Flagge zeigen!
Zusammenfassung
Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Entwicklung in Polen zeichnet der Beitrag die historische Einbindung Polens in Europa nach. Beginnend mit der Taufe Mieszkos im Jahr 966 nimmt er den Leser mit auf eine Reise durch die polnische Geschichte, deren Schlusskapitel die Frage aufwirft, wie die im letzten Jahr gewählte neue polnische Regierung das Verhältnis Polens zur Europäischen Union gestalten möchte.
Es war ein denkwürdiger Tag: Am 24. November 2015 trat die neue polnische Premierministerin Beata Szydło vor die Presse, vor sich das Rednerpult und zahlreiche Medienvertreter, hinter sich eine Phalanx polnischer Fahnen. Die EU-Fahnen, die bis dahin den Konferenzraum in der Kanzlei des Premierministers gemeinsam mit polnischen Flaggen geziert hatten, waren verschwunden. Szydłos Fahnenwahl war ein deutliches Signal an die einheimische Öffentlichkeit ebenso wie an das Ausland: Polen werde sich in Zukunft auf kritische Distanz zum institutionalisierten Europa begeben, dem man seit 2004 angehört und dem man bis heute etwa 127 Milliarden Euro an Transferleistungen verdankt. Nicht nur liberale Kommentatoren in Polen, sondern auch Journalisten in ganz Europa fragten sich, welchen Weg in Europa Polen nun einschlagen werde, ob es sich gar von Europa entfernen werde.
Polen und Europa – eine historische Beziehung
Eines ist klar: Auch eine nationalkonservative (bzw. besser: sozial-nationale) Regierung in Polen, wie sie die im Herbst 2015 siegreiche Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (Prawo i Sprawiedliwość, PiS) gebildet hat, wird das Land nicht völlig aus Europa herausführen können, dazu müsste der Ural an die polnische Westgrenze versetzt und – noch unwahrscheinlicher – die Nation auf die römisch-katholische Kirche verzichten.
Polens europäische Identität hängt tatsächlich auf das Engste mit der katholischen Kirche zusammen: Gemeinhin gilt die Taufe des ersten historisch belegten polnischen Herrschers Mieszko I. im Jahre 966 als Eintritt des Landes in die europäische Völkerfamilie, besiegelt und bestätigt durch die denkwürdige Pilgerreise von Kaiser Otto III. im Jahre 1000 nach Gnesen, wo er nicht nur am Grab des bei der Heidenmission ermordeten Bischofs Adalbert betete, sondern auch Mieszkos Nachfolger Bolesław Chrobry die höchsten Ehren zuteil werden ließ.
Polens Platz in Europa veränderte sich zwar im Laufe der Jahrhunderte, stand jedoch kaum jemals infrage. Im Hoch- und Spätmittelalter eng verbunden mit Herrscherhaus und Aristokratie des Reichs, trug es selbst die Fackel des lateinischen Europas nach Osten: Die 1385 besiegelte Personalunion mit dem Großfürstentum Litauen öffnete das östliche Europa für eine kulturelle und politische Expansion, die nach der polnisch-litauischen Realunion von 1569 weiteren Antrieb erhielt, als Kronpolen die ukrainischen Gebiete von Litauen übernahm und die litauische Reichshälfte selbst vehement polonisiert wurde. Als Bollwerk der Christenheit sah sich die „Adelsrepublik“ seit dem 16. Jahrhundert, galt es doch immer wieder, muslimischen Expansionsgelüsten entgegenzutreten, nicht zuletzt 1683 bei Wien, wo erst Johann Sobieskis Heer den osmanischen Belagerungsring um die Stadt sprengte. Gleichzeitig war Polen Vorkämpfer des lateinischen Europas gegen das aufstrebende orthodoxe Russland. Diese doppelte Frontstellung prägt polnische Identitäten bis in die Gegenwart.
