Vom Ort der Hoffnung zum Hafen der Frustration? Die Immigration nach Berlin
Zusammenfassung
Berlin war im Laufe der Geschichte mehrfach Ziel großer Immigrationsströme, die die Entwicklung der Stadt wesentlich vorangebracht haben. Gegenwärtig hat die Stadt jedoch damit zu kämpfen, dass die Eingliederung der Zuwanderer immer schwieriger wird und einzelne Stadtteile zu sozialen Brennpunkten zu drohen werden. Die Probleme Berlins stehen stellvertretend für ähnliche Prozesse in ganz Deutschland, Lösungsansätze können daher auch nur durch gesamtstaatliche Anstrengungen gefunden werden.
Berlin – Stadt der Vielfalt, Stadt der Einwanderung, Treffpunkt der Kulturen. Die Bezeichnungen für die deutsche Hauptstadt, die auf die Einwanderung und die Einwanderer Bezug nehmen, sind vielfältig. Sie sind auch zutreffend, aber schönfärberisch zugleich.
Mit dem Thema Einwanderung ist man in Berlin seit Jahrhunderten befasst, aber die Strukturen haben sich doch deutlich verändert. Man könnte sagen: Berlin steht vor derselben Herausforderung, aber vor neuen Problemen. Wieder müssen Einwanderer integriert werden, aber deren sozialer Zuschnitt hat sich verändert.
Historischer Rückblick
Nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) war die Stadt, damals ohnehin nicht besonders bedeutsam, zerstört, ausgeblutet und am Ende. Berlin war, als endlich der Westfälische Frieden geschlossen wurde, in keinem beneidenswerten Zustand. Der Krieg hatte nicht nur zu Verwüstung und Verarmung geführt, er hatte auch das Potenzial der Stadt vernichtet. Hilfe erhoffte sich der brandenburgische Herrscher der Zeit, Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg, der „Große Kurfürst“ (reg. 1640-1688) von außen. Die Verfolgung der Hugenotten kam ihm zupass, er lud sie nach Brandenburg – und damit vor allem auch nach Berlin – ein und bot ihnen mit dem Edikt von Potsdam 1685 neben einigen materiellen Vorteilen einen in jenen Tagen seltenen Anreiz: Toleranz.
Diese erste Einwanderung nach Berlin war wie alle folgenden der Not der Einwanderer geschuldet, die zu Hause nicht mehr so leben konnten, wie sie wollten. Sie war aber dennoch etwas Besonderes, da hier nicht wie sonst üblich Menschen aus armen und weniger entwickelten Regionen in eine Metropole kamen, sondern vielmehr Fachkräfte, die den Berlinern in ihren beruflichen Fähigkeiten überlegen waren und dadurch dazu beitrugen, dass Berlin überhaupt zu einer Metropole werden konnte.
Der Aufstieg Berlins dauerte aber dann noch fast hundert Jahre. Erst unter Friedrich II., dem „Großen“, wie er bis heute genannt wird, mauserte Preußen sich im 18. Jahrhundert zu einer respektablen politischen und wirtschaftlichen Größe, und die Hauptstadt dieses Staates erlangte parallel eine zunehmende Bedeutung.
Als dann, wiederum fast hundert Jahre später, Otto von Bismarck das Deutsche Kaiserreich formte, war Preußen darin die mit Abstand stärkste Macht. Der preußische König wurde deutscher Kaiser, der preußische Ministerpräsident wurde deutscher Kanzler und die preußische Hauptstadt wurde die deutsche Kapitale. Berlin profitierte aber nicht nur vom Zuwachs politischer Macht, sondern auch von weiteren Faktoren. Das waren zum einen die Reparationen, die Frankreich nach dem verlorenen Krieg 1871 zu zahlen hatte. Immerhin fünf Milliarden Goldmark flossen den deutschen Siegern zu, vieles davon landete in Berlin – und wurde beispielsweise für den Bau des Reichstagsgebäudes verwendet. Es war aber auch die Zeit der Industrialisierung. Siemens, Borsig, AEG sind nur einige der vielen Namen von Unternehmen, die in Berlin ihre Pforten öffneten und natürlich Arbeitskräfte benötigten. Die zweite große Immigrationswelle setzte ein. Sie kam nicht aus dem Westen, sondern aus dem Osten. Dudek, Wroblewski, Schulschynski, Blaschek – das sind in Berlin bis heute ganz normale Namen, hinter denen niemand einen Ausländer vermutet.
