„Zum Krieg ist die Belastung der Corona-Pandemie hinzugekommen.“

Ein Gespräch mit Andrij Waskowycz
aus OWEP 3/2021  •  von Gemma Pörzgen

Zusammenfassung

Die Ukraine ist seit 2014 ein Land im Krieg. Im Osten des Landes wird immer noch gekämpft. Die ohnehin schwierige soziale Lage hat sich in der Corona-Pandemie weiter verschärft. Dabei wirkt sich vor allem aus, dass Tausende von Arbeitsmigranten in die Heimat zurückkehren mussten, deren Einkünfte nun in dem armen Land fehlen, sagt Andrij Waskowycz, seit 2001 Präsident von Caritas Ukraine, der Hilfsorganisation der griechisch-katholischen Kirche. Mit ihm sprach OWEP-Chefredakteurin Gemma Pörzgen.

Schon vor der Corona-Pandemie waren die Herausforderungen für die Caritas in der Ukraine groß. Nun ist zum Krieg im Donbass noch Covid-19 dazu gekommen. Was bedeutet das für Ihre Arbeit?

Die Ukraine ist ohnehin sehr arm, deshalb war die Pandemie eine zusätzliche Belastung. Nach sieben Jahren Krieg ist das Land sehr ausgelaugt. Das hat sich auf die Entwicklung der Ukraine ebenso ausgewirkt wie auf die soziale Situation. Vor allem im Osten des Landes entlang der Kontaktlinie in der Pufferzone, dort wo der Krieg geführt wird, ist es für die Menschen besonders schwer. Durch die Pandemie mussten viele unserer Caritas-Programme neu durchdacht werden. Wie können wir Hilfe leisten, ohne die Menschen zu gefährden?

Mussten Sie Projekte stoppen?

Wir haben kein einziges Projekt gestoppt. Es ist erstaunlicherweise gut gelaufen. Wir hatten nur sehr wenige Leute, die sich in der ersten Zeit angesteckt haben. Wir mussten Projekte aber anders gestalten. Vor allem in der Arbeit mit den Kindern sind viele Projekte online gegangen. Das war vor allem im Frühjahr 2020 schwierig, als die ersten Lockdowns kamen. Da wurden die Grenzen geschlossen, das öffentliche Leben kam zum Erliegen. Wir mussten in den Pflegediensten dafür sorgen, dass alte Menschen von unseren Caritas-Mitarbeitern weiter betreut werden konnten. Hinzu kam, dass Tausende von Arbeitsmigranten in die Ukraine zurückgekehrt sind, weil sie im Ausland nicht mehr bleiben konnten. Dadurch wurden Leute, die ihre Familien bisher mit ihrem Verdienst ernährten, zu zusätzlichen Essern zu Hause und die Einkünfte fehlten. Das ist bis heute ein großes Problem.

Andrij Waskowycz (rechts) und Monsignore Michael Landau, Präsident von Caritas Europa, beim Besuch einer von der Caritas betreuten pflegebedürftigen Frau in der Pufferzone nahe der Frontlinie in der Ostukraine im Mai 2021 (Copyright: Caritas Ukraine)

Die Corona-Pandemie hat ja vielerorts wie ein Brennspiegel für die bereits vorhandenen Probleme einer Gesellschaft gewirkt. Haben Sie denn von Projektpartnern im Ausland und von der EU Unterstützung erhalten?

Die Zusammenarbeit mit den Projektpartnern war sehr gut. Es gab auch bei den Geberorganisationen viel Verständnis dafür, dass wir Projekte in der Pandemie anpassen mussten. Wir mussten teilweise neue Zielgruppen mit hineinnehmen. Die Pandemie hat außerdem tatsächlich dazu geführt, dass man die sozialen Probleme in der Pandemie wie unter einer Lupe verstärkt sehen konnte. Wir mussten uns fragen, wie wir unsere Arbeit in der Ukraine neu und anders gestalten müssen.

Welche Rolle haben dabei die Kirchen gespielt?

Die Kirchen haben eine sehr positive Rolle gespielt. Wir haben mit der griechisch-katholischen Kirche ein Antikrisenzentrum gebildet, in dem alle Organisationen, die im sozialen Bereich tätig sind, zusammenkamen. Dort haben wir auch darüber gesprochen, wie wir den Menschen ermöglichen können, weiter die Gottesdienste zu besuchen. Viele Messen wurden online gefeiert, damit wurde gut auf den Lockdown reagiert. Eine gemeinsame Initiative von Kirche und Caritas hat Lebensmittel unter bedürftigen Menschen verteilt. Das hat die Solidarität in der Gesellschaft gezeigt und war sehr positiv.

Wie ist die Lage in der Ukraine jetzt?

Die Inzidenzen sind in der Ukraine derzeit stabilisiert. Aber wir haben kein wirklich klares Bild, denn es wird viel weniger getestet als in Deutschland. Deshalb wissen wir nicht so genau, wie stark das Virus verbreitet ist. Ein Indikator, der nicht manipuliert werden kann, sind die Sterbeziffern. Es gibt keine enorm erhöhte Sterberate in der Ukraine, sodass Covid-19 bisher offenbar keine katastrophalen Ausmaße angenommen hat. Aber im Herbst kann es natürlich wieder zu einem stärkeren Anstieg der Infektionen kommen.

Wie steht es mit den Impfungen in der Ukraine?

Wir haben da zwei Probleme, ähnlich wie in Deutschland. Gibt es ausreichend Impfstoff und wie bereit sind die Leute, sich impfen zu lassen? Da steht die Ukraine nicht besonders gut da. Das Vertrauen in die Politik ist außerdem nicht besonders groß. Es überwiegt die Skepsis, ob die Regierung diese Pandemie überwinden kann. Zeitweise gab es genügend Impfstoff, aber die Leute sind nicht hingegangen, um sich impfen zu lassen.

Die Ukraine hat den russischen Impfstoff Sputnik V nicht zugelassen. Die Regierung in Kyjiw hielt ihn nicht für ausreichend getestet. Aber auch politisch wäre das undenkbar gewesen. Womit wurde denn in der Ukraine geimpft?

Anfangs gab es vor allem AstraZeneca, dann auch Biontech, aber auch chinesischen und indischen Impfstoff. Letzteren aber nur bis zum Exportstopp in Indien.

Wie bereiten Sie sich bei der Caritas auf den Herbst vor?

Wir versuchen vor allem da zu helfen, wo die Not am größten ist. Auf vieles haben wir wenig Einfluss, wie beispielsweise die Impfsituation im Land. Da haben Caritas International, der Weltverband der Caritasorganisationen, Caritas Europa und der Heilige Stuhl immer wieder Aufrufe gestartet, dass wir in der Pandemie die ärmsten Länder nicht vergessen sollten.