Die Epoche der Aufklärung war eine Zeit, in der Moderne und Tradition in Polen aufeinanderprallten: Auf der einen Seite hatte sich das adlige Lebensmodell des „Sarmatismus“ ausgebreitet, eine selbstgefällig konstruierte Ideologie, die ständische Privilegien dieser in Polen mit mehr als acht Prozent der Bevölkerung besonders großen Bevölkerungsgruppe aus einer mythischen Vergangenheit erklärte und bestrebt war, polnisch-litauische Sonderentwicklungen zu kultivieren. Auf der anderen Seite stand eine aristokratische Oberschicht gemeinsam mit einem Teil der (adligen) Bildungseliten in engem Kontakt mit den Entwicklungen im Westen Europas, die neue Nahrung erhielten, als der Wettiner August II. im Jahre 1697 zum polnischen König gewählt wurde. Unter den beiden Sachsenkönigen und dann vor allem unter der Herrschaft des letzten, 1764 inthronisierten Königs Stanisław August Poniatowski gewannen die Reformer an Einfluss, die davon träumten, Polen zu einem modern verfassten Staat zu entwickeln. Doch die sozioökonomischen Strukturen, verheerende Kriege und die Missgunst der großen, aufstrebenden Nachbarn Preußen, Russland und Österreich ließen letztlich das Reformprojekt scheitern: Kurz nachdem am 3. Mai 1791 der „Große Reichstag“ die erste schriftliche Verfassung Europas verabschiedet hatte, teilten sie Polen endgültig untereinander auf.
Der polnische Staat war aus Europa verschwunden, nicht aber die polnische Nation, die sich Europa immer wieder in Erinnerung rief. Zum einen durch ihre Europäizität, ihren bei aller Eigenart unzweifelhaft europäischen Charakter: Die lateinische Sprache als Sprache der katholischen Kirche kettete sie ebenso an den „Westen“ wie die europäischen Horizonte ihrer Eliten. Bildungssprache war das Französische, Bildungsreisen führten nach England und Italien, und ihr größter Komponist, Fryderyk Chopin, lebte als Frédéric Chopin in Paris. Gleichzeitig zog das geteilte Land Zuwanderer aus glücklichen, da eigene Staaten besitzenden Nationen an: Deutsche etwa ließen sich als österreichische Beamte in Krakau und Lemberg nieder, Deutsche als preußische Beamte und Militärs in weiten Teilen des preußischen Teilungsgebiets, als Kaufleute und Industrielle in den Großstädten Russisch-Polens, in Warschau und in der aufstrebenden Industriestadt Lodz. Dennoch konnte man auf dem Land und in den Kleinstädten oft den Eindruck haben, das „zivilisierte“ Europa sei fern: Bauern wirtschafteten wie vor Jahrhunderten, und in den Schtetl lebten Juden ihr eigenes, oft bitterarmes Leben. Doch auch Bauern und Juden schwebte „Europa“ als Wunschtraum, als Ziel ihrer Lebensträume vor: Seit Mitte des 19. Jahrhunderts rückte es näher, denn die einsetzenden Massenwanderungen in die sich modernisierende Landwirtschaft der deutschen Länder, in die rasant wachsenden Industriezentren Mitteleuropas und in die Weiten Nordamerikas ließen Träume Wirklichkeit werden. Das Migrationsgeschehen, das mit Unterbrechungen bis in die heutige Zeit anhält, mit all seinen Ab-, Pendel- und Rückwanderungen, schuf neue, enge Bande zwischen Polen und dem Rest Europas, dem Rest der Welt.
Europäischer Geist auch in der Zeit der Teilungen Polens
Es war nun aber nicht so, dass Polen gesichts- und gedankenlos in dieses neue, moderne Europa stolperte. Trotz geringer politischer Entfaltungsmöglichkeiten – lediglich im österreichischen Galizien erhielten die Polen im Laufe des 19. Jahrhunderts weitreichende Freiheiten – und trotz sozioökonomischer Strukturprobleme, ja teils auch Marginalisierung beteiligten sich die gesellschaftlichen und intellektuellen Eliten an allen zeitgenössischen Entwicklungen, waren Teil eines eng aufeinander bezogenen europäischen Kommunikationsraums. Kein Zufall also, dass der Aufstand gegen die Zarenherrschaft im russischen Teilungsgebiet im November 1830 ausbrach, kurz nach der Julirevolution in Frankreich und der belgischen Revolution im September, dass es 1848 ins Fahrwasser des „Völkerfrühlings“ steuerte (die Befreiung polnischer Gefangener war sogar ein Hauptereignis der Berliner Märzrevolution) und auch die antirussische Erhebung von 1863/64 großen Widerhall auf dem ganzen Kontinent fand: Die „polnische Frage“ war ein Stachel im Fleisch der lähmenden mächtepolitischen Konstellation in Europa. Die polnische Nation wurde zum Symbol für Aufbegehren gegen Tyrannei und Kampf um nationale Freiheit, damit zu einem Hoffnungsträger liberaler Demokraten und gleichzeitig zu einem Feindbild der kontinentalen Großmächte und ihrer aufkeimenden eigenen Nationalbewegungen.