Hunderttausende von Menschen kamen damals aus dem Osten. Ostpreußen und Schlesien waren die Herkunftsheimat vieler Arbeitskräfte, für die die boomende Stadt ganze Viertel neu schuf. Kreuzberg, Wedding, Friedrichshain, die Szenebezirke von heute sind Teil des damals entstandenen „Wilhelminischen Rings“, in dem die Proletarier untergebracht wurden. Trendig war das damals nicht, eher armselig, wovon die Zeichnungen von Heinrich Zille und die Beschreibungen von Käthe Kollwitz Zeugnis ablegen. Berlin wurde, so heißt es oft, die größte Mietskasernenstadt der Welt. Nun sei dahingestellt, ob das wirklich je gemessen und verglichen wurde oder ob es eher dem Berliner Bestreben entspricht, immer die Größten zu sein. Ob es anders noch schlimmer zuging als in Berlin, ist allerdings in diesem Zusammenhang nicht die Frage. Interessant ist die Bezeichnung „Mietskaserne“, die die unerfreuliche Unterbringung vieler Menschen in kleinen Wohnungen in stickigen Hinterhöfen beschreibt.
Warum die Menschen trotz dieser widrigen Bedingungen nach Berlin kamen, ist schnell erklärt. Die Not trieb sie her und die Hoffnung hielt sie hier. Die Mechanisierung der Landwirtschaft im Osten Europas führte zu einer Freisetzung von Arbeitskräften, die sich eine neue Existenz suchen mussten. Berlin bot Arbeit und die Perspektive, für sich etwas daraus zu machen – und sei es in der nächsten Generation.
Etappen der Zuwanderung im 20. Jahrhundert
Das zwanzigste Jahrhundert integrierte diese Zuwanderer und die beiden Weltkriege dezimierten sie. 1945 stand Berlin erneut vor der Frage des Wiederaufbaus, der bald geteilt vollzogen wurde. West-Berlin verlor einen Gutteil seiner Industriebetriebe, deren Vorstände unter dem Absingen patriotischer Gesänge in den Westen und den Süden der neuen Bundesrepublik Deutschland wanderten, wo es sich sicherer und kommoder leben ließ. Was blieb, war in erster Linie mit Steuersubventionen gepäppelte Fertigung, West-Berlin wurde zur, wie es damals hieß, verlängerten Werkbank westdeutscher Industriebetriebe. Auch diese Produktion benötigte Arbeitskräfte von außerhalb, die auch in großer Zahl kamen. Seit 1952 war die deutsch-deutsche Grenze geschlossen und zunehmend militärisch gesichert. Eine weitgehend gefahrlose Flucht aus der DDR war nur über das politisch, aber noch nicht physisch geteilte Berlin möglich. Jeden Tag kamen Flüchtlinge aus der DDR in West-Berlin an. Viele ließen sich nach dem Notaufnahmeverfahren nach Westdeutschland ausfliegen, aber viele blieben auch im Westteil der Stadt. Zudem gab es bis zum Mauerbau 1961 rund 55.000 Menschen, die zwar in Ost-Berlin wohnten, aber in West-Berlin arbeiteten. Was heute kompliziert klingen mag, war damals oftmals einfach. Die eine Straßenseite war West-Berlin, die andere Ost-Berlin, da die Teilung alten Berliner Stadtbezirksgrenzen folgte.
Als DDR-Chef Walther Ulbricht 1961 verkündete, niemand habe die Absicht, eine Mauer zu errichten, um genau dieses dann kurz danach zu tun, fehlten – neben allem menschlichen Leid, das diese Zementierung der Teilung anrichtete – West-Berlin die Arbeitskräfte.
