OWEP 1/2002
Schwerpunkt:
Erinnern und Versöhnen
Editorial
Erinnern und Versöhnen – dieses Begriffspaar ist fester Bestandteil des öffentlichen Diskurses, wenn es um die Auseinandersetzung mit Holocaust und nationalsozialistischen Verbrechen geht. Aber auch um Unrecht neueren Datums, um die Opfer linkstotalitärer Gewalt oder ethnischen Hasses. Andererseits drohen diese Begriffe zum Schlagwort zu werden, das niemand mehr hinterfragt.
Erinnerung führt nicht automatisch zu Versöhnung. Dies macht Georg Kardinal Sterzinsky deutlich. Für den Christen habe Versöhnung zudem eine Dimension, die über menschliches Bemühen hinausreicht. Wichtig ist die Erinnerung aus der Perspektive der Opfer. Thomas Hoppe warnt deshalb davor, den Prozess einer sorgfältigen Aufklärung über die historische Wahrheit zeitlich hinauszuschieben.
Opfer zweier Diktaturen wurden die sog. „Ostarbeiter“. Irina Scherbakowa (Moskau) zeichnet ihr Schicksal nach. Nach der Rückkehr in die SU erwartete diese Menschen weitere Verfolgung. Licht in ein dunkles Kapitel deutsch-polnischer Beziehungen bringt eine Dokumentation über die Deutschen östlich von Oder und Neiße 1945–1950. Wolfgang Grycz würdigt dieses mutige Forschungsprojekt, das viele bedrückende Fakten bloßlegt. Zwei Mitautoren des Projekts beschreiben ihren Zugang zu dieser Problematik.
Weitere Beiträge schildern ein regionalgeschichtliches Projekt in Schlesien, prüfen die gesellschaftliche Bedeutung von Erinnerung anhand von Katyn und Chatyn, werten die Erinnerungs- und Versöhnungsarbeit des Maximilian-Kolbe-Werks.
Hoffnungsvoll stimmt ein Gespräch, das Michael Albus mit der Zigeunerin Philomena Franz führte. Sie hat Schreckliches erlebt, dennoch hasst sie nicht. Wie schwierig Versöhnung ist, erklärt die Priorin des Karmels „Regina Martyrum“ nahe der Nazi-Hinrichtungsstätte Berlin-Plötzensee. Sie sei „immer ein Geschenk ... Sie beginnt beim ersten Schritt, den einer auf den Gegner zugeht, und bei der Aufnahme, die dieser ihm bereitet.“
Die Redaktion