Kroatiens Wirtschaft und Tourismus mit Blick auf den Beitritt zur Europäischen Union
Zusammenfassung
Innerhalb Jugoslawiens zählte Kroatien zu den wirtschaftlich bedeutendsten Teilrepubliken, wobei der Tourismus stets eine große Rolle spielte. Seit der Unabhängigkeit hat das Land mit enormen strukturellen Veränderungen zu kämpfen und muss, wie der folgende Beitrag belegt, dafür sorgen, dass der Fremdenverkehr angesichts der großen Konkurrenz im Mittelmeerraum ein Motor des Wachstums bleibt.
Kroatien ist seit dem 1. Juli 2013 das 28. Mitglied der Europäischen Union (EU). Nach langjährigen Beitrittsverhandlungen ist es der jungen Republik an der Adria gelungen, in den Kreis der europäischen (Staaten-)Familie zurückzukehren. Nach Ausrufung der staatlichen Unabhängigkeit 1991 und dem NATO-Beitritt im Jahr 2009 konnte Kroatien mit der EU-Mitgliedschaft somit ein weiteres strategisches Ziel erreichen. Der EU-Beitritt erfolgte allerdings mit weitaus weniger Euphorie, als sie noch zu Beginn der Beitrittsverhandlungen bei der kroatischen Bevölkerung festzustellen war. Stattdessen traten die Kroaten der EU mit einer entsprechenden Dosis Realismus bei. Sie taten dies in einer Phase, in der sowohl die EU als auch Kroatien mit den Auswirkungen der weltweiten Wirtschafts-und Finanzkrise zu kämpfen haben. Kroatien trifft es allerdings härter, da zur aktuellen Krise auch die eigenen strukturellen Defizite hinzukommen, wodurch die wirtschaftspolitischen Versäumnisse während der Transformationsphase und eine in weiten Teilen unzureichende Restrukturierung des wirtschaftlichen Sektors sichtbar werden. Eine besondere Rolle innerhalb der kroatischen Wirtschaft spielt der Tourismus, der bereits zu sozialistischen Zeiten, aber auch während der neunziger Jahre – parallel zum umfassenden Transformationsprozess und der Kriegshandlungen – dazu beigetragen hat, dass der Devisenstrom aufrechterhalten blieb. Nach einer Anpassungsphase hat sich der kroatische Tourismus inzwischen zu einer international bedeutsamen Marke entwickelt.
Die kroatische Wirtschaft – Ausgangslage
Die kroatische Wirtschaft erlebte während der sozialistischen Ära in den fünfziger und sechziger Jahren, also als Folge der nachzuholenden Modernisierung und des Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg, zunächst eine Phase des Wirtschaftswachstums. Aber bereits seit Mitte der siebziger Jahre hatte der Selbstverwaltungssozialismus mit rückläufigen Wachstumsraten, einer geringen Arbeitsproduktivität und einem Anstieg der Arbeitslosigkeit zu kämpfen. Begleitet wurde dies mit einem Anstieg des Handelsdefizits sowie der Auslandsverschuldung. Spätestens seit 1988 befand sich die Wirtschaft im freien Fall mit einem deutlichen Rückgang der Wirtschaftsleistung und hohen Inflationsraten. Zu diesem Zeitpunkt realisierte die Wirtschaft ein Bruttosozialprodukt von etwa 15 Milliarden US-Dollar, wobei innerhalb des Industriesektors der Schiffsbau, die Erdölindustrie und die chemische Industrie dominierten. Weitere Bereiche des Industriesektors waren der Maschinen- und Elektromaschinenbau sowie die Textil- und Holzverarbeitungsindustrie. Neben der Industrie spielte auch der Tourismus eine wichtige Rolle.
Parallel zur Ausrufung der staatlichen Unabhängigkeit 1991 und der Systemtransformation erlebte Kroatien einen weiteren Einbruch der Wirtschaftstätigkeit. Die typischen Begleitumstände waren ein drastischer Rückgang der Industrieproduktion, ein Anstieg der Arbeitslosigkeit, sinkende Realeinkommen und ein entsprechend sinkender Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten. Allein 1991 ging das Bruttoinlandsprodukt um 23 Prozent zurück, die Industrieproduktion sank sogar um 28 Prozent. Zwischen 1991 und 1993 halbierte sich die kroatische Industrieproduktion und läutete damit gleichzeitig den Prozess der Deindustrialisierung ein.1 Dieser Prozess war eng verbunden mit einem Bedeutungsverlust der Stahlindustrie und des Maschinenbaus, zugleich war der primäre Sektor mit etwa 9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Vergleich zu westlichen Industriestaaten überproportional ausgeprägt.