Nun musste man im Westteil der einstigen Hauptstadt zu dem Instrument greifen, dessen sich die aufstrebende Bundesrepublik Deutschland schon seit 1956 bedient hatte: der Anwerbung von Arbeitskräften im Ausland. Da die deutschen, mit den Herkunftsländern verhandelten Anwerbekontingente mit den südeuropäischen Ländern schon weitgehend ausgeschöpft waren, konzentrierte sich die Arbeitskräfterekrutierung auf die Türkei. Das geringe Qualifikationsniveau der Menschen, die aus Anatolien angeworben wurden, störte nicht, schließlich ging es überwiegend um Anlerntätigkeiten, für deren Verrichtung man Arbeiter suchte. Die Türken folgten dem Ruf der Anwerber und kamen nach Berlin. Auch sie wurden von der Hoffnung auf ein besseres Leben getrieben – und von der Vorstellung, nach einigen Jahren mit gespartem Geld zurückkehren und in der Türkei ein besseres Leben begründen zu können. Diese Illusion der schnellen Rückkehr gab es auf beiden Seiten, bei den Arbeitskräften und im Anwerbeland Deutschland. Der früher völlig geläufige und in keiner Weise anstößig wirkende Begriff der „Gastarbeiter“ macht das deutlich. Ein Gast kommt und geht nach einiger Zeit wieder. Gedanken über seine langfristige Integration muss man sich nicht machen und machte man sich in Deutschland generell und in Berlin speziell auch nicht.
Die Einwanderergeneration, die vor den Türken der 1960er Jahre kam, hatte es zu einem erheblichen Teil geschafft. Diese Menschen hatten Fuß gefasst und sich materiell verbessert. Sie konnten es sich leisten, aus den billigen Mietquartieren Kreuzbergs, des Weddings, Moabits oder des nördlichen Neukölln auszuziehen, und schufen damit Raum für die neuen Immigranten. Die wollten ja kostengünstig wohnen, um möglichst viel Geld zu sparen, und nahmen – im Allgemeinen von ihren Herkunftsorten auch nicht verwöhnt – die einfachen Wohnbedingungen in Kauf, es sollte ja nicht für immer sein. Die alten Arbeiterbezirke wurden auf diese Weise noch einmal von Arbeitern besiedelt, und die Sanierung dieser Quartiere setzte erst ein, als man erkannte, dass die Gekommenen überwiegend bleiben würden. Bis diese Erkenntnis sich allerdings Bahn brach, waren entscheidende Fehler bereits begangen worden.
Diese dritte Einwandererwelle unterschied sich nämlich von den vorherigen. Bei der ersten kamen Menschen, die qualifizierter waren als die im Aufnahmeland und die schon aus religiösen Gründen bleiben wollten. Die zweite Welle bestand aus Menschen, die sich ihre Qualifikation erst erwerben mussten, in aller Regel jedoch Deutsch sprachen und ebenfalls auf Dauer in Berlin leben wollten. Der dritte Einwanderungsschub bestand nun aus Menschen, die sehr geringe Bildungsvoraussetzungen mitbrachten (ja sogar zu einem nicht unerheblichen Teil Analphabeten waren) und die davon ausgingen, Berlin bald wieder zu verlassen – eine Fehlannahme, die, wie gesagt, von den Behörden geteilt wurde. Türkische Männer, die nach dreißig Jahren in Berlin nur gebrochen Deutsch sprechen, türkische Frauen, die mit ihren Kindern als Dolmetscher zu Behördengängen aufbrechen – sie sind ein kleiner Ausschnitt dieser Realität. In Berlin verfestigten sich Stadtteile, in denen Menschen „NDH“ – das ist Behördendeutsch und heißt „Nicht-Deutscher Herkunft“ – in der Mehrheit waren und sind, in denen man alles, was man im täglichen Leben regeln muss, einschließlich der Buchung einer Reise, der Erledigung von Bankgeschäften oder von Arztbesuchen, abwickeln kann, ohne ein einziges Mal die deutsche Sprache zu bemühen.
Die Immigranten der 1960er und 1970er Jahre lebten in einer Parallelgesellschaft, die beide Seiten nicht problematisch fanden. Die meisten hatten Arbeit und alles schien gut. Für die Einwanderer war es bequem, sich nicht weiter in die Gesellschaft integrieren zu müssen, die deutsche Mehrheitsgesellschaft verkaufte sich und anderen ihre Ignoranz als Toleranz.
