nicht in der Lage, die Konflikte tatsächlich zu lösen. Eine Reihe von Gründen lässt sich anführen:
- Das Einstimmigkeitsprinzip. Jeder Teilnehmerstaat hat ein effektives Vetorecht, was den Entscheidungsprozess äußerst erschwert.
- Die Interessen der Vermittlerstaaten stimmen oft nicht mit dem Interesse der OSZE überein. Russland hat ein sowohl politisches als auch ökonomisches Interesse an der instabilen Nachbarschaft. Es ist bis heute gleichzeitig eine Konfliktpartei und ein Vermittler im abchasischen und südossetischen Konflikt. Neben den politischen hat Moskau zusätzlich ökonomische Interessen im Berg-Karabach-Konflikt. Als Hauptlieferant der Waffen für Armenien und Aserbaidschan zieht Russland wirtschaftlichen Profit aus dem Konflikt.
- Die OSZE verfügt über keine direkten Mechanismen, um die Konfliktparteien zu Kompromissen zu bewegen. Beispielsweise kann sie keine Strafmaßnahmen im Fall von Verletzungen eines Waffenstillstandsabkommens verhängen. Somit haben Verstöße seitens der Konfliktparteien keine Konsequenzen.
- Die Konfliktparteien betrachten die Situation als Nullsummenspiel und unterstützen daher die Vorschläge der OSZE nicht.
- Die Verhandlungen finden ausschließlich zwischen Regierungschefs und weiteren Politikern statt, die Gesellschaften sind aus diesem Prozess komplett ausgeschlossen. Die fehlende Kompromissbereitschaft der Eliten hat ihre Entsprechung im fehlenden Kontakt der Bevölkerung zu den Menschen auf der jeweils anderen Seite der Konfliktlinien.
Unter dem Strich ist es der OSZE gelungen, im Bereich Demokratieentwicklung einige Erfolge zu erzielen. In Georgien und Armenien ist in den letzten Jahren eine positive Entwicklung der demokratischen Strukturen zu beobachten. Im Bereich der Konfliktlösung weist die OSZE allerdings Defizite auf. Durch ihre präventive Diplomatie ist sie zwar aktiv an den Vermittlungsprozessen beteiligt, ihre Rolle begrenzt sich allerdings auf die Beobachtung der Situation und die Anfertigung von Empfehlungen. Bislang jedenfalls ist die OSZE weder in der Lage, strategische Stabilität zu garantieren oder Kriege zu verhindern, noch ist sie handlungsfähig genug, um die bestehenden militärischen Konflikte zu lösen. Um ihre Rolle in der Region zu stärken, muss die Organisation zum einen die strukturellen demokratischen Transformationsprozesse in den betroffenen Staaten noch aktiver unterstützen. Zum anderen müssen die westlichen Staaten eine angemessene Strategie gegenüber Russland erarbeiten – eine Mischung aus Druck und Diplomatie ist notwendig, um wieder einen Zugang zu diesen Konflikten zu bekommen.
Fußnoten:
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Alle Staaten Europas einschließlich der Türkei zuzüglich der Mongolei, der Nachfolgestaaten der Sowjetunion, der USA und Kanadas. ↩︎
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Derzeit laufen 14 solche Missionen in Albanien, Bosnien und Herzegowina, Kasachstan, Kirgisistan, Kosovo, Moldau, Montenegro, Nordmakededonien, Russland, Serbien, Tadschikistan, Turkmenistan, Ukraine (2) und Usbekistan. ↩︎
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Zum Berg-Karabach-Konflikt vgl. auch Harutyun Grigoryan: Möglichkeiten und Hindernisse von Versöhnung am Beispiel Berg-Karabach. In: OST-WEST. Europäische Perspektiven 19 (2018), H. 2, S. 117-124. ↩︎
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Zur Minsker Gruppe gehören Deutschland, Frankreich, die USA, Russland, Weißrussland, Finnland, Italien, Schweden, die Türkei, Armenien, Aserbaidschan. Derzeit sind die Vorsitzenden Russland, die USA und Frankreich. ↩︎
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1992 wurde in Sotschi ein Waffenstillstandabkommen für Südossetien, 1994 eines für Abchasien vereinbart. ↩︎
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Auf dem OSZE-Gipfel in Istanbul 1999 hatte sich Russland verpflichtet, bis 2001 alle eigenen Truppen aus dem georgischen Gebiet zurückzuziehen. ↩︎
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EUMM-Georgien ist eine zivile Mission der EU, die im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik tätig ist. Die Mission wurde 2008 nach dem Krieg zwischen Russland und Georgien entsandt. Sie soll zu Stabilität, Normalisierung und Vertrauensbildung zwischen den Konfliktparteien führen. ↩︎