Der drastische Rückgang der kroatischen Wirtschaftstätigkeit hatte mehrere Gründe. Neben dem plötzlichen Verlust des gemeinsamen jugoslawischen Binnenmarktes hatte man auch mit der Erblast der sozialistischen Ära zu kämpfen. Nicht unbedeutender waren die Auswirkungen des Krieges, etwa die Zerstörung von Industrieanlagen, Unterbrechung der Verkehrswege sowie die Landesverteidigung als Reaktion auf die Aggression seitens der jugoslawischen Volksarmee und serbischer Freischärler, die in der ersten Phase der Transformation enorme Ressourcen des Landes verschlungen hatte. Somit verwundert es nicht, dass der Wirtschaftseinbruch in Kroatien weitaus stärker ausgefallen ist als in den übrigen Transformationsstaaten. Dafür, dass auch die wirtschaftliche Erholung wesentlich später einsetzte, waren neben den erwähnten spezifischen Rahmenbedingungen auch wirtschaftspolitische Entscheidungen, mangelnde Rechtssicherheit, Produktivitätsdefizite sowie das gewählte Privatisierungsmodell mitverantwortlich. Im Gegensatz etwa zu Ungarn, Tschechien, Estland und Polen haben ausländische Direktinvestitionen (ADI) im kroatischen Privatisierungsprozess mit Ausnahme des Telekommunikationssektors und des Bankensektors in den neunziger Jahren nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Der Privatisierungsprozess, der rückwirkend als „Insiderprivatisierung“ charakterisiert werden kann, wurde hauptsächlich in Form von Management- und Worker-Buyout durchgeführt, sodass Kapitalakkumulation und Know-how-Transfer zur Durchführung dringend notwendiger Modernisierungs- und Restrukturierungsmaßnahmen eher verhindert wurden.2 Eine unmittelbare Folge war die mangelnde internationale Konkurrenzfähigkeit weiter Teile der kroatischen Wirtschaft. Besonders anschaulich lässt sich dies an einem der wichtigsten Wirtschaftszweige Kroatiens dokumentieren – dem Tourismus.
Tourismus
Der Tourismus hat in Kroatien eine lange Tradition und war bereits zu sozialistischen Zeiten eine verlässliche Devisenquelle. Seinen eigentlichen Boom erlebte er mit dem Aufkommen des Massentourismus, entsprechend wurden große Investitionen Ende der sechziger bis Anfang der siebziger Jahre vorgenommen. Dem Massentourismus angepasst handelte es sich um Hotelburgen mit durchschnittlich über 270 Betten – überwiegend mit zwei Sternen –, wobei der damalige Tourismussektor wie andere Wirtschaftszweige von „selbstverwalteten“ Gesellschaftsunternehmen kontrolliert wurde. Diese bildeten durch horizontale und vertikale Integration regelrechte Agglomerate mit lokaler und regionaler Monopolstellung. Daneben wurde eine Gruppe kleiner privater Anbieter in Form von Familienpensionen und Restaurants geduldet, wobei diese einer Reihe von Beschränkungen wie etwa der Anzahl der Betten und der Beschäftigten ausgesetzt waren. Dieses systematisch marginalisierte private Tourismusangebot war außerstande, eine ernsthafte Konkurrenz zum gesellschaftlichen Tourismussektor zu bilden. Insgesamt war die überkommene Wirtschaftsstruktur unfähig, sich einem verändernden internationalen Tourismusangebot anzupassen und langfristig mit der marktwirtschaftlich organisierten Konkurrenz aus anderen mediterranen Tourismuszielen mitzuhalten. Das Resultat war ein kontinuierlicher Rückgang der Übernachtungszahlen von 68,2 Millionen im Rekordjahr 1986 auf 52,5 Millionen 1990. Zu diesem Zeitpunkt steuerte der Tourismus etwa 10 Prozent zum Sozialprodukt bei und war weiterhin Haupteinnahmequelle für Deviseneinkünfte.