Nach dem Mauerfall: Verlierer statt Gewinner
Wenn man über die „Verlierer der deutschen Einheit“ spricht, denkt man im Allgemeinen an bestimmte Gruppen in der ehemaligen DDR, an SED- und Stasibonzen oder an Menschen, die durch die Deindustrialisierung der DDR ihren Job verloren hatten und zu alt für einen Neuanfang waren. Tatsächlich gehören die Immigranten in West-Berlin jedoch auch zu den Verlierern der deutschen Vereinigung. Nach dem Fall der Mauer konnte nämlich das wieder geschehen, was bis 1961 gang und gäbe war: Menschen aus Ost-Berlin und aus der DDR, jetzt „neue Bundesländer“, kamen zum Arbeiten nach West-Berlin. Jetzt mussten sie nicht mehr flüchten und oftmals nicht einmal umziehen. Gleichzeitig verlor West-Berlin mit den Steuersubventionen auch einen erheblichen Teil seiner Industriekapazität und konnte für die verbleibenden Jobs auf das gut qualifizierte und deutschsprachige Personal aus der bisherigen DDR und aus Ost-Berlin zurückgreifen. Die Arbeitslosigkeit unter den Ausländern in Berlin, de facto West-Berlin, schoss in die Höhe. Berlin bot vielen – gerade Menschen mit Migrationshintergrund – keine Chance mehr. Zwar wird gerne darauf verwiesen, wie viele junge Menschen mit ausländischen Wurzeln mittlerweile Abitur machen und ihren beruflichen Weg gehen. Das ist nicht falsch, aber es ist der kleinere Teil einer Entwicklung, deren Wirkung noch dadurch geschmälert wird, dass es gerade diese Menschen sind, die Berlin nun verlassen, um beispielsweise ihre Qualifikationen in den türkischen Wirtschaftsboom einzubringen. Der Neuköllner Bezirksbürgermeister Buschkowsky hat darauf vor kurzem in einem Buch1 aufmerksam gemacht. Zwar muss er sich die Kritik gefallen lassen, dass er doch selbst an entscheidender Stelle stand und steht und die Entwicklung hätte beeinflussen können, aber das entkräftet seine Analyse nicht. Der Neuköllner Lokalpolitiker weist darauf hin, dass es mittlerweile viele – vor allem ausländische – Familien gibt, in denen kein einziges Familienmitglied eine Erwerbsbiographie aufweisen kann. Alle leben „vom Amt“, also von staatlicher Unterstützung, und verlieren den Sinn dafür, dass es sich lohnt, sich anzustrengen. Die Immigranten, traditionell der aktivste und dynamischste Teil der Gesellschaft, weil sie sich ihren Weg nach oben erkämpfen wollen, mutierten zum stagnativen Segment. Hinzu gekommen ist, dass ursprünglich Arbeitskräfte angeworben wurden, die also Arbeitswillen hatten und nach ihrer Arbeitsfähigkeit rekrutiert wurden. Seit 1973 gibt es jedoch einen Anwerbestopp in der Bundesrepublik Deutschland und auch in Berlin. Dennoch ist der Zuzug von Ausländern ungebrochen, sie kommen aber nicht als Arbeitskräfte, sondern als Familienangehörige oder frisch Angeheiratete. Das Auswahlkriterium Arbeitsmotivation und -fähigkeit spielt dabei keine Rolle. Gerade für diese Menschen gibt es auch keine Jobs – soweit sie überhaupt danach suchen. Berlin ist gegenwärtig nicht mehr der Zielpunkt der Hoffenden, sondern die Endstation der Hoffnungslosen. Die Folgen sind mit den Händen zu greifen und beschäftigen die Öffentlichkeit regelmäßig. Immer wieder einmal schreiben Lehrkräfte einer Schule einen Brief an den Senat, in dem sie den Offenbarungseid leisten. Bundesweit bekannt wurde die Rütli-Schule in Neukölln, die die von ihr generierte Aufmerksamkeit noch nutzen konnte, wesentliche Verbesserungen zu erzielen. Man spricht heute vom Rütli-Campus, auf dem eine Vorzeigeschule geschaffen wurde. Den anderen Schulen, die damit kämpfen, dass außer den Lehrern kaum noch einer Deutsch spricht, dass Schüler dem Unterricht fernbleiben, ohne dass das jemanden zu stören scheint, und in denen die Jugendlichen als Berufswunsch „hartzen“ angeben, wurde dieses Glück nicht zuteil.