Kaum waren die Stahlgewitter des Ersten Weltkriegs verklungen, war Polen als Staat in Europa wiederentstanden. 123 Jahre hatte sich die Nation ohne Staat durch Erinnerungskultur, durch die einende Kraft ihrer Sprache, ihrer Literatur und Kultur, natürlich durch die römisch-katholische Identität sowie dank einer nie abreißenden Kontinuität ihrer Eliten stets neu regeneriert. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass keineswegs alle Fundamente polnischer Staatlichkeit über die gesamte Zeitspanne hin beseitigt waren – Napoleon hatte ein kurzlebiges „Herzogtum Warschau“ gegründet, „Kongresspolen“ (der Kern des russischen Teilungsgebiets) hatte bis zu Beginn der 1830er Jahre weitreichende Autonomie behalten, Krakau war bis 1846 Stadtrepublik gewesen, und nach 1867 übernahm Galizien die Rolle eines „polnischen Piemont“. Schließlich hatten die Mittelmächte schon 1916 ein „Königreich Polen“ gegründet, dessen rasch entstehende staatliche Strukturen zur Grundlage der neuen Zweiten Republik wurden. Und der Katholizismus war zwar wichtige Grundlage für nationale Selbstbehauptung und staatliche Wiederauferstehung, doch gelang es der polnischen Nationsidee, Attraktivität auch für andere Konfessionen und Religionen zu entwickeln – Staatsgründer Józef Piłsudski war zumindest zeitweise Protestant (vor allem aber Sozialist), der Anteil jüdischer Intellektueller am kulturellen Höhenflug der Zwischenkriegszeit war enorm.
Polens Platz im Europa im 20. Jahrhundert
Polens Platz im Europa zwischen den Weltkriegen war gewiss kein einfacher: Eingeklemmt zwischen dem revolutionären Russland und dem gedemütigten, nach Revision des Vertrags von Versailles lechzenden Deutschland, stand seine Unabhängigkeit zwar zunächst nicht infrage, doch selbst sein großer politischer Unterstützer, Frankreich, bediente sich des armen östlichen Verbündeten aus ganz pragmatischen Gründen. Zwar blieb Paris nach wie vor europäischer Fixstern am intellektuellen Himmel des Landes, doch zwangen die ernüchternden wirtschaftlichen und politischen Realitäten zu Kompromissen. Als die Regierung Anfang 1934 ein Nichtangriffsabkommen mit NS-Deutschland schloss, schien sich Polen als „Juniorpartner“ sogar in den Orbit eines neuen, nationalsozialistisch geordneten Europas zu begeben. Doch anders als kleinere Nationen des Kontinents erkannte man in Warschau noch rechtzeitig, dass dies letztlich ein Pakt mit dem Teufel war. Polens Weigerung, den ihm von Berlin zugedachten nachrangigen Platz in einem auf Terror und germanische Dominanz fußenden Europa zu spielen, ließ schließlich den Zweiten Weltkrieg ausbrechen. Polen wurde zu seinem tragischsten Schauplatz, zum Ort himmelschreiender Verbrechen: Die Extermination von Millionen europäischer Juden in den auf polnischem Boden liegenden Vernichtungslagern, Mord und Verfolgung von Millionen christlicher Polen und die materielle Zerstörung einer europäischen Kulturlandschaft haben sich dem kollektiven Gedächtnis Europas, ja der Welt eingebrannt.