Die Kriegshandlungen im Land selbst, aber auch in der unmittelbaren Nachbarschaft, führten zu einem Einbruch der Übernachtungszahlen, da insbesondere die Tourismusbranche sensibel auf eine verschlechterte Sicherheitslage reagiert. Allerdings konnten auch zu Beginn der neunziger Jahre, als in Teilen des Landes noch gekämpft wurde, das im Nordwesten gelegene Istrien sowie einige Inseln der Kvarner Bucht eine nicht unbedeutende Anzahl von Gästen aus Deutschland, Österreich und Italien mit attraktiven Angeboten anlocken und somit dafür sorgen, dass der Devisenstrom nicht gänzlich zum Erliegen kam. Erst nach Rückeroberung der von aufständischen Serben besetzten Gebiete rund um Knin im Sommer 1995 und der damit beendeten Kampfhandlungen im ganzen Land konnten sich auch die weiter südlich gelegenen touristischen Ziele entlang der Adria erholen. Insbesondere Dubrovnik und die Touristenorte rund um Split verzeichneten in dieser Zeit einen Aufwärtstrend. Um allerdings den Anschluss an die mediterrane Konkurrenz gewinnen zu können, hätte in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre eine Privatisierung und Restrukturierung der Staats- bzw. Gesellschaftsunternehmen im Tourismus erfolgen müssen, da auch Jahre nach dem Zerfall des sozialistischen Wirtschaftssystems ein beachtlicher Teil der Tourismusunternehmen noch in den Händen staatlicher Banken oder des staatlichen Privatisierungsfonds verblieb. Es fehlte an finanzstarken und innovativen Unternehmen, die Know-how und Kapital zu einem produktiven Mix hätten verbinden können, um sich im internationalen Wettbewerb zu behaupten. Charakteristisch für diese Phase war zudem, dass abgesehen von einigen „Filetstücken“ in Istrien und in Dubrovnik relativ wenige Hotelanlagen in die Hände von ausländischen Investoren mit touristischer Kernkompetenz übergingen und insgesamt der Zufluss an ADI gering blieb.
Die Situation änderte sich mit der Annäherung Kroatiens an die EU, die mit einem veränderten Privatisierungsansatz, einer weiteren Öffnung gegenüber ausländischem Kapital und einem insgesamt freundlicheren Investitionsklima einherging. In diesem Zusammenhang spielt auch die erfolgreiche Konsolidierung des Bankensektors nach der Bankenkrise 1998 eine entsprechende Rolle.3 Insbesondere seit Beginn der Beitrittsverhandlungen 2005 wurde entlang der Küste viel investiert, sowohl direkt in die bestehenden Hotelanlagen als auch in die gesamte Infrastruktur. Zahlreiche Hotelanlagen gingen in dieser Zeit im Zuge der Privatisierung in ausländische Hände über, einige wurden in internationale Hotelketten eingegliedert. Deutliche Qualitätsverbesserungen waren die Folge. Die inzwischen fertiggestellte Autobahnverbindung von der Grenze zu Slowenien über Zagreb bis nach Dalmatien hat wesentlich zur verbesserten Lage der weiter südlich gelegenen Ziele beigetragen, u. a. indem Transportzeiten sowie die Anreisezeit für Touristen deutlich verkürzt werden konnte. In den letzten Jahren wurden zudem einige neue hochwertige Hotelanlagen fertiggestellt, sodass das touristische Angebot dementsprechend breiter geworden ist. Neben Hotels aller Kategorien (überwiegend 3 bis 5 Sterne) sind weiterhin der Camping- bzw. der FKK-Tourismus sowie der nautische Tourismus stark vertreten. Insbesondere der nautische Tourismus verzeichnete in den letzten Jahren hohe Zuwachsraten.