So stehen sich in Berlin – in der öffentlichen Diskussion und in der gesellschaftlichen Realität – jetzt gewissermaßen zwei Städte gegenüber, die unterschiedlicher nicht sein können. Auf der einen Seite gibt es das attraktive und dynamische Berlin, das junge Leute aus aller Welt anzieht, das als Clubhauptstadt gehandelt wird und als Vorzeigemodell für Multikulturalität, Vielfalt und Toleranz steht. Auf der anderen Seite findet man das Berlin der Hoffnungslosen, die sich darin eingerichtet zu haben scheinen, an der gesellschaftlichen Entwicklung marginal und subventioniert teilzuhaben und die das Innovationspotenzial vermissen lassen, dessen die wirtschaftlich nach wie vor prekäre Stadt dringend bedarf. Die Herausforderung für Berlin liegt darin, die beiden Bilder so übereinander zu legen, dass sie ein gemeinsames ergeben. Das wird nicht mit Ignoranz möglich sein, und schon gar nicht mit Häme und Herabsetzung, wie sie der frühere Berliner Senator Thilo Sarrazin2 zur Meisterschaft entwickelt hat. Die ganze Stadt wird sich anstrengen müssen, die Zugewanderten wie die hier Geborenen, die hier Geborenen mit deutschen Wurzeln (im neuen Jargon: Bio-Deutsche) und die mit ausländischer Herkunft. Die möglichen Stationen einer positiven Entwicklung sind hinlänglich bekannt: Bildung, Arbeit, Akzeptanz. Die Schwierigkeiten liegen in der Umsetzung. Jeder, der sich mit Integration beschäftigt, weiß, dass die Bildung der Schlüssel zu Erfolg oder Misserfolg ist. Der Besuch von Kindertagesstätten ist in Berlin kostenlos, aber Kitaplätze sind knapp und das Angebot wird dem armen Berlin von den reichen Bundesländern, die nun den Länderfinanzausgleich aufbohren wollen, geneidet. Die Segregation hat in vielen Bezirken bereits stattgefunden, es gibt in Neukölln und auch in Kreuzberg Schulen, an denen so gut wie kein Deutscher ohne Migrationshintergrund mehr unterrichtet wird. Die Arbeitslosenzahlen in Berlin liegen nach wie vor – und wohl auch weiterhin – deutlich über dem Bundesdurchschnitt, und wo es keine Jobs gibt, da findet auch keine Integration über gemeinsame Arbeit statt. Auch das ist ein wesentlicher Unterschied zu den früheren Einwanderungswellen nach Berlin.
Ein aktuelles Beispiel sind die in den letzten Jahren in großer Zahl in die Stadt kommenden Roma aus Rumänien und Bulgarien. Ihre Lebensbedingungen in den Herkunftsländern sind schlecht und ihre Diskriminierung dort ist allgegenwärtig. Als EU-Bürger können sie einreisen und sich auch hier ansiedeln, zumindest wenn sie sich formal selbstständig machen. Diese Menschen kommen, um zu bleiben. Die Schulen sind überfordert damit, plötzlich quasi eine ganze Romaklasse zu haben, bestehend aus Kindern, die kein Deutsch können und an ein solches Schulsystem nicht gewohnt sind. Die Verwaltung sieht das Problem und schiebt es vor sich her. Der Bezirk richtet sich an den Senat, der verweist auf die Zuständigkeit der Bezirke, es gibt weder Geld für neue Stellen noch Mechanismen, solche schnell zu besetzen – und die Uhr tickt. Es besteht die Gefahr, dass eine neue Gruppe ausländischer Einwanderer fest am Rande der Gesellschaft etabliert wird, von dem sie dann schwer los kommt.
Eine sozialverträgliche Lösung, von der alle profitieren, wird Berlin allein aus eigener Kraft nicht bewerkstelligen können, dazu ist die Stadt zu klamm. Nur wenn die Bundesrepublik Deutschland erkennt, dass es hier nicht um lokale Berliner Probleme geht, sondern um gesellschaftliche Herausforderungen, die in Berlin in besonderer Weise hervortreten, wenn die deutsche Gesellschaft sich insgesamt verantwortlich für ihre Zukunft fühlt, kann es gelingen, langfristig auch diese Einwanderung zum Erfolg zu machen. Davon wird aber auch der Erfolg der alternden Gesellschaft insgesamt abhängen. Wieder einmal ist Berlin das Labor Deutschlands.