Es waren schließlich zwei Ereignisse, die nach 1945 Polens Platz in Europa vehement ins Bewusstsein ganz Europas zurückhievten: die Wahl des Krakauer Erzbischofs Karol Wojtyła zum Papst 1978 und zwei Jahre später der Ausbruch der Solidarność-Revolution. Machte die Wahl eines Ostmitteleuropäers zum Haupt der lateinischen Kirche eindrücklich deutlich, dass es trotz aller politischen Gräben und Eisernen Vorhänge überaus mächtige Gemeinsamkeiten im geteilten Europa gab, so führten die von Danzig ausgehenden Streiks des Jahres 1980 die vergessene Vitalität des von kommunistischer Stagnation fast erstickten östlichen Europas vor Augen. Lech Wałęsa und die neu entstehende unabhängige Gewerkschaft Solidarność ließen die in Ost wie West verbreitete Überzeugung einstürzen, dass die europäische Nachkriegsordnung dauerhaft sei: Das Gegenteil war der Fall.
Neue europäische Perspektiven nach 1989
Das „Wunderjahr“ 1989 war zwar noch quälend weit entfernt, doch als es kam, öffnete sich auch Polen neue Wege. Schon in den 1980er Jahren hatten polnische Intellektuelle Polens „Rückkehr nach Europa“ vorgedacht. Die einen machten sich auf die Suche nach der verdrängten „deutschen“ Geschichte ihrer Städte und Dörfer, die anderen entdeckten die vergessenen Landschaften „Mitteleuropas“ – allesamt multikulturelle Geschichten, die zeigten, wie außergewöhnlich und eigentlich überhaupt nicht europäisch die postulierte Monokulturalität, Monoethnizität und sozusagen auch die „Monoideologie“ vieler europäischer Staaten und insbesondere Polens war. „Rückkehr nach Europa“ bedeutete also, das filigrane Konzert europäischer Vielstimmigkeit zu rekonstruieren, das durch die Nationalismen bürgerlicher wie kommunistischer Prägung zum Verstummen gebracht worden war. Polens seit 1989 neu errungene Souveränität zeigte aber auch, wie schwierig es ist, ein derart komplexes Ensemble zu dirigieren.
Auf der einen Seite gab der Beitritt Polens zur Nato 1999 und zur Europäischen Union 2004 dem Land den nötigen Halt und die Gewissheit, unverbrüchlich Europa, dem europäischen Westen anzugehören. Der Beitritt Polens zum Schengen-Raum Ende 2007 trug schließlich das seine dazu bei, auch wenn Deutschlands Weigerung, seinen Arbeitsmarkt vor 2011 für polnische Arbeitnehmer zu öffnen, letztlich eine innenpolitischen Rücksichtnahmen geschuldete Fehlentscheidung war und dadurch die Attraktivität deutscher Sprache und Kultur aufgrund schlechter Wanderungsbedingungen zugunsten Großbritanniens und des Englischen zurückging. Die sich auf allen Ebenen verstärkende europäische Zusammenarbeit, die relativ rasch eingerichteten europäischen Strukturfonds und die regulären EU-Transferzahlungen stabilisierten Polen und ermöglichten eine grundlegende Modernisierung auf vielen Ebenen. Die anfängliche Europaskepsis vieler Bevölkerungsgruppen, etwa der Landwirte, wich so einer ausgesprochenen Europabegeisterung. Nach Umfragewerten von Februar 2016 unterstützen 81 Prozent aller Polen die Mitgliedschaft des Landes in der Europäischen Union.
Polen – quo vadis?