Insgesamt hat sich der kroatische Tourismus zu einem bedeutenden Handelsfaktor entwickelt, wie dies die enormen Zuwachszahlen in den vergangenen Jahren bestätigen. Selbst im Krisenjahr 2010, als der Tourismus in einigen Tourismuszielen einbrach, konnte Kroatien ein Plus von 7 Prozent verbuchen. Nicht zuletzt konnte das Land an der Adria von den Ereignissen in Griechenland profitieren, die zur Folge hatten, dass dort der Tourismus einen Rückgang um 5 Prozent verbuchen musste. Aufgrund der negativen Berichterstattung über die Zustände in Griechenland entschieden sich viele Urlauber für andere Ziele; Kroatien war dabei einer der Nutznießer, wie aus der ungewöhnlich hohen Zahl der Spätbuchungen zu schließen war.
Allein im Jahr 2011 hatte das Land gut 11 Millionen Gäste mit über 60 Millionen Übernachtungen, was einen weiteren Anstieg von ca. 7 Prozent bedeutete. Von den 11 Millionen Gästen waren allein 9,9 Millionen ausländische Gäste, wobei allein 5,3 Millionen Nächtigungen auf das Konto österreichischer Gäste gingen, die damit Italien als bislang drittstärksten Markt nach Deutschland und Slowenien überholt haben. Die meisten Touristen zog Istrien an, hier konnten 32 Prozent der Gesamtübernachtungen verbucht werden. Auch 2012 war ein überaus erfolgreiches touristisches Jahr mit einem leichten Zuwachs in den Übernachtungszahlen, sodass man mit knapp 63 Millionen Übernachtungen ein Rekordergebnis seit der staatlichen Unabhängigkeit verbuchen konnte. Gleichzeitig gingen allerdings die Einnahmen zurück, was laut offiziellen kroatischen Stellungsnahmen auf die angespannte wirtschaftliche Lage in einigen Ländern – insbesondere in Italien – zurückzuführen sei. Nach Berechnungen der Raiffeisenbank lagen die durchschnittlichen Ausgaben ausländischer Touristen in den ersten drei Quartalen 2012 mit 104 Euro pro Übernachtung um 16 Prozent niedriger als noch im Vorkrisenjahr 2008. Nach Eurostat-Erhebungen war der Tourismus im Jahr 2012 mit knapp 15 Prozent am Bruttoinlandsprodukt beteiligt. Er hat damit für Kroatiens Volkswirtschaft eine größere Bedeutung als der Fremdenverkehr für Spanien oder Italien.
Um den positiven Trend der letzten Jahre auch künftig fortzuführen, muss sich der kroatische Tourismus immer wieder an Nachfrageveränderungen und internationale Trends anpassen. Sonne, Meer und gutes Essen alleine werden nicht ausreichen, will man die Einnahmen aus dem Tourismus signifikant erhöhen.4 Dazu wird vielmehr ein differenzierteres Angebot notwendig sein und vor allem eine Verlängerung der Saison, die sich zurzeit bestenfalls auf drei, in einigen Regionen gar nur auf zwei Monate erstreckt. Notwendig dafür sind ein langfristiger Entwicklungsplan sowie entsprechende Investoren. Anfang 2013 hat das Tourismusministerium die Strategie für die Entwicklung des Sektors bis 2020 vorgelegt. Das Dokument beziffert das Investitionspotenzial der Branche bis 2020 auf 7 Milliarden Euro. Der größte Teil entfällt mit 2,2 Milliarden Euro auf neue Hotels mit insgesamt 20.000 Gästezimmern. Für die Modernisierung von bestehenden Anlagen setzt die Strategie einen Betrag von 825 Millionen Euro an. Einen weiteren Investitionsschwerpunkt sollen Klein- und Familienhotels bilden, der Investitionsbedarf wird dabei auf knapp 300 Millionen Euro veranschlagt. Für diese Betriebe will die kroatische Entwicklungsbank (HBOR) vergünstigte Investitionsdarlehen vergeben. Für verbesserte Wettbewerbsfähigkeit soll zudem der 2013 auf 10 Prozent abgesenkte Mehrwertsteuersatz für Restaurantdienstleistungen sorgen.