Wie ist nun aber vor dem Hintergrund dieser europäischen Erfolgsgeschichte Polens der Wahlsieg einer dezidiert europaskeptischen Partei zu erklären, was steckt hinter den antieuropäischen Aussagen in Teilen des Regierungslagers? Nun, wie schon die angeführten Umfragewerte andeuten, handelt es sich keineswegs um einen Überdruss an Europa, sondern das Wahlergebnis hatte in erster Linie innenpolitische Gründe. Die zwei Legislaturperioden hindurch regierende liberalkonservative Bürgerplattform (Platforma Obywatelska, PO) hatte sich stets als konsequent proeuropäisch geriert, unter diesem rhetorischen Gewand aber eine letztlich inkonsequente Politik betrieben und viele notwendige Strukturreformen im Bildungswesen, im Gesundheitsbereich, bei den Sozialsystemen unterlassen: Die stete Betonung, man handele nach bestem europäischem Wissen und Gewissen bei gleichzeitigem Verzicht auf energisches Regierungshandeln, desavouierte letztlich die politischen Kräfte der gemäßigten Rechten, zumal sich die PO zunehmend zu einer „Partei der Macht“ verwandelte und der Parteivorsitzende und Regierungschef Donald Tusk seine Position dadurch zu stärken suchte, dass er die innerparteiliche Demokratie beschnitt und zahlreiche Konkurrenten marginalisierte. Diese Doppelzüngigkeit war den Wählerinnen und Wählern schließlich nicht mehr zu vermitteln, sodass sie schließlich einer Partei (mit etwas Glück und mit der Unterstützung von nur etwa 20 Prozent der Wahlberechtigten) zum Sieg verhalfen, die Europaskepsis geschickt mit einer Kritik an den „europäischen“ Eliten der politischen Konkurrenz verband. Der tüchtige, überaus weltläufige Außenminister Radek Sikorski, dessen mit vulgären Vokabeln gespickte Hinterzimmergespräche in einem teuren Restaurant abgehört wurden, entwickelte sich zum Symbol für die vermeintliche Abgehobenheit der Eliten. Es gibt Hinweise darauf, dass hier russische Geheimdienste ihre Finger im Spiel hatten, denn der große Nachbar im Osten hat natürlich ein großes Interesse daran, Polen aus dem europäischen Projekt herauszubrechen.
Auch die neue Regierung ist nicht daran interessiert, dieses europäische Projekt scheitern zu lassen: Zu groß ist der politische, gesellschaftliche und ökonomische Nutzen, den Polen von Europa hat. Sie möchte jedoch ein größeres Gewicht in Europa haben und stellt sich auf die Seite derer, die eine grundlegende Reform des Staatenbundes fordern. Dass dabei der deutsche Einfluss in der EU ebenso zurückgedrängt werden soll wie das als abstrakt empfundene Handeln der Brüsseler Bürokratie, sollte nicht als „antieuropäisch“ gewertet werden, zumal die Regierung ja durchaus auch Partner in Europa sucht – in Ungarn und anderen tendenziell skeptischeren ostmitteleuropäischen EU-Ländern, bei der FPÖ oder den britischen Tories. Gegenstand der Ablehnung ist jedoch das „liberale“ Konzept Europas und die Kultur des oft zähen Aushandelns von Entscheidungen: Der Überkomplexität der real existierenden Europäischen Union wird die Utopie einer von Nationalstaaten gesteuerten, auf das Wesentliche reduzierten Rumpf-Union gegenübergestellt. Gerade die historischen Erfahrungen Ostmitteuropas sollten allerdings vor Augen führen, dass eine brachiale Polarisierung in „gut“ und „böse“, „schwarz“ und „weiß“ keineswegs zu mehr Gerechtigkeit führt, Verhandlung und die Suche nach modi vivendi vielmehr auf das Engste zu dieser Region gehören. So bleibt zu hoffen, dass auch die in Warschau Regierenden erkennen, dass eine billige Politik der Konfrontation nur selten weiter führt als bis an die nächste Wand. Anstatt zu versuchen, die liberale Demokratie in Polen auszuhebeln und dafür die Demontage der EU in Kauf zu nehmen, sollten sie sich besser konstruktiv für eine pluralistische Diskussion in Polen und Europa einsetzen: Als Vorreiter einer konsensualen, offensichtlich durchaus notwendigen Reform des europäischen Projekts könnte sich die PiS-Regierung selbst nach den eurokritischen Schnellschüssen der ersten Monate durchaus noch Verdienste erwerben. Vielleicht kehren dann auch die Europafahnen in den Amtssitz der Premierministerin zurück.