Ein Großteil der geplanten Projekte wird nur in Verbindung mit ausländischen Direktinvestitionen realisiert werden können. Der erfolgte EU-Beitritt dürfte dabei sowohl den Tourismus weiter beflügeln als auch für weiteren Zustrom an ADI sorgen. Für die Touristen werden spätestens nach Aufnahme Kroatiens in den „Schengen-Raum“ die Grenzkontrollen wegfallen und somit die Einreise erleichtern. Stundenlanges Warten an den Grenzkontrollen dürfte dann der Vergangenheit angehören. Bereits ab diesem Jahr werden Zollkontrollen wegfallen. Auf der anderen Seite sollte der EU-Beitritt auch für potenzielle Investoren mit Erleichterungen bzw. dem Wegfall von bürokratischen Hürden verbunden sein. Bisher sind große Greenfield-Investitionen5 häufig an langwierigen Planungs- und Ausschreibungsverfahren gescheitert. Der EU-Beitritt bedeutet daher zugleich für ausländische Investoren mehr Rechtssicherheit und höhere Transparenz.
EU-Beitritt und Perspektiven für die Wirtschaft
Die Erfahrungen der bisherigen EU-Beitrittsländer zeigen, dass die wirtschaftliche Entwicklung nach Aufnahme in die EU wesentlich davon abhängt, wie gut das jeweilige Land auf den scharfen Wettbewerb des EU-Binnenmarktes vorbereitet und die Wirtschaftsstruktur an die Anforderungen angepasst war. Es geht dabei vor allem um die Fähigkeit, mit eigenen Produkten auf internationalen Märkten zu konkurrieren, die Marktanteile zu vergrößern und die Realeinkommen langfristig zu steigern. Unmittelbar nach Zerfall des gemeinsamen jugoslawischen Marktes konnte Kroatien zwar einen Anstieg der EU-Exporte verbuchen, seit über zehn Jahren muss allerdings – trotz asymetrischer Handelserleichterung – eine Stagnation festgestellt werden. Die Tatsache, dass man trotz Handelspräferenzregelung die EU-Kontingente nicht ausnutzen konnte, lässt auf Probleme in den Bereichen Preis/Qualität und Vermarktung kroatischer Produkte auf westlichen Märkten schließen. Problematisch ist außerdem die Außenhandelsstruktur, da bislang nur ein geringer Wandel der Handelsstruktur erfolgt ist, d. h. Rohstoffe und arbeitsintensive Produkte dominieren weiterhin den Handel mit der EU. Zudem lässt eine hohe Konzentration bzw. eine wenig aufgefächerte Produktpalette auf eine langsame Anpassung an die EU-Handelsstrukturen schließen.
Zusammenfassend lässt sich eine noch immer unzureichende Wettbewerbsfähigkeit der kroatischen Wirtschaft attestieren, was auch ein Blick auf verschiedene internationale Wirtschaftsrankings (z. B. Global Competitiveness Ranking) bestätigt. Der EU-Beitritt wird einen zusätzlichen Druck auf notwendige Anpassungen ausüben und die Wirtschaft zu höherer Wettbewerbsfähigkeit zwingen. Dies gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass der EU-Beitritt zugleich den Rückzug aus der CEFTA6 und damit veränderte Handelsbedingungen mit Ländern außerhalb der EU beinhaltet. In diesem Zusammenhang spielen insbesondere Bosnien und Herzegowina und die anderen südosteuropäischen Nachbarn eine Rolle, auf deren Märkten kroatische Unternehmen bislang überaus erfolgreich agieren konnten. Die notwendige Anpassung kann ohne ausländisches Kapital allerdings nur schwer gelingen. Voraussetzung dafür sind eine effizientere öffentliche Verwaltung, weniger Bürokratie und ein verbessertes Investitionsklima, damit langfristig marktorientiertes ausländisches Kapital angezogen werden kann. Für die Verbesserung der institutionellen Rahmenbedingungen wird es wiederum entscheidend sein, inwieweit es Kroatien in den kommenden Jahren gelingen wird, aus den bereitgestellten EU-Fonds einen entsprechend hohen Anteil abzurufen. Litauen könnte hier eine Vorbildfunktion spielen, da es mit über 60 Prozent der abgerufenen Mittel mit an der Spitze aller EU-Mitgliedsländer steht.
Der Phase des Wirtschaftswachstums mit durchschnittlich 4 bis 5 Prozent Wachstum zwischen 2000 und 2008, das insbesondere auf gestiegener Binnennachfrage basierte und mit einer kräftigen Zunahme der Konsumentenkredite einherging, ist seit 2009 eine Phase des Wirtschaftseinbruchs und der Stagnation gefolgt. Aufgrund der gegenwärtig angespannten wirtschaftlichen Lage, eines enormen Anstiegs der Arbeitslosigkeit und steigender Preise für lebensnotwendige Güter, die das verfügbare Einkommen der Haushalte belasten, wird künftiges Wirtschaftswachstum nur über eine vermehrte Exporttätigkeit zu generieren sein, zumal sich die Möglichkeiten, an Kredite zu kommen, im Lande deutlich verschlechtert haben. Unter diesen Rahmenbedingungen verstärkt sich unter den jungen, überwiegend gut ausgebildeten Kroaten der Wunsch, ihre Heimat zu verlassen und in Westeuropa ihr Glück zu suchen. Sollte es den verantwortlichen Akteuren nicht gelingen, Antworten auf die wirtschaftlichen Probleme zu geben und das Land möglichst bald auf den Wachstumspfad zurückzubringen, wird der EU-Beitritt die Gefahr des „brain drain“ verstärken, auch dann, wenn einige Länder wie Deutschland und Österreich eine Übergangszeit der Arbeitnehmerfreizügigkeit für Arbeitnehmer aus Kroatien durchsetzen werden.
Ausblick
Die Annäherung Kroatiens an die EU und insbesondere der Prozess der Beitrittsverhandlungen waren wichtig für den Abschluss der Transformation in Richtung Marktwirtschaft und Demokratie. Sie haben das Land in den vergangenen Jahren nachhaltig verändert und gleichzeitig die strukturellen und institutionellen Defizite Kroatiens offengelegt. Dem neuen EU-Mitglied werden die Strukturhilfen aus den EU-Fonds künftig helfen, den notwendigen Umbau der institutionellen Rahmenbedingungen voranzutreiben und die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Eine entscheidende Rolle wird dabei der Absorptionsfähigkeit des Landes bezüglich der bereitgestellten EU-Mittel zukommen. Zugleich kann die EU-Mitgliedschaft als Katalysator für die notwendige mentale Transformation der kroatischen Gesellschaft fungieren, indem alte Denk- und Verhaltensmuster abgelegt werden. Nur so kann die große Kluft zwischen formellen und informellen Institutionen überwunden und das Investitionsklima nachhaltig verbessert werden. Der EU-Beitritt bringt dem Land damit neben großen Herausforderungen auch Chancen, die es zu nutzen gilt.
Fußnoten:
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Jens Reuter: Wirtschaftliche und soziale Probleme Kroatiens. In: Südosteuropa 42 (1993), Nr. 9, S. 475-490, hier S. 476. ↩︎
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Siniša Kušić: Privatisierung im Transformationsprozess. Das Beispiel der Republik Kroatien. Wiesbaden 2001. ↩︎
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Siniša Kušić: Croatia. Advancing Political and Economic Transformations. In: Southeast European and Black Sea Studies 6/2006, S. 65-81. ↩︎
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„Kroatien will Qualität im Tourismus anheben“ (http://www.gtai.de/GTAI/Navigation/DE/Trade/maerkte,did=775920.html; letzter Zugriff: 31.07.2013 – Link mittlerweile inaktiv). ↩︎
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Darunter ist die Neuerrichtung von Produktionsanlagen auf bisher unbebautem Gelände, gewissermaßen „auf der grünen Wiese“, zu verstehen (daher der Begriff). In der Regel handelt es sich um ausländische Investoren, die in einem anderen Land – hier also in Kroatien – tätig werden möchten (Anm. d. Redaktion). ↩︎
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CEFTA steht für „Central European Free Trade Agreement“ und bezeichnet ein 1992 gegründetes Freihandelsabkommen, dem heute eine Reihe von Staaten Südosteuropas angehört. Die Mitgliedschaft gilt aufgrund der damit verbundenen Bedingungen als Vorstufe zum Beitritt zur Europäischen Union (Anm. d. Redaktion). ↩︎